Willkommenskultur ausdehnen

Den Flüchtlingsstrom nach Deutschland begrenzen? Nein, im Gegenteil, noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, denn nur unsere Willkommenskultur löst das Problem der Masseneinwanderung – so die Sicht von ZEIT-Politikchef Bernd Ulrich: „Endlich werden Araber in großer Zahl von Europäern, von Christen besser behandelt als von ihresgleichen. Darin liegt der politische Kern der WillkommenskulturLetztlich ist die Befürchtung fast obskur, dass die Flüchtlinge unsere Kultur islamisieren. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass auf diese graswurzelhafte Art der arabische Raum humanisiert, entgiftet und auf lange Sicht politisch verändert wird.“
Doch der Reihe nach: Bislang war die Realpolitik des Westens gegenüber der islamischen Welt geleitet durch wirtschaftliche (Erdöl, Rohstoffe) und geopolitische Interessen. Deshalb wurden stets die Regime unterstützt, die diesen gerade nutzten.
1. Beispiel Afghanistan: In den 1980er Jahre rüstete USA die Mudschahedin auf zum Kampf gegen Russland, dann etablierten diese eine Gangster-Herrschaft. Als die Taliban über al-Kaida auch Nine-Eleven unterstützten, schmiedete der Westen ein gewaltiges Militärbündnis zwecks Einmarsch in Afghanistan. Realpolitik – der Freund wird zum Feind.
2. Beispiel Irak: 1980 wurde Saddam Hussein als Freund der USA so aufgerüstet, dass er sieben Jahre lang Krieg gegen Iran führen konnte. Als Saddam zur Begleichtung der Kriegsschulden Kuweit annektierte, riefen die Amerikaner den ersten Irakkrieg zur Befreiung Kuweits aus. Erst 2003 marschierten di USA in Irak ein, um Saddam zu stürzen.
3. Beispiel Iran: Im August stürzten die USA die demokratische Regierung Mossadegh und brachten Reza Pahlevi als Schah auf den Thron zur Sicherung der Erdölfelder. Nachdem die islamistische Revolution diesen 1979 stürzte, sorgten die USA mit der Bewaffnung von Saddam Hussein für einen Krieg, der den Tod von 800.000 jungen Iranern forderte. Mit der späteren zweimaligen Invasion im Irak stärkte der Westen den schiitischen Iran, was wiederum dessen sunnitischen Erzfeind Saudi-Arabien herausforderte.
4. Beispiel Saudi-Arabien: Mit den Waffenexporten nach Riad stabilisiert der Westen ein Regime , das massenhaft sunnitisch-islamistische Ideologie in die Region exportiert, wovon der religiöse Dauerkonflikt ‚Schiiten gegen Sunniten‘ wie auch indirekt der IS profitieren. Die Saudis werden demnächst am eigenen Luxus implodieren, aber was dann?
Diese Beispiele zeigen, dass Muslime westliche Realpolitik stets als Unterstützung willfähriger Diktatoren, Despoten und Machthaber erlebten. Dabei interessierten Würde, Sicherheit und Menschlichkeit des Einzelnen den Westen kaum bzw. höchstenfalls als Dreingabe. Den Grund formuliert Ulrich so: „Weil die ‚Realpolitik‘ des Westens über so immense Mittel verfügt, muß sie sich um die Realität nicht wirklich kümmern, sie kann sie ja jederzeit auch zusammenschießen, wegputschen, aufkaufen oder ihr einfach den Rücken kehren. “
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Diese ‚alte‘ Realpolitik hat im historischen Jahr 2015 mit dem Einsetzen der Massenzuwanderung in die EU ihr Ende gefunden – nicht jäh, da absehbar, aber nachhaltig, da anhaltend: „Entweder wir helfen den Flüchtlingen in bisher nie gekannter Weise bei der Verbesserung ihrer Lebensumstände in ihrer Heimat – oder sie kommen und bleiben. Das große Teilen hat begonnen, die Fließrichtung der Geschichte zwischen Europäern und Arabern hat sich umgekehrt.“
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Die ’neue‘ Realpolitik zum Mittleren Osten hin soll sich also nicht mehr an Regimen orientieren, sondern an den einzelnen Muslimen – auch und gerade an denen, die wir in die EU, sprich nach Deutschland, holen.
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Das Konzept von Ulrich klingt gut: „Die Willkommenskultur ist der effektivste Feind des Terrors“, Menschenrechte für alle, Nach 1,1 Mio in 2015 weitere 1,5 Mio muslimische Immigranten in 2016, offene Grenzen, Nächstenliebe. Aber ist der empfohlene Dreier-Schritt von Ulrich
(1) Wir nehmen möglichst viele Muslime in D auf.
(2) Diese senden die Botschaft nach Hause, dass man hier im Rechtsstaat besser lebt.
(3) In Arabien und Afrika setzen sich Demokratie und Menschenrechte durch.
nicht Wunschdenken, naiv und von der jüngsten Geschichte widerlegt?
Haben doch die vielen türkischen Gastarbeiter aus D keinerlei Botschaft nach Hause gesandt zur Stärkung der Demokratie in der Türkei. Im Gegenteil: Erdogan hat seine stärksten Bastionen in D, die Integration der Muslime in D ist gescheitert, junge Türken in D gelten als radikaler und konservativer als ihre eingewanderten Großväter, gebildet-moderne Türken verlassen zuhauf die Parallelgesellschaften in Köln, Duisburg und Berlin in Richtung Istanbul. Abschottung in Parallelwelten – das ist die Realität in den meisten deutschen Ballungsgebieten.
Und wie kann der Vorschlag von Ulrich, die Realpolitik solle sich nicht an die etabierten Regime, sondern an die einzelnen Menschen bzw. Muslime richten, in Praxi umgesetzt werden? Es gibt doch kaum „gutartige Regime“ in Arabien und Afrika. Nur den uniformierten Diktator in Kairo, die IS-Financiers in Riad, den Massenmörder in Damaskus und die „Juden ins Meer“-Treiber in Teheran.
20.11.2015
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Bernd Ulrich: „Das Ende der Arroganz – Kolonialismus, Interventionen, Krieg gegen den Terror: Die Realpolitik des Westens ist gescheitert. Wir müssen unser Verhältnis zu den Muslimen grundlegend ändern“. DIE ZEIT vom 19.11.2015, S. 3-4. www.zeit.de.

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