Sterbehilfe

Home >Selbsthilfe >Senioren >Sterbehilfe

Blick über den See Genezareth nach Osten zu den Golan-Höhen am 30.10.2013 früh morgens

 „Der Tod kommt hoffentlich erst dann, wenn er mich erlöst“

 

 

In der Schweiz wird darüber diskutiert, ob Hochbetagte Zugang zu einem Sterbemittel bekommen sollten. Was halten Sie davon? „Man sollte nicht unheilbar krank sein müssen, um Hilfe beim Suizid zu erhalten. Wer sein Leben nicht mehr für lebenswert hält und einen vernünftigen Grund hat zu glauben, dass sich das nicht ändert, sollte Zugang bekommen. Das umfasst Leute in höherem Alter mit Beschwerden wie einer schweren Arthritis oder einer beginnenden Demenz, die nicht unmittelbar tödlich sind. Unter solchen Umständen sollten sie ein Rezept für das Sterbemittel erhalten und sterben können, wenn sie das möchten.“
Der australische Philosoph Peter Singer am 24.5.2015 in
https://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/philosoph-peter-singer-ein-embryo-hat-kein-recht-auf-leben-1.18547574 

Haltung der EKD zur Sterbehilfe ist heuchlerisch
Der Vorsitzende der EKD Nikolaus Schneider will seiner krebskranken Frau beistehen und – falls sie sich den Tod wünscht – auf die Unterstützung einer Organisation wie Dignitas in der Schweiz zurückgreifen. Damit steht es schlecht um die Glaubwürdigkeit der EKD. Wie kann die evangelische Kirche verlangen, dass es in Deutschland nicht geben darf und strafbewehrt sein soll, was ihr Vorsitzender selbst tut?
Will die ev. Kirche nicht heuchlerisch oder bigott werden, dann muss die EKD diesen Gegensatz auflösen – und zwar so, wie Schneider es seit langem sagt: Sterbehilfe kann ein Akt der Liebe sein.
18.7.2014

 

Jauch: Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben?
TV, das Erste, vom 19.1.2014
https://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/selbstbestimmtsterben101.html 

Udo Reiter: Mein Tod gehört mir, vom 4.1.2014
https://www.sueddeutsche.de/leben/selbstbestimmtes-sterben-mein-tod-gehoert-mir-1.1856111

Franz Müntefering: Gefährliche Melodie vom 3.11.2014
https://www.sueddeutsche.de/leben/debatte-um-sterbehilfe-gefaehrliche-melodie-1.1854960

 

Mehrheit für Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
Eine von Forsa durchgeführte repräsentative DAK-Umfrage von 1.005 Menschen mit einer statistischen Fehlertoleranz von +/- 3 Prozent hat ergeben, dass 70 Prozent der Befragten zumindest bei schwersten Krankheiten für sich die Möglichkeit haben wollen, eine aktive Sterbehilfe zu erhalten. Sie wollen also, dass hier ärztliche Hilfe legalisiert wird…..
Alles vom 20.1.2014 bitte lesen auf
https://www.heise.de/tp/artikel/40/40784/1.html 

 

Sterbehilfe als letztmögliche Lebenshilfe
Hans Küng  hat 1995 zusammen mit Walter Jens das Buch „menschenwürdig sterben“ veröffentlcht. Darf man als Christ seinem Leben ein Ende setzen?
„Für mich ist das Leben eine Gabe Gottes. aber Gott hat diese Gabe in meine eigene Verantwortung gegeben. Das gilt auch für die letzte Phase des Lebens, das Sterben. Der Gott der Bibel ist ein Gott der Barmherzigkeit und nicht ein grausamer Despot, der der den Menschen möglichst lange in der Hölle seiner Schmerzen sehen will. Sterbehilfe kann also die ultimative, letztmögliche Lebenshilfe sein.“
Hans Küng, 3.1.2014

 

Keine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe – Stellungnahme von „Autonom Leben“

Der Hamburger Justizsenator Roger Kusch hat eine Gesetzesänderung zur Freigabe der „aktiven Sterbehilfe“ gefordert: „Verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe ist für mich kein Verstoß gegen humane Grundwerte, sondern ein Gebot christlicher Nächstenliebe.“
In Deutschland konnte bisher anders als in den Niederlanden oder Belgien die gesetzliche Freigabe der „Aktiven Sterbehilfe“ nicht durchgesetzt werden. Ein Grund sind die Erfahrungen mit der Gesundheitspolitik des Hitler-Faschismus. Die Nationalsozialisten knüpften an der Propaganda für die angeblich so segensreiche und humane Freigabe der „aktiven Sterbehilfe“ an, um ihr Programm der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ und der Endlösung der sozialen Frage zu verwirklichen.
Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die „Euthanasie“ärzte des Dritten Reiches schrieb 1949 der amerikanische Arzt Leo Alexander, „dass allen, die mit der Frage nach dem Ursprung dieser Verbrechen zu tun hatten, klar wurde, dass sie aus kleinen Anfängen wuchsen. Am Anfang standen zunächst feine Akzentverschiebungen in der Grundhaltung. Es begann mit der Auffassung, die für die Euthanasiebewegung grundlegend ist, dass es Zustände gibt, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind. In ihrem Frühstadium betraf diese Haltung nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurde der Bereich jener, die unter diese Kategorie fielen, erweitert und auch die sozial Unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten, die rassisch Unerwünschten dazugerechnet. Entscheidend ist jedoch zu erkennen, dass die Haltung gegenüber den unheilbar Kranken der winzige Auslöser war, der diesen totalen Gesinnungswandel zur Folge hatte.“

