Schwarzwald für Ehrenamtliche, Geschäftige und Erholungssuchende - Volunteering, Business and Holidays in the Black Forest


Armut - Prekariat
im südlichen Hochschwarzwald und Breisgau
  

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 Blick nach Nordwesten über Mauchen zum Himmelberg am 2.11.2006
Reiches Markgräflerland: Blick nach Nordwesten über Mauchen zum Himmelberg am 2.11.2006


 Das Jammern über Armut in Deutschland muß endlich aufhören. Wer heute von Hartz IV lebt, hat meist einen höheren Lebensstandard als in meiner Jugend ein Facharbeiter mit Frau und Kindern.
Eine Unterschicht gibt es in jedem Land der Welt und zu jeder Zeit der Welt"
Gerhard Schröder, SPD, im Tagesspiegel, 9.12.2006

"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein"
Guido Westerwelle, FDP, nach dem Karlsruher Hartz-IV-Urteil in der Welt, 11.2.2010

Hartz IV gegen die materielle Armut -  und was gegen die "Armut im Geiste"?

 

 

Hartz IV-Elternhäuser bieten ihren Kindern eine lebenswerte Jugend

Müssen Sie denn immer die gleichen verzerrten Bilder vom düsteren Rand der Gesellschaft zeichnen? Nicht, dass es das nicht gibt, aber es gibt auch viel Buntes und Freundliches im sogenannten Hartz IV-Milieu. Ich kenne mehrere allein erziehende Mütter in Hartz IV, die das wenige Geld, über das sie verfügen, in Privatschulen für ihre Kinder investieren, um ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Andere sind als Elternbeiräte tätig. Viele machen sich Gedanken, wie sie ihren Kindern trotz knapper Kasse eine schöne Kindheit und Jugend bieten können, in der nicht nur der ständige Mangel vorherrscht.
Eltern, die von Hartz IV leben, müssen einige Anstrengungen unternehmen, um ihren Kindern ein lebenswertes Leben jenseits von Markennamen und teuren Kurzurlauben vorzuleben. Das gelingt nicht allen, und viele versuchen es auch nicht. Aber ich würde doch herzlich darum bitten, nicht ständig die gleichen Dummheiten über arbeitsfaule und vernachlässigende Hartz IV-Elternhäuser zu verbreiten.
BZ-Leserbrief vom 16.1.2010 von Maren Moormann

 

 

Armenfonds der Waisenhausstiftung verteilt 76700 Euro in 2010

Die Waisenhausstiftung widmet sich seit 1376 vorrangig der Hilfe für Kinder und Jugendliche. Der Fonds zur Armenhilfe speist sich seit dem 14. Jahrhundert aus freiwilligen Beiträgen der Bürger. Derzeit stehen jährlich 76 700 Euro zur Verfügung.

"Wer weiß, vielleicht ist der Armenfonds der Waisenhausstiftung heute wichtiger denn je", meint Lothar A. Böhler, Stiftungsdirektor der kommunalen Stiftungen in Freiburg. In enger Abstimmung mit der Stadt verteilt der Armenfonds der Waisenhausstiftung jedes Jahr Fördergelder für soziale Projekte und Angebote, die finanziell benachteiligte Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, unterstützen. "Insgesamt kann der Armenfonds aus seinen Erträgen im kommenden Jahr 76 700 Euro ausschütten," freut sich Böhler. Davon gehen 15 000 Euro über das Sozialamt an bedürftige Freiburgerinnen und Freiburger.
Hinter diesen Hilfen im Einzelfall, die im Durchschnitt bei rund 150 Euro liegen und 2009 zwischen 17,34 Euro und knapp 400 Euro betrugen, verbergen sich beispielsweise Zuzahlungen bei Brillen, Zahnersatz oder Medikamenten. Das Sozial- und Jugendamt vermittelt dieses Geld. "Mit Geld aus dem Armenfonds kann man unbürokratisch helfen", erläutert Böhler. Doch auch die Förderung sozialer Projekte werde aufgrund der allgemeinen Kürzungen auf Seiten der Stadt und des Landes immer wichtiger. 22 Projekte fördert der Armenfonds 2010 – mit Beträgen zwischen 1000 und 10000 Euro. "Auch hier kommt das Geld bedürftigen Menschen direkt zu Gute", betont Stiftungsdirektor Böhler – entweder, indem es dazu
beiträgt, dass diese kulturelle oder Freizeitangebote überhaupt in Anspruch nehmen können oder indem es sie direkt in ihrer Notlage unterstützt. Das Spektrum der geförderten Projekte ist deshalb sehr breit. Es reicht von einer musikalischen Früherziehung der Jazz- und Rockschule direkt im Kindergarten über ein Vorbeugungsprojekt des Vereins "Wendepunkt" und die Unterstützung von "Anker", einer Gruppe für Kinder psychisch kranker – und in diesem Fall auch einkommensschwacher – Eltern bis hin zu Ausbildungsprojekten für obdachlose Frauen und individuelle Unterstützung für Süchtige, die im Kontaktladen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Hilfe suchen. Das Nachbarschaftswerk erhält 3800 Euro für zwei Projekte: ein Anti-Gewalt-Training für verhaltensauffällige, aggressive Mädchen und das Patenschaftsprojekt "Miteinander". Hier wirken Erwachsene als soziale Paten eines benachteiligten Kindes oder Jugendlichen zwischen 4 und 16 Jahren. Das kann ein Kind mit vielen Geschwistern oder einem chronisch kranken Geschwisterkind sein, dem Aufmerksamkeit gut tut, oder ein Jugendlicher, dessen Eltern ihm aufgrund fehlender eigener Bildung oder Sprachkenntnisse keine Hilfe sein können, um sich schulisch mit Selbstvertrauen zu festigen. Die Aids-Hilfe wird im kommenden Jahr 5000 Euro zur Verfügung haben, um HIV-infizierten Menschen zu helfen. Diese sind oft chronisch und auch mehrfach erkrankt, tragen hohe Kosten und können kaum arbeiten. Darüber hinaus unterstützt der Armenfonds 2010 die Pflasterstub für Wohnungslose, das Projekt "Gesundheitsbildung für Frauen über 60" des Frauen- und Mädchen-Gesundheitszentrum. Gefördert wird die die Teilnahme von Kindern aus finanziell schwach gestellten Familien an den Angeboten des Kunzenhofs in Littenweiler, des Waldhauses, an besonderen Freizeiten des Heilpädagogischen Horts Weingarten und der Summerschool des Rotteckgymnasiums. Die Ausbildung so genannter Seniorpartner in "School", dem gleichnamigen Verein, als hilfreiche Mediatoren im Schulalltag, bekommt ebenso Unterstützung wie ein ein Vorbeuge-Gemeinschaftsprojekt des Jugendzentrums "Letz Fetz" mit Siebtklässlern der Hebelschule und die intensive Betreuung von Kindern aus so genannten Hochrisikofamilien im Heilpädagogischen Hort am Seepark und spezielle Angebote für Kinder aus Zuwanderungsfamilien im Heilpädagogischen Hort der Waisenhausstiftung am Sandfangweg. Der Welttag Seelische Gesundheit in Freiburg, das Projekt "Brotzeit", das hilfebedürftiger Menschen bei der Entrümpelung oder Renovierung ihrer Wohnung hilft, erhalten ebenfalls Geld.
30.12.2009, Stiftungsverwaltung

 

 

