Schaukasten Billig-Provokation

Dries Verhoeven setzt ein schwangeres Teenie-Mädchen, einen angeketteten Schwarzen usw. jeweils fünf Stunden in eine gläserne Performance-Box in Freiburger Altstadt und stellt sie den Passanten zur Schau: Verbirgt sich hinter seinem missionarischen Ziel „Ich will Mitschuld wecken“ nicht doch ein simpler Werbungs-Gag: Provokation schafft Publicity schafft mediales Ranking-Plus schafft Geld?

Die schalldichte Glasbox „Ceci n’est pas …“ bzw. „Das ist kein …“ ist eine Woche lang am werbewirksamen Standort  in der Bertoldstraße zwischen Uni-Zugang, Walthari und Aspekte aufgestellt. Ab 20.11. bis 27.10.2014 mit täglich neuer Irritation.
30.11.2014

 

Schöne Welt
„Schauen wir uns Schaufenster und Plakate an“, schreibt Dries Verhoeven, „finden wir fast immer Bilder, die uns beruhigen: Der öffentliche Raum ist fast vollständig vom Kommerz übernommen, der uns die schönere, glücklichere Version von uns selbst vorhält.“ Dem hält Dries Verhoeven andere Bilder entgegen und stellt fest: „Mich beeindrucken Menschen, die die Straße zum Podium machen, auf dem sie demonstrieren, dass die wirkliche Welt ganz anders ist, so dass wir das, was alle für normal halten, hinterfragen. Anstatt zu bejahen, was uns vorgesetzt wird.“ 
Alles vom 20.11.2014 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/freiburg/schwangere-im-glaskasten-kunst-oder-provokation–95061278.html

Keine Kunst, sondern Geldmacherei
Mit diesem Argument zeigt Verhoeven seine Verlogenheit. Die kommerzielle Werbung im öffentlichen Raum zeigt doch immer weniger „die schönere, glücklichere Version“, sie ist voll von Gewalt und Sex. Mit seinen Provokationen verhöhnt Verhoeven die Freiburger Passanten zu Voyeuren von Gewalt und Sex. Und verschafft sich so mediale Aufmerksamkeit, mit der sich dann gut Geld verdienen lässt. Als Kunst gut getarnter Kommerz.
21.11.2014, A. Baumann
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Mit der Verbreitung des Internet wird es auf denStrassen immer spießiger
Verhoeven:
 Mir fiel irgendwann auf, dass wir öffentliche Plätze immer steriler und sauberer machen. Das, was wir auf der Straße sehen, hat nichts mehr damit zu tun, was wir eigentlich sind. Öffentlich ist das, was wir für normal halten. Dazu kommt das Internet: Seitdem wir online extreme Versionen von uns selbst austoben können, wird es auf den Straßen in der realen Welt immer spießiger und prüder. Indem ich extreme Ausnahmen von der Regel zeige, wie schwangere Teenager oder körperlichen Kontakt zwischen Vater und Tochter, will ich die Regel in Frage stellen. ….
Alles vom 28.11.2014 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/freiburg/dries-verhoeven-ueber-seine-performance-box-ich-will-mitschuld-wecken–95421830.html

 

Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte muss doch anders zu bewerkstelligen sein
Dass die Performances von Dries Verhoeven provozieren sollen, ist eine Sache. Im Falle des Mannes mit schwarzer Hautfarbe in Ketten geht die Provokation jedoch weit über das Erträgliche hinaus. Wie soll eine solche Zurschaustellung das Bewusstsein wecken für den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia, der unter deutscher Kolonialherrschaft 1904 stattfand? Wieso bedient sich Verhoeven dazu einer Performance, die Assoziationen hervorruft an die sogenannten Völkerschauen, die bis in die 1940er Jahre in deutschen Zoos stattfanden? Wie viele Menschen konnten sich am Sonntag tatsächlich intensiv mit der Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in den ehemaligen sogenannten Schutzgebieten in Afrika auseinandersetzen? Trägt diese Performance nicht viel mehr dazu bei, den weißen Blick auf Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu untermauern, der geprägt ist von Stereotypisierung und Klischees?
Und: Reproduziert diese Form nicht geradezu diffuse Vorurteile und rassistische Bilder in Bezug auf Menschen mit afrikanischen Wurzeln, statt sie abzubauen? Vorurteile und Bilder im Übrigen, die zu viele Menschen in Deutschland noch immer haben: durch ein weiterhin medial vermitteltes, verzerrtes Afrikabild; durch Bilder von Menschen schwarzer Hautfarbe, die in Deutschland leben, die vielleicht hier geboren und aufgewachsen sind und dennoch als nicht zugehörig betrachtet werden; durch fehlende Gegenbilder und das sture Festhalten an Deutungshoheiten. Und warum bedienen sich die Produzenten des Filmbeitrags zur musikalischen Untermalung der „Zehn kleinen N……..“, einem rassistischen Kinderlied, in dem es um Mord und Totschlag geht, also genau um das, was unzähligen Menschen weltweit durch koloniale und imperiale Gräueltaten widerfahren ist? Ich halte den Aufklärungscharakter einer solchen Darbietung für schlichtweg nicht gegeben und die Verwendung des genannten Liedes für den totalen Fehlgriff. Dies ist sicherlich kein Beitrag zu fundierterem Wissen. Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte muss doch anders zu bewerkstelligen sein als einen Menschen, Erdnüsse knackend, an den Füßen angekettet in einen Schaukasten zu setzen und dem mutmaßlichen Voyeurismus von Passanten auszusetzen.
3.12.2014, Sophie Kaiser-Dieckhoff, Freiburg

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