Wir halten es daher für gefährlich und grundfalsch, die „Tötung auf  Verlangen“ und die „aktive Sterbehilfe“ gesetzlich zuzulassen:
l  Wenn der Staat es erst einmal zulässt, dass Ärzte ihren Patienten Tabletten oder Spritzen verabreichen, die als einziges Ziel haben, Patienten umzubringen, dann ist nicht nur der Missbrauch programmiert. Eine genaue gesetzliche Regelung führt auch dazu, dass auch der letzte Abschnitt des Lebens voll in der Routine des medizinischen und betreuungsrechtlichen Alltags aufgeht, dass sich dabei pragmatisch zweckgerichtetes Handeln durchsetzen und die Todesspritze zu einer normalen, gleichrangigen Alternative ärztlichen Handelns wird.
l  Auch der Kommerz wird sich rasch der geänderten Rechtslage annehmen. Es wird einen Handel mit diesen Giften geben, das unkontrollierbare Internet bietet sich nahezu dafür an. Es wird einen „Sterbehilfe“-Tourismus und verstärkt spezielle Ärzte und Kliniken geben, deren bevorzugtes Geschäft es sein wird, schwerkranke und schwerstbehinderte Menschen zu töten.
l Die Rechtsprechung der letzten Jahre, aber auch die 1999 vorgelegten „Richtlinien zur Sterbebegleitung und Behandlungsabbruch“ der Bundesärztekammer haben zudem das Tor zur „aktiven Sterbehilfe“ weit aufgestoßen. Die Rechtsprechung in Deutschland verlangt vor einem Behandlungsabbruch die Prüfung,  ob „ein bewußtes oder selbstbewußtes Leben für den betroffenen Patienten zu erwarten sei“ (OLG Frankfurt 1998).  Dieses  Kriterium aber führt unausweichlich in ein Wertesystem, das menschliches Leben erster und zweiter Klasse unterscheidet, mit unterschiedlichem Anrecht auf  Schutz und Menschenwürde. Das ist eine direkte Übernahme der Prämisse der Bioethik, dass es einen grundsätzlichen Unterschied gibt zwischen einem bewussten und selbstbewussten Leben von Personen, die deshalb ein volles geschütztes Lebensrecht haben, und einem menschlichen Leben von „Nichtpersonen“, dem Bewusstheit und Selbstbewusstsein abgesprochen wird und das deshalb vernichtet werden darf, wenn das für die Gesellschaft insgesamt nützlicher erscheint.
l Wenn aktive Sterbehilfe generell freigegeben würde, dann sind sich Kranke und Behinderte buchstäblich ihres Lebens nicht mehr sicher. Permanent stünde ihnen die Aufforderung im Rücken: Warum stirbst du nicht endlich? Warum bittest du nicht um dein Ende?
l Von einem freien Willen kann bei der Bitte um die Giftspritze überhaupt nicht die Rede sein. Die Einsamkeit, die unzureichend behandelten Schmerzen, die schreckliche Situation in den Kliniken und Pflegeheimen, das Gefühl, nur noch anderen zu Last zu fallen, der mehr oder weniger direkte  Druck des sozialen Umfeldes werden weit häufiger diese Bitte um den schnellen Tod bestimmen als der „freie“ Wille.
l Als eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes sollen demnächst auch in Deutschland verbindliche Patientenverfügungen dienen. Aber diese sogenannten Patiententestamente sind ja in der Regel in einer ganz anderen Lebenssituation verfasst worden. Und selbst wenn die Patientenverfügungen schon bei sehr fortgeschrittener Krankheit oder zu einem Zeitpunkt kurz vor Eintreten der Nichtzustimmungsfähigkeit verfasst werden, ist ihre Aussagekraft höchst zweifelhaft.                       .
Und bei nichteinwilligungsfähigen Patienten sollen gesetzliche Betreuer, Angehörige, Ärzte und Vormundschaftsrichter  den „mutmaßlichen Willen“ der Betroffenen ermitteln. Was ist aber der „mutmaßliche Wille“ und kann er überhaupt ermittelt werden?  Der mutmaßliche Wille ist ein sehr manipulatives Instrument; er richtet sich nach  dem Maß des durchschnittlich Vernünftigen. Die Gesunden würden also einem Kranken, in dessen Lage sie sich gar nicht hineindenken können, ihre Auffassung aufpressen.
l Dass Menschen in kritischen Lebenslagen mit Selbsttötungswünschen reagieren, ist normal. Die Frage ist dann, wie mit solchen Wünschen respektvoll umgegangen wird. Das Angebot des schnellen Todes ist hier ganz sicher der falsche Weg. Aufgabe des Arztes, der Pflegenden und der Angehörigen ist es vielmehr, in solchen Situationen die Not hinter dem Tötungswunsch sensibel wahrzunehmen und ernst zu nehmen.                             .
Und wenn es nicht zu verhindern war, dass sich Menschen selbst töten, dann ist das allemal Anlass zu trauern, innezuhalten, nachzudenken, was falsch gelaufen ist. Es darf aber nicht zum Anlass genommen werden, neue Gesetze zu fordern, die die Selbsttötung oder das Tötung auf Verlangen erleichtern, oder gar eine neue „praktische“ Ethik oder Moral als sozial notwendig zu verlangen, die das Tötungstabu grundsätzlich aufhebt.
l „Sterbehilfe“ ist nicht zuletzt eine ökonomische Frage. 60 bis 70 Prozent der gesamten Behandlungskosten eines Lebens fallen in den letzten zwei Lebensjahren an. Da ist die Versuchung groß, die maroden Gesundheitssysteme durch die Tötung dieser Patienten zu sanieren. Die Praxis der „Sterbehilfe“ in den Niederlanden oder Belgien ist für die Kosten und Nutzen abwägenden Sozial- und Gesundheitspolitiker weltweit daher durchaus Vorbild.         .
Rund 40.000 Menschen fallen zum Beispiel in Deutschland jedes Jahr ins Koma, die meisten für wenige Tage oder Wochen, rund 3000 aber für mehr als ein halbes Jahr. Die Behandlung eines Komapatienten kostet monatlich mindestens 5.000 Euro. Es ist daher kein Zufall, dass diese Menschen am häufigsten als Argument für die „aktive Sterbehilfe“ herhalten müssen.                               .
Ein radikales „Sterbehilfe“-Gesetz, die Zulassung der Giftspritze ist daher weit mehr ein Gebot  des  Wettbewerbs- und Standortvorteils als ein Gebot christlicher Nächstenliebe.
Autonom Leben e.V., Hamburg, www.autonomleben.de, 1.12.2005
newsletter Behindertenpolitik Nr. 22 (erscheint als Beiheftung der Zeitschrift BIOSKOP Nr. 32)
Redaktion: Volker van der Locht, eMail: volkervanderlocht@t-online.de

 

 

Selbstbestimmt und mündig sterben können

Vom rechten Zeitpunkt des endgültigen Abschiednehmens / Selbstbestimmt und mündig sterben können – das ist ein Wunsch, den nicht nur alte Menschen haben

Ein Mensch stirbt. Erst jetzt ist seine Zeit endgültig zu Ende. Selbst wenn er Jahre im Bett gelegen hat, „ein Pflegefall“, wie es heißt, dement dazu und also wirklich nicht mehr von dieser Welt – solange er lebt, hat er noch Zeit. Ist noch – wie minimal auch immer – Veränderung möglich. Mein Mentor und Freund starb, achtzigjährig. „Jetzt wäre es schwierig geworden“, sagte seine Frau bei der Beerdigung, „ich konnte ihn nur noch mit der Pipette füttern.“ Und ich fühlte mich in meinem hartnäckigem Glauben bestätigt, dass der Mensch doch letzten Endes den Zeitpunkt seines Todes mitbestimmt. Er starb, als seine Anwesenheit mehr Last als Bereicherung bedeutet hätte; er wollte sterben. Das sage ich mir. Ich sage mir das, seit ich den Abschiedsbrief eines Stiefonkels in den Händen hielt: Im Kriegswinter 1945 schrieb der pensionierte Arzt, erschöpft von den Strapazen der Flucht, seiner Frau, mit der er die Härten der Flucht geteilt hatte, fünf Zeilen des Abschieds, am Abend. Am nächsten Morgen war er tot.

Selbstbestimmt sterben – ist diese Vorstellung vielleicht nur der letzte, äußerste Wellenring jenes Aufklärungsglaubens, der Menschen Mündigkeit zuspricht? Nicht wissen, nicht wenigstens mit bestimmen können – eine Zumutung, die am Ende des Lebens harrt. „Die Jugend ist eigentlich zu schön, um sie an die Jungen zu verschwenden“ – eine kühne Formulierung. Und das Alter? Nach all den Jahren des Wachstums, der Entwicklung zu einem – hoffentlich – immer klareren Selbstbild, bewegt der alte Mensch sich auf eine Nebellandschaft zu. Wie wird das Ende sein? Schnell und kurz in einem Unfall? Unvermerkt entschlummern? Oder im Kopf nichts mehr finden können, obwohl man doch immer Ordnung hielt? Oder dem Körper ausgeliefert sein, der einem heimtückisch eingegebenen Verfallsdatum gehorcht? Habe ich noch zwanzig Jahre vor mir oder zwei? Ich kenne Beispiele. Der Freund, der sich monatelang allein durch die Wildnis des kanadischen Yukon schlug und dann auf einer Landstraße vom Fahrrad kippte – Herzstillstand. Oder der Vater, den die geballten Morphiumspritzen zuletzt von der mörderischen Atemnot befreiten. Aber auch die uralte Mutter, die meine Schwester und ich mit dem Singen ihrer Lieblingschoräle in den Tod begleiteten. Welchen Tod wünsche ich mir? Doch einen, der mir noch eine Weile lebendige Lebenszeit gibt und dann einen bewussten, aber schnellen Abschied. So was wie eine Zusammenfassung: Den letzten Satz meines Textes selber sprechen. Mir nicht das Wort aus dem Mund nehmen lassen. Wenn die Art, wie ein Mensch stirbt, tatsächlich seine Art zu leben spiegelt, dann setzt das Sterben – wie der letzte Satz eines Textes – einen entscheidenden Akzent. Danach ist keine Korrektur mehr möglich. Er hat das Wort abgegeben; jetzt haben es die Überlebenden. Deshalb schwingt bei Beerdigungen oft eine leise Heiterkeit mit.
Alles von Maria Bosse-Sporleder am 30.11.2005 auf www.bzol.de lesen
Die Autorin lebt als Dozentin und Leiterin von Schreibwerkstätten in Freiburg

