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Breisach und Vauban
          

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Stadt Breisach - 300 Jahre Baumeister Vauban

 

 

Huckepack zum Weltkulturerbe: Neuf-Brisach unterstützt Breisacher Pläne

"Wir werden alles dafür Notwendige in die Wege leiten, damit Breisach nachträglich in den Kreis der Vauban-Stätten aufgenommen werden kann" , sagte Richard Alvarez, der im März neu gewählte Bürgermeister von Neuf-Brisach, der Badischen Zeitung, unmittelbar, nachdem er von der Aufnahme seiner Stadt in das Weltkulturerbe erfahren hatte. Damit kann Breisach mit der nötigen Unterstützung rechnen, wenn es möglicherweise in einem Jahr im Zuge einer nachträglichen Erweiterung der französischen Vauban-Stätten seine Aufnahme beantragen möchte.

"Dafür müsste allerdings die Wertigkeit des Rheintors geprüft werden" , sagt Michael Goer, Landeskonservator für die Bau- und Denkmalpflege Baden-Württemberg. Der Weg dahin ist etwas kompliziert, weil die französische Seite über das Auswärtige Amt einen Antrag stellen müsste, damit das Landesdenkmalamt eine solche Prüfung in die Wege leitet. Zudem müsste ein Breisacher Antrag zur Bewerbung der angenommenen französischen Vauban-Stätten passen, bei denen es sich lediglich um eine kleine, spezifische Auswahl der Bauwerke Vaubans in Frankreich handelt. "Wir würden eine Stellungnahme abgeben und Paris müsste das prüfen" , sagt Goer. Immerhin ist Breisach die Unterstützung des Bürgermeisters von Neuf-Brisach sicher. "Ich freue mich wahnsinnig für die Schwesterstadt Neuf-Brisach" , kommentierte Breisachs Bürgermeister Oliver Rein gestern die Unesco-Entscheidung. Bereits 5 Minuten nach der Bekanntgabe habe ihm Neuf-Brisachs Bürgermeister Alvarez die frohe Botschaft übermittelt. "Jetzt ist der Weg frei für eine nachträgliche Erweiterung der französischen Vauban-Stätten um das Breisacher Rheintor" , so Rein. Schließlich sei Breisach mit seinem Gegenstück Neuf-Brisach von Anfang an bei den französischen Plänen für eine Aufnahme der Vauban’schen Festungsanlagen in die Unesco-Liste dabei gewesen. "Wir haben auch von Anfang an gezahlt", fügt Rein hinzu. Als es aber konkret wurde, habe der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac beschlossen, dass es ein rein französischer Antrag werden soll. "Aber wir haben uns weiterhin immer als Teil von Neuf-Brisach betrachtet" , betont Rein und verweist auf die historische Verbindung der heutigen Partnerstädte. 1664 war Vauban von Ludwig XIV. damit beauftragt worden, die Festungsanlagen von Breisach zu restaurieren. Nachdem Frankreich die Münsterstadt 1697 an die Habsburger abgetreten hatte, begann der Baumeister des Sonnenkönigs mit der Planung und dem Bau der Festung von Neuf-Brisach und eroberte schließlich 1703 die Festung von Breisach zurück.
Ziel sei es, dass das Vauban’sche Erbe von Breisach praktisch im Huckepack-Verfahren als Bestandteil von Neuf-Brisach in das Weltkulturerbe aufgenommen werde, erläutert Rein. Dies habe man bereits vor einem Jahr bei Gesprächen im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium als sinnvollen Weg ausgearbeitet. Als nächste Schritte stehen laut Rein Gespräche mit seinem französischen Amtskollegen Alvarez und der Vauban-Gesellschaft an. Auch im Sivom du Pays de Brisach werde das Thema besprochen. In Breisachs Nachbar- und Partnerstadt Neuf-Brisach erhofft man sich durch den Unesco-Titel einen stärkeren Besucherzustrom, vor allem aber mehr Unterstützung durch die öffentlichen Stellen bei Unterhalt und Instandsetzung der Festungsmauern. Dass Neuf-Brisach nun zum Weltkulturerbe gehört, liefert der Kommune ein starkes Argument bei der Werbung um öffentlicher Gelder. Mehr Unterstützung als bisher ist auch dringend notwendig. 2007 zog die staatliche Denkmalpflege ihre Subventionen in Höhe von 40 Prozent der Unterhaltskosten zurück, was zur Folge hatte, dass sich auch das Département mit seinem Anteil von 25 Prozent zurückzog. Nach Verhandlungen machte der Generalrat in Colmar seine Entscheidung zwar rückgängig, aber bei 100 000 Euro Unterhalt pro Jahr für die Festungswälle, Mauern, Bastionen und Kasematten der Stadt, bringt eine Stadt, die ohnedies in finanziellen Schwierigkeiten steckt, nicht aus eigener Kraft auf.

"Neuf-Brisach verfügt leider nicht über Industrie, die uns die nötigen Steuereinnahmen bescheren" , sagt der Beigeordnete und für die Vauban-Bewerbung zuständige Bürgermeister und Generalrat Hubert Miehe. "Als Weltkulturerbe verfügen wir nun über eine ganz andere Verhandlungsposition." Außer auf Ruhm und Ehre hofft er natürlich auch auf mehr zahlende Besucher. Erfahrungsgemäß beschert die Aufnahme in das Weltkulturerbe den Kommunen ein größeres, insbesondere stärker internationales Interesse. Dafür muss Neuf-Brisach allerdings noch an seiner touristischen Infrastruktur arbeiten. "Was uns fehlt" , sagt Miehe, "sind ein richtiges Besucherzentrum und ein umfangreicheres Angebot an Führungen, damit wir der neuen Herausforderung gerecht werden" .
In Breisach erhofft man sich durch den Weltkulturerbetitel ebenfalls touristische Erfolge und eine Schärfung des geschichtlichen Bewusstseins. "Unsere Hauptstoßrichtung ist aber die Stärkung der Zusammenarbeit mit Neuf-Brisach und dem Sivom" , betont Bürgermeister Rein. Schließlich sei es doch einmalig, dass zwei Städte, die sich einst feindlich gegenüber standen, jetzt als Unesco-Weltkulturerbe miteinander verquickt werden.
Bärbel Nückles und Agnes Pohrt , 10.7.2008, www.badische-zeitung.de
 

 


(1) Der Architekt restaurierte im 17. Jahrhundert die Breisacher Festungsanlagen

2007 jährt sich der Todestag des bekannten französischen Architekten Vauban zum 300. Mal. Gleichzeitig besitzt Breisach in Kooperation mit Neuf-Brisach und anderen französischen Städten, in denen Vauban gewirkt hat, im Sommer 2008 die Chance, von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Für die Breisacher Lokalredaktion der Badischen Zeitung Grund genug, sich in einer dreiteiligen Serie näher mit Vauban zu beschäftigen. Im ersten Teil werden der Mensch Vauban und sein Wirken in Breisach näher beschrieben.
 

Dieses Modell der von Vauban befestigten Stadt Breisach um 1730 steht im Rheintormuseum. Es ist ein Geschenk der französischen Garnison an die Stadt und wurde im Auftrag von Lieutenant-Colonel Jean-Luc Moliner, ehemaliger Kommandeur des in Breisach stationierten 53. Artillerieregiments, gefertigt.
(Foto: Emil Göggel)

Wer war dieser Vauban eigentlich, der in einer Denkschrift an den Herzog von Burgund Folgendes gesagt hat: "Die Menschen werden alle als einfache Bürger geboren. Allein ihre Taten adeln sie." Welchen Idealen fühlte er sich verpflichtet? "Ich fühle mich verpflichtet, dies bin ich meiner Ehre schuldig, Ihrer Majestät vor Augen zu führen, dass ich den Eindruck hatte, dass man die ganze Zeit über nicht genügend Rücksicht auf das einfache Volk genommen und dass man sich zu wenig um es gekümmert hat ..." Der Adressat dieser klar und entschieden vorgetragenen Kritik war kein anderer als Ludwig XIV., der Sonnenkönig von Frankreich. Was ist das für ein Mann, der einen solchen Vorwurf - nach langer und gründlicher Überlegung - zu Papier bringt und ihn dem mächtigsten und einflussreichsten Mann seiner Epoche, dem "Sonnenkönig" , sieben Jahre vor seinem Tod am 23. März 1700, auf den Tisch legen lässt?