Hartz IV: Medikamente chronisch Kranker - Markenartikel für Kinder

Man muss die Höhe von Hartz IV in Frage stellen, aber doch nicht versuchen, sie mit haarsträubenden Beispielen zu untermauern. Als Beispiel für einen individuellen möglichen Zuschlag, die Hartz-IV-Empfänger verlangen können, nannte Georg Cremer, Generalsekretät von Caritas, chronisch Kranke, die notwendige, nicht verschreibungspflichtige Medikamente nicht zahlen könnten. Immer wieder kommt dies als Beispiel, Herr Cremer sollte mir ein Medikament nennen, was medizinisch notwendig ist und chronisch Kranken vorenthalten, also nicht erstattet wird! Auch werden Hartz-IV-Empfänger, wie alle chronisch Kranke, von Praxis- und Rezeptgebühren befreit, wenn sie mehr als ein Prozent ihres Jahreseinkommens als Gebühr geleistet haben. Dabei möchte ich die Verdienste von Caritas in keiner Weise schmälern, die großartige Sozialarbeit leistet. Und ein weiteres nicht mehr zu ertragendes Beispiel sind die benachteiligten Kinder, die bestimmte Markenartikel sich nicht leisten können. Hier liegt eher eine Chance, als ein Defizit für unsere Kinder und Jugendlichen, was den auf Wachstum und Konsum zielenden Staat weniger erfreut, unseren Kindern Selbstbewusstsein vermitteln und Sinn für Wichtigeres eröffnen kann. Auch in einer Fernsehsendungen dieser Woche über Hartz IV wundert sich der Zuschauer, wenn bei einer geschiedenen Frau mit zwei Töchtern im Alter von 12 und 14 Jahren über die geringen Einkommen geklagt wird. Kein Wort über den mitunterhaltspflichtigen Vater, kein Wort über einen Zusatzverdienst der Mutter, die von Beruf Heilpraktikerin sei. Solche Beispiele werden den meisten Hartz-IV- Empfängern nicht gerecht, zementieren Vorurteile und sind kontraproduktiv. Die meisten Hartz-IV-Empfänger sind Lebenskünstler und auch bewundernswert. Allerdings ist das soziale Netz zum Auffangen und nicht zum Ausruhen da.
BZ-Leserbrief vom 31.10.2009 von Dr. med. Hubert Förschner, Titisee-Neustadt

 

Bürgerschaftsstiftung Soziales Freiburg sucht Spender Altersarmut

Die „Bürgerschaftsstiftung Soziales Freiburg“ freut sich nicht nur über Geldspenden – persönliches Engagement ist ebenso gefragt. Trotz gesetzlicher Hilfen geraten auch in unserem reichen Land immer wieder  Bürger in bittere Not. Gerade ältere Menschen haben oft geringe Chancen, sich aus schwierigen Situationen zu befreien. Aus dieser Erfahrung heraus hat der Seniorenrat der Stadt Freiburg im Frühjahr 2006 die „Bürgerschaftsstiftung Soziales Freiburg“ gegründet: Sie kümmert sich insbesondere um Ältere, die in materieller Not sind, einsam oder aus vielfältigen Gründen hilfsbedürftig. Der Vorsitzende Prof. Dr. F. J. Große-Ruyken und viele freiwillig Engagierte haben inzwischen ein Netzwerk geschaffen, das vom Mitverantwortungsgefühl jedes Einzelnen lebt, aber auch von der Freude an bereichernden Kontakten und Erfahrungen. Die Bürgerschaftsstiftung steht auf zwei Beinen. Das eine ist das gespendete oder gestiftete Geld, das sie braucht, um schnell und unbürokratisch helfen zu können, wo staatliche und gesetzliche Hilfen nicht bewilligt werden. Mal wurde die Fahrt zu einer schwerkranken Angehörigen bezahlt, mal eine Waschmaschinenreperatur, medizinische Hilfen oder eine Tierarztrechnung. Das zweite Standbein ist der persönliche Einsatz der „ZeitstifterInnen“. Die Stiftung sucht und begleitet Menschen jeden Alters, die statt Geld Zeit stiften möchten. „ZeitstifterInnen“ machen Besuche zu Hause, führen Gespräche, gehen mit älteren Menschen spazieren, singen, spielen oder begleiten sie beim Einkauf, zum Arzt oder zu kulturellen Veranstaltungen. Doch wer seine Zuwendung einem Menschen schenkt, der sie wegen Altersgebrechlichkeit, Krankheit oder Armut besonders gut gebrauchen kann, opfert sich nicht auf. „ZeitstifterInnen“ bekommen viel zurück: Anteilnahme und Lebenserfahrung, Freude und Wärme, ganz neue Einblicke und Ausblicke. Dabei werden die Engagierten von der Stiftung tatkräftig unterstützt. Auf regelmäßigen „Austauschtreffen“ gibt es Informationen von professionellen ReferentInnen. Die Veranstaltungen sind für alle Interessenten offen. Bitte anmelden bei Gisela Endel unter der Telefonnummer (0761) 700 016. Die Sprechstunde der Bürgerschaftsstiftung Soziales Freiburg findet immer dienstags, 16 bis 18 Uhr, im Seniorenratsbüro Schusterstraße 19 statt, Telefon: (0761) 201-3070. Kontakt und Info: Prof. F.J. Große-Ruyken, Telefon: (0761) 67560, f.j.gr@t-online.de
Nils Kickert, 30.10.2009, www.stadtkurier.de

 

"Reichtum für alle" führt zur Armut für alla?

Durch soziale Ungleichheit nimmt die absolute Zahl an Reichen zu
Ohne mir die plakativen Forderungen der Linke zu eigen machen zu wollen: Das Thema "Umverteilung" bewegt viele Menschen in Deutschland, und wie die Bundestagswahl gezeigt hat, sehnen sich viele Bürgerinnen und Bürger nach einfachen Lösungen, wie vor allem von der Linken propagiert. Allein das ist ein Grund, sich mit diesem Thema differenziert auseinanderzusetzen. Wenn eine ungleiche Einkommensverteilung – wie Gerken behauptet –, Voraussetzung für Wohlstand ist, sollte er sich vielleicht einmal genauer mit den Verhältnissen in Brasilien oder Südafrika beschäftigen, die beide sehr ungleiche Einkommensverteilungen aufweisen. Die meisten hochentwickelten Industrie- nationen weisen hingegen moderate Ungleichheiten auf, einziger Ausreißer nach unten sind die USA. Es ist korrekt, dass eine Erhöhung der Ungleichheit zu einem höheren Wirtschaftswachstum im konservativen Sinn, also ohne die längst überfällige Berücksichtigung etwa von Umweltverbrauch führen kann. Bis allerdings auch der ärmere Teil der Bevölkerung davon profitiert, vergeht ein langer Zeitraum, die relative Verschlechterung aufgrund der höheren Ungleichheit wird niemals aufgeholt. Franz-Josef Radermacher hat in seinem Buch "Balance oder Zerstörung" schlüssig nachgewiesen, dass durch soziale Ungleichheit die absolute Zahl an Reichen zunimmt. "Nur eine Gesellschaft mit niedriger sozialer Ausgewogenheit kann größere Segmente von Personen an der Spitze ermöglichen, ausgeglichene Gesellschaften können das nicht." Den Grad der sozialen Ungleichheit misst man mit dem sogenannten Equity-Faktor, dem Verhältnis zwischen dem niedrigsten Vollzeiteinkommen und dem Durchschnittseinkommen. Mittel- und Nordeuropa liegt mit Werten zwischen 59 und 65 Prozent deutlich vor z. B. den USA und Indien mit 47 Prozent, die ein grundlegend anderes ökonomisches System aufweisen. Gerade ein niedriger Equity-Faktor ist der Hauptgrund für das Wachstum im Bereich der personennahen Dienstleistungen zum Beispiel in den USA. Der früher häufig gehörte Ausdruck "Servicewüste Deutschland" bezeichnete hingegen vor allem auch ein Land mit einem hohen sozialen Ausgleich, in dem nur sehr wenige, gut verdienende Menschen über die Zeit anderer, sehr schlecht bezahlter Menschen, frei verfügen konnten. Das ist also genau der Grund, warum man in deutschen Supermärkten nach wie vor seine Einkaufstasche selbst packt.
BZ-Leserbrief vom 29.10.2009 von Claude Kuhnen , Freiburg
 
