Schroeter – Sufismus Koran

Verständnis für den Islam schaffen – Jörg Imran Schröter, Buchhändler, Islamwissenschaftler, Dozent, Lehrer und Vater von vier Kindern, wurde 1970 in Freiburg geboren und wuchs als Kind evangelischer Eltern auf. Seine Schulzeit verbrachte er am Droste-Hülshoff-Gymnasium in Freiburg. Mit 19 Jahren konvertierte er zum Islam. Nach dem Abitur begann er in der UniversitätsBuchhandlung Walthari in Freiburg eine Ausbildung zum Buchhändler und schloss sie 1994 ab. Danach studierte er von 1994-2002 an der Universität Freiburg Islamwissenschaften, nach dem Magisterabschluss an der Pädagogischen Hochschule die Fächer Deutschund Geschichte für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Seit 2006 war er als Lehrer an der Adolf-Reichwein-Schule und beteiligt. Im Jahr 2008 begann er an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe mit seiner Lehrtätigkeit am dort von ihm mitbegründeten Institut für islamische Theologie und Religionspädagogik. Zusätzlich begann er im gleichen Jahr zusammen mit seiner Frau Amina Boumaaiz den Verlag für islamische Bildung und Erziehung (VIBE; www.vibe-online.de) aufzubauen. Im Sommer 2014 schloss er seine Promotion an der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit der Doktorarbeit: „Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg“ ab. Imran Schröter und seine Frau, eine gebürtige Marokkanerin, die in Freiburg Germanistik studiert hat und die er im Studium an der Universität kennengelernt hat, leben mit ihren vier gemeinsamen Kindern in Littenweiler. Anja Lusch hat ihn befragt:
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Seit wann leben Sie in Littenweiler? Seit 1998. Unsere älteste Tochter hat hier schon den Kindergarten und die Grundschule besucht, die Jüngste ist noch dort. Zwischendurch haben wir zwei Jahre in der Birkenhofsiedlung gewohnt, sind dann aber gerne wieder hierher zurückgekehrt.
Was sind Ihre beruflichen Schwerpunkte? Das verschiebt sich gerade, ich werde in Zukunft nur noch in Karlsruhe an der PH für die Lehrerausbildung zuständig sein. Derzeit unterrichte ich noch zu 50% an der Adolf-ReichweinSchule. Wichtig ist es mir auch Vorträge an anderen Orten und Einrichtungen zu halten, wie z.B. hier in St. Barbara, um ein breiteres Verständnis für den Islam in der Öffentlichkeit zu schaffen. Für den Verlag bleibt leider nur wenig Zeit.