 

Sterbehilfe in Deutschland – Hospiz Karl Josef Freiburg
Muss man sich hierzulande vor einem schmerzhaften Tod in Einsamkeit fürchten? Eine Reise mit sechs Stationen

Die Hand, die sich zur Begrüßung entgegenreckt, ist weich, wässrig und prall geschwollen. Es ist alles andere als eine fröhliche Gesellschaft, die sich hier um den Tisch versammelt hat. Der gemeinsame Ausflug in die Normalität beim Mittagessen im Hospiz Karl Josef gestaltet sich zäh, trotz Blumen auf dem Tisch, Hühnerfleisch und klassischer Musik. Walter Rudolf erzählt mit blutunterlaufenen Unterarmen von seinem Wochenende, einem Ausflug mit dem Rollstuhl zum Waldrand vor der Tür. Karin Solms versucht mit zitternder Gabel die wenigen Nudeln aus ihrem Schüsselchen zu fischen, während sie und ihren Tumor die Worte der Mitpatienten und Pfleger am Tisch schon gar nicht mehr zu erreichen scheinen. Sterben – nur damit wir wissen, wovon wir reden – Sterben ist in Deutschland immer noch Sterben – nicht mehr und nicht weniger. Trotz Schmerzpumpe, Hospizstationen und aufopferungsvollen Menschen.

Die Hospizschwester Warum Cornelia Netzer-Kaplanian als stellvertretende Leiterin im Hospiz Karl-Josef in Freiburg gelandet ist, weiß sie noch genau. Nach zwölf Jahren auf der Krebsstation hätte sie nach etwas anderem gesucht, sagt sie, an diesem Morgen in dem leeren Hospiz-Gästezimmer, während im Hintergrund nur das Rascheln der Kleidung und das Ticken der großen Standuhr im Flur zu hören ist. Tick, Tack; Tick, Tack – die Stunden zwischen Gongschlag und Gongschlag schleichen dahin in der Türkenlouisstraße Nummer 22 – unaufhaltsam. „Im Krankenhaus ist es ein Kampf bis zur letzten Minute“, erzählt sie, bei dem einem noch kurz vorm Tod die nächste Blutkonserve angehängt werde. „Aber wenn mir bis zum Ende immer wieder ein Strohhalm vorgehalten wird, dann greif ich doch zu“, sagt die 53-Jährige. Die Bewerbung vor dreieinhalb Jahren im Hospiz sei für sie deshalb „die Suche nach einer menschenwürdigen Medizin gewesen“. Unter Menschen, deren Angehörige die aufwändige Pflege ihre sterbenden Verwandten zu Hause nicht mehr stemmen können. Oder Sterbenden, die einfach niemand haben, der sie auf dem letzten Weg begleitet. Zwar ist auch im Hospiz, so ist zu erfahren, der Alltag für viele Menschen ein Warten auf den Tod. „Manche können nicht aufstehen“, erzählt Netzer-Kaplanian, „die Tage werden länger, sie wachen morgens auf, nur um festzustellen, dass sie immer noch nicht gestorben sind.“ Das Nicht-aushalten-Können dieses Zustands, lautet die Erfahrung der hageren Frau, sei oft das Quälendste für ihre Gäste, wie die Patienten hier genannt werden. Aber mit dem Entschluss ins Hospiz zu gehen, die Therapie abzubrechen und die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben, würden viele noch einmal Kraft schöpfen: Kraft beispielsweise, um unter Höchstdosen von Morphin noch ein ganzes Buch zu Ende zu schreiben. „Diejenigen, die mit ihrem Leben und Sterben hadern“, sagt Cornelia Netzer-Kaplanian, „haben es meist am schwersten.“

Der Brückenpfleger
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, darin sind sich die zwei Männer und zwei Frauen einig. „Im tiefsten Inneren des Herzens wissen unsere Patienten, dass sie keine Chance haben“, meint Astrid Ebach stellvertretend für ihre Kollegen. „Aber eine Etage drüber, da hoffen die meisten doch, das alles wieder gut wird.“ Besuch bei der Brückenpflege, einmal durch den prachtvollen Parcours der Uniklinik hindurch, links hinten, im Tumorzentrum neben der Litfasssäule. Rainer Fritsche, Astrid Ebach, Annemarie Schöll und Ulrich Knapp betreuen mit zwei weiteren Kollegen momentan 32 Krebspatienten, in den eigenen vier Wänden. Sie organisieren das Lebensnotwendige, den Pflegedienst und beraten bei den Tabletten und der Schmerzmedikation.
Und sie sind 24 Stunden am Tag erreichbar, wenn die Schmerzen zu quälend werden oder ein pflegender Ehemann ins Krankenhaus muss. Die zähe Hoffnung der Patienten zeigt sich zum Beispiel darin, dass rund die Hälfte der Betreuten versucht, mit Mistel-, Magnetfeldtherapie oder Vitaminpräparaten noch ein Wunder zu bewirken. Dass jemand den Tod akzeptiere, passiere meist spät, sagen die Pfleger. Erst dann, wenn den Kranken die Kraft zum Kämpfen verlasse.
Sterbehilfe? Alle Vier geben zu, im Zusammenhang mit dem eigenen Tod darüber nachgedacht zu haben. Aber die Frage scheint eher ein Problem der Gesunden zu sein. Derjenigen, die den Berg noch vor sich sehen und sich dessen Bewältigung nicht vorstellen können. Ein Krebskranker, heißt es, sei aber oft zu schwach, um überhaupt über den nächsten Tag hinaus zu denken. Geschweige denn, dass er einen Blick Richtung Gipfel werfen möchte. „Für viele Patienten ist jeder Tag ein eigenes Universum“, sagt Fritsche. Allein im letzten Jahr hat die Brückenpflege 300 Krebskranke übernommen. Umgebracht haben sich in den zehn Jahren seit der Gründung nur zwei.