Dieser Gastbeitrag wird dem Thema nicht gerecht
Lüder Gerkens Beitrag zur Erklärung der Marktwirtschaft hätte einen würdigen Platz in einem Schulbuch der 1970er Jahre finden können – auf Seite vier der BZ im Jahre 2009 wirken seine einfachen Weisheiten deplaziert. Den Utopien der Linken die Utopien der Neoliberalen entgegenzusetzen ist so originell wie die Feststellung, dass Wasser nass ist. Kein vernünftiger Mensch glaubt an Reichtum durch Verteilung, kein vernünftiger Mensch bestreitet die entscheidende Bedeutung der Leistungen selbstständiger Unternehmer für unsere Gesellschaft. Aber angesichts der Krise kein Wort über die Auswüchse einer Marktwirtschaft zu verlieren, in der hauptsächlich nicht persönlich haftende, aberwitzig entlohnte Angestellte sowie ohne eigene Leistung durch Erbschaften reich Gewordene auf der Jagd nach volkswirtschaftlich nicht gedeckten Renditen Millionen von Bürgern aus reiner Profitgier schweren Schaden zugefügt haben, ist zynisch. Ungleiche Einkommensverteilung mag Voraussetzung für Wohlstand sein, eine durch Zins und Zinseszins zunehmende ungleiche Vermögensverteilung ist die Kehrseite, die ohne Regulierung (die Neoliberale immer gerne grundsätzlich als "Umverteilung" geißeln, obwohl sie das meistens nicht ist) genau diesen Wohlstand wieder zerstört. Die einseitige Oberflächlichkeit dieses Gastbeitrages wird dem Thema nicht gerecht.  
BZ-Leserbrief vom 29.10.2009 von Thomas Royar, Breisach
 
"Reichtum für alle" führt zur Armut für alle Eines muss man Gregor Gysi, dem Linken, lassen: Humor hat er und Selbstironie auch. Und beides setzt er hemmungslos ein. Immerhin kam so wenigstens ein bisschen Leben in den ansonsten doch sehr müden Bundestagswahlkampf. Bezeichnend für den Spaßfaktor, den Gysi in den Wahlkampf getragen hat, ist ein Plakat. In Berlin und in den neuen Bundesländern war es an allen, in den alten Ländern zumindest an einigen Ecken zu sehen. Von diesem Plakat lächelte Gysi herab, und darüber konnte man lesen: "Reichtum für alle". Eine solche Forderung aufzustellen, dazu gehört Mut. Nicht, weil sie unpopulär wäre. Vielmehr, weil sie ökonomisch blanker Unsinn ist und damit letztlich auch die Umverteilungsversprechungen ad absurdum führt, die nahezu sämtliche Politiker nahezu aller Parteien nahezu immer im Munde führen. Warum ist die Forderung "Reichtum für alle" blanker Unsinn? Betrachten wir dafür das Verhältnis zwischen Unternehmergewinnen und Arbeitnehmerlöhnen, das in der öffentlichen Wahrnehmung ja besonders sensibel ist. Vorab: Ein Arbeitsplatz mit einem festen Gehalt ist alles andere als selbstverständlich. Heute, da fast neunzig Prozent der Erwerbstätigen abhängig beschäftigt und nur zehn Prozent selbstständig sind, vergisst man leicht, dass es jahrhundertelang umgekehrt war: Die meisten Menschen mussten als Bauern oder Handwerker ohne festes Gehalt auskommen. Erst im Zuge der industriellen Revolution entstanden in großem Umfang Arbeitsplätze mit einem festen Stundenlohn (wenngleich auch anfangs zu erbärmlichen Bedingungen). Wie ist das geschehen? Auch wenn nach einer Allensbach-Umfrage die meisten Deutschen der Meinung sind, die Schaffung von Arbeitsplätzen sei dem Staat zu verdanken, stimmt das, mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes, nicht. Der Staat kann nur günstige oder ungünstige Rahmenbedingungen setzen. Geschaffen werden Arbeitsplätze durch Unternehmer. Die haben eine Geschäftsidee – vor 200 Jahren etwa die Erzeugung von Eisen, heute vielleicht eine neue Software – und trauen sich zu, mit dem erforderlichen (eigenen oder geliehenen) Kapital diese Idee zu verwirklichen. Wenn sie dafür Mitarbeiter benötigen, stellen sie sie für ein festes Gehalt ein. Wenn nur der Unternehmer seine Idee toll findet und kaum jemand sonst, bleibt er auf seinem Produkt sitzen und geht konkurs. Soweit er, was früher selbstverständlich war, mit seinem Privatvermögen haftet, wird er zum armen Mann. Zwar verlieren auch die Arbeitnehmer ihre Beschäftigung. Über die Zeit betrachtet, sind sie aber besser dran, als wenn der Unternehmer es gar nicht erst versucht hätte, denn so erhielten sie zumindest vorübergehend ein festes Gehalt. Wenn dagegen sehr viele Menschen das Produkt toll finden und kaufen, dann erzielt der Unternehmer einen hohen Gewinn. Denn ihm bleiben sämtliche Einnahmen nach Abzug der festen Lohn- und sonstigen Kosten. Man kann sagen: Er wird dafür belohnt, dass er das Risiko eingegangen ist. Je mehr erfolgreiche Unternehmer tätig sind, um so stärker wächst zum einen die Volkswirtschaft und damit der gesamtwirtschaftliche Wohlstand; umso größer wird aber auch das Einkommensgefälle zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern. Mit anderen Worten: Wohlstand und Ungleichheit der Einkommen sind zwei Seiten derselben Medaille. Was passiert nun, wenn der Staat zum Zweck der Umverteilung den Gewinn zum Großteil oder gar ganz abschöpft? Da auch Unternehmer gewöhnliche Menschen sind, denken sie zuerst an sich und werden sich fragen, warum sie dann etwas riskieren sollen. Sie haben ja nichts davon. Wirtschaft und Wohlstand stagnieren und beginnen irgendwann zu schrumpfen.
Zwischen Wohlstandsmehrung und Umverteilung liegt ein Zielkonflikt

Je mehr also umverteilt wird, desto weniger ist vorhanden, was sich umverteilen lässt. Es liegt folglich ein unauflöslicher Zielkonflikt zwischen Wohlstandsmehrung und Umverteilung vor. Daher ist bei der Umverteilung Augenmaß geboten – auch im Interesse der Arbeitnehmer. Was mit einer Gesellschaft passiert, die rigoros die Gewinne beschneidet und dadurch das Unternehmertum unterdrückt, zeigt eindrucksvoll die ehemalige DDR – die alte Heimat Gregor Gysis. Sie hatte sich "Reichtum für alle" auf die Fahnen geschrieben und deshalb eine radikale Umverteilungspolitik durchgeführt. Ergebnis war am Ende die Armut für alle.
17.10.2009, Lüder Gerken in der BZ,
Der Autor ist Vorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und der Hayek-Stiftung

 

Armut im Hochschwarzwald

Die Bundesrepublik ist ein reiches Land, besonders gut geht es den Menschen im Süden des Landes. Dennoch: Auch hier ist Armut ein Phänomen, das immer gewichtiger wird. "Auch bei uns ist die Welt nicht in Ordnung", sagt Bernhard Scherer, Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, "die Bedeutung der Armut nimmt zu, ohne dass man dies eindeutig an Zahlen festmachen kann". Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, der die sechs Verbände Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden, Paritätischer Wohlfahrtsverband und Deutsches Rotes Kreuz angehören, hat für dieses Jahr die Armut zu ihrem Schwerpunktthema gemacht. Die Liga hat dies getan mit Blick auf das "Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung", das für 2010 ausgerufen wurde. Die tägliche Praxis der sozialen Dienste zeige ohnehin, so Scherer, dass das Problem der Armut immer mehr um sich greife. Es gibt für den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald keine statistischen Daten, doch in Baden-Württemberg liegt der Prozentanteil minderjähriger Kinder, die in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben, bei 17 Prozent.
Alles von Franz Dannecker vom 16.8.2009 bitte lesen auf
http://www.badische-zeitung.de/kreis-breisgau-hochschwarzwald/armut-hat-viele-gesichter--18344710.html


