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Angst - Agoraphobie

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"Jeder zehnte Deutsche leidet unter krankhafter Angst."

Roturach - Seitental vom Uracher Tal zwischen Linachtal und langenordnachtal im Februar 2008
Roturach - Seitental vom Uracher Tal zwischen Linachtal und langenordnachtal im Februar 2008

Immer mehr Angstattacken bei Kindern im Südwesten

Schulangst, Furcht vor Fremden, Panik bei Dunkelheit: 18 000 Kinder unter zehn Jahren werden in Baden-Württemberg nach einer Erhebung der Techniker Krankenkasse zufolge wegen Ängsten medizinisch behandelt. ....
20.12.2010, http://www.badische-zeitung.de/immer-mehr-angstattacken-bei-kindern-im-suedwesten
www.tk.de

 

Agoraphobie - Angst vor Situationen, aus denen man nicht entkommen kann

Agoraphobie ist ein Leiden, von dem viele Betroffene nicht mal den Namen kennen. Acht Jahre dauert es im Schnitt, bis sie Hilfe suchen. In der Ambulanz des Instituts für Psychologie der Uni Freiburg bildet die Erkrankung einen Behandlungsschwerpunkt. Die Psychologin und Psychotherapeutin Martina Krämer erklärt das „Angstprojekt".

Wenn man in einer Runde über Ängste spricht, fällt auf, dass jeder Zweite oder Dritte eine Art von Angst hat, die zu Vermeidung führt: vor dem Fliegen, vor Höhe, Spinnen, Einsamkeit. Ist das krank, Frau Krämer?
Nur dann, wenn es zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führt. Etwa, wenn jemand, der beruflich fliegen soll, das vermeidet und so seinen Job nicht mehr gut ausüben kann. Eine Panikattacke, wie sie meist bei Agoraphobie auftritt, ist nicht zu vergleichen mit Unwohlsein, wie wir es alle kennen, sondern echte Todesangst. Die Betroffenen erleben Herzrasen, Schwindel, Zittern und Atemnot, manchmal muss der Notarzt kommen.
Agoraphobie bezeichnete früher ja die Angst vor offenen Plätzen. Inzwischen nutzt man den Begriff für weitere Ängste?

Agoraphobie meint heute die Angst vor Situationen, aus denen man nicht schnell genug entkommen kann – typisch sind Menschenmengen, Züge, Flugzeuge, Seilbahnen, Aufzüge, Tunnels, Kinos. Die Betroffenen haben Sorge, dass sie in dieser Lage eine Panikattacke erleben und dann keine Hilfe verfügbar ist. Meist beginnt die Erkrankung zwischen 20 und 40, oft Anfang der Zwanzigerjahre. Zweimal mehr Frauen als Männer sind betroffen. Insgesamt sind es bis zu fünf Prozent der Bevölkerung.
Geht dem oft ein traumatisches Erlebnis voraus?
Das lässt sich nicht bestätigen. Auslöser ist meist –wie bei allen psychischen Erkrankungen – eine Mischung aus Anlage und Umwelt. Viele der Patienten hatten schon vorher die Neigung, sich zu ängstigen, doch das allein macht keine psychische Erkrankung. Die erste Panikattacke tritt meist in einer stressigen Situation auf und wird als traumatisch erlebt. So entsteht die Angst, dass das wieder passieren könnte, was wiederum dazu führt, dass man ähnliche Situationen zu meiden sucht.
Das ist die „Angst vor der Angst"?
Genau. Das Vermeidungsverhalten nimmt immer mehr zu, irgendwann verlässt man die Stadt nicht mehr, das Viertel, schließlich die Wohnung. Normale Regungen – dass einem mal heiß oder schwindlig wird – bewertet man als gefährlich.
Es ist rätselhaft, dass sich die Angst nicht verringert, obwohl sich die gefürchteten Situationen ja als harmlos erweisen. Stattdessen verstärkt sie sich eher.
Grund ist, dass die Menschen die Situation genau dann abbrechen, wenn die Angst am stärksten ist –und so eben nicht erfahren, dass sie sich auflöst. Und genau da setzt die Therapie an. Was ist der erste Schritt? Als Erstes geht es darum zu verstehen, was bei einer Panikattacke abläuft. Wenn der Patient realisiert hat, dass sein Vermeidungsverhalten die Angst am Leben   hält, bereiten wir Schritt für Schritt die Konfrontation vor.
Lassen sich die Patienten da schnell darauf ein?
Die erste Reaktion ist meist, dass sie das auf gar keinen Fall aushalten könnten. Doch die kognitive Verhaltenstherapie mit der Exposition „in vivo", also der Konfrontation in der Praxis, hat sich als die beste Methode erwiesen. Dennoch wird sie leider selten angewandt, weil es aufwendig ist, für mehrere Stunden  gemeinsam gefürchtete Situationen aufzusuchen.

Wie genau funktioniert die Konfrontationstherapie?
Patient und Therapeut gehen zusammen in die Angst rein und lassen bewusst zu, dass sie ihren Höhepunkt erreicht, ohne die Situation abzubrechen. Dabei erleben die Betroffenen, dass die Angst sich von selbst auflöst. Es ist nämlich biologisch gar nicht möglich, dieses hohe Stressniveau über längere Zeit zu halten. Für viele Patienten ist es eine überwältigende Erfahrung und ein riesiger Freiheitsgewinn zu erleben, dass sie in der Lage sind, sich durch Menschenmengen zu bewegen oder zu fliegen.
So entsteht Selbstvertrauen?
Das ist die spannende Frage, mit der wir uns bei unserem Forschungsprojekt beschäftigen. Wir wollen im Therapieprozess mit Fragebögen und körperlichen Messungen Veränderungen bei den Patienten erheben und etwa herausfinden, welche Rolle die körperliche Entspannung, der Umgang mit Gefühlen oder die Erwartung „Ich kann das schaffen" spielen.
Wie lange dauert es, bis jemand es wagt, sich allein in die gefürchtete Situation zu begeben?
In der Regel haben wir eine Vorbereitungszeit von zehn Therapiestunden, ehe wir in die Konfrontationsphase gehen. Nach etwa 20Stunden sind die Patienten  oft erheblich gefestigter und freier. Dann folgt die Stabilisierung. 45 Therapiestunden, also etwa ein Jahr, sind eine gute Zeit, die Agoraphobie zu überwinden.
Sind die Betroffenen dann nur „trocken" oder wirklich geheilt?
Sicher können weiterhin Ängste hochkommen, doch die Menschen kriegen ein Werkzeug an die Hand, wie sie ihre Angst bewältigen können. Das Ohnmachtsgefühl ist weg: weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass nicht die Angst sie in der Hand hat, sondern sie selbst die Angst.
Sigrun Rehm, 13.2.2012, www.der-sonntag.de

Im Angstprojekt der Ambulanz der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Freiburg sind noch Plätze frei. Kontakt für Betroffene:
Tel 0761/203-3008, jeangstprojekt@psychologie.uni-freiburg.de.
 „In der Therapie erleben die Betroffenen, dass die Angst sich von selbst auflöst."

 © by freiburg-schwarzwald.de, Kontakt, Update 13.02.12