Der Angehörige
Wenig später klingelt Ulrich Knapp an der Tür von Wolfgang Roth, dem Mann einer ehemaligen Patientin. Ein Haus zwischen Kaiserstuhl und Tuniberg, dörfliche Umgebung, gutbürgerlich, hell, behaglich und – leer. „Am 3. August hat Karin aufgehört zu atmen“, sagt der 66-Jährige mit belegter Stimme. Auf ihrem Klavier hinten in der Ecke hat er ihren Altar, wie er ihn nennt, aufgebaut. Zwei Kerzenleuchter, eine Rose, dazwischen Bilder vom Urlaub am Meer, Karins Jacke von der Bö aufgebläht, die blonden Haare windzerzaust. Das Haus in der Provence, die Wanderung in den Bergen. „Und auf allen Bildern“, sagt Roth, „trägt sie das Monster schon in sich.“ Das Monster, der Tumor im Darm, der sich immer weiter ausbreitete – zehn Jahre lang. „Ein Kampf mit partiell begrenzten Siegen“, sagt der sanfte, intellektuelle Mann mit Tränen in den Augen. Im Dezember 2004, als die von Metastasen zerfressenen Wirbel im Rücken brachen, habe Karin schließlich endgültig aufgegeben: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ Im April 2005 sagte sie: „Mein Gott, wie geht es mir gut.“ Karin lag im Bett, um mit dem Rollstuhl auf die Terrasse gefahren zu werden, war sie bereits zu schwach. „Aber alle waren da“, sagt ihr Mann, „so oft sie konnten.“ Die Söhne, die Schwestern. Die Familie sei um das Sterbebett zusammengerückt, und so sei es bis heute geblieben. „Es ist auch die Aufgabe des Sterbenden, seine Angehörigen auf den eigenen Tod vorzubereiten“, hatte eine Stunde vorher noch Astrid Ebach im Tumorzentrum gesagt. Vor allem, denjenigen, die ihre Angelegenheiten nicht geordnet hätten, die ihre wichtigen Probleme und Konflikte nicht klären konnten, falle es schwer, loszulassen.

Die Patientin
Anita Vesper hat Krebs, Lungenkrebs. Vor allem mit der Luft habe sie manchmal Probleme, verrät die 74-Jährige. „Manchmal springe ich auf, renne auf den Balkon und schnappe nach Luft wie ein Fisch an Land.“ Oft sind es auch die schmerzhaften Hustenanfälle, die sie auf den Balkon treiben. Und weil sie die Nachbarn dort nicht so sehen sollen, so ohne Haare nach der Chemotherapie, trägt sie diesen roten Samtturban, zu Bademantel, Ohrringen und Nachthemd. Schmerzen? Am Anfang habe es schon wehgetan, sagt die Frau, bis der Arzt die richtige Arzneimischung gefunden hatte. Die Metastasen im Kopf, das Dröhnen, das Rauschen, das Stechen. „Ohne die Medikamente wäre ich längst vom Balkon gesprungen.“ Schmerztherapie bei Tumorpatienten sei nur in optimaler Zusammenarbeit mit den beteiligten Berufsgruppen zu erreichen, sagt Rainer Fritsche, und meint damit auch die Hausärzte. „Die Zusammenarbeit ist aber leider aber nicht immer vollständig möglich.“ Dank des Zusammenspiels von einem Pflaster auf der Haut, das fortlaufend Opiate in ihre Adern sickern lässt, und den Schmerztabletten sei von ihren Schmerzen ein dumpfes aber erträgliches Leiden übriggeblieben, sagt Anita Vesper. Das Leben verleiden können einem Krebspatienten aber auch chronische Durchfälle, Verstopfungen oder der wunde Mund nach der Chemotherapie. „Das meiste kriegen wir mit den Ärzten in den Griff“, versichert Fritsche. Bei Anita Vesper war es vor allem die Angst. Die Angst, sich hinzulegen beispielsweise. „Ich krieg den Spruch ,im Bett sterben die Leut ’ nicht mehr aus meinem Kopf“, sagt sie. Dank einer neuen Pille könne sie jetzt endlich einschlafen. „Man muss natürlich wissen, dass diese Tablette auf die Dauer süchtig machen kann“, räumt der Pfleger vor der Haustür ein. Die Möglichkeit einer Medikamentenabhängigkeit erscheint dem Pfleger in dieser Situation eher unbedeutend. „Was ist schlimmer“, sagt er, „Angst oder Atemnot oder solche Nebenwirkungen?“

Der Arzt „Medizinisch gesehen, bräuchte unter Schmerzen heute so gut wie keiner mehr zu sterben“, bestätigt auch Wilhelm Freiherr von Hornstein, der Leiter der Schmerzmedizin in der Freiburger Klinik für Tumorbiologie und Vorsitzender der Hospizgruppe Freiburg. Bei fünf bis zehn Prozent scheitert allerdings oft auch seine Kunst. „Aber wenn Sie eine gute Schmerztherapie machen, fangen die Probleme oft erst an“, sagt er. Der Patient beginne Fragen zu stellen. Über das Leben, den Tod. „Damit müssen sie erstmal klar kommen.“ Leider sei es aber ein Grundproblem der Ärzte, Erfolg und Selbstbestätigung primär in der Heilung der Krankheit zu sehen, nicht in der Lebensqualität des Kranken. „Wir werden vor allem ausgebildet, in den Kampf gegen Infektionen und Tumoren zu ziehen“, sagt von Hornstein. Aber wie sieht eine gute Palliativmedizin aus? „Der Patient braucht Ehrlichkeit“, sagt der Mediziner, „und er braucht den Freiraum, selbst zu gestalten, was er noch gestalten kann. Auch wenn es nur die Dosierung der Schmerzpumpe ist. Die Autonomie, eine Botschaft zurücklassen zu dürfen. Kein Mensch möchte einfach kommentarlos verschwinden.“ Aber wer heutzutage hierzulande als Arzt Palliativmedizin machen wolle, müsse dafür Freizeit opfern. Entlohnt werde es ihm kaum.

Der Geschäftsmann Wahrscheinlich ist deshalb auch das Hospiz Karl-Josef für Helmut Schillinger ein Zuschussbetrieb, nur dass Schillinger kein Arzt, sondern Verwaltungswirt und Geschäftsführer des Regionalverbunds kirchlicher Krankenhäuser ist. Ein Engagement, das er und die Kirche sich jährlich rund 110000 Euro kosten lassen, wenn sie nicht über Spenden wieder hereingeholt werden können. Rund 170 Euro kostet eines der acht Hospizbetten am Tag, 85 Prozent übernehmen die Kassen, der Rest bleibt beim Träger . 22 Tage, referiert Schillinger, bleibt der durchschnittliche Gast in der Türkenlouisstraße.
In den Krankenhäusern sieht die Situation nicht besser aus. Weil die Politiker die Sterbemedizin ohne geeignete Fallpauschalen zum Verlustgeschäft werden ließen, steht in der Uniklinik Freiburg zwar eine neue Palliativstation – genutzt wird sie aber für gewöhnliche Privatpatienten. Sieben Palliativbetten auf eine Million Einwohner gibt es in Baden-Württemberg, elf duchschnittlich in Deutschland, 30 gelten international als erwünscht. Ähnlich das Bild bei den stationären Hospizen. Neun gibt es für je eine Million Baden-Württemberger, 15 im Schnitt in Deutschland, 20 gelten als notwendig. Zwar hat die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, weitere Plätze zu schaffen. Schon jetzt merkt die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin aber kritisch an, dass jegliche konkrete Festlegung fehle. Zwar sei die Warteliste für das Freiburger Hospiz nicht immer ausgebucht, sagt Schillinger. Immer wieder ständen auch Gästezimmer leer. Viel werde außerdem in der Familie aufgefangen. Jeder dritte Tumorpatient stirbt zu Hause. „Und trotzdem gibt es anscheinend zu viele Menschen, die diesen Schritt heute noch einsam gehen müssen.“ Zumindest in einem würden sich aber alle gleichen, sagt seine Angestellte Netzer-Kaplanian: „Wenn sie einmal gestorben sind, wirken alle Gesichter seltsam gelöst.
Alles von Michael Brendler vom 19.11.2005 auf www.bzol.de lesen

 

 

Ansichten einer Todgeweihten über Weiterleben, Sterben und Rechtslage

Wie weit darf das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben gehen? Mich treibt die Frage um, seit mein Brustkrebs vor fünf Jahren Lungenmetastasen gebildet hat und damit nicht mehr geheilt werden kann. Da war ich 43 Jahre alt und hatte noch eine statistische Lebenserwartung von zwei Jahren. Als ich 45 war, bescherten mir erneute Lungen- und Rippenfellmetastasen neun schlimme Monate mit Schmerzen und Luftnot, bevor ein neues Medikament sie wieder eindämmen konnte. Aber auch das wird mir nur noch im besten Fall wenige Jahre Lebenszeit gewähren.