Abgehängtes Prekariat - 15% der Kinder sind arm - Finanzkrise

Längst hat das amerikanische Debakel auf Europa, insbesondere auch auf Deutschland übergegriffen. Fünfzig Milliarden Euro mussten in einem ersten Schritt zur Rettung des in Not geratenen Immobilienfinanzierers „Hypo Real Estate" bereitgestellt werden. Niemand weiß, was noch kommt, ob nicht noch weitere Banken in lebensgefährliche Schwierigkeiten geraten. Und niemand weiß, ob nicht aus staatlichen Bürgschaften verlorene Subventionen werden. Die Krise trifft hierzulande auf eine Gesellschaft, in der sich die Gräben vertieft haben. Sie verlaufen zwischen Spitzenverdienern, die fünfhundertmal mehr verdienen als ihre Zuarbeiter, zwischen Kassen- und Privatpatienten, zwischen wohlhabenden Senioren in noblen „Residenzen" und Rentnern in oft sehr armseligen Altersheimen mit viel zu wenig Personal. Wir haben längst eine Drei-Klassen-­Gesellschaft. Diese Spaltung der Gesellschaft wurde in den letzten Jahren zwar von den Medien aufgegriffen, von den Kirchen als Schuld bewusstgemacht und von manchen Politikern kritisiert, geändert hat sich aber nichts, weil es aufwärts ging. Die Agenda 2010 hat Schmerzen zugefügt, war aber erfolgreich. Am besten abzulesen ist dies am Rückgang der Arbeitslosenzahlen um zwei Millionen.
Geändert hat sich auch nichts, weil die Macher nicht betroffen waren. Spitzenmanager verdienen jährlich zwei- oder dreistellige Millionensummen, häufig bei relativ niedrigen Grundgehältern, die durch hohe Prämien aufgebessert wurden. Nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung" erhielt der Amerikaner Lloyd Blankfein, Chef des Finanzhauses Goldman Sachs, im vergangenen Jahr ein Grundgehalt von 220.000 und eine Erfolgsprämie von 53 Millionen Dollar. Das gibt es auch in Deutschland. Jahresbezüge des Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking von 60 Millionen Euro wurden niemals bestritten. Der Kurssturz hat unzählige kleine Aktionäre hierzulande viel Geld gekostet. In den USA aber hat zum Beispiel der langjährige Chef der weltgrößten Versicherungsgesellschaft AIG, Maurice Greenberg, mit dem Verfall seines Wertpapierbestandes einen Vermögensverlust von 1,25 Milliarden Dollar (Januar 2007) auf 50 Millionen Dollar (September 2008) „erlitten". In Deutschland dürfte es, weil Spitzenver­diener oft in Aktien des eigenen Hauses entlohnt werden, Verluste in Größenordnungen gegeben haben, die sich der Normalbürger nicht vorstellen kann. Bankchef Ackermann gab im Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Mannesmann/Vodafone-Affäre sein Vermögen mit ungefähr 100 Millionen an.
Feuer auf dem eigenen Dach, Ängste vor einer „Weltwirtschaft am Abgrund" und weit verbreitet auch echte gefühlte Sorgen lassen jetzt darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Die leidenschaftlichsten liberalen Marktwirtschaftler rufen plötzlich nach dem Staat. Wie aber soll eine gerechtere und gegen Krisen besser gewappnete Gesellschaft aussehen? Es muss jetzt darum gehen, weltweit wirksame Regeln und Kontrollen gegen irrwitzige Spekulationen und chaotische finanzielle Praktiken zu finden. Also hochspekulative Hedgefonds verbieten? Eine - nach ihrem Erfinder benannte - sogenannte Tobin-Steuer einführen, die das Hin- und Herschieben von Millionenanlagen im Augenblickstempo mit je einem Promille belastet? Steueroasen schließen? Mehr Aufmerksamkeit und Kontrolle verdienen die Investmentbanker, die mit hochriskanten, undurchsichtigen Geschäften selbst sehr reich geworden sind und die Krise im Kern verursacht haben. Und wenn der Staat mit Geld eingreift und angeschlagenen Banken das Leben rettet, dann muss er auch Einfluss nehmen können auf die Bezüge der Spitzenleute. Dies alles ist so kompliziert, die Palette der Möglichkeiten ist so breit, dass nur wirkliche Fachleute entscheiden können, was sinnvoll, wirksam und am Ende nicht schädlich ist. Mit forschen Redensarten muss man jedenfalls vorsichtig sein. Die Finanzkrise trifft, wie gesehen, auch die Reichen und die Schwerreichen. Aber sie gefährdet natürlich nicht deren Existenz, selbst wenn, wie zu lesen war, am Finanzplatz London 50.000 Banker und Broker ihre glänzend dotierten Stellen verlieren könnten. Und die immer noch vielen, die ihren Arbeitsplatz behalten, können vielleicht mit ihrem Jahresbonus nicht mehr den Porsche oder Ferrari kaufen.
Die wirklich Armen bleiben arm, und ihre Zahl wird zunehmen, auch wenn in diesem Jahr - das ist das erfreulichste Datum der Sozialbilanz - die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Doch nächstes Jahr könnte es schon anders aussehen. Hier geht es um eine in die Millionen gehende Schicht, für die man, weil das Wort „Unterschicht" vermieden werden sollte, den Begriff „abgehängtes Prekariat" erfunden hat. Das sind Arbeitslose, Ungelernte, Menschen, die im Wettbewerb aus der Bahn geworfen wurden, die mit ihrem Lohn das Existenzminimum nicht erreichen, zum Überleben auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Nach dem jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung leben ungefähr fünfzehn Prozent aller Kinder unterhalb der Armutsschwelle. In den EU-Ländern gilt ein Haushalt als arm, wenn ihm weniger als sechzig Prozent des mittleren Nettoeinkommens zur Verfügung stehen. In einem Kommentar der beiden Ärztinnen Elke Schäfer von der Charité in Berlin und Eva Landmann von der Justus-Liebig-Universität in Gießen war zu lesen: „In Deutschland geht es für einen großen Teil der Kinder längst nicht mehr um die Frage, ob sie Geige oder Ballett lernen, sondern ob sie morgens hungrig zur Schule gehen oder als Vierzehnjährige nach der Schule mit der Bierflasche in der Hand in der S-Bahn sitzen." Die Probleme im unteren Drittel der Gesellschaft werden sich verschärfen, wenn der Abschwung zu einer längeren Rezession führt. Aber diese Probleme kennen wir. Sie sind - so barbarisch dies klingt - der Gesellschaft und der Politik vertraut. ...
Volker Wörl, 10.12.2008, Ganzen Beitrag bitte auf www.christ-in-der-gegenwart.de lesen

Volker Wörl, Diplom-Volkswirt, Journalist; geb. 1930, bis 1995 Mitglied der Wirtschaftsredaktion der „Süddeutschen Zeitung", dort fünfzehn Jahre in leitender Funktion; Autor von „Deutschland - ein neurotischer Standort?".

 

 

Rettungspaket gegen den Welthunger

In wenigen Wochen haben die Regierungen milliardenschwere Pakete geschnürt, um die Banken zu retten. Doch sind die Banken eigentlich die Einzigen, die gerettet werden müssen? Die Deutsche Welthungerhilfe sagt dazu eindeutig: Nein. Und fordert ein Rettungspaket gegen den Welthunger. Diese Forderung ist nur zu berechtigt. Denn die Zahl der Hungernden steigt seit 2006 jedes Jahr um 75 Millionen – auf inzwischen eine Milliarde Menschen. Und die Finanzkrise wird die globale Armut weiter verschärfen.