Was davon macht Ihnen am meisten Spaß? Die Arbeit gerade auch mit den muslimischen Kindern an der Schule hat mir immer viel Spaß gemacht. Aber die Arbeit mit den Studierenden ist noch viel spannender. Das ist die Generation, die es geschafft hat aus einem Migrationshintergrund heraus an eine Hochschule zu gehen.
Wie religiös waren Ihre Eltern und Sie früher? Ich bin evangelisch getauft und auch konfirmiert, bin aber nicht sehr religiös aufgewachsen. Ich habe mich damals auch konfirmieren lassen, aber wie viele andere auch, eher wegen der Stereoanlage. Einen richtigen Zugang zum Glauben habe ich dort noch nicht gefunden.
Was waren die Gründe zum Islam zu konvertieren? Es war eher eine Fügung, durch die Begegnung mit Menschen aus dem mystischen Islam, dem Sufismus. Das hat mich sehr angesprochen. Sufismus ist eine sehr ästhetische Angelegenheit, es gibt eine eigene Musik, die sehr bewegend ist, die Dichtung spielt eine große Rolle, die Weisheits-Erzählungen. Ich bin also auch über die Literatur und Kunst dazu gekommen, nicht durch die Theorie sondern in einer authentischen Begegnung. Dort erst habe ich entdeckt, was Religion bedeuten kann und dass der Glaube für mich eine Rolle spielt.
Gibt es eine Persönlichkeit, die Sie besonders beeindruckt hat? Mein Ordensmeister hat mich sehr geprägt, weil er in jedem Augenblick ein waches und demütiges Gottesbewusstsein aufrecht zu erhalten wusste. Mein Glaube hat sich in vielen Diskussionen und Gesprächen mit ihm und mit anderen entwickelt.
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Wie unterscheidet sich der Sufismus von anderen Glaubensrichtungen im Islam?
Innerhalb der islamischen Frömmigkeit ist der Sufismus eine Richtung der Innerlichkeit und der spirituellen Erfahrung. Es geht mehr um eine innere Weiterentwicklung, darum an sich selbst zu arbeiten. Andere Richtungen sehen den Islam als politisches Konzept oder wollen damit etwas in der Gesellschaft verändern. Der konkrete Umgang mit dem Glauben und mit dem Koran kann also sehr unterschiedlich sein, je nach Auslegung.
Welche Rolle spielt Gott im Sufismus? Ich begebe mich im Sufismus auf eine direkte, spirituelle Suche. Das ist ein mystisches Element der direkten Gotteserfahrung. Der Islam ist etwas, das mich in erster Linie selbst betrifft. Ich arbeite an meinem Charakter. Dabei muss ich schauen, wie ich mich in meiner Beziehung zu den Menschen und zu Gott positiv entwickeln kann.
Worin sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zum Christentum? Es gibt in der Moschee niemanden, der auf einer erhöhten Ebene der Gemeinde zugewandt ist. Alle stehen auf einer Ebene in dieselbe Richtung und beten miteinander, ohne dass mir einer durch eine Weihe etwas voraus hat, ohne Hierarchie, ohne eine klerikalen Vermittlung. Das unmittelbare vor Gott stehen war mir wichtig. Es gibt im Islam keine Kirche, keine Struktur, die einem etwas aufzwingt. Es ist eine direkte, unvermittelte eigenverantwortete Gottesbeziehung. Ich möchte das nicht zu sehr polarisieren. Ich hatte auch viele anregende Gespräche mit Christen. Es ging für mich um die Entdeckung an Gott zu glauben, das hat für mich dann im mystischen Islam stattgefunden.
Welche Probleme haben Sie im Lebensalltag? Da der Ramadan dieses Jahr auf einen sehr heißen Sommer fällt, ist das körperlich natürlich anstrengend. Beim Essen achte ich auf das entsprechende Fleisch oder esse vegetarisch.
War der Alltag früher schwieriger? Zu Beginn, vor 25 Jahren war es noch schwieriger entsprechendes Essen zu bekommen, aber vegetarische Gerichte gingen immer schon. Fleisch gibt es bei den Moscheen oder in türkischen Läden. Die Nähe Freiburgs zu Frankreich hat es mir von Anfang an leichter gemacht, dort gibt es schon länger das islamisch geschächtete Fleisch und Wurst im Supermarkt. Vermutlich wird es das in Zukunft auch hier verstärkt geben. Es ist einfacher geworden in den letzten Jahren, das hat mit einer größeren Nachfrage zu tun, auf die sich die Läden einstellen. Auch durch das gestiegenen Ernährungsbewusstsein und die Kennzeichnung bei Lebensmitteln ist es einfacher geworden entsprechende Lebensmittel zu kaufen.
Verspüren sie mehr Toleranz gegenüber dem Islam als früher? Es ist mit dem Thema gleich bleibend schwierig. Die Kenntnis darüber, was Islam ist, hat sich etwas verbessert. Aber die Vorurteile für die Gewalt verantwortlich zu sein, die sind geblieben. Der Koran gibt zur Gewaltfrage nicht eindeutig Auskunft. Es gibt einige friedlich-versöhnliche Stellen, aber auch Aufrufe zu Gewalt und Krieg.
Wie verstehen Sie diese Stellen und wie gehen Sie mit den immer wieder auftauchenden Vorwürfen um? Natürlich distanziere ich mich, wie die Mehrheit der Moslems, von jeglicher Gewalt. Muslime werden immer wieder mit dem Terror identifiziert, der in den Nachrichten kommt, sie geraten somit in Sippenhaft. Es ist immer schwierig, wie heilige Schriften ausgelegt werden. Man wirft einem Christen nicht immer wieder vor, was in der Bibel steht, sondern da hat jeder Christ seinen Umgang und seine Auslegung dafür. Aber den Moslems wird immer wieder der Koran vorgehalten. Es geht immer darum das Ganze im Kontext zu verstehen. Der Koran ist kein reines Gesetzbuch. Es gibt insgesamt über 6000 Verse, von denen nur circa 500 rechtliche Bestimmungen enthalten. Davon sind ein Großteil Handelsrecht, Erbrecht und Familienrecht. Dann bleibt noch 0,1 % übrig wo es um Strafrecht und dabei auch um Körperstrafen geht und wo man sich überlegen muss, wie man heute dazu steht. Im Koran sind in erster Linie Prophetengeschichten, Gebete, Jenseitsbeschreibungen und nur zu einem kleinen Teil rechtlichte Bestimmungen.
Gibt es ein Buch aus Ihrem Verlagsprogramm, was Ihnen besonders am Herzen liegt? Besonders schön finde ich die zwei Kinderbücher: „Muhammad und der Ruf des Himmels“. „Das Leben des Propheten“, von Faridah Busemann und: „Der Teejunge Kasim“ von Abu Bakr Heyn. Beide Autoren wohnen hier in Littenweiler, die Bücher liegen bei der Buchhandlung Hall aus.
Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? Mir bleibt sehr wenig davon, da ich drei Jobs habe. Lehrer, Dozent und Verleger. Ich verbringe gerne möglichst viel Zeit mit meiner Familie und den vier Kindern.
7.8.2015, Anla Lusch, www.littenweiler-dorfblatt.de

 

Friedlicher Islam?
Es macht Hoffnung, dass Menschen wie Jörg Imran Schröter zum Islam konvertieren und so versuchen, den Islam zu reformieren bzw. dessen friedliche Seiten (konkret: mystischer Islam, Sufismus) zu stärken. Zwei Kritikpunkte zu Schröter:  Eine Abgrenzung von Christentum und Islam derart, dass im Gegensatz zur Kirche in der Moschee „ohne Hierarchie“ agiert werde, ist ebenso fraglich wie die Behauptung „nur 0,1%“ der Texte  im Korans seien unfriedlich.
Ganz allgemein bringt es überhaupt nichts, die großen Glaubensbekenntnisse bzw. Religionen gegeneinander abzuwägen.
Der Islam wird in Deutschland erst dann als Religion akzeptiert werden, wenn er die von der UN ausgerufenen Kinder-, Frauen- und Menschenrechte konsequent umsetzt. Wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass es „den Islam“ überhaupt nicht gibt, sondern nur seine vielen unterschiedlichen Strömungen – wie Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis, … Im Grunde ist es unwesentlich, welcher Religion man angehört – Hauptsache, man wähnt sich nicht im Besitz der absoluten Wahrheit (und ist somit intolerant), sondern man sieht sich als Suchender (und somit empfänglich für die eigene Glaubenswahrheit).
7.8.2015, Ekke

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