So droht mir ein frühzeitiges und wohl auch qualvolles Sterben – trotz aller Hilfe durch die Palliativmedizin, die ich sicher in Anspruch nehmen werde. Zudem habe ich mit ansehen müssen, wie meine Mutter vor fünf Jahren an ihren Brustkrebsmetastasen starb. Zwar konnte ich sie nach einer Odyssee durch überforderte Krankenhäuser in einem Hospiz mit liebevoller Betreuung unterbringen – doch auch dort hielt sie an ihrem Wunsch nach Sterbehilfe fest. Und auch ich wünsche mir, dass mich jemand ohne Angst vor Strafe beim Freitod begleiten darf, wenn ich nicht mehr leben will.

Dabei will ich den Wunsch nach Sterbehilfe nicht gegen das aufopfernde Engagement der Hospizbewegung und der Palliativmedizin ausspielen. Ich verstehe auch die Angst vor Missbrauch und einer zu liberalen Regelung, die den Druck auf kranke und alte Menschen erhöhen könnte, aus finanziellen oder sozialen Gründen aus dem Leben zu scheiden. Dennoch bin ich froh, dass endlich auch bei uns in Deutschland über Sterbehilfe gesprochen wird – trotz unserer NS-Vergangenheit mit einer „Euthanasie“, der von 1939 bis 1945 bis zu 250000 behinderte Menschen zum Opfer fielen.

Eigentlich heißt Euthanasie „schöner Tod“. Und darum geht es mir: Endlich wird auch bei uns über das Tabu Tod gesprochen. Über unseren Umgang mit dem Sterben, das wir so gerne verdrängen. Über unseren Alltag in Krankenhäusern und Pflegestationen, über die Apparatemedizin, die Schwerkranken oft das Selbstbestimmungsrecht über ihr Sterben raubt. Über den Widerspruch, Sterbebegleitung und Schmerztherapie sonntags zu loben, aber werktags nur unzureichend Geld dafür bereitzustellen. Endlich wird auch über die Angst der Menschen vor einem unwürdigen Tod, vor Siechtum und quälenden Schmerzen gesprochen; das sind die Gründe, weshalb laut manchen Umfragen 70 Prozent für aktive Sterbehilfe bei Schwerstkranken plädieren. Sicher würden viele anders stimmen, wenn sie sicher sein könnten, ausreichend schmerzlindernde Medikamente zu bekommen und menschenwürdig beim Sterben begleitet zu werden. Doch immer noch gilt ein äußerst rigides Betäubungsmittelrecht, das Experten für völlig überzogen halten. So hat Deutschland in Europa den niedrigsten Verbrauch an Morphinen. Über 92 Prozent der 220000 Menschen, die jährlich an Krebs sterben, leiden aber in ihrer letzten Lebensphase unter starken Schmerzen. Von anderen grausamen Krankheiten abgesehen. Für sie alle gibt es bundesweit nur 1000 ausgebildete Schmerzmediziner.

Wäre nicht eine klare Rechtslage schützender – für Ärzte und Patienten?
Aber auch mit Palliativmedizin blieben fünf bis zehn Prozent der Tumorkranken übrig, die trotzdem unerträgliche Schmerzen leiden. Und die den Tod als Erlösung herbeisehnen. Oder die die Begleitumstände ihrer Krankheit als so entwürdigend empfinden, dass sie ihr Leiden beenden wollen.

Das habe ich auch persönlich bei Krebskranken miterlebt: Meine Mutter bekam zwar im Hospiz ausreichend Morphium, das ihre Tumorschmerzen linderte. Sie drohte auch nicht mehr wie im Krankenhaus, aus dem Fenster zu springen, ertrug ihre letzten Tage aber nur, weil ihr Wille akzeptiert wurde, nicht mehr zu essen und damit ihren Tod zu beschleunigen. Ich kann für mich nicht ausschließen, irgendwann ähnlich zu empfinden. Vielleicht erfahre ich dann trotz aller liebevollen Begleitung so wenig Lebensqualität, erlebe mein Sterben als so qualvoll, hässlich und würdelos, dass ich nicht mehr will.

Ich finde es verkürzt, wie der Palliativmediziner Eberhard Klaschik, argumentiert: „Wer keine Schmerzen hat, will nicht sterben.“ Sicher ist Palliativmedizin „aktive Lebenshilfe“. Aber was ist mit all denen, die trotz aller Unterstützung durch Hospize und Angehörige immer noch selbst bestimmt ihrem Leben ein Ende setzen wollen und dabei Hilfe brauchen? Sie werden in aller Regel allein gelassen.

Sie treffen in Deutschland auf eine rechtliche Grauzone, die weder von Ärzten noch Patienten richtig durchschaut wird: Aktive Sterbehilfe gilt laut Strafgesetzbuch als strafbares Töten auf Verlangen oder sogar als Totschlag und kann mit Haft bis fünf Jahren bestraft werden. Passive Sterbehilfe dagegen ist nach Urteilen des Bundesgerichtshofes straffrei, wenn „in unmittelbarer Todesnähe“ lebensverlängernde Maßnahmen beendet werden, indem zum Beispiel lebenserhaltende Maschinen ausgeschaltet werden. Indirekte Sterbehilfe ist im Prinzip ebenfalls straffrei, wenn sie dem erklärten oder „mutmaßlichen“ Willen der Sterbenden entspricht: Dann dürfen Ärzte Schmerzmittel auch verabreichen, wenn sie damit den Tod beschleunigen. Ebenfalls nicht strafbar ist Beihilfe zum Selbstmord: Der Arzt darf also dem Sterbewilligen ein tödliches Medikament geben, darf sogar die Giftspritze anlegen, sofern sie sich der Patient dann selbst gibt.

Dann aber, wenn der Patient bewusstlos ist, muss der Arzt alles Mögliche tun, um dessen Tod zu verhindern – sonst droht ihm eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung. Er darf also nicht bei seinem sterbenden Patienten bleiben, sondern muss ihn allein lassen, um sich selbst zu schützen. Mir erscheint das doppelbödig und unmenschlich.

Bereits sieben Millionen Deutsche haben bislang Patientenverfügungen verfasst. Doch noch nicht einmal diese Dokumente des Patientenwillens sind bislang rechtlich verankert. Immer noch nehmen manche Ärzte lieber den weniger schlimm bestraften Vorwurf der Körperverletzung in Kauf und behandeln ihre Patienten trotz gegenteiliger Verfügungen weiter. Denn wenn sie dem Patientenwillen folgen und die Behandlung abbrechen, dann drohen ihnen höhere Strafen wegen unterlassener Hilfeleistung. Auch bei einer eindeutigen Willenserklärung des Patienten muss meist noch das Vormundschaftsgericht angerufen werden. Die vorige Regierung wollte Patientenverfügungen mehr rechtliches Gewicht geben. Ob die große Koalition aus CDU/CSU und SPD dieses heiße Eisen noch einmal anpackt, ist fraglich. Besonders in der Union, aber auch in Teilen der SPD gibt es viel Widerstand. Damit rückt eine verbindliche Regelung der Patientenverfügungen in weite Ferne – die rechtliche Grauzone bliebe bestehen. Natürlich bleibt Sterbewilligen noch die Möglichkeit, sich selbst zu töten. Das ist sogar bei uns straffrei. Aber meist wissen sie in ihrer großen Not einfach nicht, wie sie an Medikamente kommen sollen, mit denen sie auf schmerzfreie und sichere Weise ihr Leben beenden können. Natürlich gibt es Ärzte, die ihren Patienten in irgendeiner Form beim Sterben helfen. Aus Angst vor Strafe reden sie nicht darüber. Sterbehilfe bleibt so in der Grauzone. Damit wird aber auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, dubiosen Sterbehelfern und Geschäftemachern. Wäre da nicht eine klare Rechtslage schützender, nicht nur für alle unerträglich leidenden Menschen, sondern auch für ihre Ärzte? Ich bin mir ganz sicher, dass ich dann viel leichter und angstfreier „ja“ zu einem Leben sagen könnte, das ich sonst vielleicht nicht mehr aushielte.
Jutta Redmann. 19.1.2005, Jahrgang 1957, freie Journalistin und lebt in Bonn

