Schwarzwald für Ehrenamtliche, Geschäftige und Erholungssuchende - Volunteering, Business and Holidays in the Black Forest


Hirtenbuben im Hochschwarzwald
 

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Ehemalige Hirtebuebe im Hochschwarzwald erzählen ...

Einsiedel: Doldenhof, Josenhof und Kellerhof Doldenhof, Josenhof und Kellerhof im Einsiedel

 

Bernhard Vogt aus Hinterzarten: Lebensgeschichte als Buch

Die Erfahrungen und das Wissen eines Menschen sind ein kostbares Gut, das es zu bewahren gilt. Bernhard Vogt aus Hinterzarten hat seine Lebensgeschichte gemeinsam mit der Autobiografin Sabine Frigge aufgeschrieben und jetzt als Buch veröffentlicht. Unter dem Titel "Auf den Gleisen meines Lebens" zeichnete der 84-jährige die wichtigsten Stationen seines bewegten Daseins auf und schrieb damit auch ein Stück Ortsgeschichte.

"Die Erzählungen von Papa sind immer hoch spannend. Er hat viel gesehen und viel erlebt" , sagte Tochter Carola Krause bei der Buchpremiere im Hotel "Imbery" . Alle waren sie eigens zu diesem Anlass nach Hinterzarten gekommen. Die vier noch lebenden Schwestern von Bernhard Vogt, die älteste ist 93 Jahre, seine Kinder, Enkel und Urenkel. Nur die erkrankte Gemahlin Hilde konnte zum Bedauern aller nicht dabei sein. Die Idee zum Buch hatten Carola und Jürgen Krause. Über den in Berlin sitzenden Verlag Rohnstock Biografien fanden sie Kontakt zu Sabine Frigge aus Eichstetten. Im März 2007 startete die Autobiografikerin die Interviews, suchte die Familie Bilder, Briefe und sonstige Unterlagen zusammen: "Das Layout legte Papa selbst fest. Er hatte da eine ganz exakte Vorstellung, wie das Buch auszusehen hatte" , erzählte Carola Krause. Gut ein Jahr später liegt das Werk vor — jedes Exemplar handgebunden und der Titel von Hand in Gold aufgeprägt: "Es ist Papas Leben, aber auch ein Stück weit das unsere."
"Dieses Buch gibt es nur einmal auf der Welt" , hob Sabine Frigge auf die Einzigartigkeit des Druckwerks ab und las einige Passagen vor. Auf 138 Seiten erzählt Bernhard Vogt zunächst von seiner Soldatenzeit, dem ersten Einsatz in Russland, der Schlacht bei Kursk, das Warten im Schneebunker und die Gefangennahme durch die Rote Armee. Im Mittelpunkt steht aber die Familie. Seine Kindheit verbrachte er in Kirchzarten, Hinterzarten und Breitnau. Der Vater war Waldarbeiter und wechselte 1921 zur Eisenbahn. Von 1923 an, Vogts Geburtsjahr, wohnte die Familie im Bahnhof Hirschsprung. Als Viertklässler wurde er Hütebub auf dem Baschihof: "Das wurde mein neues Zuhause." Er besuchte die Breitnauer Schule. Vogt schrieb über seine Rückkehr aus der Gefangenschaft und den schwierigen Neuanfang. Am 1. Oktober kam er zur Bahn, war zunächst im Gleisbau und dann in der Gepäckabfertigung, beim Frachtgut und der Fahrkartenkontrolle in Hinterzarten eingesetzt. Klothilde Blum lernte er 1952 kennen. 1954 heirateten sie in Göschweiler. Der Ehe entstammen die Töchter Carola, Hannelore, Ursula und Susanne sowie Sohn Hans-Jürgen, der heute in Prag lebt. In einem Nachwort geht Bernhard Vogt auf die Jahre nach der Pensionierung im Jahr 1983 ein: Schon während der Schulzeit ein begeisterter Zeichner, erfüllte er sich aber erst im Alter einen Wunsch. Er kaufte Farben, Pinsel und Leinwand und begann zu malen. Viel Zeit widmete er auch seinem zweiten Hobby, dem Sammeln von Briefmarken. In seiner Jugend hatte er sich auch das Spielen auf der Ziehharmonika selbst beigebracht. Jüngst hat er das Instrument wieder hervorgeholt: "Es macht mir viel Spaß." Vogt nahm das erste Exemplar des druckfrischen Buchs in Empfang, bedankte sich mit Blumen bei Carola Krause und Sabine Frigge und fügte hinzu: "Niemals wieder soll es eine derart schreckliche Epoche in Deutschland geben - doch auch die Erinnerung daran sollte nicht verloren gehen."
Dieter Maurer, 27.5.2008, BZ

Das Buch "Auf den Gleisen meines Lebens" von Bernhard Vogt ist bei Rohnstock Biografien (Berlin) erschienen. Es ist bei Carola Krause (Hinterzarten) oder Sabine Frigge (Eichstetten) erhältlich.

 

Schicksal der Hirtenbuben im Hochschwarzwald bis 1950

Der folgende Bericht ist entnommen dem Buch:
Helmut Heitzmann: Höfechronik Breitnau, 2004
Buchbeschreibung und Bezugsnachweis hier

„Für mich sind sie die Helden der Karpaten und ihr Gewerbe ist unbestritten das zweitälteste der Welt.“1
Sicher gibt es Hirten der verschiedensten Arten, seit der Mensch Tiere domestizierte. Es gab und gibt noch heute sogenannte Hirtenvölker, aus denen sich in einzelnen Fällen sogar Weltkulturen entwickelten. In Religionen, Gedichten und Liedern werden Hirten und ihre Aufgabe meist idealisiert und romantisch dargestellt.

Als Verfasser dieser Höfechronik möchte ich das Schicksal der Hirten im Hochschwarzwald bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts aufzeigen. Auch in diesem Gebiet gab es verschiedene Arten von Hirten. Bereits 1365 wird eine weide uf dem Veltberg erwähnt, auf der gewiß nur im Sommer Vieh gehalten wurde. Seit etwa Ende des 15. Jahrhunderts werden im Feldberggebiet weitere Weiden genannt, welche teilweise heute noch betrieben werden. Diese Weiden wurden von Weidgenossenschaften der Bauern aus den tiefer liegenden Tälern genutzt, deren Jungvieh während des Sommers von sogenannten Herdern betreut wurde. Der Herder war ein Erwachsener, der mit seiner Familie, später auch im Winter, auf der Viehhütte lebte. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden neben diesen Viehhütten Berggasthäuser eingerichtet. In den Tälern wurde das Milchvieh im Stall gehalten und erst nach der zweiten Mahd (Öhmd) in den Monaten September und Oktober auf der Herbstweide von Herbsthirten gehütet.

