Erinnerungen an
die Kriegsjahre 1939-1946 in Freiburg
Wir
wohnten vor, während und einige Zeit nach dem Krieg bei den Großeltern
mütterlicherseits in Freiburg–Littenweiler, Im Winkel 3. Der Vorort ist etwa 6
km vom Stadtzentrum entfernt und das Haus der Großeltern liegt in einem Winkel ,
der sich an den Eichberg anschmiegt. Es standen dort vier Häuser, die mit steil
angelegten Gemüsegärten zur Eichbergstraße hin führten. Grossvater Herrmann Molz
hatte vor hundert Jahren ( 1908) als Maurer das große, dreistöckige Haus mit
großem Dachgeschoss gekauft um Familie zu gründen. Im Kriegsjahr 1917 wohnten
Großvater und Großmutter schon mit vier Kindern darin: Annemarie, Rosel,
Herrmann und Bärbel. 1919, nach dem Krieg, kam Max zur Welt. Wenig später waren
es fünf Mädchen, also kein Dreimädelhaus mehr , denn Elisabeth und Monika kamen
dazu! Der zweite Sohn Max musste im 2. Weltkrieg mit Herrmann, dem
Schwiegersohn Albert Emmerich und Hans Stingl in den Krieg ziehen, „ins Feld“ !
Großvater war also einziger Mann im Haus, Vater und Großvater zugleich. Er ging
tagsüber gerne mit seinen zwei Enkelinnen Ursula und Roswitha an der Kirche und
Schule vorbei. Vor der Schule postierten täglich zwei Wachen , die man mit „Heil
Hitler“ zu grüßen hatte.Meine Schwester und ich waren Schulmädchen im Alter von
5 und 7 Jahren, die immer das taten, was Großvater vormachte. Er grüßte nicht
mit gezücktem Hitler- Arm, sondern sagte „Guten Tag“. Das taten wir auch, bis
plötzlich ein Wachsoldat auf uns zu kam. Er stellte den Großvater zur Rede und
führte ihn ab. Wir kleinen Mädchen rannten heulend nach Hause und erzählten das.
Unsere Familie war sehr erschüttert und wir warteten stundenlang auf ihn. Am
Abend kam er zurück und war wohl noch mehr gegen das Regime aufgebracht, was ihn
in unseren Augen noch strenger machte. Sein Verhalten änderte sich notgedrungen
und wir haben uns mit zunehmendem Alter angepasst. Der Drill des Naziregimes
wurde täglich in der Schule gelehrt. Keiner kam dran vorbei. ( Monika` s Zitat
1934 : „ Mir habe de Hitler nit gwählt“ )
Kinder gab es genug in unserem „Oberdorf Littenweiler“ und damit auch genug
Straßenspiele. Die konnten aber nur in ruhigen Minuten, also ohne Aufklärer am
Himmel, die Flieger „Max und Moritz „ durchgeführt werden. Es gab Ballwerfen an
der Hauswand des Schopfs ( Unterstellplatz bzw. Garage) was wir „Leberle spielen
„ nannten- oder Wettrennen aus dem Winkel bis vor zur Sonnenbergstraße , eine
Mutprobe für uns, denn das Spiel begann mit dem ersten Flugzeuggeräusch über
uns. Solange Flieger über einem brummten, rannte man weiter. Danach war das
Spiel vorbei ; gewonnen hatte, wer am Weitesten kam. Ich hatte immer tierisches
Bauchweh dabei und bewunderte die harten Jungs, die auch weiter rannten, wenn es
ein Tiefflieger war…
Unvergesslich sind Angst und Stress, bei ALARM nachts aus dem Bett zu kommen und
mit Puppe, Jacke und in Hausschlappen in den von Großvater gebauten Bunker am
Ende des Winkels zu gelangen. Dabei fiel mir auch mal die Puppe in den Dreck
und ich verlor die Hausschlappen beim Rennen. Ich heulte vor Schmerz . Die
größte Sorge war dann, ob ich Beides wieder finden konnte danach….
Am
27.11.1944, als schon keiner mehr glaubte, dass es einen BOMBENANGRIFF auf
Freiburg geben könnte, wurde wir gegen 20 Uhr durch Fliegeralarm aufgeschreckt.