Sébastian le Prestre, genannt Vauban, wird im Mai 1633 im heutigen Saint-Léger-Vauban, im Departement Yonne, geboren. Väterlicherseits aus einfachem Adel stammend steht ihm nur die Militärlaufbahn offen. Er kämpft zunächst auf der Gegenseite bei der Fronde, dann im Dienste des Königs und zeichnet sich wiederholt durch seine Tapferkeit und seinen Einsatz aus. Mit 22 Jahren wird er, aufgrund seiner Leistungen und Fähigkeiten, ordentlicher königlicher Ingenieur. Vauban arbeitet sich empor, nicht durch Anpassung und Willfährigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten, sondern durch bedingungslosen Einsatz, durch außergewöhnlichen Fleiß und unermüdliche Arbeit im Dienste seines Königs. Seine bescheidene adlige Herkunft hemmt jedoch seinen Aufstieg und lässt keine Förderung durch die großen Machthaber zu. Er setzt seine Laufbahn im Befestigungswesen fort, wo er mit 45 Jahren (1678) das Amt des Generalinspekteurs erhält, das er bis 1703 innehat. 1699 wird er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und 1703 Marschall von Frankreich. Wir kennen Vauban vor allem, weil er vor mehr als drei Jahrhunderten Breisach und Freiburg zu starken Festungen ausgebaut und auf der anderen Rheinseite im Auftrag seines Königs die als Festung in Achteckform angelegte Stadt Neuf-Brisach geplant hat.
Mitten in der Rheinebene wurde nach seinen Entwürfen diese einzigartige sternförmige Anlage errichtet, die vielleicht schon in wenigen Monaten den Rang eines Weltkulturerbes erhält. Breisach bewirbt sich, wie bereits erwähnt, zusammen mit 14 französischen Festungsanlagen, die Vauban gebaut hat, um diese Auszeichnung.

Seit 2 Jahren erinnert in Breisach eine kleine Stichstraße an Vauban. Vauban, damals 31 Jahre alt, hatte von Ludwig XIV. 1664 den Auftrag erhalten, die Festungsanlagen der Stadt, die am Ende des Dreißigjährigen Krieges an Frankreich abgetreten worden war, zu restaurieren. Das Bastionärsystem des Straßburger Festungsbaumeisters Daniel Specklin war die Grundlage für den 1614 begonnenen Ausbau der damals kaiserlichen Festung Breisach. Vauban knüpfte an dieses System der Bastionen, die sich wechselseitig deckten, an und entwickelte es weiter, indem er die örtlichen Gegebenheiten nutzte: 8 Bastionen und 7 Halbmonde (Ravelins), ein ringsum laufender gedeckter Weg mit Traversen, Waffenplätzen und Gräben, die mittels eines ausgeklügelten Schleusensystems vom Rhein her unter Wasser gesetzt werden konnten, sicherten die Landseite.

Auf der linksrheinischen Seite schützte ein Brückenkopf — bestehend aus zwei Forts — den Rheinübergang und die dort angelegte "Neue Stadt" (Strohstadt), die den Namen des Königs "Ville St. Louis" trug. Über den Wert der Festung Breisach stellte Vauban 1694 eine nüchterne Berechnung auf: "Bei niedrigem Rheinwasserstand ist Breisach leicht einzunehmen. Ein Tausch gegen den von Störungen freien Besitz Straßburgs lohnt sich. Notfalls kann man Kehl schleifen und aufgeben, als Brückenkopf die Brücke mit Turm jedoch behalten. Auch Freiburg nützt wenig, doch der Kaiser gäbe viel für den Besitz der Breisgauhauptstadt." Die jährlichen Kosten berechnete er für Breisach mit 850 000 Francs, für Kehl mit 250 000 Francs und für Freiburg mit 600 000 Francs. 1 700 000 Francs könne man also sparen. Vielleicht war diese Überlegung mit entscheidend für die Zustimmung von Ludwig XIV., die mächtige Festungsstadt Breisach 1697 im Frieden von Rijkswijk an die Habsburger abzutreten. Die Stadt behielt jedoch ihre strategische Bedeutung. Schon 1698 beauftragte er daher seinen Baumeister mit der Planung und dem Bau eines gleichwertigen Ersatzes: Neuf-Brisach.

Doch das erst von ihm so stark befestigte Breisach lässt ihm keine Ruhe. 1703 beauftragt er Vauban, die Stadt zu erobern und mutet ihm ein nicht auflösbares Dilemma zu: "Sie werden der Verlierer sein: entweder als Feldherr, wenn die Festung hält, oder als Baumeister, wenn die Festung fällt." Die Festung fiel am 6. September, wir dürfen vermuten bei niedrigem Rheinwasserstand. Die eindrucksvollen Anlagen aber blieben stehen. Erst Maria Theresia ließ die Anlagen schleifen. Der Befehl wurde ausgeführt, nur das Rheintor blieb stehen. Die Steine wurden zum Bau von Rheindeichen und Häusern benutzt. Von den Bastionen sind im Stadtbild etliche Hügel geblieben: die Standorte der evangelischen Kirche, des Krankenhauses und des Gebäudes der Firma Gutmann am Ende der Vaubanstraße
Emil Göggel , 1.12.2007, BZ

Der Autor ist ausgewiesener Vauban-Kenner und war bis 2003 Schulleiter des Martin-Schongauer-Gymnasiums in Breisach.
Kontakt:
Emil Göggel, emil at goeggel-online.de (Spamschutz: Anstelle at den Klammeraffen tippen)



 

 

(2) In vier Wochen wurde der Festungsstern Neuf-Brisach geplant

Neuf-Brisach, den Festungsstern, hat Vauban einmal als die "ideale Festung" , als Krönung seines Lebenswerks bezeichnet — in Sichtweite von Breisach, mitten in der Rheinebene gelegen."Wenn es Neuf-Brisach, die letzte der von Vauban erbauten Festungen, heute gibt, dann deswegen, weil das auf dem rechten Rheinufer gelegene Breisach fast 60 Jahre lang französische Festung war." So ist in einer von den "Freunden des Hauses Vauban" herausgegebenen Broschüre zu lesen.

Auf dieser Karte sind Breisach und Neuf-Brisach Anfang des 18. Jahrhunderts zu sehen

Foto: Emil Göggel

Breisach hatte als in Deutschland liegender Brückenkopf große Bedeutung im strategischen Konzept der Franzosen. Als es 1697 an die Habsburger abgetreten werden musste, wurde es für die französischen Nachbarn zu einer unmittelbaren Bedrohung. Deswegen beschloss Ludwig XIV., "500 Klafter davon entfernt" , wie eine zeitgenössische Quelle berichtet, eine neue, von Vauban geplante Festung bauen zu lassen. Der Baumeister des Sonnenkönigs reist im Mai 1698 nach Colmar und entwirft nach eigenen Worten "eine Festung mit acht Bastionen, nur tausend Klafter weit von der Spitze des Fort Mortier, das damals am linken Rheinufer lag, auf trockenem, freiem Feld ... günstig gelegen auf halbem Weg zwischen Hüningen und Straßburg. Die Umgebung ist auf vier Meilen im Umkreis topfeben und völlig leer wie ein Blatt Papier." Vauban benötigt für die Erkundung vor Ort, die Entscheidung — dabei prüft er Colmar und Biesheim als Alternativen — und die Planung einschließlich der Kalkulationen vier Wochen.

Am 19. Juni legt er dem König drei Projekte vor und votiert für das teuerste, das 4 048 875 Pfund kosten soll. Er argumentiert mit der besonderen Qualität der Verschanzung, mit den vergrößerten und verbesserten "Halbmonden" , den nicht einnehmbaren Bastionen, der geringen Zerstörungswirkung von Kanonenkugeln und Prellschüssen, einer effektiveren Bewachung der Festung, den Lagermöglichkeiten in den Untergeschossen und in den oberen Räumen, den besser und sicherer platzierten Pulverkammern und mit der Aussicht, dass dieses System ein Jahr früher verteidigungsbereit sein werde. Der König stimmt zu und lässt das für den Bau vorgesehene Gelände für nicht ganz 38 000 Pfund kaufen, bezahlt jedoch die größere Hälfte erst im März 1707. Spätere Generationen werden bedauern, dass nicht 200 Hektar mehr angekauft worden sind, die Neuf-Brisach nach dem Zweiten Weltkrieg dringend für den Bau des Collège, einer Wohnsiedlung, ein Industriegebiet, benötigt hätte. Schon Ende des Jahres 1698 werden Truppen für die Erdarbeiten geschickt und 1699 befindet sich in der Rheinebene eine gigantische Baustelle, an der Tausende Arbeiter beschäftigt sind: unter anderem Maurer, Steinmetze, Gerüstbauer, Schlosser, Schreiner, Pflasterer und Zimmerleute; aus verschiedenen französischen Provinzen, aus Deutschland, Holland, Italien und der Schweiz.