Die Bauernhöfe in Breitnau besaßen eigene Bergweiden, wo von etwa Mitte Mai bis Ende Oktober die Herde (Rindvieh, Pferde und Schafe) von meist 8–14jährigen Buben gehütet wurde. Dies war wohl seit der Rodung im 12. Jahrhundert bis zur Einführung des elektrischen Weidezauns in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts üblich. Zum Einsatz kamen neben den Hofkindern Taglöhnerkinder, Kinder aus kinderreichen Familien der Umgebung und seit dem 1. Weltkrieg auch Stadtkinder, zum Teil aus Nord- und Westdeutschland. Die fremden Kinder waren fast ausschließlich Buben, daher der gebräuchliche Name Hirtenbuben.

Oftmals waren sie das ganze Jahr auf dem Hof beschäftigt, da ihre Arbeitskraft auch außerhalb der Weideperiode willkommen war und sie andererseits ihren Lebensunterhalt selbst verdie-nen mußten. Sie erhielten Kost und Logis und einen äußerst geringen Lohn. Aufgabe der Hirtenkinder war es, morgens und spätnachmittags mit der Herde auf die Sommerweide zu ziehen, die Tiere kontrolliert zusammenzuhalten und jeglichen Schaden in Feldern, Äckern und bei den Nachbarn zu verhindern. Einfache Holzzäune dienten als Begrenzung, waren aber für manche Tiere kein Hindernis, an Getreide, Kartoffeln oder saftigeres Gras heran-zukommen. Wenn es dem Hirten nicht gelang, seine Herde nach diesen Regeln zu hüten, setzte es Sanktionen, die in Kopfnüssen, Ohrfeigen und manchmal noch Härterem vollzogen wurden. Diese Art von Bestrafung wurde teilweise auch von Lehrer und Pfarrer angewandt, oft wegen Nichtigkeiten.

Beim Usfahre mußten Rindvieh und Pferde von der Kette gelassen und über die Gaß, einen extrem steinigen Weg, der beidseitig von einem einfachen Holzzaun begrenzt war, auf den Weidberg getrieben werden. Das Ihfahre wurde durch das Läuten der verschiedenen Kapellen-glocken angezeigt.

Im April 1945 kam ich im Alter von acht Jahren als Hirtenbub auf den Dürrenbarthleshof und blieb dort durchgehend bis Weihnachten 1949. Heimweh war mein ständiger Begleiter.

Der Tagesablauf im Sommer:

06.00 – 07.00 Uhr   Stall schore (ausmisten)
07.00 – 07.15 Uhr   z’ Morge-Esse
07.30 – 11.00 Uhr   Vieh hüten (ca. 35 Stück), z’ Nüni-Esse hatte man im Hosensack
11.00 – 11.15 Uhr   Mittagessen
11.15 – 12.00 Uhr   Schulweg
12.00 – 16.00 Uhr   Unterricht
16.00 – 16.45 Uhr   Nachhauseweg
17.00 – 20.00 Uhr   Vieh hüten, Vesper oder z’ Obe-Esse (siehe z’ Nüni)
20.00 – 20.15 Uhr   z’ Nacht-Esse
21.00 Uhr                  Schlafenszeit

Es war ein sehr anstrengender 15-Stunden-Tag, der sich im Winter lediglich um etwa zwei Stunden verkürzte. Von Mitte Mai bis etwa Mitte Oktober (Wintereinbruch) wurde grund-sätzlich barfuß gelaufen, obwohl es in einer Höhenlage von etwa 1.000 m auch im Sommer oft sehr kalt war. Die „Fußheizung“ in frischen Kuhdaischen war eine absolute Notwendigkeit. Ein Hemd und eine kurze Hose war Standardkleidung. Bei Regen trug man einen alten Kittel, einen Filzhut und bei Dauerregen zusätzlich einen Kartoffelsack auf dem Kopf; man sah aus wie ein kleiner Mönch.

Die Schule war eine sogenannte Hirtenschule, d. h. im Sommer hatten die Klassen 1 bis 4 von 8–11 Uhr und die Klassen 5 bis 8 von 12–16 Uhr Unterricht, im Winter die oberen Klassen vormittags und die unteren Klassen nachmittags. Schulferien gab es zur Zeit der Heu-, Getreide- bzw. Kartoffelernte, wo auch die Kinder als Arbeitskraft ganztägig gebraucht wurden. Zur Erledigung von Schulaufgaben blieb so gut wie keine Zeit.

Im Winter erhielt der Hirtenbub statt Viehhüten andere Aufgaben, z. B. Kartoffeln für Schweine und Hühner herrichten, Heu vom Heustock holen, Kurzfutter schneiden für die Pferde, Mithilfe beim Dreschen von Getreide sowie beim Holzfällen.

Zuvor war ich im Herbst 1944 als Hirtenbub im Jockelshof in Buchenbach. Immer wieder  hörte man den Kanonendonner aus dem Elsaß. Im Dreisamtal gab es öfters Fliegerangriffe, vor denen man Deckung in Gräben und unter Bäumen suchte. Beim Angriff von zwei englischen Jagdflugzeugen auf den Lastwagen des Fuhrunternehmers Bernhard Kleiser aus Hinterzarten zwischen den Gasthöfen „Rainhof“ und „Himmelreich“ wurde ein russischer Kriegsgefangener getötet und Bernhard Kleiser schwer verletzt. Ich selbst lag mit zwei kleinen Buben in einem Wassergraben in der Nähe und beobachtete, wie eines der Flugzeuge rück-wärts auf uns zutrudelte. Der Pilot in der Kanzel war klar zu erkennen, als es ihm gelang, das Flugzeug wenige Meter über dem Boden abzufangen und wieder vorwärts hochzuziehen.

Viele Kinder mußten bis in die 50er Jahre den harten Lebensweg der Hirtenbuben gehen. Das Thema Hirtenbuben wurde mit einigen Ehemaligen am 24.07.2003 erörtert, deren Werdegang in einer Kurzfassung hier festgehalten ist:

Adolf Hermann vom Thomashäusle in St. Märgen-Laberholz, geboren 1921, war einige Jahre Hirtenbub auf dem Christenmartinshof in St. Märgen-Thurner und nach der Schulentlassung Knecht auf dem Willmannshof in St. Märgen-Erlenbach. Von 1941 bis 1945 diente er als Soldat in Rußland. Durch Einheirat wurde er Bauer auf dem Barthleshof in Breitnau-Dörfle. Nach dem Tod seiner Ehefrau versorgt er seine 90jährige Schwägerin und hält den Hof beispielhaft in Ordnung.

Ludwig Zähringer, Alt-Mathislebauer, Jahrgang 1936 († 26.09.2003), erlebte eine ähnliche wie die vom Verfasser geschilderte Kindheit auf dem Hof seiner Eltern. Er übernahm später den Hof. Als er bereits auf dem Altenteil war, arbeitete er trotz einer schweren Operation noch weiter mit.

Eduard Kienzler vom Schuhmächerlehof, geboren 1936, hatte dank dem „Job-Sharing“ mit seinen acht Geschwistern eine weniger harte Kindheit und sollte später den Hof übernehmen. Nachdem er bei einem Motorradunfall ein Bein verlor, kam er zur Gemeinde Breitnau und wurde zum Verwaltungsangestellten ausgebildet. Er wurde später Gemeinderechner und Hauptamtsleiter. Da seine große Erfahrung bei den Bürgern noch immer geschätzt wird, steht er diesen seit seiner Pensionierung immer noch stundenweise beratend zur Verfügung.