Schon Stunden vorher waren Aufklärer über dem Dreisamtal ; es war ein schöner,
sonniger Tag.. Metall funkelte in der Luft und Flieger brummten wie üblich über
unseren Köpfen. Doch gegen 20 h, beim kargen Abendbrot, heulte plötzlich eine
Sirene auf. Wir packten unsere Jacken, Schuhe und rannten wie immer in den
Bunker. Bald waren die Nachbarn und auch der Pfarrer beim Kerzenlicht
versammelt, mit leisem Gemurmel beteten wir den Rosenkranz und der
Großvater beobachtete an der schweren Bunkertüre das Bombengeschwader. Er machte
sie erst zu, wenn es fürchterlich krachte. Als Kinder saßen wir immer am
gleichen Platz mit Kissen zum Schlafen, aber es war kalt und beängstigend im
Bunker ,so dass ich nie einschlafen konnte. Diesmal ging auch alles ganz
schnell. Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei und der Großvater nahm uns drei
Kinder an die Hand, bis sich der Bunker geleert hatte. Er wollte uns , seiner
jüngsten Tochter Monika (14 Jahre), meiner Schwester Roswitha ( 6 Jahre) und
mir, (8 Jahre) vom nahe gelegenen Eichberg aus die Stadt zeigen. Mit Sicherheit
ahnte er schon das Schlimmste ! In der Kurve der Eichbergstraße angekommen,
sahen wir Folgendes: Die in dunklem Rot leuchtende Kulisse der zerstörten Stadt
blendete uns und Großvater zeigte auf das Münster, dessen Turm wie ein Finger
herausragte. Das Theater hatte kein Dach mehr und viele rauchende Trümmer waren
bis zum Schlossberg vom Feuerschein erhellt. Es kam mir vor, als schaute ich in
eine Hölle. Ein Schock, keiner sprach, obwohl wir hier nicht alleine standen
.Viele Menschen kamen und schauten entsetzt auf die brennende Stadt; andere
waren schon aus der Wiehre nach Osten geflüchtet und suchten Unterkunft. Wir
liefen bald mit Großvater nach Hause und kurz darauf kamen Freunde mit Kindern
zu uns, deren Haus am Münsterplatz, der Rappen, von Bomben getroffen war. Sie
wohnten danach einige Zeit im Winkel ( Familie Rauch). Das waren nicht die
einzigen Stadtflüchtlinge, die von den Großeltern aufgenommen wurden. Verwandte
des Großvaters aus der Albertstraße (Tante Rosa Farner, geb. Molz) kamen zu
später Stunde dazu. An manchen Tagen waren im großlterlichen Haus bis zu 20
Menschen untergebracht. Eine enge, harte Zeit für alle, doch unvergesslich und
hilfreich für das Zusammenleben . Noch heute bewundere ich meine Großeltern.
Ursula Dierstein-Emmerich,
Littenweiler 1944:
Blick in Richtung Kartaus, Roßkopf und Ebnet
Kriegsende 1945 im „Kinderparadies“ im Unteribental:
Zeitzeugen gesucht
Beteiligte
Herrmann Molz, Senior; damals 68 Jahre alt.
Annemarie Emmerich, geb. Molz ,Tochter von H. Molz, damals 35 Jahre alt.
Monika Ganter, jüngste Tochter von H. Molz, damals 15 Jahre alt
Ursula Dierstein, geb. Emmerich, Tochter v. A. Emmerich, damals 9 Jahre alt
Roswitha Herrmann, geb. Emmerich, Tochter v. A. Emmerich, damals 7 Jahre alt.
Nach dem Angriff am 27.11.1944
beschloss oben genannter Vater und Großvater H. Molz, wohnhaft in
Freiburg-Littenweiler, für seine zwei Töchter und Enkelinnen im Ibental neben
einer vermieteten Viehhütte (Foto 1), hoch oben im Wald, eine eigene Bauhütte
(Foto2) aufzustellen. Da es ohnehin keinen Schulunterricht mehr gab, war uns
Mädchen das sehr recht. Das lästige“ in den Bunker Rennen“ fiel damit auch weg.
Wir blieben im „Hüttle“ etwa vier Monate: Anfang Januar bis Ende April 45. Die
Bauhütte wurde mit 2 Doppelstockbetten eingerichtet. Ein niederer Eisenofen
musste beheizt werden und darauf wurde auch gekocht. Wir Kinder mussten
einen halbstündigen Weg ins Tal zurücklegen, um beim Bauern, dem Besitzer des
Waldes und der benachbarten Viehhütte, Milch, Brot , Eier und ab und zu etwas
Butter zu bekommen. Die größte Freude machte uns ein Stück Speck , das aber nur
selten verkauft wurde.