 

 

Sterbehilfe und Stammzellenforschung – Projekt Treffpunkt Ethik

Die Beteiligten am „Treffpunkt Ethik“ diskutieren im Heinrich-Hansjakob-Haus übers Internet ethische Fragen
Ein behindertes Kind abtreiben? Die Eltern ins Heim geben? Solche ethische Fragen sollen im Internet diskutiert werden. Das sieht das deutschlandweite Projekt „Treffpunkt Ethik“ vor, das klären möchte, welche Chancen das Netz zum Bearbeiten ethischer Themen bietet. Dabei treten Menschen verschiedener Schichten und unterschiedlichen Alters per Computer in Kontakt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt, das die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung ins Leben gerufen hat.

Am 17. Februar 2005 startet „Treffpunkt Ethik“ im Heinrich-Hansjakob-Haus, einem Begegnungs-, Beratungs- und Bildungshaus für ältere Menschen, dessen Träger die Caritas und das Bildungs- sowie Altenwerk des Erzbistums Freiburg sind. Welcher Frage die Teilnehmer und Teilnehmerinnen nachgehen werden, ist noch unklar. Aber Wilhelm Pfaff, Bildungsreferent im Heinrich-Hansjakob-Haus, kann sich vorstellen, „dass man darüber spricht, ob man seine Eltern ins Pflegeheim geben darf. Ein Thema, das jung und alt gleichermaßen beschäftigt.“ Auf die ethische Frage, die erörtert werden soll, müssen sich die Teilnehmenden einigen. Das soll beim ersten Treffen geschehen, bei dem sich alle kennen lernen und außer dem Thema technische Fragen klären werden. Anschließend wird die Diskussion über ein Forum im Internet geführt. „Nur die Teilnehmer und Teilnehmerinnen können auf das Forum zugreifen – so oft sie wollen und jederzeit“, sagt Wilhelm Pfaff. Nach vier Wochen tauschen dann alle Beteiligten ihre Erfahrungen aus. Sie können auch einen Fragebogen des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover ausfüllen, welches das Projekt wissenschaftlich betreut.

Kommt das Projekt bei den Teilnehmenden an, dann könne man künftig parallel zu Seminaren im Internet Foren einrichten, in denen die Teilnehmer zusätzlich diskutieren und sich informieren können, so Wilhelm Pfaff. Am „Treffpunkt Ethik“ können alle teilnehmen, die ein ethisches Thema übers Internet bearbeiten möchten. „Auch junge Leute können mitmachen. Zwar treffen sich im Heinrich-Hansjakob-Haus vorwiegend ältere Menschen, aber sie freuen sich, wenn junge Leute vorbeischauen“, sagt Wilhelm Pfaff. Wer keinen Computer hat, kann das Internetcafé im Bildungshaus nutzen, um beispielsweise bei der Pflegeheim-Diskussion mitzureden.
MS, 25.1.2005

Treffpunkt Ethik beginnt am 17. Februar, 14.30 bis 17 Uhr; Kosten für fünf Treffen: 22 Euro
Infos zum Heinrich-Hansjakob-Haus in Freiburg >Senioren

 

Diskussion mit Peter Singer über Menschenwürde – eine Nachbetrachtung

Zum Auftritt Peter Singers bei der Internationalen Konferenz „Menschenwürde & Wissenschaft“ des Deutsch-Amerikanischen Instituts in Heidelberg am 11.12.2004: Das Deutsch-Amerikanische Institut hatte sich vorgenommen, im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema „Menschenwürde & Wissenschaft“ eine Versachlichung der Diskussion um den umstrittenen Ethiker Peter Singer herbeizuführen, dessen Auftritte in Deutschland bislang stets von Protesten begleitet waren und z.T. auch verhindert wurden. Singer sollte zwar gehört, seine Thesen aber vor allem einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Es sollte darum gehen, selbst­bewusst mit der Singer’schen Theorie umzugehen und sich der wissenschaftlichen Diskussion zu stellen.

Den Rahmen für diese Auseinandersetzung bot eine Konferenz, zu der als Garanten für eine versachlichte Debatte die Professoren Martha Nussbaum, Dietmar Mieth, Marcus Düwell, Julian Nida-Rümelin, Reinhard Merkel, Rüdiger Wolfrum und Shirin Ebadi eingeladen worden waren. Dabei wurde versucht, die Normalität einer wissenschaftlichen Business-as-usual-Veranstaltung zu vermitteln. Zwar hatte es am Vormittag auch eine kleine Anti-Singer-Demonstration vor dem Gebäude gegeben, von Protesten war aber eine halbe Stunde vor Singers Auftritt nichts mehr zu sehen oder zu hören.

In seinem Vortrag „Dignity – What’s so Special About Human Beings?“ brachte Singer – ausgehend vom Begriff der Menschenwürde, dem Thema der Tagung – einige seiner zentralen Thesen aus der „Praktischen Ethik“. Danach sollte Würde nicht nur Menschen, sondern entweder allen Lebewesen zukommen oder allen mit bestimmten Fähigkeiten: Personen. Zum Personsein gehört nach Singer mehr als die Zugehörigkeit zur Spezies Homo sapiens, das entscheidende Kriterium sind für ihn die kognitiven Fähigkeiten, die bei Tieren höher entwickelt sein können als bei manchen Menschen (Babys, Gehirnkranke). Entsprechend müssten die Interessen von Tieren mit besonderen kognitiven Fähigkeiten berücksichtigt und ggf. gegen die Interessen des Menschen abgewogen werden. So seien Tierversuche z.B. dann gerechtfertigt, wenn sie Menschen dazu verhelfen, weiterzuleben, denn das Interesse des Menschen, sein Leben fortzusetzen sei größer als das von Mäusen und Ratten, weil diese im Ge-ensatz zum Menschen kein biographisches Gedächtnis und keine Pläne für ein zukünftiges Leben hätten. Gleichzeitig sollten Menschen, deren kognitive Fähigkeiten unterhalb eines bestimmten Niveaus lägen, weniger das Recht auf Weiterleben haben, denn sie besäßen ebenso wenig ein biographisches Gedächtnis und Zukunftspläne wie Mäuse und Ratten. In bestimmten Fällen habe man sogar eine Verpflichtung, Menschen zu töten, nämlich dann, wenn sie leiden.