Bernhard Erb aus Freiburg, Jahrgang 1935, hütete 1946 auf der Grundbauernhütte und war ab 1947 Hirtenbub auf dem Paulihof. Das Schicksal traf ihn hart, als er bald darauf die rechte Hand in der Futterschneidemaschine verlor. Die Hirtenbubenkarriere war damit beendet. Es gelang ihm wegen seines Handicaps nur sehr schwer, eine Lehrstelle als Industriekaufmann zu bekommen. Trotz der fehlenden Hand wurde er ein aktiver Kletterer und Alpinist.

Einer seiner Vorgänger auf dem Paulihof, Hugo Flätgen aus Quierschied im Saarland, wurde am 26. Juli 1943 auf dem Hohwartberg im Alter von 14 Jahren vom Blitz erschlagen.

Georg Thoma, geboren 1937, wurde 1945 Hirtenbub im Lixenhäusle (Hinter-Lixenhäusle) in Wagensteig-Griesdobel, wo er u. a. mit einer Kuh den Göpel bedienen mußte, um Herdepfl und Heu von den extrem steilen Hängen zu holen und Mist dorthin zu bringen. 1946 kam er als Hirtenbub auf den Altenvogtshof in Hinterzarten, danach auf den Wunderlehof in Hinterzarten-Rotwasser. Nach der Schulentlassung war er Holzhauer und Briefträger. Seine sportliche Karriere krönte er 1960 in Squaw Valley mit dem Olympiasieg in der Nordischen Kombination. Noch heute ist er einer der beliebtesten Sportler Deutschlands. Bereits im Jahr 1969 erschien das Buch „Vom Hütejungen zum Skikönig“, welches seinen Weg bis dahin schildert.

Aus eigener Erfahrung hat Pius Hug aus Kirchzarten das Schicksal der Hirtenbuben sehr ausführlich geschildert und in einem Büchlein veröffentlicht. 2

Im Film „Die Schwabenkinder“, der im Jahr 2003 von mehreren Fernsehanstalten gezeigt wurde, ist das große Elend dieser Kinder anschaulich dargestellt.

1 Willi Scherz: Karpatenwilli, Jüterbog
2 Pius Hug: Meine Hirtenbubenjahre 1933-1939

Entnommen aus dem Buch
Helmut Heitzmann: Höfechronik Breitnau - Viertäler, 1996

 

 

Arbeitsreiche Kindheit als Hirtenbuben - zwei Berichte

An das geschilderte Elend glauben nicht alle Zuhörer / Julius Wehrmann und Helmut Heitzmann berichten auf drastische Weise von ihrer arbeitsreichen Kindheit als Hirtenbuben

Einen Abend mit teils drastischen Geschichten über die Hirtenbubenzeit erlebten knapp 40 Zuhörerinnen und Zuhörer am Dienstagabend im Pfarrhaus. Die evangelische und katholische Erwachsenenbildung hatte mit Julius Wehrmann aus Neustadt und Helmut Heitzmann aus Freiburg-Kappel zwei ehemalige Hirtenbuben geladen, die offenbar nur Schlechtes erlebt haben. Einige Zuhörer widersprachen oder schilderten eigene, positive Erlebnisse. Zur Einstimmung zeigte Peter Ludorf einen Film mit Aufnahmen aus den 1930-er Jahren aus dem Alltag der Landbevölkerung. Subtil wurde im unterlegten Kommentar der Tenor des Abends festgelegt: „Hütebuben standen in der Hierarchie ganz unten.“ Entsprechend erklärte Günter Kranzfelder, der Leiter der Erwachsenenbildung: „Wir wollten etwas über Kinderarbeit machen.“ Julius Wehrmann und Helmut Heitzmann erzählten im Wechsel. 

Wehrmann, der 1922 als eines von zwölf Kindern geboren wurde, musste sich seit 1928 als Hirtenbub verdingen. Er war auf dem Öhlerhof in der Schildwende, auf dem Widiwandhof in Waldau und im Unterwirtshaus in Langenordnach. „Die Bauern haben die Städter nur ausgenutzt“, war sein Fazit, das er mehrfach wiederholte. Manche seiner Schilderungen klangen durchaus glaubwürdig, andere hingegen wirkten abenteuerlich. So wollte Wehrmann, der eigentlich erst mit sechs Jahren Hirtenbub wurde, als Vierjähriger einem Bauern, der seine Frau schlug, „an den Kragen gesprungen“ sein. Stolz berichtete er vom Schuleschwänzen, vom Spionieren durch ein Guckloch ins Schlafzimmer des Bauern und davon, wie er grün und blau geschlagen wurde. Ausführlich erläuterte er, wie er die Tiere, die ihm anvertraut waren, in Schach gehalten haben will. Versieht man etwa die Spitze einer Geißel mit Rosendraht, schlitzt man beim Schlagen die Haut des Tieres auf, so dass es künftig gehorcht. Packt man einen Hammel am Schwanz, wirft ihn zu Boden, verbindet seine Augen und schlägt ihm zwei Minuten auf dem Kopf herum, bleibt er friedlich liegen. Viele der Zuhörer hatten für Wehrmanns Ausführungen nur Gelächter übrig. Auch in der anschließenden Diskussion empörte sich niemand über die Tierquälerei.

Helmut Heitzmann reagierte mit Ironie: „Ich hab’s jetzt sehr schwer, nachdem er so eine Show abgezogen hat.“ Heitzmann wurde als zweiter von vier Buben 1936 in der Posthalde im Höllental geboren. Von 1945-1949 war er Hirtenbub auf dem Dürrenbarthleshof in Breitnau. „Ich hab immer Heimweh gehabt“, erinnerte er sich. Er berichtete von den Tätigkeiten auf dem Hof, etwa Ausfahren, Hüten, Kartoffeln lesen, vom Ausmisten mit einer schweren Schaufel, vom 22 Zentner schweren Stier, der ihm auf den Fuß gestanden ist, von der mangelnden Hygiene oder vom ekelhaften Essen, in dem Würmer geschwommen sein sollen. Sein Arbeitstag dauerte von 5.45 Uhr früh bis gegen 22 Uhr spät. In seiner Breitnauer Chronik hat Heitzmann „das große Elend“ der Hirtenbuben ausführlich beschrieben. Immerhin relativierte er mehrfach seinen negativen Bericht. Als er einmal seiner ehemaligen Nachbarin, der heutigen Waldauerin Maria Löffler, erzählt habe, „wie’s mir dreckig ging“, habe diese gesagt: „So schlecht kann’s dir nicht gegangen sein, du lebst ja noch.“ Seinem Bericht vom ungerechten Alltag in der Schule mit Prügeleien durch den Lehrer, der die fremden Hirtenbuben besonders streng behandelte, setzt er die Erinnerung an seine Mitschüler entgegen, die solidarisch waren und ihn abschreiben ließen. An dieser Stelle rang Heitzmann um Fassung, eine Regung, die seinen Vortrag trotz mancher drastischer Schilderungen ehrlich erscheinen ließ.