Ein Holländer namens Van der Wiellen will, um das Ausheben der Gräben zu vereinfachen und zu beschleunigen, eine Maschine einsetzen, den Vorläufer der Bagger. Jean-Baptiste Régemorte, Generalunternehmer für die Arbeiten, lehnt ab und begründet seine Entscheidung damit, dass der Einsatz solcher Maschinen viele Arbeiter und Soldaten arbeitslos machen und in einem Jahr 400 Pferde krepieren lassen würde. Der für den Bau benötigte rote Sandstein wird in den Vogesen bei Rouffach und Pfaffenheim gebrochen. Vauban lässt für den Transport der Baumaterialien einen Kanal bauen, der später seinen Namen trägt. Eine vom provinzialrömischen Institut der Universität Freiburg bei Ausgrabungen in Ödenburg 2003 gefundene, zunächst für römisch gehaltene Münze entpuppte sich als 1699 geprägter Silbersol mit dem Bildnis Ludwigs XIV. und wirft die Frage auf: Sind beim Bau von Neuf-Brisach Steine aus der zwischen den heutigen Orten Biesheim und Kunheim gelegenen Valentinianischen Festung verwendet worden oder haben die Bewohner der Rheinebene deren Steine bereits in den 12 Jahrhunderten zuvor restlos abgetragen — zum Bau ihrer Häuser, bei der Bebauung des Breisacher Münsterberges oder für die Befestigungsanlagen von Altbreisach? Vauban kümmert sich auch um die Wasserversorgung der Stadt: "Man wird Wasser in dreizehn Fuß Tiefe finden ... klares und gutes Trinkwasser." Er rät davon ab, die Festungsgräben mit Wasser zu füllen; es könne allenfalls "die Belagerten in Schwierigkeiten bringen" und wäre "kein großes Hindernis für die Angreifer, welche die Gräben in zwei Tagen auffüllen könnten". Sein Hinweis, dass ein Wassergraben allenfalls dafür gut wäre, "die Belagerten in Schwierigkeiten zu bringen" , wird nicht ernst genug genommen. Man verhindert nicht, dass Regenwasser, Wasser vom Kanal und vom Rhein in die Gräben fließt und sorgt auch nicht für die notwendige Entwässerung . Das stehende Wasser fault und Neuf-Brisach wird von 1702 bis 1751 von mehreren Epidemien heimgesucht. Im Jahre 1705 sind 225 tote Kinder zu beklagen und 1751 allein 80 Familienväter. Eine vermeidbare Katastrophe — nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Vauban, dessen Traum von "der schönsten und stärksten Festung Europas" wohl auch deswegen nie ganz Wirklichkeit wurde.
Emil Göggel, 8.12.2007, www.badische-zeitung.de

 

(3) Besorgt um das Wohlergehen der Soldaten

2007 jährte sich der Todestag des bekannten französischen Architekten Vauban zum 300. Mal. Breisach hat in Kooperation mit Neuf-Brisach und anderen französischen Städten, in denen Vauban gewirkt hat, im Sommer 2008 die Chance, von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Für die Breisacher Lokalredaktion der Badischen Zeitung Grund genug, sich in einer dreiteiligen Serie näher mit Vauban zu beschäftigen. Nachdem sich die ersten beiden Teile vor allem mit Vauban als Baumeister der Festungen Breisach und Neuf-Brisach befassten, steht diesmal der Mensch Vauban im Blickpunkt.

Sein Zeitgenosse Saint-Simon, der viele große Persönlichkeiten der Epoche Ludwigs XIV. porträtiert hat, nennt Vauban "den rechtschaffensten Mann seines Jahrhunderts" . Dabei wird schnell deutlich, dass das Denken und Tun dieses außergewöhnlichen Mannes weit über Festungsbau und erfolgreiche Kriegsführung hinausreichen. Vauban dient seinem König 57 Jahre lang treu, mit beispiellosem Einsatz und allen seinen Fähigkeiten als Ingenieur und Mathematiker, als Soldat, Baumeister, Verwaltungsbeamter und Staatsmann. Wichtiger als der König ist ihm nur noch eines: der französische Staat und die Menschen, die darin leben. Am 15. April 1673 schreibt Vauban an den Kriegsminister Louvois, dass er in sechs Jahren nur drei Tage Urlaub gehabt habe, diese sogar noch heimlich und mit der Folge, dass er deswegen zurechtgewiesen worden sei. "Arm geboren und ohne Förderung durch einen einflussreichen Gönner, gelangte er auf die höchste Stufe der Gesellschaft aufgrund seiner Arbeit, seines Geschicks und seines tadellosen Verhaltens bei den 35 Belagerungen, die er leitete. Er verstärkte die Grenzen unseres Landes, baute 30 Festungen und setzte 300 wieder instand. Gemeinhin sagte man: ,Eine von Vauban belagerte ist eine eroberte Stadt; eine von Vauban befestigte oder verteidigte ist eine uneinnehmbare Stadt.’" (Larousse Universel von 1923).
Vauban gilt als gelehriger Schüler des Philosophen und Mathematikers Descartes, dessen analytische Denk- und methodische Vorgehensweise ihn leitet. Ausgehend von einem Maximum an Informationen über die belagerte Festung und ihre Schwachpunkte, entwickelt er eine auf drei Grundsätzen basierende Belagerungsmethode: 1. Systematische Besetzung des Geländes mit parallel geführten Laufgräben; 2. Durchdachter Einsatz der Artillerie, für die er unter anderem die "Prellschüsse" erfindet; 3. Vorausschauende Bemühungen, um die Verluste gering zu halten. Beim Umbau oder der Neuanlage von Festungen untersucht er stets die von seinen Vorgängern geschaffene Situation und die örtlichen Gegebenheiten. Dies setzt eine genaue Analyse vor Ort voraus, was ständige Reisen — 3000 bis zu 6000 Kilometer im Jahr — erfordert. Er plant, zeichnet und kalkuliert. Vauban kümmert sich aber auch um das Schicksal der einfachen Soldaten, fragt nach deren Lebensunterhalt und Besoldung und legt den in Friedenszeiten erforderlichen Personalbestand fest.

Seine Sorge ums Detail geht so weit, dass er das Rezept für "eine Getreidesuppe vorschlägt, die gesünder ist als das an die Soldaten verteilte schlechte Brot" . Um das Leben der Fußsoldaten zu erleichtern, ersetzt er die nur mit viel Zeitaufwand ladbaren Musketen und Spieße durch Gewehre mit Bajonettfassung. Seine menschliche Seite und seine religiösen Überzeugungen zeigen sich in einem Antrag an den Kriegsminister Louvois, die Sonntagsruhe für Soldaten einzuführen. "Schweiß erspart Blut" , war einer seiner Wahlsprüche. Und als die bei der Belagerung von Namur anwesenden Höflinge sich während der lange dauernden Schanzarbeiten an den Laufgräben langweilten und zu murren anfingen, verteidigte sich Vauban mit dem Argument: "Wir wollen mehr Pulver verschießen und weniger Blut vergießen."

Fontenelle, ein bedeutender Vorläufer der französischen Aufklärung, urteilt über ihn: "Dies war sein wichtigstes Ziel, die Erhaltung von Menschenleben. Nicht allein das Kriegsinteresse, sondern auch seine natürliche Menschlichkeit machten sie ihm teuer. Er opferte ihnen stets den Glanz einer rascheren Eroberung und die ziemlich verlockende Aussicht auf Ruhm."

Der engagierte Katholik Vauban verfasste übrigens 1689 eine Denkschrift gegen die Aufhebung des "Edikts von Nantes" und schilderte die schlimmen Folgen dieser Willkürentscheidung, mit der Ludwig XIV. der protestantischen Minderheit der Hugenotten die bürgerlichen und religiösen Rechte raubte und sie aus dem Land jagte. Auch hierin war er seiner Zeit weit voraus. Ebenso mit seinem revolutionären Steuerkonzept mit dem Titel La Dîme royale, in dem er schreibt: "Ihre Majestät kämen dabei besser auf ihre Rechnung und würden 200 000 Spitzbuben die Möglichkeit entziehen, sich auch weiterhin zu bereichern ... in Anbetracht der Tatsache, dass der vornehmste Adlige im Königreich ebenso wie der letzte Bauer im Voraus (seine Steuern) bezahlen würde." Das Buch wurde verboten. Vauban fiel beim Sonnenkönig nicht "in Ungnade" , wie die Geschichtsschreiber noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts behaupteten. Aber Macht und Einfluss der oberen Stände, die bei dieser Reform nur verlieren konnten, waren zu groß.
"Vaubans Persönlichkeit ist indessen so außerordentlich, so liebenswert und so verschiedenartig in ihren Fähigkeiten, sein Werk ist so gewichtig in den verschiedensten Bereichen, sein Briefwechsel und seine Schriften sind so reich an Ideen und an Fakten, dass man immer noch etwas Neues darüber wird sagen können." Dieser Würdigung durch den französischen Historiker Alfred Rebelliau ist allenfalls zweierlei hinzuzufügen: Die im neuen Stadtteil "Vauban" wohnenden Freiburger können stolz auf ihren Namensgeber sein; die Breisacher indessen könnten, falls ihre Stadt tatsächlich Vaubans wegen zum Weltkulturerbe gezählt werden sollte, überlegen, ob ihm nicht ein Platz oder ein Brunnen zukäme.
Emil Göggel, 19.1.2008, www.badische-zeitung.de

 

Vauban - wer war er und wer war er nicht?