Vielleicht lag es daran, dass diese Thesen Singers bereits zur Genüge bekannt sind und ebenso die Einwände gegen sie, dass es in der anschließenden Fragerunde keine grundlegende Kritik an Singers Theorie gab. Auch die anderen Referenten hielten sich weitgehend zurück, es wurden nur einige Detailfragen behandelt. Erst der Vortrag des explizit als Singer-Kritiker eingeladenen Utrechter Philosophen Marcus Düwell und die darauf folgende Diskussion brachten die entscheidende Differenz auf den Punkt: Während der Begriff der Menschenwürde für Düwell zentral ist, hat er im Konzept Singers keinen Platz. Gerade in diesem maßgeblichen Aspekt konnte allerdings auch Düwell dem „rational“ argumentierenden Singer wenig entgegensetzen, dessen Theorie den „Vorzug“ hat, leicht verständlich und auf den ersten Blick klar und einleuchtend zu sein, während sich Konzepte wie „Menschenwürde“ kaum anders als durch tradierte Moral und Kultur begründen lassen und so für viele letztlich „unlogisch“ und damit inakzeptabel und bestenfalls Glaubensfragen sind.

Das war das Dilemma der gesamten Veranstaltung, die damit ihr Ziel der sachlichen Auseinandersetzung in Kernfragen verfehlen musste. Zwar war sowohl bei den anderen Referenten als auch im Publikum die Anti-Singer-Haltung nahezu einhellig. Dass fast alle Anwesenden im Grunde zu Singer völlig konträre Auffassungen vertraten, erschloss sich jedoch nicht ohne Weiteres. Im Vergleich zu der demonstrativen Offenheit, dem Suchen von Gemeinsamkeiten und der Würdigung bestimmter Teile der Singer’schen Theorie wurde das Abwegige grundsätzlicher Theoreme Singers kaum thematisiert. Anscheinend kann man einen so selbstverständlich in unserer kulturellen Tradition verankerten Grundwert wie die Menschenwürde nicht „wissenschaftlich“ begründen und damit auch dessen Leugnung schwer widerlegen. Deshalb bleibt es aber auch fraglich, ob es sinnvoll sein kann, ihn in einer solchen Veranstaltung zur Disposition zu stellen.
Rosetta del Enzo in 1000fragen.de am 14.1.2004
www.1000fragen.de, www.aktion-mensch.de

Wird Tötungsphilosoph Peter Singer in Deutschland hoffähig?
Der umstrittene australische Philosoph Peter Singer erhält nach 15jähriger Debatte über Redeverbot im deutschsprachigen Raum erstmals öffentliches Podium. Auf einer internationalen Konferenz in Heidelberg spricht sich der Ethiker für die aktive Tötung schwerstbehinderter Menschen aus. Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB) fordert, Peter Singer in Deutschland kein Podium für Agitationszwecke zur Verfügung zu stellen. Auf seiner internationalen Konferenz zum Thema „Menschenwürde und Wissenschaft“ hat das Deutsch-Amerikanische Institut in Heidelberg dem australischen Philosophen und Ethiker Peter Singer am 11. Dezember Gelegenheit gegeben, seine menschenverachtenden Thesen von der Tötung behinderter Neugeborener vorzutragen. Peter Singer, der vor allem durch sein Buch „Animal Liberation“ bekannt geworden ist, vergleicht darin menschliches Leben mit tierischem. Seit Jahren entbehren seine wissenschaftlichen Theorien jedweder neuen Erkenntnisse aus der therapeutischen Arbeit mit schwerstmehrfach behinderten und schädelhirntrauma verletzten Menschen.
https://www.beb-ev.de/artikeldrucken.php?id_art=148 am 13.12.2004

 

Die Würde des Menschen war unantastbar – Ernst-Wolfgang Böckenförde aus Au

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde aus Au bei Freiburg verteidigt die traditionelle Sicht von Menschenwürde

„Die Würde des Menschen war unantastbar“ – mit diesem Satz hat Ernst-Wolfgang Böckenförde Aufsehen erregt. Unter dieser Überschrift hat der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht und emeritierte Professor der Uni Freiburg im vergangenen Jahr in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das traditionelle Verständnis der Menschenwürde verteidigt. Damit hat Böckenförde, der in Au bei Freiburg lebt, einen Streit öffentlich gemacht, von dessen Ausgang beispielsweise abhängt, wie weit an embryonalen Stammzellen geforscht werden darf. Gestritten wird dabei nicht in erster Linie darum, was Menschenwürde ist. (Darunter verstehen Juristen einerseits alles, was den Menschen vom Tier abgrenzt und andererseits die Einzigartigkeit jedes Menschen im Vergleich zu seinen Mitmenschen.) Bei dem Streit geht es vielmehr um die Unantastbarkeit der Menschenwürde.

Anlass für den Aufsatz Böckenfördes war die Neukommentierung des „Maunz-Dürig“, des maßgeblichen Grundgesetzkommentars. Darin hat der Bonner Professor Matthias Herdegen eine neue Definition der Garantie von Menschenwürde vorgelegt, die offen ist für Abstufungen und Relativierungen. Dies kritisiert der 73-jährige Böckenförde und verteidigt die Unantastbarkeit der Menschenwürde.

Ein Beispiel: Wenn man davon ausgeht, dass die Ausgabe von Berechtigungsausweisen an Flüchtlinge deren Menschenwürde berührt (siehe Text oben), muss die Verwaltungspraxis von Stadt und Regierungspräsidium nach der von Herdegen formulierten Auffassung dennoch nicht automatisch gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen. Denn danach ist es im Einzelfall möglich, dass gewichtige Interessen der Wahrung der Menschenwürde entgegenstehen und deren Beeinträchtigung daher hinzunehmen ist. Damit wird die Menschenwürde zu einer Abwägungssache. Nach dem von Böckenförde verteidigten traditionellen Verständnis von Menschenwürde darf es eine solche Abwägung dagegen nicht geben – die Menschenwürde ist in diesem Sinn tatsächlich unantastbar.

Ein zweites Beispiel: Der Freiburger Wulf beruft sich darauf, dass alle Teilnehmer der Fernsehsendung „Big Brother“ freiwillig in dem Container waren (siehe Interview). Das entspricht der Argumentation Herdegens, der so lange keine Verletzung der Menschenwürde erkennen will, so lange der Betroffene sich in „völlig freier Selbstbestimmung“ entschieden hat. Nach Ansicht Böckenfördes spielt es jedoch keine Rolle, ob jemand sich freiwillig einer menschenunwürdigen Situation aussetzt. Denn: Auch gegenüber dem eigenen Willen ist die Würde des Menschen unantastbar. Noch sieht Böckenförde den Ausgang des Streits als offen an und will auf jeden Fall weiter für seine Sicht werben – damit in Zukunft wieder gilt: „Die Menschenwürde ist unantastbar.“

BZ vom 16.9.2004

 

 

Ethik-Konsil am ZERM – Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin
Berater und Gutachter wollen dazu beitragen,
dass der Grundgesetzartikel 1 auch im Alltag beachtet wird