Dies ist ein Rückschlag für alle Hoffnungen, die Globalisierung der Wirtschaft würde die Armut verringern. Jahrelang hatte vor allem die Weltbank darauf verwiesen, dass der Lebensstandard in vielen Ländern des Südens durch den freien Welthandel Jahr für Jahr steige. Tatsächlich gibt es dafür Anzeichen: In China und Indien bildet sich eine kleine, aber wachsende Mittelschicht heraus. 300 Millionen Menschen – von allerdings mehr als 2,3 Milliarden in beiden Ländern – genießen ein steigendes Konsumniveau, jährlich kommen 30 Millionen hinzu. Auch in einigen Staaten Lateinamerikas profitiert eine Mittelschicht vom Wachstum der Weltwirtschaft. Diese Zahlen sind nicht falsch. Sie blenden jedoch aus, dass ganze Weltregionen nicht von der Globalisierung profitieren: Afrika, Mittelamerika, der Mittlere Osten und Teile Südasiens. In einem Schwellenland wie Indien leben so viele Arme wie noch nie zuvor. In China hat sich ein Mittelstand in den großen Städten etabliert. Auf dem Land leiden Millionen Menschen Hunger. Weltweit leben knapp drei Milliarden Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag. Jede Kuh in der Europäischen Union wird höher subventioniert. Die Finanzkrise wird die Armut vergrößern – darin sind sich alle Experten einig. Aufgrund der Wirtschaftskrise in den Industriestaaten werden die Exporte der Entwicklungsländer zurückgehen – und ihre Auslandsschulden steigen, die oft noch immer nicht erlassen wurden. Zudem sind in diesem Jahr die Energiekosten der Dritte-Welt-Staaten um rund 50 Milliarden Dollar gestiegen. Geradezu explodiert sind die Preise für Nahrungsmittel, weil der wachsende globale Reichtum den Fleischkonsum und damit die Verarbeitung von Lebensmitteln vorantreibt und weil große Agrarflächen für Biosprit genutzt werden.
Daher wundert es nicht, dass viele Entwicklungsexperten die milliardenschweren Rettungspläne der Regierungen für Banken kritisch sehen. Sie fürchten, dass die Pläne die Staatshaushalte auf Jahre belasten und für Entwicklungshilfe kein Geld mehr übrig bleibt. Und sie erleben dies bereits. Thilo Hoppe, entwicklungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, ist entsetzt, weil die Regierungen auf dem jüngsten Welternährungsgipfel in Rom statt der geplanten 30 Milliarden Dollar nur zwölf Milliarden für den Kampf gegen Hunger zur Verfügung stellen wollten. Wirklich bereitgestellt haben sie nur sechs Milliarden.
Klar: Es war für die Regierungen in den Industrieländern wichtiger, einen Crash des Finanzsystems zu verhindern, weil damit auch die Volkswirtschaften eingebrochen wären. Doch die Folgen der Hungerkrise sind nicht von Pappe. Geht die Entwicklung weiter wie bisher, wird die Gewalt in den betroffenen Ländern wachsen, mehr Bürgerkriege und mehr Terror sind möglich. Dass weitere Millionen Flüchtlinge gen Norden ziehen, ist wohl selbstverständlich. Es wird Zeit für einen großen Rettungsplan für die Hungernden der Welt. Die Konzepte dafür werden bereits diskutiert. Kurz nach der Tsunami-Katastrophe schlugen damals der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der Kanzler Gerhard Schröder einen milliardenschweren Hilfsplan vor, finanziert durch Abgaben auf Flugtickets oder durch eine Steuer auf Finanztransfers. Seit vielen Jahren fordern Experten und Politiker weltweit einen globalen Marshallplan zur Bekämpfung der Armut. Dabei geht es um Investitionen in Ernährung, Bildung, Gesundheit und um Kleinkredite zum Aufbau einer regionalen Wirtschaft. Nicht Geschenke sind gefragt, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. Auch dieser Marshallplan soll durch eine Umsatzsteuer von 0,5 Prozent auf Finanztransfers bezahlt werden. Die Initiatoren solcher Pläne bekamen immer zu hören: Das ist nicht durchführbar. Doch seit den 700 Milliarden Dollar oder 500 Milliarden Euro schweren Rettungsplänen für die Finanzwirtschaft wissen alle, was alles geht, wenn der politische Wille vorhanden ist.
15.11.2008, Wolfgang Kessler, Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum 

 

Ohne Grundeinkommen wird die soziale Kluft immer größer

Deutschland ist eine gespaltene Gesellschaft. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern wird jedes Jahr größer. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber ein Jahr vor der Bundestagswahl besonders brisant. Denn die Parteien antworten auf das Problem immer wieder mit alten Konzepten, die die wachsende Ungerechtigkeit schon bisher nicht verhindert haben. Die Zahlen der Wissenschaft sprechen eine deutliche Sprache: Nach dem Statistischen Bundesamt zahlen die obersten 26,8 Prozent der Steuerpflichtigen 79,9 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer. Obwohl kaum ein besser Verdienender wirklich den Spitzensteuersatz von 42 Prozent entrichtet, widerlegt ihr hoher Anteil die populistische These, die Reichen würden nichts für die Gemeinschaft zahlen. Für die Gesellschaft ist dies allerdings ein schwacher Trost. Denn dass die Menschen im unteren Viertel der Einkommensbezieher nur 4,3 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer bezahlen, liegt einfach daran, dass sie so wenig verdienen. Und die Lohnunterschiede wurden zuletzt immer größer. Nach einer Untersuchung der Universität Duisburg-Essen hat das oberste Viertel der Einkommensbezieher eine um mindestens zehn Prozent höhere Kaufkraft als vor zehn Jahren; die Kaufkraft des unteren Viertels ist dagegen um 13,7 Prozent gesunken. "Da wird einem angst und bange, wenn man überlegt, was im Abschwung passieren kann" , sagt der Soziologieprofessor Gerhard Bosch. Angst und bange wird einem aber auch, wenn man sieht, wie hilflos die Politik der zunehmenden sozialen Spaltung gegenübertritt. Christsoziale, einige Christdemokraten und Liberale wollen wieder einmal die Steuern des Mittelstandes senken. Die ohnehin schon gut Verdienenden haben dann mehr Geld, der Staat dafür weniger und die Geringverdiener profitieren von solchen Steuersenkungen überhaupt nicht, denn sie zahlen ja kaum Steuern. Viele Linke wollen deshalb die Steuern der besser Verdienenden erhöhen, damit der Staat mehr in Zukunftsbereiche wie Umweltschutz und Bildung investieren und Arbeitsplätze schaffen kann. Staatliche Investitionen schaffen zwar einige zehntausend Jobs, doch die Millionen Geringverdiener haben dadurch nicht mehr Geld in ihrer Tasche. Etwas näher am Problem liegen die Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro oder 8,50 Euro pro Stunde — je nach Gewerkschaft oder Partei. Dies erhöht zumindest die Einkommen von etwa drei bis vier Millionen Niedriglöhnern, die deutlich weniger verdienen. Da die meisten europäischen Länder gesetzliche (oder tarifliche) Mindestlöhne haben, ohne dass Arbeitsplätze weggefallen sind, wäre auch hier zu Lande eine breite politische Initiative dafür notwendig. Man könnte mit 6,50 Euro pro Stunde starten und dann jährlich aufstocken, damit sich die Wirtschaft an die steigenden Löhne anpassen kann. Andererseits lösen auch gesetzliche Mindestlöhne das Grundproblem nicht: In vielen Branchen sinken die Einkommen entweder latent oder auf breiter Front — immer mehr Betriebe lassen sich nicht mehr auf tarifliche Regelungen ein. Es drohen dauerhaft sinkende Einkommen auf breiter Front — vom Einstiegsgehalt bis zur Altersrente, mit allen Folgen für die Konjunktur und für die soziale Lage der Gesellschaft.
Will die Politik in Zukunft soziale Gerechtigkeit herstellen, dann braucht sie neue, unkonventionelle Konzepte, um Einkommensarmut zu verhindern. Die Palette reicht von einer steuerfinanzierten Mindestrente für alle bis hin zu einem Grundeinkommen, auf das alle erwachsenen Bürger einen Anspruch haben. Immerhin wird diese Idee inzwischen politisch diskutiert. Die Grundidee ist fast immer die Gleiche: Man fasst viele Sozialleistungen, jede Menge Steuerfreibeträge und die Kosten der Bürokratie zu einem einzigen Grundeinkommen zusammen, auf das jeder Bürger einen Anspruch hat. Mit wachsendem Erwerbseinkommen wird das Grundeinkommen langsam abgeschmolzen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Alle Menschen sind in jedem Lebensalter nach unten abgesichert, niedrige Löhne werden durch das Einkommen angehoben, Geringverdiener haben mehr Kaufkraft — es gibt ein Mehr an Gerechtigkeit bei viel weniger Bürokratie. "Das sind alles Utopien" , werden viele sagen. Doch die Diskussion über solch neue Ideen kann mehr bringen als ein immer neuer Aufguss alter Forderungen, die in den vergangenen Jahren den Marsch in die Ungerechtigkeit nicht verhindert haben.
30.8.2008, Wolfgang Kessler, Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum 

Caritas-Chef Peter Neher: Armut, Hartz-IV, polnische Pflegekräfte

Mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger, bessere Bildungschancen für Kinder, verstärkte Weiterbildung und Lohnzuschüsse für Arbeitslose sowie eine Energieberatung für Arme - das fordert der Caritas-Chef Peter Neher im Kampf gegen die Armut in Deutschland. Hohe Mindestlöhne dagegen lehnte er im Gespräch mit Stefan Hupka und Ronny Gert Bürckholdt ab.