Einige Zuhörer widersprachen mit eigenen, positiven Erfahrungen. Dass nicht alle Hirtenbuben (und -mädchen, von denen es auch welche gab) solch schlechte Erfahrungen gemacht haben können, zeigten die Äußerungen des Publikums. Viele hüteten in ihrer Kindheit selber Rinder, Schafe oder Pferde. Anton Wehrle sagte: „Ich hab’s viel, viel schöner gehabt wie ihr.“ Er erzählte von romantischen Abenden draußen bei Vollmond, von positiven Erlebnissen in der Schule, von Gemeinschaft. Emma Wehrle sagte zu den latenten Vorwürfen von Wehrmann und Heitzmann gegenüber den Bauersfrauen, die sich nicht um sie gekümmert haben: „Die Frauen hatten doch selber nichts“, außer eine große Kinderzahl, viel Arbeit, und – wenn sie Pech hatten – einen brutalen Ehemann. Heitzmann beharrte darauf, dass 70 Prozent der Bauern ihre Hirtenbuben schlecht behandelt hätten. Von den negativen Seiten zu berichten sei auch heute noch heikel, denn viele Nachkommen wollten nicht wahrhaben, dass ihre Väter oder Großväter so gewesen sein sollen. Egon Schwär verwies auf ein anderes Kapitel der Hirtenbubenzeit: So wurden von der Kirche Jungen aus Gelsenkirchen nach Waldau vermittelt. Einige von ihnen pflegen noch heute Verbindungen.
Auch wenn die Stimmung im Saal freundlich blieb, war der Vortrag nicht nur auf Gegenliebe gestoßen. Das zeigte die Äußerung eines ehemaligen, höchst verärgerten Hirtenbuben. Ein Großteil habe gar nicht zum Thema gehört, empörte er sich, etwa das spätere Berufsleben der beiden Vortragenden, zu dem Kranzfelder sogar noch aufgefordert hatte, und „der Rest ist zur Hälfte verlogen“.

Badische Zeitung Freiburg
Alexandra Wehrle, 20.10.2005, www.badische-zeitung.de

 

 

Ehemaligentreffen der Hirtenbubenschule in Rudenberg

Nach dem Vieh hüten in die Schule / Im Pauliwirt, dem Rudenberger Traditionsgasthaus, in dessen Mauern das erste Schulhaus des Dorfes untergebracht war, trafen sich am Wochenende ehemalige Schüler der einstigen Volks- und Hirtenbubenschule.

Bis zum Jahre 1838 gingen auch die Kinder aus Friedenweiler täglich über die Schillingshöhe, um in Rudenberg, das damals mit 305 Einwohnern größer als das nur 186 Personen zählende Friedenweiler war, unterrichtet zu werden. Die Witwe des ersten Lehrers, Magdalena Zugschwert, trug mit der Stiftung eines Schulfonds zum Erhalt der Einrichtung und der Förderung armer Kinder bei. 1854 kaufte die Gemeinde das ehemalige Gesindehaus des Wiesenhofes und nutzte es als Schule und Rathaus. Dort wurden bis zur Auflösung der Schule im Jahre 1970 die Kinder aus dem Dorf unterrichtet. Die Volksschule war, so der langjährige Schulleiter Hermann Krepper in seinem Rückblick anlässlich der Schulschließung, eine Unterrichtsstätte des Rechnen- und Lesenlernens und eine Hirtenschule. Die Kinder vom fünften bis zum achten Schuljahr kamen erst am Nachmittag zum Unterricht, die kleinsten am Vormittag. Im Winter war es umgekehrt. Die Nachmittagsschüler jedoch, so die Erinnerung der Betroffenen, schliefen oft ein, da sie bereits in den Morgenstunden mit dem Vieh unterwegs gewesen waren. Der Zusammenhalt und die Kameradschaft waren in dieser Schulform wichtige Stützen, die gegenseitige Hilfe selbstverständlich.

So ist auch noch bei den Jahrgangstreffen der Ehemaligen, die regelmäßig organisiert werden, dieser besondere Zusammenhalt zu spüren. Es wird nicht nur gefeiert, auch gemeinsame Messen und Besuche der Gräber verstorbener Schulkameraden sind ein Bestandteil der Treffen. Am Wochenende kamen 36 einstige Schüler der Jahrgänge 1935 bis 1945 in ihrer alten Heimat zusammen um zwei Tage lang Erinnerungen auszutauschen und die Kontakte, die auch zwischen den Treffen telefonisch aufrecht erhalten werden, zu pflegen. Auch Alexander Möllinger, ehemaliger Schulleiter in Titisee, der von 1947 bis 1949 Lehrer in Rudenberg war, war mit von der Partie.
Liane Schilling am 14.6.2005 in der BZ

  

 

Russischer Hirtenbub nach 60 Jahren als Ehrengast in Biederbach 

Viktor Kabakow, als Zwölfjähriger im Krieg aus Russland nach Biederbach verschleppt und hier drei Jahre „Ostarbeiter“, kommt für ein paar Tage auf Besuch zurück

BIEDERBACH/ST. PETERSBURG. In Russland feierte man gestern das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 60 Jahren. Besuch aus Russland gibts heute in Biederbach: Professor Viktor Kabakow, im Krieg als zwölf (!) Jahre alter Ostarbeiter nach Deutschland verschleppt, kehrt aus seiner Heimatstadt St. Petersburg, begleitet von Tochter Lena, für einige Tage an den Ort zurück, wo er drei Jahre (1942 bis 45) ganz unfreiwillig hingekommen war und an den er trotzdem viele positive Erinnerungen hat.

Dass sein Besuch im Elztal fast mit den Gedenkfeiern zum Kriegsende zusammenfällt, ist zwar eher Zufall. Schon lange hatte der im Januar 75 Jahre alt gewordene Wissenschaftler den Wunsch, Biederbach wiederzusehen. 1989 hatte er, im Rahmen einer Dienstreise nach Deutschland, schon einmal die Gelegenheit genutzt, sein ehemaliges Zwangsdomizil, welches ihm dann aber fast zu einer Art zweiten Heimat wurde, kurz aufzusuchen. Nun wird er als Ehrengast der Gemeinde dabei sein, wenn am Freitag Alfred Allgeier, mit dem Kabakow seit längerem Kontakt pflegt, seine neue, druckfrische Chronik von Biederbach vorstellt. Und Kabakow wird im Rahmen dieser Buchvorstellung von seinen eigenen Erinnerungen an Biederbach berichten.