Hanjörg Just berät in Sachen Menschenwürde. Sein Rat war zum Beispiel gefragt, als eine 76 Jahre Krebspatientin weitere Operationen ablehnte. Während ihrer Behandlung waren „tausende Komplikationen aufgetreten“, erinnert sich der Mediziner. Und dann auch noch Magenbluten. „Die Frau ergab sich in ihr Schicksal, empfand ihr Leben als Geschenk und hatte nun das Gefühl, dass es zu Ende geht“, sagt Just. Doch einen Wunsch hatte die Patientin noch: Sie wollte auf der Krebsstation liegen bleiben und dort sterben, weil sie sich von den Schwestern hier so gut behandelt fühlte. Was die behandelnden Ärzte vor eine schwierige Frage stellte, erinnert sich Just: „Das kostet 750 Euro am Tag, sollen wir das machen, nur damit die Frau sich wohl fühlt?“ Die Frau durfte bleiben und starb nach vier Tagen auf der Krebsstation.
Für Just war es die richtige Entscheidung: „Das verstehe ich unter Menschenwürde, dass man solche Wünsche berücksichtigt.“ Der 70-Jährige ist der Arzt im Team des „Ethik-Konsils“, einem Arbeitsbereich des „Zentrums für Ethik und Recht in der Medizin“ (ZERM) des Universitätsklinikums in Freiburg. In dem Konsil wirken außer Just, der auch Sprecher des ZERM ist, noch zwei Theologen, ein Jurist, ein Neurologe und ein Ethiker mit. Die Arbeit dieses Beratungsgremiums diene der Wahrung der Menschenwürde am Krankenbett, erläutert Just. Ärzte und Pflegepersonal der Uni-Klinik können sich mit ihren Fragen an das „Ethik-Konsil“ wenden. Soll ein Kind, das viel zu früh geboren ist, um jeden Preis am Leben erhalten werden, auch wenn bleibende Schäden sicher sind? Wie soll eine Schwerkranke, die mit großen Schmerzen lebt und nicht sterben kann, behandelt werden? Antworten auf solche Fragen suchen Just und seine Kollegen rund 60 mal im Jahr. „Wir verbreitern die Schultern der behandelnden Ärzte, die Entscheidung abnehmen können wir ihnen aber nicht“, sagt der Sprecher des ZERM. …

Alles von Stefan Waschatz vom 16.9.2004 lesen Sie auf www.bzol.de

 

 

 

Die Menschenwürde in der Verfassung
Artikel 1, Absatz 1, des Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Laut Bundesverfassungsgericht liegt ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor, wenn der Mensch als bloßes Objekt behandelt wird. Die Menschenwürde bedeutet danach zum Beispiel Schutz vor Erniedrigung, Demütigung oder Folter.
Darf ein Polizist einen Entführer foltern, um den Aufenthalt des Opfers zu erfahren? Darf mit einem künstlich erzeugten Embryo grenzenlos geforscht werden? Fragen, die deutschlandweit diskutiert werden. Und immer wieder muss die Menschenwürde als Argument herhalten. Auch in Freiburg wird um den Inhalt von Artikel 1, Absatz 1, des Grundgesetzes gerungen und gestritten.

 

 

Diskutieren auch Sie mit bei der zentralen Frage zur Sterbehilfe

Haben die Pro-Sterbehilfe-Anhänger auch mal an die Rolle des Arztes dabei gedacht?“
Diese Frage wird aktuell in einem der Foren der Bioethik-Diskussion debattiert. Dr. Frank-Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, ist Pate dieser Frage. In seinem Statement schreibt er: „Aus den über 9.000 Fragen, die bisher im 1000 Fragen gesammelt wurden, habe ich diese für die Diskussion ausgewählt, weil sie das Dilemma der Patienten und des Arztes beleuchtet.

‚Sterben in Würde‘ und ärztliche Sterbebegleitung können nur funktionieren,
wenn der Patient sicher sein kann, dass sein Arzt an sein Bett tritt, um zu helfen, zu heilen, zu lindern oder zu trösten –
und der Arzt muss die Gewissheit haben, dass der Patient in ihm nicht den potenziellen ‚Todbringer‘ sieht.“

Würden Sie persönlich einem Arzt vertrauen, der Sterbehilfe leistet?
Diskutieren Sie mit unter: https://www.1000fragen.de/newsletter/040710.php

„Wird der Mensch zum Ersatzteillager herabgestuft?“
Diese Frage wird aktuell in einem der Foren der Bioethik-Diskussion debattiert. Der Schauspieler Jochen Senf ist Pate dieser Frage. In seinem Statement schreibt er:
„Aus den über 9.000 Fragen, die bisher im 1000Fragen-Projekt gesammelt wurden, habe ich diese für die Diskussion ausgewählt, weil es darum geht, ethische Grundsätze zu formulieren, die mit therapeutischem Klonen, mit menschlichen ‚Ersatzteilen‘ verantwortlich umzugehen erlauben.“
Droht beim Therapeutischen Klonen die Ethik der Macht des Faktischen und dem Primat der Ökonomie zu unterliegen? Diskutieren Sie mit unter:
https://www.1000fragen.de/newsletter/040717.php

 

 

Bonndorfer Gespräche – Moraltheologe Schockenhoff kritisiert in Euthanasie-Debatte
Kritik, dass „heiteres Sterben zur rechten Zeit“ zum Ideal stilisiert wird

„Sterbehilfe soll öffentlich akzeptabler gemacht werden durch eine fehlende Unterscheidung, was in Wirklichkeit Euthanasie ist.“ Und Befürworter der Sterbehilfe würden, indem diese als Akt der Selbstbestimmung und Autonomie prononciert werde, die ärztliche Tötungshandlung im öffentlichen Denken zu verankern versuchen, sagt Professor Eberhard Schockenhoff.

Schockenhoff, Moraltheologe an der theologischen Fakultät der Universität Freiburg, referiert beim letzten Abend der „Bonndorfer Gespräche“ zu einem heiklen Kapitel: die „Würde des sterbenden Menschen“. Nicht umsonst spricht Pfarrer Eckart Kopp in seiner Einführung von einem „Thema, dem man sehr gerne aus dem Weg geht“, nämlich „dem letzten irdischen Weg des Menschen“.

Jenseits der Denkfiguren, mit denen dem Recht auf Euthanasie der Weg bereitet werden soll, fällt Schockenhoff vor allem eines ein: Dass es in erster Linie darum gehe, Zeitpunkt und Umstände des eigenen Todes bestimmen zu können und sich dazu der Hilfe von Ärzten und Pflegepersonal zu bedienen, um sich eben nicht mit der eigenen Endlichkeit befassen zu müssen. Das „heitere Sterben zu rechten Zeit“, es werde zum Ideal stilisiert, das den „Tod durch die Hand des Arztes“ aber zwingend brauche. Frage man etwa Befürworter oder Gegner der Sterbehilfe, ob sie die eigene Mutter oder den eigenen Vater auf dessen Wunsch hin euthanisieren würden, sähe die Sache hingegen ganz anders aus: „Da sperrt sich etwas“, weiß er.

Bei Eberhard Schockenhoff war häufiger von Grenzen die Rede, die verschwimmen oder nicht klar zu ziehen sind, und die werden auch von den Zuhörern in der Diskussion angesprochen: Muss der leidende Todkranke, für den keine Aussicht auf Besserung besteht, um jeden Preis am Leben erhalten werden? Oder anders: Wann ist die Schmerzmittelgabe noch Therapie, wann ist sie bereits Euthanasie? Für Schockenhoff eine eindeutige Angelegenheit: Wo die kurative Therapie aussichtslos wird, Heilung also außer jeder Reichweite liegt, habe die palliative Therapie einzusetzen, die Schmerzen, Angst und innere Unruhe lindere. Das sei dann auch keine bewusste Hilfe zum Sterben, sondern eine Hilfe im Sterben, etwa dadurch, dass eine wirkungslose Therapie abgebrochen werde oder keine weiteren Maßnahmen mehr eingeleitet werden – und ethisch akzeptabel. „Wie der Tod eintritt, macht moralisch durchaus einen Unterschied“, so der Professor.
Eine Legalisierung der Sterbehilfe lehnt er vehement ab – vor allem, weil sie Todkranke unter Druck setzen könnten, die Alternative der aktiven Euthanasie auch anzunehmen, obwohl der Wunsch, unter welchen Bedingungen auch immer weiterzuleben, der stärkere sei. Kritisch bleibe jedenfalls, den Willen zur eigenen Tötung zu unterstellen, wenn ein Mensch dauerhaft bewusstlos sei: Wer solle dann entscheiden – der Arzt vielleicht
Mehr von Christian Klesse am 2.7.2004 auf www.bzol.de lesen

Schreibe einen Kommentar