BZ: Was ist für Sie Armut in einer wohlhabenden Gesellschaft wie dieser?
Neher: Für mich ist jemand arm, wenn er nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann und in seinen begrenzten Lebensmöglichkeiten festgeschrieben wird. Viele Kinder aus armen Milieus haben wenig Möglichkeiten, dort herauszukommen. Ihnen ist oft nicht möglich , was ihre Klassenkameraden selbstverständlich können: beispielsweise am Schulausflug teilzunehmen oder Nachhilfeunterricht zu bekommen.
BZ: Ist das immer das Versagen der Gesellschaft oder kann Armut selbst verschuldet sein?
Neher: Natürlich kann Armut selbstverschuldet sein. Aber Sie können doch Kindern aus prekären Lebensverhältnissen schwer sagen: Werde deines Glückes Schmied! Wir sehen Kinder, die in Familien leben, die in der dritten Generation von staatlichen Sozialleistungen abhängig sind. Sie erleben nicht, dass man morgens aufstehen muss, um zu arbeiten. Sie erleben nicht, dass man im Büro oder der Fabrik auch Frustrationen durchstehen muss und nicht gleich aufgibt. Menschen in solchen Milieus können Sie schlecht sagen: Du bist selbst schuld, wenn du nicht weiterkommst.
BZ: Die Wohlfahrtsverbände fordern, dass der Regelsatz für Hartz IV um 20 Prozent auf 420 Euro steigt. Besteht nicht die Gefahr, dass man so solche Milieus verfestigt, statt den Menschen attraktivere Arbeitsangebote zu machen?
Neher: Auch die Caritas ist für eine Anhebung des Regelsatzes, die Forderung nach 420 Euro haben wir allerdings nicht erhoben. Im Unterschied zu manch anderem Verband fordern wir nicht nur mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger. Die Caritas macht immer wieder deutlich, dass es gelingen muss, den Kreislauf von mangelnder Schulbildung, Armut und Arbeitslosigkeit zu durchbrechen. Wir sollten beide Arten der Hilfe nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen Kindern helfen, die Schule abzuschließen und Arbeitslose befähigen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es ist aber auch Fakt, dass der heutige Hartz-IV-Regelsatz von 351 Euro auf der Einkommens- und Verbraucherstatistik von 2003 beruht. Seitdem wurde die Mehrwertsteuer erhöht, die Zuzahlung für Medikamente wurde eingeführt und die Lebenshaltungskosten sind deutlich gestiegen. Der Hartz-IV-Regelsatz ist also in den vergangenen Jahren faktisch gesunken. Das muss man deutlich sagen.
BZ: Nimmt man als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern: Die beiden Eltern sind arbeitslos, die Familie bekommt Hartz IV. Sie bekommt monatlich etwa 1800 Euro. Einen solchen Lohn netto zu verdienen, dürfte für viele Menschen schwer sein.
Neher: Es sind etwa 1130 Euro plus Miete. Bitte spielen Sie nicht das eine gegen das andere aus. Es ist nicht unsere Absicht, Menschen in Abhängigkeit zu halten. Uns ist wichtig, dass Kinder einen Schulabschluss machen und einen Beruf erlernen. Zwischen 1996 und 2005 nahm der Anteil der 25- bis 30-Jährigen ohne Berufsabschluss von 12 auf 17 Prozent zu. Der Zusammenhang zwischen Armut und Bildung ist eklatant. Und in keinem anderen europäischen Land ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung so ausgeprägt wie hier.
BZ: Fordern und Fördern war das Motto der Hartz-Arbeitsmarktreformen. Haben Sie damit Ihren Frieden gemacht?
Neher: Fordern und Fördern — das ist okay. Aber ich kann von jemandem nur etwas fordern, wenn ich ihn zuvor so gefördert habe, dass er der Forderung entsprechen kann. Nicht die Arbeitsmarktreformen an sich sind das Problem, sondern deren mangelhafte Umsetzung. Wenn ein junger Mensch den Umgang mit anderen Menschen nie richtig gelernt hat, ist es dann adäquat, ihm die staatliche Unterstützung schnell zu streichen, weil er sich nicht sofort um Arbeit bemüht? Wir haben in den Arbeitsagenturen nach wie vor zu wenige gut ausgebildete Fallmanager, die diesen Menschen helfen könnten.
BZ: Zeigen die jüngsten Arbeitsmarktdaten nicht, dass die Reformen wirken?
Neher: Wir haben nie kritisiert, dass Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt wurden. Das war sinnvoll. Hartz IV war aber nie gedacht, Menschen darin festzuhalten. Es sollte eine Brücke in den Arbeitsmarkt sein. Für einen Teil der Menschen ist es erfreulicherweise diese Brücke geworden. Aber gerade für viele geringqualifizierte Menschen ist es keine. Wir brauchen bessere Programme, um sie weiterzubilden.
BZ: Hat die gute Wirtschaftslage diese Probleme gelindert?
Neher: Die gute Konjunktur hat viele Menschen in Arbeit gebracht. Doch gerade für geringqualifizierte Menschen haben sich die Chancen auf einen Arbeitsplatz kaum erhöht. Hier ist die Armut verfestigt.
BZ: Was Sie bisher in diesem Gespräch gefordert haben, können Sie selbst nicht umsetzen. Was kann die Caritas zur Bekämpfung der Armut leisten, was Staat und Markt nicht leisten können?
Neher: Es gibt in Deutschland über 9000 katholische Kindertagesstätten. Kinder aus sozial benachteiligten Familien werden hier zum Beispiel in der Sprachentwicklung unterstützt und lernen den sozialen Umgang miteinander. In Frankfurt berät beispielsweise die Caritas gemeinsam mit der Stadt und dem regionalen Energieversorger Hartz-IV-Empfänger, wie sie Strom sparen können. Sie bekommen kostenlos ein Starterpaket mit Energiesparlampen oder Steckdosenleisten mit Netzschalter. Im Jahr lassen sich so 100 Euro einsparen. Das ist viel sinnvoller, als Sozialtarife für Arme zu fordern. Das halte ich angesichts des Klimawandels für wenig verantwortungsvoll. Ich wünsche mir, dass stattdessen das Modell der Energieberatung Politiker und Stromversorger anderswo dazu ermuntert, das ebenfalls anzubieten. Übrigens sind die Energieberater in Frankfurt selbst Hartz-IV-Empfänger, die zuvor geschult wurden.
BZ: Warum ist die Caritas dagegen, für Kranken- und Altenpfleger einen Mindestlohn einzuführen?
Neher: Die Caritas zahlt mit die höchsten Löhne in der Pflegebranche. Gegen einen Mindestlohn in der Pflege, der auf Höhe der Caritas-Löhne liegt, ist nichts einzuwenden. In Ostdeutschland gibt es mit Gewerkschaften ausgehandelte Tarife, die bis zu 30 Prozent unter den Tarifen der Caritas liegen. Würde dieser Lohn zum Mindestlohn, wäre das ein Problem. Es ist zu befürchten, dass die Krankenkassen als Kostenträger ihn zur Norm erheben. So kämen unsere Löhne unter Druck. Es könnte sich etwas, was gut gemeint ist, ins Gegenteil verkehren. Einerseits könnte ein Mindestlohn vor Lohndumping schützen, andererseits droht er, höhere Löhne nach unten zu ziehen.
BZ: Gegen einen niedrigen, gesetzlichen Mindestlohn als unterste Grenze für alle haben Sie aber nichts?
Neher: Da habe ich durchaus kritische Anfragen: Wenn er so hoch ist, dass er vom Arbeitgeber nicht finanzierbar ist, werden Geringqualifizierte in die Schwarzarbeit gedrängt. Sie müssen schon die Frage beantworten: Was tun Sie mit Menschen, die wenig qualifiziert sind und wie bringt man sie in Arbeit? Wir favorisieren ein anderes Modell, den Kombilohn, also staatliche Lohnzuschüsse für diese Menschen. In diesem Fall wäre ein flächendeckender, niedriger Mindestlohn sinnvoll — um eine unterste Grenze einzuziehen und das Sozialsystem vor Überlastung zu schützen.
BZ: Spätestens Ende 2011 fallen hierzulande die Arbeitsbeschränkungen für polnische und tschechische Pflegerinnen. Was bedeutet das für die deutschen?
Neher: Wenn eine polnische Pflegekraft die fachliche Qualifikation hat, gibt es keinen Grund, warum sie in Deutschland nicht arbeiten darf. Die Frage ist, wie verhindert wird, dass jemand ausgenutzt wird und zu menschenunwürdigen Löhnen arbeiten muss. Die Realität sieht doch so aus, dass sehr viele dieser Pflegerinnen bereits hier sind, aber schwarz arbeiten. So haben sie keine Chance, einen gerechten Lohn einzufordern. Wir brauchen hier ein anderes Bewusstsein und bürokratische Hürden müssen abgebaut werden. Zudem kann nur in legalen Arbeitsverhältnissen die Qualität von Pflege geprüft werden.

