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 Littenweiler
Kriegsjahre 1939 bis 1946 - Zeitzeugen
   

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 Blick vom Münsterturm nach Osten über Schloßberg und Littenweiler zum Hinterwaldkopf am 18.9.2007
Blick vom Münsterturm nach Osten über Schloßberg und Littenweiler zum Hinterwaldkopf am 18.9.2007

 

Zeitzeugen gesucht! Bitte wenden Sie sich an:
Frau Ursula Dierstein, Freiburg-Littenweiler
Tel 0761/78631, eMail: supervision-urdi at gmx.de

 

Erinnerungen an die Kriegsjahre 1939-1946 in Freiburg

Wir wohnten vor, während und einige Zeit nach dem Krieg bei den Großeltern mütterlicherseits in Freiburg–Littenweiler, Im Winkel 3. Der Vorort ist etwa 6 km vom Stadtzentrum entfernt und das Haus der Großeltern liegt in einem Winkel , der sich an den Eichberg anschmiegt. Es standen dort  vier Häuser, die mit steil angelegten Gemüsegärten zur Eichbergstraße hin führten. Grossvater Herrmann Molz hatte vor  hundert Jahren ( 1908) als Maurer das große, dreistöckige Haus mit großem Dachgeschoss gekauft um Familie zu gründen. Im Kriegsjahr 1917 wohnten  Großvater und Großmutter schon mit vier Kindern darin: Annemarie, Rosel, Herrmann und Bärbel. 1919, nach dem Krieg, kam Max zur Welt. Wenig später waren es fünf Mädchen, also kein Dreimädelhaus mehr , denn Elisabeth und Monika kamen dazu! Der  zweite Sohn  Max musste im 2. Weltkrieg mit Herrmann, dem Schwiegersohn Albert Emmerich und Hans Stingl  in den Krieg ziehen, „ins Feld“ ! Großvater war also einziger Mann im Haus, Vater und Großvater zugleich. Er ging tagsüber gerne mit seinen zwei Enkelinnen Ursula und Roswitha an der  Kirche und Schule vorbei. Vor der Schule postierten täglich zwei Wachen , die man mit „Heil Hitler“ zu grüßen hatte.Meine Schwester und ich waren Schulmädchen im Alter von  5 und 7 Jahren, die immer das taten, was Großvater vormachte. Er grüßte nicht mit gezücktem Hitler- Arm, sondern sagte „Guten Tag“. Das taten wir auch, bis plötzlich ein Wachsoldat auf uns zu kam. Er stellte den Großvater zur Rede und führte ihn ab. Wir kleinen Mädchen rannten heulend nach Hause und erzählten das. Unsere Familie war sehr erschüttert und wir warteten stundenlang auf ihn. Am Abend kam er zurück und war wohl noch mehr gegen das Regime aufgebracht, was ihn in unseren Augen noch strenger machte. Sein Verhalten änderte sich notgedrungen und wir haben uns mit zunehmendem Alter  angepasst. Der Drill des Naziregimes wurde täglich in der Schule gelehrt. Keiner kam dran vorbei. ( Monika` s  Zitat 1934 : „ Mir habe de Hitler nit gwählt“ ) 

Kinder gab es genug in unserem „Oberdorf Littenweiler“ und damit auch genug Straßenspiele. Die konnten aber nur in ruhigen Minuten, also ohne  Aufklärer am Himmel, die Flieger „Max und Moritz „ durchgeführt werden. Es gab Ballwerfen an der Hauswand des Schopfs ( Unterstellplatz bzw. Garage) was wir „Leberle spielen „ nannten- oder Wettrennen aus dem Winkel  bis vor zur Sonnenbergstraße , eine Mutprobe für uns, denn das Spiel begann mit dem ersten Flugzeuggeräusch über uns. Solange Flieger über einem brummten, rannte man weiter. Danach war das Spiel vorbei ; gewonnen hatte, wer am Weitesten kam. Ich hatte immer tierisches Bauchweh dabei und bewunderte die harten Jungs, die auch weiter rannten, wenn es ein Tiefflieger war…

Unvergesslich sind Angst und Stress, bei ALARM nachts aus dem Bett zu kommen und mit Puppe, Jacke und in Hausschlappen in den von Großvater gebauten Bunker am Ende des Winkels  zu gelangen. Dabei fiel mir auch mal die Puppe in den Dreck und ich verlor die Hausschlappen beim Rennen. Ich heulte vor Schmerz . Die größte Sorge war dann, ob ich Beides wieder finden konnte danach…. 