„Aus dem Knecht ist ein bedeutender Mann geworden“ schrieb 1989 die Badische Zeitung über ihn. Denn der „Schwarzwälder Hirtebue aus Leningrad“ wurde nach Rückkehr in seine Heimat erst Schiffsjunge und Minensucher auf See, dann Abendschüler und -student, Schlosser und schließlich Universitätslehrer und -rektor sowie, in der Gorbatschow-Zeit, Abgeordneter im letzten Obersten Sowjet. Trotz dieser erstaunlichen Laufbahn ist Viktor Kabakow ein bescheidener, leutseliger Mensch geblieben, dazu kontaktfreudig und lebensfroh.
An seine Zeit in Biederbach denkt er öfters zurück, manchmal mit Schalk im Nacken: Während einem wissenschaftlichen Symposium in St. Petersburg hatte er beispielsweise einen der deutschen Teilnehmer heiter mit: „Ich bin e Hirtebue“ in „Elztäler Ditsch“ begrüßt. Sein Leben hat er in dem 2002 auf deutsch erschienenen Buch
 „Bleibe in Strelna nur ein paar Tage“
Neisse-Verlag, ISBN-Nr. 3-934038-17-4, Euro 9,80

beschrieben – ausführlich geschildert sind darin auch die drei Jahre in Biederbach mit seiner ersten „Universität“, wie er den „Brosihof“, wo er als „Arbeiter Ost“ tätig war, rückblickend nennt.

Sein Buch schildert nicht nur seine selbst für die Kriegsgeneration sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte, sondern zeigt auch die damaligen Verhältnisse im Schwarzwald und das wache Auffassungsvermögen des jungen Kabakow, etwa, wenn er sich erinnert: „Es war selbstverständlich, dass ich beide Bauern nicht duzen durfte. Wenn ich mich nicht irre, ist die Anrede im Elztalerditsch überhaupt nicht im Gebrauch. Anstatt Sie sagt man hier Ihr. Später, als ich schon in Rußland Schillers Kabale und Liebe; las, traf ich diese Höflichkeitsanrede wieder: Herr Vater, Ihr...“ Oder, als er schildert, wie im „Brosihof“ ein Schwein geschlachtet wird: „Es gab für alle viel zu tun: Heißwasser bringen, Borsten schaben. Der Schlächter benahm sich so, als ob er ein Seeräuberführer wäre. Es waren seine Befehle sofort und genau zu vollziehen.“ Man sieht: Der Bub aus der fremden Großstadt war ein ganz ausgezeichneter Beobachter des Schwarzwaldlebens.

„Viktor Kabakows Leben erscheint wie ein permanenter Wandlungsprozess, orientiert am Lebensprospekt eines beständig heiteren und klugen Chrakters“, schrieb im Vorwort zu Kabakows Buch sein deutscher Professorenkollege Clemens Renker: „Nach dem tragischen Lebensmodell hätte sein Leben in Ausweglosigkeit führen müssen. Nach dem romantischen Lebensmodell hätte Hoffnungslosigkeit in Verzweiflung, Wahnsinn oder Tod enden müssen. Prosaisch nimmt Viktor Kabakows Leben jedoch seinen Fortgang, dialektisch gestaltet er seine Lebenswirklichkeit.“ Oder, wie es der agile Professor aus St. Petersburg, mit einfachen Worten selbst formuliert: „Das Leben geht weiter und, wie es ein Philosoph sagte: Solange die Kerze brennt, kann man noch etwas ausbessern.
Bernd Fackler  am 10.5.2005, www.badische-zeitung.de

"Der Weg in die Sommerferien nach Strelna nahe dem prächtigen Zarenschloß Peterhof führt den 12jährigen Petersburger Schüler in die Zwangsarbeit nach Biederbach in den Schwarzwald. Der dortige Brosihof wird dem jungen "Hütebue" bis Kriegsende 1945 zur ersten Lebensuniversität. Die ersehnte Rückkehr in die russische Heimat der Stalinzeit führt in neues Elend und jahrelange Ächtung. Über Abendstudium gelingt ihm der Weg zum Professor, Dekan und Rektor einer technischen Leningrader Universität. Als nichtkommunistischer Kandidat gewinnt er die Wahl zum Deputierten des Obersten Sowjet. Kabakow wirkt für den Weg in eine soziale Marktwirtschaft und damit einhergehenden Bürgergesellschaft.
"Nach dem romantischen Lebensmodell hätte Hoffnungslosigkeit in Verzweiflung, Wahnsinn oder Tod enden müssen", schreibt Prof. Dr. Clemens Renker im Geleitwort zu Viktor Kabakows Lebensweg."
Viktor Kabakow
Bleibe in Strelna nur ein paar Tage
Paperback 12x19cm, 144 Seiten, mit Illustrationen
ISBN 3-934038-17-4 / EUR 9.80
http://www.neisseverlag.de/text.php?bid=12

  
 

Buch von Heinz Stripp verarbeitet die Neustädter Vergangenheit

Die alte Heimat im Hochschwarzwald lässt Heinz Günther Stripp auch in den USA nicht los

TITISEE-NEUSTADT/PHILADELPHIA. Es gibt einige Neustädter, die vor, während oder nach dem Krieg nach Amerika ausgewandert sind. Viele haben keinen Kontakt mehr in die alte Heimat, aber manche melden sich wieder. So Heinz Günther Stripp, der über das Internet-Gästebuch der Stadt wieder den Kontakt mit Neustadt auffrischte. Einige alte Neustädter erinnern sich noch an den heute 69-Jährigen, der sich als Hirtenbub in den letzten Kriegsjahren durchschlug. Seine Vergangenheit hat er bewältigt, indem er einen Roman schrieb, der über die Kriegsjahre in Neustadt bis zu seiner Auswanderung nach Amerika berichtet.
1934 wurde Stripp in Neustadt geboren, seine Mutter Anna Weiler wurde 88 Jahre alt und verstarb in Florida, wo sie ihren Lebensabend verbrachte. Eine ihrer alten Freundinnen, die Neustädterin Olga Tröndle, erinnert sich noch an den kleinen Heinz: "Er war ein lieber Junge, er war ein bissel hastig, aber er ist intelligent und hat es zu was gebracht", sagt sie. Nach dem letzten Kontakt im Jahr 1989 wartet sie noch auf ein Lebenszeichen von ihm, denn er sei jederzeit willkommen in Neustadt.

Die letzten beiden Kriegsjahre hat sich der kleine Heinz als Hirtenbub auf drei verschiedenen Höfen verdingt. "Im Sommer und Herbst 1944 war ich auf dem Fallerhof in Langenordnach Hirtenbub", berichtet Stripp, "dann eine Woche im Frühjahr 45 auf einem Hof in Rudenberg, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Und dann ab und zu über das ganze Jahr 1945 bei einem Bauer an der Schützenstraße, es war der erste Hof rechts, wenn man unter der Bahnbrücke durch die Schützenstraße hochgeht . . ." In Karlsruhe machte er dann eine Ausbildung zum Installateur und war von 1953 bis 1955 bei der Handelsmarine.

1960 wanderte er in die USA aus und wurde dort 1965 eingebürgert. Als Elektroingenieur arbeitete er viele Jahre lang bei großen Unternehmen und widmete sich ab 1972 der Technik zur Herstellung von Kunstschnee in den Skigebieten von Colorado. Über diesen Umweg kam er auf die Idee, aus Meerwasser Schnee zu machen, dann das Salz herauszufiltern und so aus dem Schnee Trinkwasser herzustellen. Dafür hat Stripp ein Patent und sucht nun als Pensionär Geschäftspartner, die diese Idee umsetzen wollen: www.aquifer-Ocean.com.