Badische Zeitung Freiburg
12.7.2008, www.badische-zeitung.de

 

 

5000 Kinder und ihre Familien in Freiburg sind arm

Armut verletzt. Kinder zumal — und oft lebenslang. Denn Kinderarmut wirkt sich auf das ganze Leben aus. Sie verletzt das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf soziale Teilhabe, sagt der Deutsche Kinderschutzbund. Und in Freiburg werden nach Angaben der Stadtverwaltung gegenwärtig mindestens an die 5000 Kinder derart verletzt, weil sie in Familien leben, die als arm gelten.

Seit 2004 hat sich die Zahl armer Kinder (siehe "Infobox" ) in Freiburg verdoppelt, sagt Gabriele Daniel-Schnitzler. Das macht sich bei der "Freiburger Tafel" , wo die Zahl der Bedürftigen ständig zunimmt, ebenso bemerkbar wie etwa in der Schule. Wenn fast 70 Prozent der armen Kinder in Haupt- oder Realschule gehen und weniger als 27 Prozent ins Gymnasium, dann sieht die Geschäftsführende Vorsitzende des Freiburger Kinderschutzbunds "das Recht auf Bildung verletzt" . Entsprechend ist der Anteil von Studierenden aus armen Familien von 23 Prozent im Jahre 2000 auf heute nur noch 13 Prozent gesunken. Und die Pisa-Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn sie feststellt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen einem Leben in Armut und Misserfolgen bei der Bildung. Und die Benachteiligungen gehen weiter. So zeigt eine Statistik des Kinderschutzbunds: 37 Prozent der armen Kinder sind beeinträchtigt in ihrem Spiel-, Sprach-, Arbeits- und Sozialverhalten — bei nicht armen Kindern sind es lediglich 17 Prozent. Noch deutlicher werden die Unterschiede bei der Gesundheit. Ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand wird bei 23 Prozent der armen Kinder beobachtet, bei nicht armen ist das nur bei einem Prozent festzustellen. Oder: 33 Prozent der armen Kinder klagen über Kopfschmerzen und fühlen sich einsam, dagegen nennen nur neun Prozent der Kinder aus nicht armen Familien Kopfweh und Einsamkeit als Probleme. Von diesen Kindern können gut drei Viertel ihren Geburtstag mit anderen feiern, während das nur die Hälfte der armen Kinder kann. Und gerade mal ein Drittel von denen nimmt an sportlichen Angeboten teil — was für 57 Prozent der nicht armen Kinder selbstverständlich ist. "Es muss möglich sein, dass Kinder in Sport- und Musikvereinen mitmachen" , sagt Bürgermeister Ulrich von Kirchbach. Doch die staatliche Hilfe ist eben zu niedrig, um davon einen Mitgliedsbeitrag aufbringen zu können. Die Stadt Freiburg zahlt heute schon bei 26 Prozent der Kinder die Elternbeiträge in Kindertagesstätten. Doch der Bürgermeister weiß: Mag die Stadtverwaltung mit dem Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige, mit der Bezuschussung von Mittagessen in der Schule, mit Sprachförderangeboten in Kindergärten noch so vorbildlich sein — "die Durchschnittseinkommen sind zu niedrig und die Mieten zu hoch, die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander." Und fast schon resignierend meint Ulrich von Kirchbach: "Man muss die Zahlen zur Kenntnis nehmen und gucken, dass es nicht noch schlimmer wird." Zum Beispiel auch die Beeinträchtigung des Familienlebens durch Armut, wie sie Gabriele Daniel-Schnitzler beobachtet: 67 Prozent der armen Kinder haben in der Familie kein gemeinsames Frühstück, 44 Prozent kein gemeinsames Mittagessen und 80 Prozent kein gemeinsames Abendessen. In nicht armen Familien sieht es dagegen so aus: 87 Prozent mit gemeinsamem Frühstück, 76,6 Prozent mit gemeinsamem Mittagessen, 95 Prozent mit gemeinsamem Abendessen. "Deshalb bieten wir zusammen mit der Freiburger Tafel vom April an in der Vigeliusschule vor Schulbeginn einmal in der Woche ein gesundes Frühstück an — weil es gut ist, miteinander zu essen, und ein gutes Frühstück hilft, besser zu lernen."

Kinder und Armut
In Freiburg leben rund 32 000 junge Menschen unter 18 Jahren (das sind 16 Prozent der Bevölkerung). Für die Stadtverwaltung gilt als arm, wer auf staatliche Unterstützung angewiesen ist , um sich am Leben zu halten; danach sind in Freiburg etwa 20 Prozent aller Familien mit Kindern (von solchen Haushalten gibt es in der Stadt rund 27 000) arm und 4762 Mädchen und Jungen unter 15 Jahren bekommen Sozialgeld. Einen anderen Maßstab legt der Deutsche Kinderschutzbund an: Arm sind Familien mit zwei Elternteilen und zwei Kindern mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 1499 Euro oder Alleinerziehende mit einem Kind (die 24 Prozent aller Haushalte mit Kindern ausmachen) mit weniger als 833 Euro monatlichem Einkommen.

Gerhard M. Kirk , 12.3.2008, BZ

Über 15000 Hartz IV-Arme in Freiburg

Ende 2007 leben über 15000 Menschen in Freiburg von Arbeitslosengeld II mit folgenden Leistungen:
Alleinstehende und Haushaltsvorstände in Familien 347 Euro/Monnat, weitere Erwachsene 278 Euro/Monat, Kinder unter 14 Jahre 208 Euro/Monat, ältere Kinder 276 Euro/Monat.
Mietzahlung bis zu 6,45 Euro/qm für Einzimmerwohnung und 5,87 Euro/qm für Zweizimmerwohnung.
Quelle: www.freiburg.de Statistik

Hilfen:
Freiburger Initiative gegen Arbeitslosigkeit (Friga), Habsburgerstr. 9, Tel 0761/52173,
Erwerbslosentreff "Goethe 2" der Diakonie, Goethestr. 2, Tel 0761/7677130
"Runder Tisch zu den Auswirkungen der Hartz-Gesetze", Tel 0761/442575

12.2.2008, Awo

 

ATD Vierte Welt - All Together for Dignity  - Aide à toute détresse

Zusammen lernen - gemeinsam vorwärtskommen: Das ist das Faszinierende, das ich als Volontärin von  ATD Vierte Welttäglich erlebe. Ich habe die Chance, mit Menschen, die in Armut leben, mit Menschen in sozialen Berufen und mit Beamten zusammenzuarbeiten, vor >allem in der Schweiz und in Frankreich, aber auch in anderen europäischen und seit kurzem auch afrikanischen Ländern, sowie im Europarat, in der EU und in der UNO. Wo ich auch bin, ich versuche immer, mein Gegenüber als Mitmenschen anzusprechen, dem es nicht gleichgültig ist, dass Menschen unter unwürdigen Bedingungen leben müssen. Ich versuche, den unzähligen verkannten Anstrengungen der Ärmsten und ihrer Sichtweise Gewicht zu verschaffen, damit sie vermehrt zur Grundlage von wichtigen Entscheidungen werden. Sobald ich in einem land oder in einer Organisation einen Fortschritt oder eine gute Initiative entdecke, spreche ich darüber, damit das Positive ansteckend wirken kann. Ein solches Engagement ist möglich, weil wir bei ATD Vierte Welt über alle sozialen und geographischen Grenzen hinweg einen intensiven und unkomplizierten Austausch pflegen und so recht effizient arbeiten können.
Annelise Oeschger ist Juristin und war in den letzten 6 Jahren Vertreterin von ATD Vierte Welt beim Europarat.