Am 27.11.1944, als schon keiner mehr glaubte, dass es  einen BOMBENANGRIFF auf Freiburg geben könnte, wurde wir gegen 20 Uhr durch Fliegeralarm aufgeschreckt. Schon Stunden vorher waren Aufklärer über dem Dreisamtal ; es war ein schöner, sonniger Tag.. Metall funkelte in der Luft und Flieger brummten wie üblich über unseren Köpfen. Doch gegen 20 h, beim kargen Abendbrot, heulte plötzlich eine Sirene auf. Wir packten unsere Jacken, Schuhe und rannten wie immer in den Bunker. Bald waren die Nachbarn und auch  der Pfarrer beim Kerzenlicht versammelt, mit leisem Gemurmel beteten wir den Rosenkranz  und der Großvater beobachtete an der schweren Bunkertüre das Bombengeschwader. Er machte sie erst zu, wenn es fürchterlich krachte. Als Kinder saßen wir immer am gleichen Platz mit Kissen zum Schlafen, aber es war kalt und beängstigend im Bunker ,so dass ich nie einschlafen konnte. Diesmal ging auch alles ganz schnell. Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei und der Großvater  nahm uns drei Kinder an die Hand, bis sich der Bunker geleert hatte. Er wollte uns , seiner jüngsten Tochter Monika (14 Jahre), meiner Schwester Roswitha ( 6 Jahre) und mir, (8 Jahre) vom nahe gelegenen Eichberg aus die Stadt zeigen. Mit Sicherheit ahnte er schon das Schlimmste ! In der Kurve der Eichbergstraße angekommen, sahen wir Folgendes: Die  in dunklem Rot leuchtende Kulisse der zerstörten Stadt blendete uns und Großvater zeigte  auf das Münster, dessen Turm wie ein Finger herausragte. Das Theater hatte kein Dach mehr und viele  rauchende Trümmer waren bis zum Schlossberg vom Feuerschein erhellt. Es kam mir vor, als schaute ich in eine Hölle. Ein Schock, keiner sprach, obwohl wir hier nicht alleine standen .Viele Menschen kamen und schauten entsetzt auf  die brennende Stadt; andere waren schon aus der Wiehre nach Osten geflüchtet und suchten Unterkunft. Wir liefen bald mit Großvater nach Hause und kurz darauf kamen Freunde mit Kindern zu uns, deren Haus am Münsterplatz, der Rappen, von Bomben getroffen war. Sie wohnten danach einige Zeit im Winkel ( Familie Rauch). Das waren nicht die einzigen Stadtflüchtlinge, die von den Großeltern aufgenommen wurden. Verwandte des Großvaters aus der Albertstraße (Tante Rosa Farner, geb. Molz) kamen zu später Stunde dazu. An manchen Tagen waren im großlterlichen Haus bis zu 20 Menschen untergebracht. Eine enge, harte Zeit für alle, doch unvergesslich und  hilfreich für das Zusammenleben . Noch heute bewundere ich meine Großeltern.

Ursula Dierstein-Emmerich,

 

Littenweiler 1944: Blick in Richtung Kartaus, Roßkopf und Ebnet - vorne der Hummelhof  Littenweiler 1944: Blick in Richtung Kartaus, Roßkopf und Ebnet

Kriegsende 1945 im „Kinderparadies“ im Unteribental: Zeitzeugen gesucht

Beteiligte
Herrmann Molz, Senior; damals  68 Jahre alt.
Annemarie Emmerich, geb. Molz ,Tochter von H. Molz, damals 35 Jahre alt.
Monika Ganter, jüngste Tochter von H. Molz, damals 15 Jahre alt
Ursula Dierstein, geb. Emmerich, Tochter v. A. Emmerich, damals 9 Jahre alt
Roswitha Herrmann, geb. Emmerich, Tochter v. A. Emmerich, damals 7 Jahre alt.