„Wollen Sie, dass ich erkläre, dass eine Kurtine zwischen zwei Bastionen liegt, dass eine Bastion aus einer Spitze und zwei Seiten besteht, usw., das ist nicht meine Sache.“  (MV 56)
Eingrenzung und Begründung meines Themas, formuliert mit Vaubans eigenen Worten (aus einem Brief an den Ingenieur Thomassin): Meine Sache ist es nicht, Festungsbauten zu beschreiben und die dabei leitenden militärischen Überlegungen zu erläutern. Meine Absicht ist es, Ihnen den Menschen Vauban vorzustellen. Statt eines biographishen Überblicks Stichwörter aus der kurzgefassten Biographie des Larousse universel von 1923:

Seigneur de Sébastian le Prestre (1633-1707)
Militäringenieur und Marschall von Frankreich,
-  gelangte arm geboren und ohne Förderung durch einen einflußreichen Gönner auf die höchste Stufe
   der Gesellschaft,
-  dies aufgrund seiner Arbeit, seines Geschicks und seines tadellosen Verhaltens.
-  Er verstärkte die Grenzen unseres Landes, baute 30 Festungen, setzte 300 instand. 
-  Saint-Simon bezeichnete ihn als „den rechtschaffensten Mann seines Jahrhunderts“. 
-  Geleitet vom Gefühl echter Menschlichkeit forderte er in seinem „Projekt eines königlichen
   Zehnten“,
Steuergleichheit, was ihn bei Ludwig XIV. in Ungnade fallen ließ.

Zum Einstieg Urteile und Vorurteile, die deutlich machen, wie unterschiedlich das Bild ist, das sich unsere Zeitgenossen von Vauban machen, schon deswegen, weil sie meist nur vom dem Festungsbauer Vauban gehört haben.

  • Vauban war laut Badischer Zeitung -  Sommer-Universität 2006 - „ein harter Knochen", ein „Adliger und Militarist“, - typisches Beispiel für die Nutzung von Google und Wikipedia als rasch und bequem zugängliche, aber fragliche Informationsquellen – das Gegenbeispiel der weit fundiertere Bericht von Wulf Rüskamp Ende März 2007 der Vauban zwar als den „Bollwerker“ und „lustvollen Zerstörer“ vorstellt, ihm aber in wesentlichen Punkten gerecht wird.

  • für den Rheinischen Merkur ein "friedloser Festungsbaumeister", "Architekt des Krieges" und „ein Name, der sich schaurig mit Krieg und Festungsbau verbindet ...“

  • Die Zeit nannte ihn einen "einsamen Frondeur der Vernunft" – „vielleicht ein Haudegen, gewiss kein Kommisskopf“

  • für unsere französischen Nachbarn: "Ingenieur und Soldat", Titel einer eben in Frankreich erschienenen Biographie, mehr als das  Michel Parent nennt ihn „einen Enzyklopädisten, bevor es den Begriff überhaupt gab“. 

Pascal Remy, in Colmar, zeichnet am 30. März 2007 zum 300. Todestag Vaubans in den DNA ein Bild, das dem großen Franzosen - von seinen Biographen in der Nachfolge Descartes gesehen und nicht selten in die Nähe Leonardo da Vincis gerückt - weitaus gerechter wird. Mit „Humaniste Infatigable“ (ein unermüdlich tätiger Humanist) ist sein „Nachruf“ überschrieben, im Untertitel zitiert Remy in verkürzter Form Vaubans berühmten Leitsatz: „La sueur plutôt que le sang“ (Lieber Schweiß als Blut) und vergißt auch nicht auf Vaubans mutiges Eintreten für die aus dem Land gejagten Huguenotten hinzuweisen.

Vaubans Bild wird also oft schief, teilweise sogar falsch gezeichnet. Meine erklärte Absicht:  Dieses Bild korrigieren, einem Mann gerecht  werden, der in einer ganz anderen Zeit - in der Hochzeit des französischen Absolutismus, der Epoche des Sonnenkönigs – so lebte und wirkte, dass viele seiner Charakterzüge und  Verhaltensweisen noch heute vorbildlich erscheinen. In einem Brief an den für die Befestigungsanlagen des Landes Verantwortlichen (1693 an Le Peletier de Souzy), gibt uns der Sechzigjährige eine lesenswerte Selbsteinschätzung: „Zu einem guten Baumeister wird man nur im Verlauf von fünfzehn oder zwanzig Jahren eifriger Tätigkeit, darüber hinaus muss er mit verschiedenen Dingen befasst und sehr fleißig sein. ... ich habe eine recht gute Meinung von mir, wenn ich mich für den stärksten der ganzen Truppe halte und für fähig die Geschicktesten anzuleiten, und - all das berücksichtigt - halte ich mich, wenn ich mich prüfe, nur für einen halben Ingenieur nach vierzig Jahren sehr, sehr großer Anstrengung und der größten jemals dagewesenen Erfahrung.“ (MV 58)

Vauban war der bedeutendste Festungsbaumeister seiner Zeit – die Franzosen nennen ihn „Belagerungskünstler“, „poliorcète“. Er hat den Festungsbau als „Wissenschaft“ betrieben und den Festungskrieg als eine geistige Herausforderung, als eine „Kunst“ angesehen. Seine Verteidigungskunst entwickelte sich aus den bei der Belagerung gewonnenen Einsichten („...bei 140 Kampfmaßnahmen war er dabei.“ - MV 69).

Vauban ist aufgestiegen vom einfachen Landadligen in den Rang eines „Maréchal de France“, auf die höchste Stufe, die für ihn im absolutistischen System des Sonnenkönigs erreichbar war. Aufhorchen ließ uns schon die oben aus dem Nachruf zitierte Würdigung durch Saint-Simon, der uns eine kritische Bestandsaufnahme der Regierungszeit Ludwigs XIV. hinterlassen hat. Er bezeichnete Vauban als „den rechtschaffensten Mann seines Jahrhunderts“. Aufhorchen lässt auch ein Satz Vaubans aus seiner Denkschrift an den Herzog von Burgund, der bei der Darstellung des „anderen Vauban“ als Merk- und Leitsatz dienen mag:

„Les hommes naissent tous roturiers. Il n’y a que leurs actions qui les anoblissent.“
„Die Menschen werden alle als einfache Bürger geboren. Allein ihre Taten adeln sie.“
Vauban in seiner Denkschrift an den Herzog von Burgund

Hören wir das Urteil von zwei weiteren seiner Zeitgenossen:
Fontenelle, einer der bedeutenden Vorläufer der französischen Aufklärung, urteilt so über ihn: „Dies war sein wichtigstes Ziel, die Erhaltung von Menschenleben. Nicht allein das Kriegsinteresse, sondern auch seine natürliche Menschlichkeit machten sie ihm teuer. Er opferte ihnen stets den Glanz einer rascheren Eroberung und die ziemlich verlockende Aussicht auf Ruhm." (MV 69) Fontenelle fügt hinzu: „Und was manchmal noch viel schwieriger ist, er widerstand zu ihren Gunsten (der Erhaltung von Menschenleben) der Ungeduld der Generäle und setzte sich dem fürchterlichen und gefährlichen Geschwätz des untätigen Höflings aus.“ (MV 69)

Voltaire konstatiert, Vauban habe bewiesen, „qu’il pouvait y avoir des citoyens dans un gouvernement absolu“, dass es auch in einem absolutistischen Regierungssystem „Bürger“ geben könne.

Vauban ein „citoyen“ - weshalb kommt Voltaire zu dieser geradezu widersprüchlich erscheinenden Einschätzung eines Mannes, der Ludwig XIV. und der französischen Monarchie sein ganzes Leben lang loyal und mit nicht überbietbarem Einsatz gedient hat? Vauban selbst mag diese Frage mit einer seiner entschiedensten Äußerungen beantworten: „Ich fühle mich verpflichtet, dies bin ich meiner Ehre schuldig, Ihrer Majestät vor Augen zu führen, , dass ich den Eindruck hatte, dass man die ganze Zeit über nicht genügend Rücksicht auf das einfache Volk genommen und dass man sich zu wenig um es gekümmert hat ...“  (V 39

Was ist das für ein Mann, der einen solchen Vorwurf – nach langer und gründlicher Überlegung – zu Papier bringt und  ihn im Vorwort seiner „Dîme royale“ dem mächtigsten und einflußreichsten Mann seiner Epoche , dem „Sonnenkönig“ vorträgt?