Mit seiner Vergangenheit fertig geworden ist Stripp durch das Schreiben eines Buches mit dem Titel "Stumm und verstümmelt", das er 1970 schrieb. Der Ich-Erzähler heißt Hans Hermann Heinrich, seine Freunde sind Liesel Pfeiffer und Emil Blaule. Er lebt mit seiner Familie im "Graben" und beschreibt detailliert die grausamen Kriegsgeschehnisse aus der Sicht des Kindes und ab 1945 die französische Besatzung. Auch der Hans im Roman arbeitet als Hirtenbub auf dem Hof und wandert später nach Amerika aus: Das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" für viele Einwanderer. Auch heute noch lobt Stripp den Empfang und die Möglichkeiten, die er in dem Einwandererland hatte: "Ein Ami ist aus dem reichsten Land in der Geschichte der Menschheit. Die Ursache dieses Reichtums liegt in der Unabhängigkeitserklärung, nach der jeder Mensch das Recht hat, sich sein Glück zu erschaffen." Stripp ist in zweiter Ehe mit einer Chinesin verheiratet und würde ihr gerne in diesem Herbst seine alte Heimat zeigen.
Birgit Neuhardt in der BZ vom 19.1.2004, www.bzol.de

  

 

Ehemalige Hirtemaidle und Hirtenbuebe  bei den Kulturtagen in St. Peter

Ehemalige Hirtemaidle und Hirtenbuebe schildern bei den Kulturtagen in St. Peter Erlebnisse aus ihren schweren Jugendtagen

Etabliert haben sich die Kulturtage im "Kreuz". Einen ganz besonderen Abend verdankten die Gäste dort den Erinnerungen vier Alteingesessener, früherer Hirtemaidle und -buebe, die mit ihren erzählten Erinnerungen, die 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in St. Peter lebendig werden ließen. Den eindrucksvollen musikalischen Part steuerte Liedermacherin und Sängerin Roswitha Dold bei.

Dicht drängten sich die Gäste zu "So war's emol" und bedankten sich mit begeisterten Ovationen bei Elsa Froschauer, Berta Kreuz, Max Kürner und Alfons Rohrer. "Heut' Abend war's Kultur pur" beendete Bürgermeister Gottfried Rohrer die von ihm moderierte lebhafte Gesprächsrunde "un die Lieder hen eifach basst!" "Ihr wart ein herrliches Publikum", bedankte sich Max Kürner als Ältester schließlich erleichtert namens seiner Mitstreiter.

Drei Kriterien galten als Voraussetzung zum Sitzen auf dem Diskussionspodium: Die Bewerber mussten mindestens 90 Lebensjahre zählen, aus einer Landwirtschaft stammen und das harte Leben als Hirtemaidli oder -bue selbst kennengelernt haben.

Als "g'wehnliche Burebue" stellte sich Max Kürner (93 Jahre) vom Schweighof vor, der nicht mehr der jüngste sei, aber dennoch wisse, inzwischen 14 Enkel zu haben. Einst war er "Hirtebue" auf dem väterlichen Hof, einem alten, 1685 erbauten Klosterhof. Klein und so machtlos, wenn Bremsenhorden in der Sommerhitze dem Vieh auf der Weide zu Leid lebten und es für die Tiere kein Halten mehr gab und sie in Richtung Stall rannten. Neun Heuwagen seien im Sommer auf dem Hof zusammengekommen; um vier Uhr musste der Rossknecht aufstehen, die Pferde füttern und um 6 Uhr einspannen. Von der Hausordnung erzählte er, dass Vater und Mutter respektive Bauer und Bäuerin oben am Tisch saßen, der Bauer den ersten Bissen erhielt und die Bäuerin zuletzt an die Reihe kam. Feste gab es auf dem Hof, zu denen ordentlich aufgetischt wurde. Dabei konnte es in der Sommerhitze bei der Heugaus vorkommen, "dass de Schunke schu e weng glebt het". Die Bezahlung gab es einmal im Jahr, am Stephanstag, zwischen den Jahren.

"Immer fescht uffm Feld mitschaffe" erinnerte sich Elsa Froschauer, Jahrgang 1912, an ihre Kindheit in ihrem Zuhause, dem Jägerhaus; eine Zeit, in der ihre große Schwester "vum Pfarrer vu de Kanzel verkündt'" worden sei, ob ihres unmöglichen Verhaltens als Frau Rad zu fahren. Bei der Geburt des 14. Kindes starb damals ihre Mutter und die älteste Schwester zog ihre Geschwister groß. 18 Jahre musste man damals schon sein, bis man alleine zum Tanz gehen durfte. Und der fand beispielsweise "in`s Wehrles Schiire" oder "bim Bassili im Heistock" oder "in de Oftere" statt. Wobei keine Band anreiste, sondern selbst gesungen und musiziert wurde. Zur "Chilbi" schlachtete man einen Hammel und ein Schwein. Während die Männer feierten, standen die Frauen überwiegend in der Küche und kochten.

Im Gedächtnis der ein Jahr jüngeren Berta Kreuz, geborene Schwab, haften die Kriegserinnerungen, "ich bin drei gsi, als se de Vadder gholt hen". "Un eimol ischer wieder do gsi". Zu den Pachtfeldern "am Stei" musste sie als Hirtemaidli oft bis zu einer halben Stunde gehen und die Kühe von Hand melken. Am "Hohg'richt" habe der Vater "e hiisli" als Wetterschutz gebaut, wo sie so manches Gewitter überstanden habe.
Auch Alfons Rohrer, siebtes Kind "vun `s Suuremachers im Underwasser" (Ortsteil von St. Peter), einer Taglöhnerfamilie, kennt das "hiete, hiete bi Wind un Wetter" noch genau. Und das Problem, Schule und Hüten unter einen Hut zu bekommen, ohne schlechte Karten beim Lehrer zu haben. Schuhe waren zu dieser Zeit eine Kostbarkeit, so wärmten sich die Hirtekinder ihre Füße halt in den frisch gefallenen Kuhfladen auf. Alfons Rohrer erlernte das Schuhmacherhandwerk und ging "uff d' Ster", was soviel bedeutet, dass Handwerker sich früher zum Kunden auf den Hof begaben und nicht umgekehrt. Das hätte beim beschwerlichen Broterwerb viel zu viel Zeit gekostet. Gewöhnlich kam man im Herbst auf den Hof, reparierte getragenes Schuhwerk und fertigte neues, manchmal drei bis vier Tage lang in der Stube des Hofes. Gute Verpflegung und Logis entlohnte die Handwerker. "Ich erinnere mich nicht gern an die Zeit, fasste er knapp dieses heikle Kapitel seiner Kindheit zusammen.