Nach dem Angriff am 27.11.1944 beschloss oben genannter Vater und Großvater H. Molz, wohnhaft in Freiburg-Littenweiler, für seine zwei Töchter und Enkelinnen im Ibental neben einer vermieteten Viehhütte (Foto 1), hoch oben im Wald, eine eigene Bauhütte (Foto2) aufzustellen. Da es ohnehin keinen Schulunterricht mehr gab, war uns Mädchen das sehr recht. Das lästige“ in den Bunker Rennen“ fiel damit auch weg. Wir blieben im „Hüttle“ etwa vier Monate: Anfang Januar bis Ende April 45. Die Bauhütte wurde mit 2 Doppelstockbetten eingerichtet. Ein niederer Eisenofen  musste beheizt werden und darauf wurde auch gekocht. Wir Kinder mussten einen halbstündigen Weg ins Tal zurücklegen, um beim Bauern, dem Besitzer des Waldes und der benachbarten Viehhütte, Milch, Brot , Eier und ab und zu etwas Butter zu bekommen. Die größte Freude machte uns ein Stück Speck , das aber nur selten verkauft wurde.
Für größere Einkäufe radelte Monika ein- bis zweimal in der Woche frühmorgens um sechs Uhr nach Littenweiler, wo auch die Eltern bzw. Großeltern wohnten .Dort holte sie uns Nachschub , konnte  aber erst in der Dunkelheit wieder zurück radeln , denn die Flieger und vor allem die beiden Aufklärer „Max und Moritz“ waren tagsüber eine große Gefahr .Doch sie nahm dieses Abenteuer gerne auf sich und hatte anscheinend einen guten Schutzengel dabei. Dennoch waren unsere notwendigen „Ausflüge“ ins Tal immer mit Angst vor Fliegern besetzt und beim geringsten Fluggeräusch rannten wir hinter Büsche oder Bäume, denn wir mussten nicht nur uns, sondern auch die erworbenen Fressalien schützen ( z.B. eine in der Sonne gefährlich glänzende Vierliter- Milchkanne). Die Alltagsbeschäftigung auf dem „Hüttle“ bestand  für die Kinder aus Holzsammeln, Holz sägen, klein hacken; am liebsten waren uns kleine „Buchenbengele“. Wir lasen uns Märchen am Waldesrand vor und benannten den nahe liegenden Wald danach: „Märchenwald“. Die Bäume bekamen Namen  und mit Pflanzen und Vögeln waren wir vertraut. Ohne Angst saßen wir dort stundenlang, denn es gab sonst nicht viel zu tun. Alle vier sangen gerne und erfanden Lieder mit vielen Strophen, die zwei –und dreistimmig gesungen wurden. Roswitha und Ursula schrieben Briefe an den abwesenden Vater , der damals als Kriegsgefangener in USA in einer Kleiderfabrik an der Nähmaschine arbeitete. Militärkleidung ,vermutlich.
Den Einmarsch der Franzosen erlebten wir im Tal unten auf dem uns vertrauten Bauernhof , denn das erschien dem Bauern sicherer  als uns oben im Wald allein zu wissen ; abends durften wir wieder ins Hüttle zurücklaufen. Großvater aber drängte nach dem Einmarsch bald darauf, dass wir nach Littenweiler zurückkommen sollten. Die Gründe dafür leuchteten uns Kindern nicht ein, denn wir hatten hier eine „heile“ Welt eingerichtet  und wollten gar nicht mehr in die Stadt zurück, vor allem nicht mehr in den Bunker .Der Angriff am 27.11.1944 steckte uns noch in den Knochen .Hier oben ging es uns ohnehin besser, denn kurz vor dem Einmarsch der Franzosen wurden Vorräte aus einem Militärlager in Buchenbach an die Bevölkerung verteilt. Vor allem kinderreiche Familien wurden gut versorgt mit nahrhaften Dingen. Zum Abschluss unseres Aufenthaltes konnte Mutti Annemarie sogar einmal Kässpätzle für alle Hungrigen zubereiten. Das war ein Fest!!

Doch Ende April stand der tränenreiche Abschied mit beschwerlichem Weg durchs Ibental über Kirchzarten nach Freiburg  bevor. Ein zweirädriger Handkarren mit unserer Habe und den Kindern Roswitha und Ursula obendrauf wurde vom Großvater geschoben, seine beiden Töchter Monika und Annemarie liefen nebenher. Diese Rückreise  zu Fuß   war nicht ungefährlich, denn vor allem in Kirchzarten waren viele Franzosen und Marokkaner unterwegs. Wir Kinder beobachteten voll Neugierde und auch Angst die Beute, die Soldaten aus den Häusern kommend bei sich trugen, z.B. Schmuck Doch  unser starker Großvater brachte seine vier „Frauen“ schnellen Schrittes und unbeschadet nach Littenweiler zurück. Wir sind ihm heute  noch für seinen Mut und  seine Tatkraft dankbar.

Freiburg, den 12.02.2005, Ursula Dierstein

Texte in der Sammlung "Südbaden unter Trikolore und Hakenkreuz" Verlag Rombach.
 

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