Eine sehr aufschlussreiche Äußerung findet sich in einem drei Jahre zuvor geschriebenen Brief (1697) an den Marquis von Cavoye: „Ich bin etwas starrköpfig und unbeugsam, wenn ich meine, Recht zu haben. Ich liebe die Person des Königs wirklich und wahrhaftig, weil ich dazu verpflichtet bin, aber unvergleichlich mehr deswegen, weil er mein Wohltäter ist, der stets gütig zu mir war, deswegen bin ich dafür uneingeschränkt dankbar, ihm möge, das gebe Gott, niemals etwas fehlen. Ich liebe mein Vaterland bis zum Wahnsinn, weil ich überzeugt bin, dass jeder gute Bürger es lieben und alles für es tun muss, zwei Begründungen, die auf dasselbe hinauslaufen.“ (MV 361)  
Getragen von der Überzeugung, dass es nur seine Taten sind, die einen Menschen adeln hat Vauban sich emporgearbeitet - nicht durch Anpassung und Willfährigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten, sondern durch bedingungslosen Einsatz, durch außergewöhnlichen Fleiß, durch unermüdliche Arbeit im Dienste seines Königs. Hinzu kommen herausragende Leistungen auf vielen verschiedenen, über seine beruflichen Aufgaben hinausgehenden Gebieten. Er war Ingenieur und „homme de lettres“, allseitig interessiert, weil sein Interesse - bei allen seinen Aktivitäten - den davon betroffenen Menschen galt. Sein bedingungsloser Einsatz  zeigt sich vielfach und in vielfältigen Formen. Die erste Beförderung - vom einfachen Soldaten zum Unteroffizier - verdankt er einer kühnen Bravour-leistung: Beim Gegenangriff auf Sainte-Menehould (etwa 30 km westlich von Verdun gele-gen) durchschwimmt er im November 1652 unter feindlichem Beschuss die Aisne, um einen anderen Zugang in die Festung zu entdecken, und wird für diese erfolgreiche Erkundung ausgezeichnet. Bereits zwei Jahre später bei der Belagerung von Arras und Clermont wird dem Einundzwan-zigjährigen der Befehl über die Schützengräben übertragen. Im Verlauf seiner ersten fünf Soldatenjahre wird er viermal verwundet, zuletzt 1656 bei der Belagerung von Valenciennes schwer. Im Jahre 1658 befehligt er vor Gravelines, Ypres und Oudenarde als Fünfundzwamzigjähriger schon die Angriffstruppen. Sein bedingungsloser Einsatz bei den ihm übertragenen Aufgaben wird an einem anderen Aspekt ebenfalls sichtbar. Am 15. April 1673 schreibt Vauban an den Kriegsminister Lou-vois, dass er im Verlauf von sechs Jahren nur drei Tage Urlaub gehabt habe, diese sogar noch heimlich und mit der Folge, dass er deswegen zurechtgewiesen worden sei. (MV 93)

Vaubans außergewöhnlicher Fleiß, seine unermüdliche Arbeit, sie sind ein geradezu extremes Gegenbeispiel zu den Lebensentwürfen und Leitvorstellungen unserer Freizeit- und Spaßgesellschaft. Er war - man kann es kaum anders sagen - ein „Arbeitstier“ (un bourreau de travail). Dies sei an zwei ganz unterschiedlichen Aspekten seiner Alltagswirklichkeit veranschaulicht:

  • Erstes Beispiel: Wir müssen uns vorstellen, was es heißt jedes Jahr 3000 bis 6000 km zu reisen - nicht im TGV oder mit dem Airbus, gelegentlich mit dem Schiff, meistens wohl zu Pferd, in einer von Pferden gezogenen Kutsche oder in einer von Maultieren getragenen Sänfte, oder gar zu Fuß; auf, wie er schreibt, „fürchterlichen Wegen, die der Teufel gemacht hat“ (MV 233).

  • Zweites Beispiel: Wir müssen uns klar machen, welche Arbeit hinter tausenden von Seiten steckt, die er uns mit seinen Schriften hinterlassen hat:

Allein 15 Denkschriften und Abhandlungen zum Thema Festungen, darunter sein Traité sur l’attaque des places ((1704), ein für den Herzog von Burgund geschriebenes Lehrbuch über die Belagerung von Festungen. Darin fasst er kurz vor seinem Tod seine früheren Schriften zu diesem Thema zusammen und hält die Früchte seiner langen Erfahrung fest. Schon die Übersicht zeigt einerseits, dass er immer sehr systematisch vorging, sie läßt andererseits erkennen, wie konkret und realitätsnah er dachte und plante. Er beschreibt u.a. die sechs für den Erfolg einer Belagerung entscheidenden Faktoren: 1. die Geheimhaltung - 2. die zur Verfügung stehenden Kräfte – 3. die Situation des Gegners – 4. der Bestand der Magazine (von  200 Schubkarren und 200 Kiepen bis zu 40.000 mit guten Stielen versehenen Werkzeugen zum Ausheben der Laufgräben) – 5. die Jahreszeit – 6. die zur Verfügung stehenden Gelder.

  • Zehn Schriften zur Kriegsführung, unter ihnen die Denkschrift zur Reorganisation der Armee, 530 Seiten über Möglichkeiten unsere Truppen zu verbessern und eine ständige und ausgezeichnete Infanterie aufzustellen, sowie eine besondere Darstellung Über die Kriegsversehrten.

  • Fünfzehn Politische Reflexionen, darunter der Text Legitime Möglichkeiten, um Frieden zwischen den christlichen Fürsten zu schaffen, eine Abhandlung mit dem Titel Denkschrift über die Feinde Frankreichs und dreizehn Seiten über die Frage: Ob die Könige von Frankreich absolute Herren über Leben und Güter ihrer Untertanen sind.

  • Elf Abhandlungen über die Steuern. Zu dieser Gruppe gehört Vaubans berühmtester Text La dîme royale - Der königliche Zehnte, mit dem er die dramatisch gewordene Situation des Volkes ändern wollte.

  • Fünf Aufsätze über die Religion, darunter sein Protest gegen die Vertreibung der Hugenotten aus dem französischen Königreich.

Außerdem drei Texte über die französischen Kolonien - darunter sein Projekt zur Er-schließung und Besiedlung Kanadas als Beispiel einer „colonisation militaire“, sowie 31 Texte zu ganz verschiedenen Themen:

  • Über die Schweinezucht und über die Unsterblichkeit der Seele.  

  • Über das Geld, den Waldbau und die Manufakturen.

  • Über die hohen Getreidepreise und die Kunst zu bauen.

  • Über die Trockenlegung und Bewässerung der Wiesen sowie über das Torfstechen.

  • Über den Handel der vereinigten niederländischen Provinzen in verschiedenen Weltteilen.

  • Über den Waldbau und die zerstörerischen Wirkungen des Spiels.

Im Jahre 1698 schreibt er einen Brief über die Art und Weise, wie man Statistiken erstellt und führt in der Theorie das aus, was er zuvor mehrfach schon in die Praxis umgesetzt hatte. Als einer der Ersten – so vermerkt es die Brockhaus Enzyklopädie - verwendete er  sozial-statistische Methoden zur Untersuchung von Bevölkerungsbewegungen und der Einkommensentwicklung.

Vauban war – dies wurde  an den zahlreichen zitierten Beispielen sichtbar - ein Mann mit höchst vielfältigen Interessen und einem geschulten  Blick für aktuelle Probleme. Sein Bestreben, seinem Land oder dem König „nützlich zu sein“ verleiten, nötigen ihn immer wieder, wie er in einem Brief an Louvois (im Dezember 1673) schreibt, „über andere Sachen, nicht nur über Steine und Ziegel zu reden“ (MV 309). Nach einer Inspektionsreise ins Languedoc 1686 richtet er an den Marquis de Seignelay, den für die Schifffahrtswege verantwortlichen Minister, eine Denkschrift über den Kanal zwischen den beiden Meeren, der das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet. Vauban erkennt die durch den leichteren Warenaustausch zwischen den Provinzen und einen wachsenden Geldstrom erreichbaren günstigen Auswirkungen. Er sieht die klimatischen und geographischen Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen und folgert daraus, „dass wenn bei den einen Überfluss herrscht, bei den anderen die Hungersnot sich breit macht, so dass es leicht sein wird, dem durch die Kanalschifffahrt abzuhelfen.“ (MV 230). Nach Vaubans Meinung ist es Aufgabe des Königs, die Verbindungswege zwischen den verschiedenen Teilen des Reiches zu schaffen, damit die an dafür günstigen Orten erzeugten Produkte dorthin transportiert werden können, wo sie gebraucht werden. Er rät dabei entschieden von der Vergabe von Bauarbeiten der öffentlichen Hand an private Unternehmer ab, weil ein mit Benutzungsrechten und Mautgebühren belasteter Kanal den Handel nur wenig  voranbringe.

Auch in seiner Abhandlung über die Flussschifffahrt von 1699 demonstriert Vauban mit seinen Berechnungen die Überlegenheit der Wasserwege und fordert dazu auf, die Flüsse schiffbar zu machen. Auf der Basis eigener Beobachtungen, sowie ihm zugesandter Karten und Abhandlungen, entwirft er einen Gesamtplan, in den 143 Flüsse einbezogen sind. (MV 233/34) Seine Vorschläge für ein alle schiffbaren Flüsse Frankreichs verbindendes Kanalsystem werden 200 Jahre später durch den für die öffentlichen Arbeiten zuständigen Minister Saulces de Freycinet (1828-1923)  verwirklicht.

Ein anders geartetes Beispiel für Vaubans breit gestreutes Interesse: seine Abhandlung über die Pflege des Waldes von 1701. Er macht die Erfahrung: Wer baut, der zerstört auch und zieht daraus die notwendigen Schlüsse: Fast 200 Jahre bevor sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Ökologie als Wissenschaft etabliert und ökologische Forschung zunehmend systematisch betrieben wird, interessiert sich Vauban für ökologische Fragen.
Seitdem er bei einer Reihe seiner Projekte die Abholzung von größeren Waldstücken miterlebt und die schädlichen Folgen beobachtet hat, die sich daraus ergeben, beschäftigt er sich im Detail mit der Anpflanzung neuer und der Pflege bestehender Wälder. Er plant Pflanzschulen, beschäftigt sich mit verschiedenen Pflanzungsarten, mit der Gestalt und der Größe von Bäumen und mit dem Baumschnitt. Er beklagt,  „dass es in Frankreich fast überall an Holz zum Bauen fehlt oder dass es, zumindest, sehr rar geworden ist und von Tag zu Tag rarer wird. Ich kenne Landstriche, wo es mehrere tausend Tagwerk Hochwald gegeben hat, wo man jetzt kaum noch zehn finden würde; alles ist verkauft, gefällt und zersägt worden“ (VI 78).

Vauban erkennt, dass Neupflanzungen erst sehr viel später verwert- und nutzbar sind und zieht daraus einen sehr wichtigen Schluss: „Die Zeit, die man abwarten müßte bis zum Fällen dieser Bäume, wäre zu lange, als dass private Waldbesitzer sich leicht damit abfinden würden, weil ihr Blick nicht vier oder fünf Generationen über die eigene hinausreicht. Daraus folgere ich, dass der Anbau dieser neuen Wälder die Aufgabe von Königen, wohlhabenden Fürsten, der Allgemeinheit und großer Mönchsgemeinschaften ist.“ (VI 79)

„Für gleiche Arbeit gleichen Lohn“ (MV 169), so überschreibt Vaubans Biographin Michèle Virol das Kapitel, in dem sie sich mit Vaubans grundsätzlichen Überlegungen zu einer gerechten Entlohnung der beim Festungsbau eingesetzten Soldaten beschäftigt. Seit 1669 ist Vauban Generalinspektor sämtlicher französischer Festungen. Seine in einer von ihm selbst überarbeiteten Handschrift überlieferte Dienstanweisung zur Regelung der Bewegung und des Transports von Erdreich“ belegt einmal mehr, wie gründlich und wie sorgfältig er jede Aufgabe anpackt, die er sich stellt.

Höchste Zeit, nachzufragen: Was veranlasst, was bewegt, was motiviert einen Mann, der vor drei Jahrhunderten gelebt hat, zu solch außergewöhnlichen Leistungen. Die klarste und bündigste Antwort haben wir bereits gehört:´„Die Menschen werden alle als einfache Bürger geboren. Allein ihre Taten adeln sie.“ Aus diesen Worten spricht nicht der Untertan eines absolutistisch regierten Obrigkeitsstaates, nicht der willfährige Befehlsempfänger in einem despotischen System. Vauban respektiert und vertritt zwar ein Leben lang die absolute Monarchie, den grundsätzlich unbegrenzten Machtanspruch des Staates. Die in seiner Jugend gemachten frühen Erfahrungen haben ihn geprägt. In der Zeit der Fronde hat er die Gefahr der Auflösung der staatlichen Einheit und die Gefahr der Herrschaft privilegierter Interessengruppen im Staat erlebt, hat erlebt, was ein Rückfall in den Feudalismus für die Monarchie und für die breite Masse des Volkes bedeutet. Vauban vertritt dieselbe Ansicht wie Saint-Pierre (sein Zeitgenosse und erklärter Regimekritiker, 1718 wegen seiner Kritik am Absolutismus aus der Académie française ausgeschlossen): „Nicht ein ererbtes Recht, sondern der in Prüfungen erbrachte Nachweis von Kenntnissen, sowie Leistungen in der beruflichen Praxis sollten den Weg in die hohen staatlichen Stellen öffnen.“ (WG 74) Nicht nur darin, auch in der Überzeugung, dass Vernunft, Wissen und Einsicht die Menschen auf dem Weg zu moralischer Perfektion voranbringen können, waren beide übrigens der Aufklärung sehr nahe. Der engagierte Katholik Vauban setzt sich engagiert und ohne Vorbehalt für die verfolgte protestantische Minderheit ein: Er adressiert seine Denkschrift zum Rückruf der Hugenotten 1689 gegen die Aufhebung des „Edikts von Nantes“ an den Kriegsminister Louvois und schildert darin die schlimmen Folgen der Willkürentscheidung, mit der Ludwig XIV. den Hugenotten ihre bürgerlichen und religiösen Rechte raubte und sie aus dem Land jagte. Auch hierin ist er seiner Zeit weit voraus. Er schreibt: „Die Könige sind sehr wohl Herren über das Leben und die Güter ihrer Untertanen, niemals jedoch über ihre Meinungen, weil die inneren Gefühle außerhalb ihres Machtbereichs liegen, und Gott allein sie lenken kann, wie es ihm gefällt.“ (V 33)
Vauban argumentiert - seiner Denkweise entsprechend - klar und überzeugend, weil sachlich, realitätsnah und adressatenbezogen: „Dieses so fromme, so heilige und so gerechte Vorhaben hat eine unendliche Zahl von für den Staat sehr schädlichen Übeln verursacht und kann dies noch weiterhin tun.“
Er zählt - nüchterne Zahlen nennend -  die folgenden auf:

  1. Auswanderung von 80.000 bis 100.000 Personen, die mehr als 30 Millionen Pfund mitgenommen haben.

  2. Ein fürchterlicher Schlag für das Handwerk und für die privaten Manufakturen, die erhebliche Summen Geld aus allen Teilen Europas nach Frankreich geholt habe ein gewaltiger Zusammenbruch des Handels.
  3. Anwachsen der feindlichen Flotten durch 8.000 bis 9.000 der besten Matrosen des Königreichs.
  4. Zuwachs in ihrer Armee um 500 bis 600 Offiziere und 10.000 bis 12.000 Soldaten, um vieles kampferprobter als ihre eigenen. (vgl. MV 320)

Und er zeigt, dass er auch seine historische Lektion gelernt hat: „Das Blut der Märtyrer aller Religionen war immer sehr fruchtbar und ein unfehlbares Mittel, um die stärker und größer zu machen, die verfolgt worden sind.“ (MV 326)
Der Historiker Werner Gembruch fragt in seinen Untersuchungen zum ancien régime und zur Französischen Revolution nach den Reformforderungen im Frankreich Ludwigs XIV. und kommt zu dem Ergebnis: „Nur außergewöhnliche Umstände konnten den Marschall zu einer solchen oppositionellen Aktivität veranlassen, nämlich die fortschreitende Lähmung des wirtschaftlichen Lebens, die verbreitete Armut und die Gefahr für den territorialen Bestand und die Existenz des Staates. Er war überzeugt, mit seinem Reformplan einen Ausweg aus dieser Notlage gefunden zu haben. Der Wille zur Rettung des Staates und zur Behauptung der nationalen Freiheit war hier bei ihm stärker als die Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit.“ (WG 82)

Auf seinen vielen Reisen und bei seiner Arbeit kommt Vauban in engen Kontakt mit den einfachen Leuten in den Städten und auf dem flachen Land, er hat ständigen Kontakt mit den gemeinen Soldaten. Er kennt die Not der unteren sozialen Schichten aus unmittelbarem Erleben, hört immer wieder die lauter werdenden Klagen aus allen Grenzregionen und aus allen Küstenstrichen des Königreichs.  Schon 1701 – fast ein Jahrhundert vor dem Ausbruch der Französischen Revolution - warnt Vauban den König in einem Brief vor den „étincelles de révoltes“ vor den „Funken von Aufständen“, vor einer „sicher gefährlichen Stimmung“ in weiten Kreisen des Volkes, die eine Veränderung der bestehenden Ordnung erzwingen wollen.

In seiner Denkschrift „La Dîme royale“ trägt er dem König seine Einschätzung der sich dramatisch verschlechternden Situation vor. Er zeichnet ein anschauliches Bild von der Not des Volkes und gibt ein fundiertes Urteil ab über die Schwächen der sozialen Ordnung und des absoluten Regierungssystems in Frankreich in der zu Ende gehenden Regierungszeit des Sonnenkönigs. Wenige Schlaglichter müssen genügen, um sich ein Bild von der damaligen Zeit zu machen. Im Jahre 1648 geht der Dreissigjährige Krieg zu Ende. Deutschland ist verwüstet und zugrunde gerichtet. Frankreich (Richelieu), das zunächst  die Gegner Habsburgs nur heimlich unterstützt hat, greift 1635 auf der Seite der Schweden, der Niederlande und der deutschen Protestanten in den Krieg ein und erzwingt mit seinen Siegen bei Rocroi (1643) und Lens (1648) den Westfälischen Frieden. Es erwirbt den habsburgischen Besitz im Elsass, sein Anspruch auf die lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun und das Besatzungsrecht im rechtsrheinischen Philippsburg wird bestätigt; es gewinnt Breisach dazu. Danach, d.h. während Vaubans aktiver Zeit - von 1652 bis 1706 - sind die französischen Truppen (im Verlauf von 45 Jahren) in 292 wichtige militärische Ereignisse verwickelt: Sie verteidigen 90 Mal eine Stadt oder eine Festung und sind an 202 Belagerungen beteiligt. Vauban war bei 41 dieser  Aktionen (B: 35  -  V. 6) dabei.

