Ruth Pfau – Leben in Karachi

Ruth Pfau, deutsche Ordensfrau und Lepraärztin, lebt ihre radikale christliche Existenz seit über 53 Jahren an der Seite der Kranken, Bedürftigen und Behinderten und gibt dadurch ein Zeugnis, das ausstrahlt. Kürzlich hat sie, in ihrem 85. Lebensjahr und von ungebrochenem Tatendrang beseelt, eine Bilanz ihres Lebens vorgelegt: »Leben ist anders. Lohnt es sich? Und wofür?« Karachi gilt als »gefährlichste Megacity der Welt«, Pakistan als Land auf dem Pulverfass. Die Ehrenbürgerin Pakistans stellt in einem Klima von Hass und Terror unbeirrt Fragen nach Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden und dem Zusammenleben von Religionen – aber auch nach dem, was christliches Glaubenszeugnis in dieser Zeit bewirken kann. Immer wieder stößt sie auf existenzielle Fragen: Wie an Gott glauben, wenn das Leiden überbordet, wenn ER sich nicht zeigt, wenn Liebe ohne Resonanz bleibt? Was trägt ein solches Leben – über Abgründe hinweg und durch ein halbes Jahrhundert? Im Gespräch wird die Begegnung mit einer faszinierenden Frau möglich. Wir laden Sie herzlich dazu ein!
2.5.2014

Ruth Pfau: Leben ist anders
Mo. 12.05.2014, 19:00 – 22:00
Kath- Akademie Freiburg

Information und Anmeldung: https://www.katholische-akademie-freiburg.de https://www.katholische-akademie-freiburg.de/html/media/dl.html?i=96178

 

Das Leben ist anders

Die Nonne, Ärztin und Menschenfreundin Ruth Pfau wird mit der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg ausgezeichnet .
„Das Mysterium findet auf dem Hauptbahnhof statt“, hat Joseph Beuys einmal gesagt. Vermutlich würde Ruth Pfau dem zustimmen. Denn hinter dem Hauptbahnhof von Karatschi fing bei ihr alles an. Mitten im Leben, in der McLeod Road, einem morastigen Slum der pakistanischen Millionenstadt. Fragt man die Nonne und Lepraärztin, die am Dienstag nächster Woche die Ehrendoktorwürde der Freiburger Theologischen Fakultät erhält, nach dem Geheimnis ihres Lebens, erzählt sie immer noch diese Geschichte: Wie sie den Flug nach Indien wegen eines Visaproblems unterbrechen musste und von einer Mitschwester in die Leprakolonie mitgenommen wurde, wo sie den verstümmelten Leprabettler Mohammed Hassan traf, der auf allen vieren in den Bretterverschlag kroch und sein Schicksal ergeben akzeptierte: „Ich wusste plötzlich: Hier, hier musste es geschehen. Wie? Gleichgültig. Jetzt! Es war, wie wenn man seine große Liebe trifft: ein für alle Mal.“
Das war 1960. Die Lepra, dieser Fluch, der über den Menschen zu liegen schien, ist heute unter Kontrolle. Es ist das Lebenswerk dieser Deutschen, die Pakistan zur Ehrenbürgerin gemacht hat. Sie ist nicht nur eine Ärztin, die sich den Ärmsten der Armen zugewandt hat. Sie ist auch Gesundheitsmanagerin und charismatische Lehrerin, Intellektuelle und Mystikerin, Menschenrechtlerin, engagiert im Dialog mit den Muslimen und als überzeugte Pazifistin in der Friedensarbeit, für die sie höchste internationale Auszeichnungen erhielt, unter anderem den Magsaysay-Award, den asiatischen Friedenspreis.
Unglaublich schier: Als katholische Nonne stand sie im Rang einer Gesundheitsstaatssekretärin der Zentralregierung. Eine Erfolgsstory sondergleichen, so scheint es. Und ein abenteuerliches – sie selber nennt es: ein verrücktes – Leben. Ihre Bücher – mehr als 200 000 verkaufte Exemplare – waren in Deutschland ein Erfolg. Ihr neuestes Buch, schlug ich als ihr Lektor vor, sollte in einem ruhigen Kloster im Schwarzwald entstehen. Sie schrieb zurück: „Die Liobaschwestern. Ein Traum. Aber das Leben ist anders. Wenigstens für 80 Prozent der Weltbevölkerung. Und deshalb würde ich das Buch gerne hier machen, und ich bin mir sicher, es wird wesentlicher.“ Leben ist anders: Das ist der Punkt. Es wurde auch der Titel des Buches.
Karatschi im September 2013. Die Stadt ist heiß, laut, bunt, inzwischen ein Moloch von 20 Millionen Einwohnern. Gewalt ist an der Tagesordnung. Mittendrin steht das Krankenhaus, MALC, überwuchert von Bougainvilleen, eine Insel. Die Mitarbeiter feiern Ruth Pfaus 84. Geburtstag mit Ärzten, Patienten, mit Reden und Torte, dem Krankenhauschor und einer feierlichen Lesung – aus dem heiligen Koran, aus der hinduistischen Gita und der Bibel. Christen, Hindus, Muslime (Schiiten und Sunniten, die sich in Pakistan sonst gegenseitig umbringen), sie arbeiten hier zusammen. Eine Idylle. