Währungsunion Haftungsunion

Die Euro-Währungsunion ist eine Haftungsunion geworden – seit dem OMT-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 21.6.20016 (der schwarze Juni) ist daran rein rechtlich nicht mehr zu rütteln, wohl aber politisch: Und genau hierzu bietet Hans-Werner Sinn einen „15-Punkte-Plan zur Neugründung Europas“ an. Wird die politische „Elite“ in Berlin diesen Plan wenigstens in Teilen umsetzen, damit Deutschland nicht weiter für die Schulden anderer EU-Länder haften muß? Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel ist dies leider auszuschließen.
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(1) Der Bundestag stimmte niemals einer EU-Haftungsunion zu
Am 23.4.1998 wiederholte Kanzler Helmut Kohl am Anfang und am Ende seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag mit Pathos: „Nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.“ Daraufhin stimmten die Abgeordneten dem Eintritt in die Währungsunion zu, also der Aufgabe der D-Mark und Einführung des Euro. Zuvor waren dem Maastrichter Vertrag auf Kohls  Drängen zwei Schutzklauseln hinzugefügt worden:
Artikel 123 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) untersagt der EZB, Staaten zu finanzieren: „Überziehungs – oder andere Kreditfaszilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedsstaaten (sind den staatlichen Instanzen) verboten …“
Artikel 125 AEUV schließt jegliche Haftung zwischen EU-Mitgliedsstaaten kategorisch aus: „Ein Mitgliedsstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten … eines anderen Mitgliedsstaats …“
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(2) Das Bundesverfassungsgericht stimmt der Haftungsunion zu, d.h. legalisiert diese
Im Jahr 2012 hatte EZB-Chef Mario Draghi mit seinem Ausspruch „whatever it takes“ verkündet, dass die EZB unter dem „Kürzel Ouright Monetary Transaction“ (OMT) Staatspapiere kriselnder EU-Länder (Südländer incl. Frankreich) aufkaufen kann, um deren Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Diese ausufernde Rettungspolitik der EZB unterstützt der Europäische Gerichtshof (EuGH) voll und ganz, obwohl die Rettung eines Landes vor der Pleite nicht Aufgabe der Zentralbank ist. Am 21.6.2016 hat sich das BVG mit dieser Neudefinition der Zentralbanken befasst und sich dem Urteil des EuGH angeschlossen und damit unterworfen – Nutznießer sind Südländer mitsamt Frankreich, Zahlmeister Deutschland und einige Nordländer.
Mit dem OMT-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird eine Haftung Deutschlands für die Schulden einzelner Mitgliedsländer legalisiert. Denn der Kauf von Staatspapieren mit Beteiligung der EZB an möglichen Verlusten bedeutet nichts anderes als eine gemeinsame Haftung. „Eine Währungsunion ist eine Haftungsgemeinschaft“ sagte der Luxemburgische EZB-ler Yves Mersch 18.2.2016 – unwidersprochen von Politik wie Medien.
„Es ist kaum zu glauben: Zu Beginn der gemeinsamen Währung (1998) wird eine Haftungsgemeinschaft mit Brief und Siegel ausgeschlossen. Und Jahre später (2016) wird erklärt, es sei selbstverständlich das Gegenteil gemeint gewesen. … Dass die Währungsunion inzwischen zu einer Haftungsunion geworden ist, liegt daran, dass der EZB-Rat – also jenes EZB-Gremium mit der letzten Entscheidungsgewalt, in dem Deutschland kaum eine Rolle mehr spielt – die Regeln des Eurosystems mit mehrheitlicher Entscheidung allzu häufig gegen das Votum der Bundesbank geändert hat.“ (Sinn, Seite 161).
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(3) Haftungsfrage muß mit politischen Mitteln gelöst werden
„Nach der Kehrtwende des Gerichts (BVG) ist fürs Erste jede Hoffnung verschwunden, dass das Eurosystem im Rahmen der bisherigen EU-Verträge jemals als neutrale Geldordnung wird funktionieren können, in der die Bürger der besser funktionierenden Staaten wirksam vor Vermögensverlusten durch eine uferlos sich ausdehnende Gemeinschaftshaftung geschützt werden. Das heißt freilich nicht, dass man nun den Euro unbedingt abschaffen müsst, obwohl eine solche Schlussforderung fast schon naheliegt. Aber es heißt, das man die Regeln, nach denen das Eurosystem funktioniert, nun, da die rechtlichen Mittel offenbar erschöpft sind, mit aller Macht mit politischen Mitteln ändern muss. “ (Sinn, Seite 162)
Für Hans-Werner Sinn ist die Politik in Berlin jetzt also gefordert – ob aber eine Kanzlerin Angela Merkel das Problem, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden von Italien, Spanien, Griechenland, … haften soll, jemals anpacken wird, ist mehr als fraglich. Schließlich hat Merkel „Deutsche“ schon seit Mitte 2016 durch „Die schon länger hier Wohnenden“ ersetzt.
Hans-Werner Sinn unterbreitet den folgenden 15-Punkte-Plan, der das Eurosystem mit der damit verbundenen Haftungsfrage neu ordnet, in Kapitel 5 seines Buchs „Der schwarze Juni“. Hier eine Kurzfassung der 15 Punkte:
28.12.2016

