Volkslied oder Menschheitslied

Wenn es vor lauter Gleichheit nichts mehr zu diskriminieren gibt, singen wir dann nur noch Menschheitslieder statt Volkslieder? Oder singen wir überwiegend „I can get no satisfacion“? Das Volk als „die schon länger hier Lebenden“ sind die „Bewohnenden“ und die Völker ebenso die „Bewohnenden“. Wenn vor lauter Gleichmacherei nur noch solche Texte in Poesie gegossen werden dürfen, die -im Sinne von political correct – frei sind von Bezügen zu Heimat, Volksgruppe, Dialekt, Alm, Region, Tracht, Minderheit usw. sind, werden dann vor lauter Langeweile keine Dichtung mehr gelesen, keine Volkslieder mehr gesungen? Keine – oder nur noch die von der jeweiligen Identitätspolitik genehmigten Lieder?
Trotz allem ist zu differenzieren: Hierzulande Volk ist tabu. Anders „le peuple francais“, das weiter seine chansons singen darf. Oder „il popolo“ seine canzone. Und gar „the people“ seine folk songs.
17.3.2020
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Ohne Poesie und Volksmusik kein Volk
„Ohne poetische Formen, ohne die gehobene Sprache der Dichtung ist kein Volk; sie ist so alt wie Musik und Tanz und wie das Ornament, der Schmuck der Waffen und des besseren Hausrats”, schreibt Eduard Meyer in seiner „Geschichte des Altertums” (Bd. 3, S. 350). „Die gewöhnliche Rede fließt ungeordnet und kunstlos dahin, wie der Gang des Menschen. Aber in allen gehobenen Momenten, in Freude und Schmerz, bei der Anrufung der Götter und bei Festen und Gelagen ordnen sich Schritt und Bewegung des Körpers zu kunstvollen taktmäßigen Bewegungen, ordnen sich die Worte zu gleichmäßigen Sätzen oder Satzteilen; die Rede wird zum Gesang, den Rhythmus bezeichnet und begleitet die Musik. Worte, Dichtform, Musik, Bewegung (Tanz) sind mit Vorbedacht gewählt als der möglichst vollkommene Ausdruck der Situation und der durch sie gegebenen Gedanken. Sie pflanzen sich fort von Generation zu Generation.”
Als ich diese Worte vor Jahren zum ersten Male las, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, in eine Epoche hineingeboren worden zu sein, in welcher die Geschichte der Völker enden soll oder enden wird, um jener der sogenannten Menschheit Platz zu machen. Wird es dann, jenseits von Pop und Kommerz, auch „Menschheitsmusik” geben? Wie wird sie klingen? Wird in ihr die tiefe schmerzlichsüße Melancholie überleben, die jeder aus dem Volke kommenden Musik innewohnt, egal aus welchem Teil der Welt sie stammt?
Diese Frage ging mir durch den Kopf, als sich gestern in kleiner Runde eine Armenierin erhob und, gleichsam als Gegengabe zum Klavierspiel der Gastgeberin, mit geübter Stimme ein Lied aus ihrer Heimat sang, musikalisch näher am Orient als am Westen (die armenische Musik fußt nicht auf dem europäischen tonalen System), aber wie alle Volksmusik jedem Hörer sofort verständlich. Natürlich war es traurig, denn der Mensch ist sterblich. Natürlich war es großartig, denn das Leben ist schön.
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Der Zufall wollte es, dass mir Leser *** zur selben Stunde ein Video mit der Aufnahme eines Volksliedes zuschickte, https://www.youtube.com/watch?v=2EGLMsOkjnY
das musikalisch von Armenien noch Norden führt, in die eurasische Steppe, mit der Bemerkung: „Ich hoffe es trifft Ihren Geschmack, aber ein wahrer Musikliebhaber liebt ja über die Genres hinweg.” „Ах ты, степь широкая”, das heißt „Ach du weite Steppe”, durch diese Landschaft fließt die Wolga, und über ihr kreist der Adler, mehr muss man zum Text nicht wissen.
… Alles vom 15.3.2021 von Michael Klonovsky bitte lesen auf
https://www.klonovsky.de/2021/03/die-sonntage-immer-2/

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