Kriege kosten Geld,  kosten weit mehr als die wirtschaftlichen Impulse, die sie geben, ein-bringen. Auch hier nur wenige Schlaglichter zur Veranschaulichung: Der Pfälzische Krieg dauert von 1688 bis 1697. Aufgrund eines königlichen Erlasses von 1689 sind in Frankreich Möbel und Geschirr aus Silber an die staatlichen Münze abzugeben und werden eingeschmolzen. Der König selbst geht mit seinem Beispiel voran und trennt sich 1690 von seinen schönsten Silbergeräten. Der Anteil von Edelmetallen bei der Münzprägung wird herabgesetzt. Neue käufliche Ämter, die Geld in die Kasse bringen, werden geschaffen. 1693 wird das Recht auf Akteneintrag mit einer neu geschaffenen Steuer belegt. Trotz all dieser Maßnahmen beträgt das Defizit bei den königlichen Finanzen immer noch 72 509 990 Pfund. Die Finanzen des Staates sind heillos zerrüttet. (nach MV 246):

Vaubans dringender Vorschlag in dieser verfahrenen Lage: Durch eine grundlegende Reform der Steuerverfassung einen Weg zu beschreiten, auf dem man über eine Steigerung der Staatseinnahmen das eigentliche Ziel, „le bonheur des peuples“, „das Glück des Volkes“ erreichen könne.

Das einfache Volk in Frankreich leidet Not. Im Jahre 1689 – in einem Jahr das die Geschichtsschreibung nicht als Zeit einer Hungersnot bezeichnet – gibt der Schriftsteller La Bruyère in seinen Caractères seine berühmt gewordene Beschreibung der Bauern in Frankreich: "Eine Art wilder Tiere, männliche und weibliche, sieht man dort verstreut auf den Feldern, schwarz, aschgrau und ganz verbrannt von der Sonne, an die Erde gefesselt, die sie verbissen und unerschütterlich durchwühlen und hin und her schieben; sie geben so etwas wie artikulierte Laute von sich und wenn sie sich auf ihre Füße stellen, zeigen sie ein menschliches Gesicht, und tatsächlich, es sind Menschen; nachts ziehen sie sich in ihre Schlupflöcher zurück, wo sie von Schwarzbrot, Wasser und Wurzeln leben; sie ersparen anderen Menschen die Mühe, zu sähen, zu pflügen und zu ernten, und also verdienen sie, dass es ihnen an dem Brot, das sie gesät haben, nicht mangelt.“ (La Bruyère: Les Caractères, 333)

Vauban, als „le vagabond du roi“ auf den Straßen des Königreichs unterwegs, zeichnet ein ähnliches Bild, das insbesondere für die Jahre 1692 bis 1695 gilt, als der Getreidepreis sich infolge schlechter Ernten verfünffacht. „Alles, was einfaches Volk genannt wird, lebt nur von Brot aus Gerste und Hafer gemischt, denen nicht einmal die Kleie entnommen wird. Außerdem ernähren sie sich von schlechten meist wilden Früchten und von ein bisschen Kräutern aus ihren Gemüsegärten, in Wasser gekocht, mit etwas Nussöl daran, meistens ohne oder mit ganz wenig Salz. Dem muss man hinzufügen, dass sie unter ihrer Nacktheit leiden, weil drei Viertel von ihnen, Sommer wie Winter nur mit halb verfaultem, zerrissenem Leinenstoff bekleidet sind und Holzschuhe tragen, in denen sie das ganze Jahr über nackte Füße haben.“ (H 60)

Die ungeschönte, schonungslose Begründung Vaubans für seine revolutionäre Steuer-verfassung lautet: „ ... weil eben dieses Volk erdrückt wird von der Steuer für die Leibeigenen, von der Salzsteuer, von indirekten und tausend anderen Steuern und noch mehr vom Hunger.“ (V 36)

Vauban war – wie bereits erläutert - bei seinen Reisen durch das ganze Königreich Zeuge dieser Ungerechtigkeiten und Nöte geworden. Er forderte die Abschaffung des willkürlichen Steuersystems mit seinen ungerechten Ausnahmen zugunsten des Adels, der hohen Geistlichkeit, der Generalsteuerpächter, der Beamten und anderer Stützen des Regimes.

Er fordert „den königlichen Zehnten“, eine einzige Steuer auf alle Arten von Einkünften. Dabei kommt er zu dem Schluß: „Ihre Majestät kämen dabei besser auf ihre Rechnung und würden 200.000 Spitzbuben die Möglichkeit entziehen, sich  auch weiterhin zu bereichern ... in Anbetracht der Tatsache, dass der vornehmste Adlige im Königreich ebenso wie der letzte Bauer im Voraus (seine Steuern) bezahlen würde.“ (V 36) 

Vauban rechnet zwar mit Kritik an seinen und Widerstand gegen seine Pläne. Dafür hat das geltende Steuersystem mit seinen vielen Ausnahmen und Sonderregelungen zu viele  Nutznießer: „Die Abgeordneten und die Empfänger der von den Leibeigenen und Nichtadligen gezahlten Steuern werden ganz bestimmt viel dagegen vorzubringen haben, denn   ihnen werden etliche kleine Annehmlichkeiten entzogen. ... Vielleicht wird das Volk zunächst aufschreien, weil alles Neue es erschreckt; aber es wird sich bald beruhigen, wenn es auf nicht mehr anzuzweifelnde Art und Weise erkennen wird, dass diese Neuerung sich zum wichtigsten und ganz bestimmten Ziel gesetzt hat, es viel glücklicher zu machen, als es ist. (Dixme Royale, p.172 - V 37)

Das Buch wird verboten. Vaubans größtes und  die Zeiten überdauerndes Ruhmesblatt, sein Werk „Projekt eines  königlichen Zehnten“ - geprägt vom Idealbild einer Gesellschaft, in der jedes Mitglied seinen solidarischen Beitrag für die Allgemeinheit leistet (vgl. MV 253) - erreicht seinen Adressaten nicht, seine Verbreitung wird verhindert. Die Chance zu einer entschiedenen Kurskorrektur in der Verwaltung des absolutistisch regierten Staates wird nicht gesehen und nicht genutzt.

Das Ergebnis seines mehr als zwanzig  Jahre dauernden intensiven Beobachtens, Nachdenkens und Rechnens, das Ergebnis einer ebenso langen oft kontroversen Diskussion mit mehr oder weniger gleichgesinnten, auf jeden Fall sachkundigen und ernsthaft bemühten  Gesprächspartnern, es findet vor den Augen des Königs, nach zunächst wohlwollender Aufnahme, keine Gnade. Vauban hat einmal mehr gewagt, politischen Vorstellungen, Plänen und Maßnahmen zu widersprechen und offene Kritik an dem beklagenswerten Zustand zu üben, in den des Sonnenkönigs Regierung das französische Volk gebracht hat.
Saint-Simon trug zur Legendenbildung bei, als er nach Vaubans Tod verbreitete, die Undankbarkeit seines Königs habe Vauban getötet. Vauban fiel nicht „in Ungnade“, wie die Geschichtsschreiber noch bis Mitte der sechziger Jahre des 20. Jhdts behaupteten, Macht und Einfluß der oberen Stände, die bei dieser Reform nur verlieren konnten, waren zu groß. Louis le Grand, wie die Franzosen sagen, befand sich in schweren finanziellen Nöten und konnte sich nicht gleichzeitig mit dem Adel, der hohen Geistlichkeit, den Steuerpächtern und den Beamten  in seinem absolutistischen Staat anlegen. Eine Entscheidung des Conseil privé vom 14. Februar 1707 verfügt, „dass das genannte Buch gesucht und aufgespürt werden soll und dass alle Exemplare, die sich davon finden lassen, sichergestellt, beschlagnahmt und eingestampft werden.“ Vauban gibt indessen noch nicht auf. Er schreibt am 3. März 1707 an einen befreundeten Ingenieurkollegen (Jean de Mesgrigny): „Das Buch zum königlichen Zehnten macht so großen Wirbel in Paris und am Hof, dass man die Lektüre durch einen Ratsbeschluss hat verbieten lassen, der nur dazu diente, jedermanns Neugier so sehr anzustacheln, dass, wenn ich tausend davon hätte, mir im Verlauf von vier Tagen kein einziges verbleiben würde. Von allen Seiten erhalte ich dafür sehr hohes Lob. Aus diesem Grund werde ich es noch einmal durchgehen und davon eine zweite korrektere und besser lesbare Ausgabe machen können.“ (MV 355)