Roswitha Dold als einfühlsame Liedermacherin aus Stegen-Eschbach rundete mit Liedern in Mundart zur Gitarrenbegleitung den Abend ab. Sie ließ "De Sundig zmidag" lebendig werden, der die wenige Muse in der strengen Arbeitswoche beinhaltete; lobte mit Rückblick auf die am Spülstein stehende eigene Mutter die Muedersproch' als "die beschd' Medizin für en Mensch un si Seel'. Man hätte allen noch lange zuhören können.

Monika Rombach, 27.9.2003

  

 

Auf der Alm reduziert sich das Leben auf das Wesentliche

Werner Hügel sammelte als Senner tiefgreifende Erfahrungen und hilft Kindern, sich selbst durch den Umgang mit der Natur und Tieren neu zu entdecken
"Ich wollte auf dem Gipfel mal über den eigenen Hutrand schauen", sagt Werner Hügel. Der Neustädter arbeitete als Kuhhirte auf einer Alm in den Schweizer Alpen. Sechs Monate lebte er alleine in einer Blockhütte, spartanisch eingerichtet, ohne Strom. "Eine tiefgreifende Erfahrung", sagt der 47-Jährige aus Neustadt, die sein Leben nachhaltig veränderte.

Je weiter sie hinaufkletterten, desto schwächer drang der Straßenlärm unten von Gstad an ihr Ohr. Bald herrschte völlige Stille, nur noch das Keuchen der beiden Bergsteiger war zu hören, die mit ihren vollbepackten Rucksäcken das Ende der Strapazen herbeisehnten. Der Rundblick aber lohnte die Mühen. Vor ihren Augen erhoben sich die weißgepuderten Gipfel der Schweizer Alpen. Erschöpft erreichten Irene und Werner Hügel nach dreistündigem Fußmarsch durch knietiefen Schnee die auf 1700 Metern gelegene Dürri Alp: Eine primitive Blockhütte, die Anfang April noch unter einer Schneedecke lag. Im Inneren war es düster, ein Tisch, Bänke, ein eiserner Ofen, eine Bettstatt und unter dem Dach ein Stroh- und Heulager waren die einzigen Einrichungsgegenstände. Seine Frau Irene verabschiedete sich von ihm. Die Herdenhündin "Aruna", die der lizensierte Trainer selbst abgerichtet hat und der Hütehund "Ungas" leisteten dem 47-Jährigen aus Neustadt Gesellschaft in der Abgeschiedenheit der Bergwelt. Ein Funkgerät und das solarbetriebene Transistorradio waren seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Draußen fielen die Temperaturen inzwischen spürbar, die Silhouetten der Berge verblassten, es wurde dunkel. Etwas mulmig war es ihm schon so ganz allein in der nächtlichen Stille, die nur ab und zu ein Tierlaut durchbrach, erzählt Hügel. Als er bei dem Bauern in Gstaad Interesse für die Almwirtschaft anmeldete, freute der sich, zumal Hügel bereits Hirtenerfahrung hat. "Das Älplern machte mir immer Spaß", sagt der ausgebildete Ergotherapeut. Und so lernte er lange Jahre während der Sommerferien bei Sennern mähen, melken und hüten. Nach achtzehn Jahren als Fachlehrer an einer Schule für Körperbehinderte sehnte er sich nach Veränderung. Auf der Alp suchte er Zeit zum Nachdenken, zur Besinnung und Neuorientierung: "Dort oben reduziert sich das Leben auf die wesentlichen Dinge".

In den ersten Wochen sägte und stapelte er Holz, beseitigte die Spuren abgegangener Lawinen und traf Vorbereitungen für die Ankunft der Sommerfrischler. Er befestigte Weidezäune, die über den Winter lawinensicher in Bäumen oder Felshöhlen verwahrt werden. Hierfür musste er sich häufig im steilen Gelände mit einem Seil sichern. Er schlug unzählige Pfosten in den Boden und spannte 16 Kilometer Stacheldraht. In den Bergen veränderte sich sein Lebensrhythmus gründlich. "Man lebt mit der Natur", so Hügel. Früh ging es aus den Federn, abends fielen ihm schon nach kurzer Zeit die Augenlider zu.
Im Juni wurde das Vieh aufgetrieben. Der Bauer vertraute Hügel 40 Mutterkühe, zehn Ziegen und zehn Schafe an. Neunzig Tage waren die Tiere an der frischen Luft und fraßen Silbermantel, Goldhafer und Alpenvisperkraut. Da die kargen Wiesen auf einer Höhe zwischen 1700 und 1900 Metern blitzschnell abgegrast sind, war Hügel mit den Tieren ständig in Bewegung. Bei Einbruch der Dämmerung brauchte er oft lange, um seine Schutzbefohlenen einzusammeln, ohne seine Hunde hätte er oft stundenlang suchen müssen.
...
Schließlich kam auch die Familie auf die Alm. Die Kinder Samuel und Mona waren begeistert von der Alpenidylle mit ihren Murmeltieren, Bergdohlen, Gemsen und Adlern. Fasziniert konnte Vater Hügel beobachten, wie sie in der Natur aufblühten, aus sich selbst heraus Ideen entwickelten und ausgeglichener wurden. In dieser Abgeschiedenheit reifte der Entschluss heran, sich als Ergotherapeut selbständig zu machen und seine eigene Erfahrung in den Beruf einfließen zu lassen. In Neustadt gründete er eine eigene Praxis und behandelt mit inzwischen fünf Angestellten überwiegend Kinder, die unter sozialen, emotionalen und Wahrnehmungsstörungen leiden.
Der Ausflug in eine andere Welt liegt schon ein wenig zurück. Entspannt sitzt Werner Hügel mit seinen beiden Hunden vor seinem Planwagen, den er sich erst kürzlich für seine kleinen Patienten gekauft hat und streicht dem Esel Pedro, der den Wagen einmal ziehen soll über die langen Ohren. Denn als zweiten Stützpunkt zu seiner Praxis schuf Hügel auf gepachtetem Land im Jostal eine Kinderalm mit vier Eseln; dort lernen die Patienten den Umgang mit Tieren und Natur. "Erfahrung wird erst zur Weisheit, wenn man sie in den Alltag integrieren kann", lautet Hügels Fazit. So profitiert nicht nur er von seinen Erfahrungen als Senn. Und wenn es die Zeit zulässt, geht Werner Hügel wieder in die Berge, "denn es ist ein gutes Gefühl, vom Gipfel über die eigenen Grenzen hinwegzuschauen".

Eva Weise, BZ vom 8.2.2003, ganzen Artikel auf www.bzol.de lesen

Zur Ergotherapiepraxis Werner Hügel

  

 

Hirtenbubentreffen in Titisee-Neustadt im Jahr 2003 mit Heinz G. Stripp?