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15-Punkte-Plan zur Neugründung Europas
I. Ein Reformprogramm für die Gesundung Europas
1. Atmende Währungsunion zur Gesundung des Euro: Die Eurozone wird zu einer atmenden Währungsunion umgewandelt, welche geregelte Ein- und Austritte für diejenigen Länder erlaubt, welche ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren bzw. wiedererlangt haben.
2. Konkursordnung für Staaten: In Erfüllung der bereits vorhandenen EU-Verträge sind Regeln für den geordneten Konkurs eines Staates zu schaffen, um diesen in die Lage zu setzen, anschließend wieder wettbewerbsfähig und kreditwürdig zu werden.
3. Geldpolitik der EZB mit minimalem Risiko: die EZB darf im Rahmen ihres Mandats nur noch erstrangige Wertpapiere mit einem AAA-Rating am offenen Markt kaufen. Refinanzierungskredite müssen ebenfalls mit solchen Wertpapieren besichert werden.
4. Tilgung der Target-Verbindlichkeiten durch Gold: Nationale Notenbanken dürfen nur noch im Verhältnis zur Landesgröße Geld durch die Kreditvergabe an die nationale Volkswirtschaft schöpfen. Weichen sie von dieser Regel ab, müssen sie diese Verbindlichkeiten jährlich durch die Hergabe von Gold oder erstklassig besicherten Staatsanleihen tilgen.
5. EZB-Stimmrechte nach der Haftung und Größe der Mitgliedsländer: Die Stimmrechte im EZB-Rat werden nach der Größe der Haftung der Länder vergeben, die selbst wiederum gemäß der Landesgröße verteilt ist. Entscheidungen des EZB-Rates, die fiskalischen also potenziell umverteilenden Charakter haben, sind mit einer Mehrheit von 85% der Stimmen zu treffen.
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II. Ein Reformprogramm für die Steuerung der Migration von innen und von außen
6. Heimatland- statt Gastlandprinzip für bedürftige EU-Bürger: EU-Bürger und Bürger aus Ländern, die mit der EU assoziiert sind, erwerben das Anrecht auf soziale Leistungen eines Landes (nur) durch Geburt oder durch die Zahlung von Steuern und Sozialbeiträgen.
7. Inklusion der Asylanten, aber Asylanträge außerhalb der EU-Grenzen: Anerkannte Asylbewerber werden wie einheimische Staatsbürger in das Sozialsystem der Gastländer integriert, solange der Asylgrund besteht. Die Asylanträge sind allerdings außerhalb der EU-Grenzen zu stellen und nach einem für alle EU-Länder einheitlichen Verfahren zu entscheiden.
8. Grenzsicherung als EU-Aufgabe: Die EU-Länder sichern ihre Grenzen gemeinschaftlich, so dass sie eine praktisch lückenlose Kontrolle über die Immigration haben. Auch die Schengenländer sichern ihre Außengrenzen.
9. Hilfen für schwächer entwickelte EU-Nachbarstaaten: Die EU integriert sämtliche schwächer entwickelte Anrainerstaaten in ein Abkommen über Freihandel und freien Kapitalverkehr mit dem Ziel, diesen Ländern eine gute Chance für einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung zu geben und den Migrationsdruck zu senken. Außerdem organisiert sie ein spezielles Entwicklungshilfeprogramm für diese Länder.
10. Aussetzung des Mindestlohns, aber „Aktivierende Sozialpolitik“: Der Mindestlohn wird für Berufsanfänger für fünf Jahre ausgesetzt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Einwanderer oder Einheimische handelt. An die Stelle des Mindestlohns tritt eine „Aktivierende Sozialpolitik“ mit Lohnzuschüssen.
11. Punktesystem für hoch qualifizierte Migranten: Die EU-Länder erlauben die Einreise von hoch Qualifizierten nach einem Punktesystem, das sich am kanadischen Muster orientiert, doch auch jeweils auf den nationalen Bedarf an Arbeitskräften ausgerichtet ist. Abgelehnte Asylbewerber erhalten auf der Basis eines solchen Punktesystems eine zweite Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht im Gastland.
12. Freihandel und freier Kapitalverkehr ohne Arbeitnehmer-Freizügigkeit – Regeln für assoziierte EU-Mitglieder: Die EU sollte mit jenen Nachbarländern, die wirtschaftlich stark sind, aber nicht zur EU gehören wollen, den Status eines assoziierten Mitglieds anbieten, der durch einen völligen Freihandel mit Gütern und Dienstleistungen sowie einen freien Kapitalverkehr gekennzeichnet ist, jedoch nicht auch einen freien Personenverkehr.
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III. Ein Schritt zurück, zwei Schritte nach vorn: Was Europa ausserdem braucht
13. Europaweite Netze: Die europaweiten Netze im Bereich des Internet, der Telefonie, der Straßen und Schienen sowie des Strom- und Gasverbunds werden weiter ausgebaut.
15. Ein europäischer Subsidiaritätsgerichtshof: Dieser Vorschlag geht im Wesentlichen auf den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zurück. Der Subsidiaritätsgerichtshof hat die Aufgabe, EU-Projekte, EU-Verordnungen und EU-Richtlinien daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrages entsprechen.
16. Gemeinsame Armee und Sicherheitspolitik: Die EU-Länder legen ihre Armeen zusammen, stellen sie unter ein einheitliches EU-Kommando und vereinheitlichen die mit der Verteidigung verbundene Beschaffungspolitik. Sie koordinieren ihre Polizei- und Sicherheitsdienste und normieren und verbessern die Kommunikation zwischen ihnen.

Hans-Werner Sinn: Der schwarze Juni
Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster –
Wie die Neugründung Europas gelingt
Herder-Verlag 2016, ISBN 978-3-451-37745-7

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