Für größere Einkäufe radelte Monika ein- bis zweimal in der Woche frühmorgens um
sechs Uhr nach Littenweiler, wo auch die Eltern bzw. Großeltern wohnten .Dort
holte sie uns Nachschub , konnte aber erst in der Dunkelheit wieder zurück
radeln , denn die Flieger und vor allem die beiden Aufklärer „Max und Moritz“
waren tagsüber eine große Gefahr .Doch sie nahm dieses Abenteuer gerne auf sich
und hatte anscheinend einen guten Schutzengel dabei. Dennoch waren unsere
notwendigen „Ausflüge“ ins Tal immer mit Angst vor Fliegern besetzt und beim
geringsten Fluggeräusch rannten wir hinter Büsche oder Bäume, denn wir mussten
nicht nur uns, sondern auch die erworbenen Fressalien schützen ( z.B. eine in
der Sonne gefährlich glänzende Vierliter- Milchkanne). Die Alltagsbeschäftigung
auf dem „Hüttle“ bestand für die Kinder aus Holzsammeln, Holz sägen, klein
hacken; am liebsten waren uns kleine „Buchenbengele“. Wir lasen uns Märchen am
Waldesrand vor und benannten den nahe liegenden Wald danach: „Märchenwald“. Die
Bäume bekamen Namen und mit Pflanzen und Vögeln waren wir vertraut. Ohne Angst
saßen wir dort stundenlang, denn es gab sonst nicht viel zu tun. Alle vier
sangen gerne und erfanden Lieder mit vielen Strophen, die zwei –und dreistimmig
gesungen wurden. Roswitha und Ursula schrieben Briefe an den abwesenden Vater ,
der damals als Kriegsgefangener in USA in einer Kleiderfabrik an der Nähmaschine
arbeitete. Militärkleidung ,vermutlich.
Den Einmarsch der Franzosen erlebten wir im Tal unten auf dem uns vertrauten
Bauernhof , denn das erschien dem Bauern sicherer als uns oben im Wald allein
zu wissen ; abends durften wir wieder ins Hüttle zurücklaufen. Großvater aber
drängte nach dem Einmarsch bald darauf, dass wir nach Littenweiler zurückkommen
sollten. Die Gründe dafür leuchteten uns Kindern nicht ein, denn wir hatten hier
eine „heile“ Welt eingerichtet und wollten gar nicht mehr in die Stadt zurück,
vor allem nicht mehr in den Bunker .Der Angriff am 27.11.1944 steckte uns noch
in den Knochen .Hier oben ging es uns ohnehin besser, denn kurz vor dem
Einmarsch der Franzosen wurden Vorräte aus einem Militärlager in Buchenbach an
die Bevölkerung verteilt. Vor allem kinderreiche Familien wurden gut versorgt
mit nahrhaften Dingen. Zum Abschluss unseres Aufenthaltes konnte Mutti Annemarie
sogar einmal Kässpätzle für alle Hungrigen zubereiten. Das war ein Fest!!
Doch Ende April stand der
tränenreiche Abschied mit beschwerlichem Weg durchs Ibental über Kirchzarten
nach Freiburg bevor. Ein zweirädriger Handkarren mit unserer Habe und den
Kindern Roswitha und Ursula obendrauf wurde vom Großvater geschoben, seine
beiden Töchter Monika und Annemarie liefen nebenher. Diese Rückreise zu Fuß
war nicht ungefährlich, denn vor allem in Kirchzarten waren viele Franzosen
und Marokkaner unterwegs. Wir Kinder beobachteten voll Neugierde und auch Angst
die Beute, die Soldaten aus den Häusern kommend bei sich trugen, z.B. Schmuck
Doch unser starker Großvater brachte seine vier „Frauen“ schnellen Schrittes
und unbeschadet nach Littenweiler zurück. Wir sind ihm heute noch für seinen
Mut und seine Tatkraft dankbar.
Freiburg, den 12.02.2005,
Ursula Dierstein
Texte in der Sammlung "Südbaden unter Trikolore und
Hakenkreuz" Verlag Rombach.
© by
Freiburg-Dreisamtal.de,
Update 23.11.09