Erst fing alles ganz harmlos an: Über den großen Teich hinweg suchte ein ehemaliger Hirtenbub Erinnerungen von den Orten und Menschen seiner Kindheit. Aus einem kleinen e-mail im Internet-Gästebuch des Neustädter Rathauses entstand inzwischen ein buntes Mosaik eines Stückes Wäldergeschichte, an dem immer noch gebastelt wird.
Aus der Entfernung und mit den Jahren werden die Erinnerungen immer romantischer und rosiger. So ging es auch einem Exil-Neustädter in Amerika, der beim abendlichen Surfen am Computer über die Homepage der Stadt Titisee-Neustadt stolperte: "Hallo Geburtsstadt", schrieb Heinz G. Stripp im August ins elektronische Gästebuch der Stadt, "mein Großvater Franz Joseph Weiler war Stadtbaumeister in Neustadt.
Im Sommer 1944 war ich Hirtenbub beim Faller-Bauer in Langenordnach". Aus dem kleinen Bub, der am Orneufer die Kühe trieb, wurde nach einem Abstecher bei der Handelsmarine ein erfolgreicher Elektroingenieur, der in Kanada und USA große Projekte betreute und sich heute in Amerika mit seiner patentierten Erfindung beschäftigt. Stripp entwickelte eine Methode, wie man auf einem Schiff aus Meerwasser erst Schnee produzieren und diesen dann an Land wieder zu Trinkwasser filtrieren kann. Eine Schneekanone auf einem Schiff einzusetzen, auf diese ungewöhnliche Idee kam der USA-Neustädter während seiner fast zehnjährigen Tätigkeit als Elektriker an den Skipisten in Keystone, Vail und am Mount Hood.
Der Computer-Gruß aus dem fernen Philadelphia beschäftigte auch den EDV-Experten im Neustädter Rathaus, der die Gästebucheinträge immer beantwortet. Ein e-mail gab das andere und führte, auch nach Rückfragen bei alten Neustädtern dazu, dass die Geschichte der Stripps in Neustadt und der Hütebuben-Vergangenheit immer genauer beleuchtet wurde und auch Disch selbst in die Familiengeschichte einbezogen wurde: Seine Mutter hatte den kleinen Heinz als Kindergärtnerin betreut. Über die Schwestern seiner Mutter, Rosa Weiler und Monika Brauneis, geb. Weiler, die Familien Heinrich Meier und Willy Stripp und seinen Onkel Karl Weiler im Cafe Unmüssig in Hinterzarten, blieb der einstige Hirtenbub auch nach dem Umzug seines Vaters Ludwig Stripp nach Karlsruhe mit der Wälderstadt verbunden. Immer wieder kam der Auswanderer im Laufe der Jahre nach Deutschland und auch in den Schwarzwald, auf dem Fallerhof vorbeizuschauen oder in seiner Neustädter Vergangenheit zu graben traute er sich jedoch nie. Dass dies beim nächsten Mal anders wird, dafür wird unter anderem Therese Decker sorgen, die früher als "s'Schwarzhanse Theres" auf dem Fallerhof gearbeitet hat. Bei einem Besuch im Rathaus bei Walter Disch wurde sie in den Amerika-Kontakt einbezogen. Sie konnte sich erinnern, dass "der Bauer damals in die Stadt gegangen ist, um zu sehen ob sich ein Hirtenbub meldet". Und dann, so berichtete sie, sei er "mit einem kleinen Kerle wiedergekommen".

"Die Theres war Magd, sie war drei bis vier Jahre älter als ich" bestätigte Heinz Stripp in Philadelphia. Und beide kramten unabhängig voneinander die Erinnerung an den Erich (Kienzler?) hervor, der damals auch auf dem Hof in Langenordnach war. "Der hat einmal dem alten Ochs ein Stück Kernseife in den Hintern geschoben", weiß Heinz Stripp, "auf einmal geht dem Ochs sein Schwanz in die Luft und dann kommt so ein explosiver Knall und dem Faller-Bauer sein weiß gemalter Stall war mit gelblich-brauen Flecken übersät. Mein lieber Mann, da war was los..."
Bei den weiteren Recherchen kam schließlich noch Egon Häringer ins Spiel. "Die Theres'", berichtet Walter Disch, "hat ihn gefragt, wer mit ihm Hirtenbub ins Fallers war". Er habe ohne Zögern sogfort gesagt: "De Stripple". Und dann erhielt die Ochsengeschichte doch noch einen anderen Urheber: "Die Theres hat mir gesagt, der mit dem Ochs wäre sicher nicht der Erich, sondern der Egon gewesen, denn der sei damals ein saumäßiger Strolch gewesen", schrieb Disch nach Philadelphia. Der Erinnerungsaustausch über den großen Teich ist noch nicht abgeschlossen,
fest steht allerdings schon jetzt, dass es 2003 ein kleines internationales Hirtenbubentreffen in Neustadt geben wird. Dieses Jahr will der Elektroingenieur aus Philadelphia mit Neustädter Wurzeln erst einmal nach China reisen.
twi, BZ vom 26.9.2002, www.bzol.de

  

 

Hirtebuebetreffe in Hinterzarten
In Hinterzarten gibt es alle Jahre - im Rahmen des Waldfestes bei der Trachtenkapelle auf der
Geiserhöhe - ein Hirtenbuebetreffe, das schon Tradition hat,  wo man sich trifft und Erinnerungen ausgetauscht werden. Das Treffen wurde von Georg Thoma initiiert. Mit dabei ist Helmut Heitzmann, der die großartige  Höfechronik Titisee-Viertäler geschrieben hat:heitzmannHelmut@freenet.de 
Info von Walter Disch, disch@titisee.de


Mit mir haben Sie einen erwischt, den die volle Härte des Hirtenbubendaseins getroffen hat.
Im Alter von 8 Jahren kam ich im Herbst 1944 auf den Jockelshof in Buchenbach.
Von Anfang 1945 bis Weihnachten 1949 war ich Hirtenbub im Dürrenbarthlehof in Breitnau.
In der in Arbeit befindlichen Höfechronik Breitnau ist ein ausführliches Kapitel über Hirtenbuben vorgesehen.
Mit Georg Thoma, der ein gleiches Schicksal erlebte, bin ich mir einig, daß unsere Erfahrungen
niedergeschrieben werden sollten. Darüber hinaus kenne ich eine Reihe von Schicksalsgenossen.
Auf ein Treffen mit Heinz G. Stripp freue ich mich.
eMail von Helmut Heitzmann am 4.10.2002

  

 

Links

Walter Disch, Titisee
disch@titisee.de

Helmut Heitzmann, Freiburg-Kappel,
mehr

De Hirtebue, Narrenzunft in Schönwald

Heinz.G.Stripp in Philadelphia
heinz@aquifer-ocean.com, eStripp@yahoo.com
hgStripp@hotmail.com, P O Box 3217, 19130 Philadelphia PA USA, Tel: 267 474 6805
How to torn Seawater into Drinking Water:  www.aquifer-ocean.com

Gästebucheintrag: www.titisee-neustadt.de (Gemeinde, dann ganz unten Gästebuch, Eintrag vom 15.8.2002))

Heinz Stripp, 1934 in Titisee geboren, ist 1955 nach Kanada und 1960 weiter in die USA ausgewandert. Am 20. 6. 2000 hat er das USA Patent # 6076364 erhalten: Umwandlung von Meerwasser in Schnee (auf dem Schiff) und dann (an Land) in Trinkwasser.

     

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