Verlag Zweitausendeins schließt seine Filialen – auch in Freiburg

Man schaut ja nie dahinter, wie viel Umsatz so ein Laden macht: Bei Zweitausendeins konnte es sein, dass es brechend voll war, so dass man zwischen Anderen ein Buch, eine CD oder DVD vom Stapel oder aus dem Regal fingern musste. Ein anderes Mal konnte man ungestört stundenlang stöbern und blättern. Bald wird das nicht mehr gehen, nicht in Freiburg und auch nicht anderswo: Der 200 Quadratmeter große Laden im Waisenhausgässle hinter dem Münsterplatz, am Rande des Bermudadreiecks von Synagoge, Pflasterstub‘ und Stadtbücherei, wird wohl im Februar nächsten Jahres geschlossen. Der nüchterne Funktionsbau neben der Caritas ist seit Ende der 90er Jahre das Domizil, zuvor war der Buchladen in der Schiffstraße gegenüber Schwarzwald-City. Dort gab es ein Gedränge von Buch und Buchliebhabern auf nur 50 Quadratmetern, aber das Geschäft lief besser als heute. Edith Sitzmann, die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag hat dort mal gearbeitet, gekauft haben wohl viele, die heute wichtige Mandate und Ämter bekleiden. Und außer einem Plakat von Lenin oder Ché Guevara auch noch ein paar alte Schwarten von früher aufbewahren.
Das Geschäft mit Büchern, CDs und DVDs hat nachgelassen, nicht nur bei Zweitausendeins. Neue Technik macht neue Gewohnheiten. Das Lesen von Büchern, zumal von dicken Schwarten ist bei jüngeren Leuten gelinde gesagt aus der Mode gekommen. Und auch Marken verlieren ihre Zugkraft, das hat schon der Niedergang der Büchergilde Gutenberg gezeigt. „Wir leben seit Jahren von dem Image, das mal war“, sagte der Freiburger Zweitausendeins-Filialleiter Wolfgang Helken letzte Woche. Nein, es habe keine neuen Signale aus der Zentrale gegeben, bestätigte er am Freitag, es bleibe dabei, „Freiburg wird zugemacht“. Man habe ihm angeboten, den Laden als Franchisenehmer – also mit dem Markennamen aber auf eigene Rechnung – zu übernehmen. Aber die Konditionen seien zu schlecht gewesen, sagt Helken. Immerhin muss der Laden vor allem anderen erst einmal 5000 Euro Miete verdienen, die an die Caritas fließen. Kein Pappenstiel, wenn man bedenkt, dass Zweitausendeins-Kunden nicht einfach so nachwachsen. Denn ähnlich wie bei der Büchergilde Gutenberg ist das Publikum zu großen Teilen in Alter und sozialem Stand irgendwie verbunden. Bei Zweitausendeins kaufen überwiegend Leute, die in irgend einer Weise mit Kultur und Politik ihres bis in die 60er Jahre zurückliegenden Lebensweges zu tun haben. Manchmal wird behauptet, der Laden sei das letzte Refugium der „68er“. Das trifft wohl eher nicht zu. Seinerzeit politisch Aktive haben entweder immer noch „ihren“ Jos Fritz oder kaufen mittlerweile gut bürgerlich in der Innenstadt oder beim kleinen feinen Idealisten in der Wiehre.
Richtig ist auf jeden Fall, dass der 1969 gegründete Verlag – zunächst ein Versandhandel für anspruchsvolle Literatur und Musik – vom Zeitgeist links der Mitte geprägt war. Der Name ist einem Film von Stanley Kubrick abgekupfert worden. Das Programm, naja, durchwachsen: Zunächst wurden Restauflagen verramscht, dann kamen die billigen Nachdrucke und Kursbücher, die wie Klötze in den Regalen der WGs landeten. Die gelben Schwarten des März-Verlages gab es exklusiv bei Zweitausendeins: Günter Amends „Sexfront“, die lüsternen Comics von Robert Crumb, allerlei revolutionäre Flugschriften und Bernward Vespers schwülstige „Reise“ vor der Geburt der RAF. Der Zerfall der außerparlamentarischen Opposition, die K-Gruppen-Sektiererei, das Verschwinden im esoterisch-buddhistischen Nirwana – alles ist in den legendären „Merkheften“ nachzuempfinden – wenn sie jemand gesammelt haben sollte, anstatt zu verbrennen.
Und irgendwann war ja auch wieder jede Mode vorbei und jede neue riss niemand mehr vom Hocker. Was ist übrig geblieben von Zweitausendeins? „Ein Schnäppchenladen“ sagen die meisten. Die Einen verziehen verächtlich das Gesicht dabei, die Anderen schätzen die Fundgrube nach wie vor, die immerhin Besonderheiten hervorgebracht hat wie Wagenbachs Shakespeare-Übersetzungen von Erich Fried. Oder die ganze „Fackel“ von Karl Kraus in zwölf Bänden. „Ich habe immer was gefunden“, sagt Gerd Lache, Journalist und Vorsitzender des Presse- und Medienclubs Südbaden. Dass der Verlag die Freiburger Filiale dicht macht, wundert ihn. „Wenn es in Freiburg nicht funktioniert, wo denn sonst?“ Dazu gibt der Verlag keine Auskunft. Klar ist nur, die Zentrale in Leipzig speckt ab und wird wahrscheinlich das Heil dort suchen, wo es alle finden wollen: Im Internethandel. Dorthin ist längst ein Teil des Publikums abgewandert: „Ich bestell immer bei Amazon!“ ist das Motto, das jedem klassischen Buchhändler die Zornesröte ins Gesicht und alle Buchketten in die rote Zahlen treibt.
Heinz Siebold, 5.8.2012, www.der-sonntag.de

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