Zurzeit gibt es in Freiburg bzw. in Südbaden keine ATD-Regionalgruppe. Frau Oeschger und Herr King versuchen allerdings, im Wohnviertel Weingarten und Umgebung bei Kontakten zu Menschen und Organisationen die Ideen und Anliegen von ATD zu vertreten und die Arbeit der verschiedenen Gruppen in Deutschland zu koordinieren und zu unterstützen. Die aktivste ATD-Gruppe ist zurzeit jene in München. Daneben gibt es kleinere Gruppen in Hamburg und Leipzig, und in der Uckermark das Projekt "Haus Neudorf" (www.hausneudorf.de). Von dort aus bestehen auch regelmäßige Kontakte zu ATD-Mitgliedern in Berlin. Einer der Schwerpunkte unserer Aktivitäten in Deutschland ist der 17. Oktober, der Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung (www.oct17.org). In diesem Zusammenhang veranstaltet ATD Vierte Welt zusammen mit andern Organisationen auch eine Unterschriftensammlung für eine Solidaritätserklärung.
Paul King, 23.2.2007

http://www.vierte-welt.ch
http://www.atd-viertewelt.de/
Annelise Oeschger, Präsidentin
Krozingerstrasse 58-10, 79114 Freiburg, Tel (49) 761 476 18 02, aoeschger@t-online.de

atd.regio@debitel.net

Paul King, atd-freiburg@debitel.net

 

Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung: 17. Oktober

Am 10. Dezember 1948 bekräftigten die Völker dieser Erde, noch ganz unter dem Eindruck zweier Weltkriege, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:
 Nichtanerkennung und Missachtung der Menschenrechte haben zu Akten der Barbarei geführt.
 Einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, gilt das höchste Streben des Menschen.
Alle Menschen (...) sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Am 17. Oktober 1987 folgten Verfechter der Menschenrechte aus aller Welt, geeint durch ihren Willen, Armut und Ausgrenzung zu überwinden, dem Aufruf von Joseph Wresinski zu einem Treffen in Paris, um
der Opfer von Hunger, Unwissenheit und Gewalt zu gedenken,
 
klarzustellen, dass Armut und Ausgrenzung kein unabwendbares Schicksal sind,
ihre Solidarität mit all jenen zu bekunden, die überall auf der Welt Armut und Ausgrenzung überwinden wollen.

WELTWEIT BLEIBEN FRAUEN, MÄNNER UND KINDER AUSSEN VOR – auch bei uns!
"Wer nichts hat, gilt nicht mehr als Mensch, zählt nicht mehr." Viele Menschen auf der Welt leben ständig unter unerträglichen Bedingungen: "Ich kann den Hunger, die Unwissenheit und all diese Gewalt nicht länger ertragen!" Viel zu viele leiden stumm, revoltieren nur innerlich: "Wozu soll ich darüber reden? Wer interessiert sich schon für das, was ich denke?" Jedes Jahr am 17. Oktober kommen allerorten immer mehr Menschen zusammen, um öffentlich ihrem Willen Ausdruck zu geben, Armut und Ausgrenzung zu überwinden. So vermitteln sie neue Hoffnung: "Nur selten hat man die Gelegenheit, über seine Armut zu sprechen, ohne sich dafür schämen zu müssen. Als ich alle diese Familien da so zusammen sah und mich neben diese Leute setzte – etwas, was ich sonst nie gewagt hätte-, als ich laut zu all diesen Menschen sprach, hat mir das sehr viel Mut gemacht, Kraft gegeben. An diesem Tag habe ich gespürt: Diese Menschen wollten, dass man uns beachtet."

JEDER MENSCH KANN BEITRAGEN ZUR ÜBERWINDUNG VON ARMUT UND AUSGRENZUNG
Viele Menschen würden gerne das Gesetz des Stärkeren außer Kraft setzen, Diskriminierung und Gleichgültigkeit beenden, weil daraus Armut und Ausgrenzung entstehen (1). Diese wiederum gehören zu den schlimmsten Geißeln der Menschheit (2). In allen Gesellschaften richten sie Unheil an, untergraben inneren und äußeren Frieden. Die UNO hat die Überwindung der extremen Armut als oberstes Millenniumsziel benannt (3). Armut und Ausgrenzung können aber nur überwunden werden, wenn dabei die Erfahrungen und Ideen derjenigen einfließen, die tagtäglich damit konfrontiert sind, und diese Menschen als aktive Partner miteinbezogen werden: Kinder ohne Zukunftsperspektiven, Jugendliche, die (zu früh) arbeiten müssen, um zu überleben, oder als nutzlos abgestempelt werden, Frauen und Männer, die Tag für Tag gedemütigt werden, vom Hunger zerstörte Familien, die voller Angst ziellos fliehen. Damit die Würde jedes Menschen geachtet wird, brauchen wir die Unterstützung von Menschen unterschiedlichster Herkunft, religiöser und weltanschaulicher Ausrichtung, die sich jeden Tag aufs Neue gegen diese schreiende Ungerechtigkeit einsetzen.

DER 17. OKTOBER, WELTTAG ZUR ÜBERWINDUNG VON ARMUT UND AUSGRENZUNG
"Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte verletzt. Sich mit vereinten Kräften für ihre Achtung einzusetzen, ist heilige Pflicht." (Joseph Wresinski
Jedes Jahr am 17. Oktober inspirieren diese Worte zahlreiche Menschen zu friedlichen Kundgebungen und Solidaritätsaktionen. Ausgeschlossene, in Armut lebende Menschen nehmen aktiv daran teil. So macht dieser Tag den Menschen, die unter unerträglichen Bedingungen leben müssen, (neuen) Mut, sich auch ihrerseits weiter gegen Armut und Ausgrenzung einzusetzen und nicht aufzugeben. Dieser Tag mobilisiert Menschen unterschiedlichster Herkunft aus den verschiedensten Berufen, unseren demokratischen Gesellschaften durch neue Denk-, Handlungs- und Lebensmuster Impulse zu geben, so dass diejenigen in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, die bisher an den Rand gedrängt waren

(1) Eine von Gallup International Association (G.I.A) durchgeführte Umfrage unter 53.749 Teilnehmern aus 68 Ländern ergab, dass 26 % der Weltbevölkerung, in Lateinamerika und Afrika gar 40%, Armut und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich als drängendstes Problem der Menschheit betrachten, danach kommt erst Terrorismus (12 %), gefolgt von Arbeitslosigkeit (9%), Krieg (8%) und wirtschaftlichen Problemen (7%) (Le Devoir, Quebec, 27. 3. 2006). 

(2) Die Weltgesundheitsorganisation hatte bereits in ihrem „Weltgesundheitsbericht 1995: Brücken schlagen zwischen Arm und Reich“ extreme Armut als Todesursache mit der höchsten Sterblichkeitsrate weltweit gebrandmarkt.  

(3) In der Millenniumserklärung heißt es: „Wir werden keine Mühen scheuen, um unsere Mitmenschen – Männer, Frauen und Kinder- aus den erbärmlichen und entmenschlichenden Lebensbedingungen der extremen Armut zu befreien.“ Die Erklärung formulierte im September 2000 die Millenniumsentwicklungsziele.

www.atd-viertewelt.de/ , 23.2.2007

Links

http://blog.zeropoverty.de/

 

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