Vier Wochen später ist Vauban tot. Er hat seine letzte Schlacht, den ihm wichtigsten Kampf, den Kampf um das allgemeine Wohl, verloren. Ludwig XIV. verlor in ihm , nach seinen eigenen Worten „einen meiner Person und dem Staat sehr ergebenen Mann“ (MV 358). Frankreich verlor, Saint-Simon zufolge, „den besten der Franzosen“. (MV 358)

Das mag, trotz allem, was wir über Vauban gehört haben, noch nicht jedem einleuchten. Deswegen lasse ich noch einmal seine Biographin Mireille Virol zu Wort kommen: "Als sich 1686  eine neue Koalition gegen Frankreich bildet, entfernt sich Vauban von der von Ludwig XIV. verfolgten Politik. Er denkt an Verteidigung, während der König seine Annexionen fortsetzt. Er macht sich Sorgen über das schlimme den Protestanten bereitete Schicksal, während der König die religiöse Einheit feiert, er beklagt den Zustand der Provinzen in den Jahren 1693-1694, während Versailles Feste feiert, er stimmt nur mit großen Vorbehalten den Bedingungen des Friedens von Ryswick (1697) zu und, noch viel weniger, der Fortsetzung des Krieges, nach der Annahme der spanischen Erbfolge (1701). Schließlich widerspricht er freimütig jedem Eroberungsversuch jenseits der Alpen, als der König im Jahre 1706 den Befehl gibt, Turin zu belagern.“ (MV 341)

Die geschichtlichen Ereignisse – noch zu Lebzeiten Vaubans - zeigten, wie Recht er hatte: Schon im Mai 1706 verloren die Franzosen fast die ganzen Spanischen Niederlande. Die Belagerung von Turin – ohne Vauban und gegen seinen Rat durchgeführt, dazu noch überfallartig („à la Cohoern“ – MV 104) vorgetragen – wurde zum Desaster und am 7. 9. 1706 verdrängte Prinz Eugen die Franzosen aus ganz Oberitalien. Schon drei Jahre zuvor, als er im Schloss von Marly, der Privatresidenz des Königs, zum Gespräch geladen war, hatte Vauban Ludwig XIV. einmal mehr geraten, sich auf die „natürlichen Grenzen“ Frankreichs zurückzuziehen. Er hielt es für unsinnig, eine ganze Armee in Italien zu stationieren. Seine 1703 schriftlich wiederholte Empfehlung: 66.000 Mann, die sich derzeit in Italien befinden, zurückzuholen, sie über Bayern und die Pfalz (in 50 Tagesmärschen und 20 Ruhetagen) ins Elsass zu schicken, um Breisach zu belagern, und nur 30.000 Soldaten an den Grenzen Italiens zu belassen. Vauban trägt auch hier ungeschönt und freimütig vor, was der König nicht hören will: „Denken Sie bitte an die Schmach, Sire, die über ihre Armeen kommen wird, wenn Sie mit einem  Heer, das dreimal stärker ist als das der Feinde, nichts ausrichten, noch diese am Ende des Feldzugs aus Italien verjagen können. eine Sache, die mir - gesehen auf die innere Verfassung - unmöglich erscheint.“ (MV 104) Vergeblich. Der Stern des Sonnenkönigs sinkt. Die schwere wirtschaftliche und finanzielle Krise seines Landes wird immer größer. Hinzu kommen die Folgen der menschen-verachtenden Politik des Sonnenkönigs: Es gab Schlachten, so berichten die Historiker,  die blutiger waren als alles bis dahin Dagewesene: Höchstädt an der Donau 1704, Turin 1706, Oudenaarde 1708, Malplaquet 1709. (Brockhaus 2002)

Auf Dauer waren die kriegerischen Anstrengungen Frankreichs in dieser Epoche weitgehend vergeblich. Es büßte im Gegenteil wichtige Teile seiner Kolonien in Nordamerika ein.Es verspielte - mit dieser Politik, bei der es vorrangig um „gloire“ und um dynastische Interessen ging - die von Vauban aufgezeigte Chance, durch Expansion in Übersee gleichwertige Seemacht neben England und Holland zu werden und so seinen Platz unter den ersten Mächten in Europa zu sichern. Vauban hat zwei Jahrzehnte lang versucht gegenzusteuern - weitgehend ohne Erfolg. Bei seiner Beobachtung ganz nahe an der Wirklichkeit, in seinen Projekten den Zeitgenossen vielfach weit voraus, war für viele seiner Ideen die Zeit noch nicht reif. Aus heutiger Sicht war sein Ziel, „das Volk viel glücklicher zu machen, als es ist, im Blick aufs Ganze eine großartige, jedoch unzeitgemäße Utopie, im Kleinen - dort wo er unmittelbar auf Einzelschicksale einwirken konnte - hat er vieles bewegt und  erreicht. Zurück zu Vauban. Damit Sie nicht den Eindruck bekommen, ich wolle ihn „heilig sprechen“ ein kleiner Exkurs, der andere Seiten dieses Mannes und mit ihnen durchaus  menschliche Schwächen zeigt: In seinem Werk „Verschiedene Gedanken eines Mannes, der nicht viel zu tun hatte“ schreibt er über die Frauen – unter der Überschrift „Was die Frauen meistens tun, um zu ihrem Ziel zu gelangen“: „Il n’y a rien de plus importun et dangereux que les femmes.“ – „Es gibt nichts Lästigeres und Gefährlicheres als die Frauen.“ (MV 272)

Dabei hatte Vauban – verheiratet und Vater von zwei Töchtern - mindestens zu fünf Frauen ein Verhältnis und fünf uneheliche Kinder. Im geheimen Zusatz zu seinem Testament vom 24 März 1702 vermacht er diesen fünf Kindern – mit dem wiederholten Hinweis, dass er Zweifel an seiner Vaterschaft habe - insgesamt die Summe von 10.000 Livres; wohl um ihnen und ihren Müttern ein sicheres Auskommen zu geben und  um niemand etwas schuldig zu bleiben.

Dies ist der wirkliche Vauban:  ein genialer, weil präzise und methodisch arbeitender Inge-nieur -  ein erfolgreicher, in vielen Schlachten erprobter Soldat, Verteidigungs- und Belage-rungskünstler in einem – der weit über seine Epoche hinaus beste und berühmteste Festungs-baumeister seiner Zeit – ein um- und weitsichtiger Staatsmann, ein offener und freimütiger Berater seines Königs und ein loyaler, selbstloser Diener seines Volkes – mutig, engagiert und streitbar in seinem Einsatz für das, was er als richtig und gerecht ansah.

Dieser Mann paßt nicht ins Bild - nicht in das so selbstverständlich vorgeprägte, oft genug von Vorurteilen bestimmte Bild des Militaristen, nicht in die Schublade des von Dienst, Disziplin und Drill seelenlos gewordenen, durch Kartätschen- und Kanonenfeuer abgehärteten, in blutigen, soldatenmordenden Schlachten abgestumpften und gefühllosen Strategen, für den Truppenteile längst zu theoretischen Größen und lebendige Menschen zu Material geworden sind.

Vauban war nicht Turenne, der als einer der größten Feldherrn seines Jahrhunderts gerühmt wird, von dem die Chronisten berichten, dass er mit dem wiederholten Befehl „Encore Mille ... encore mille“ Tausende seiner Soldaten in die Schlacht und in den Tod schickte. Saint Simon nennt Vauban dagegen den „sachkundigsten Mann was die Kunst der Belagerung und des Festungsbaus angeht“ und lobt ihn als den „der am geizigsten mit Menschenleben umgegangen ist“ . (V 39). Er hat seinen Leitspruch, „Schweiß spart Blut“ (V 31), oft gegen massive Widerstände, ent-schieden befolgt und aus der Sorge um das Leben seiner Soldaten nach dem Grundsatz geplant und gehandelt: „Wir wollen lieber mehr Pulver verbrennen und weniger Blut vergießen.(V 31)

Vauban war zuallererst ein Mensch, bereit zu sich einzusetzen, bereit zu dienen und dabei sein Äußerstes zu geben. Ein Mensch, der - seiner persönliche Überzeugung folgend – nach dem Grundsatz lebte:
„Les hommes naissent tous roturiers. Il n’y a que leurs actions qui les anoblissent.“
„Die Menschen werden alle als einfache Bürger geboren. Allein ihre Taten adeln sie.“

Vortrag von Emil Göggel, November 2007
Katholisches Bildungswerk Merzhausen

Links

Vauban und Festungen in Deutschland
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e.V.
Breisach 14. -16. September 2007
Emil Göggel: Der Mensch und Reformer Vauban
http://www.festungsforschung.de/download/20070914_programm.pdf

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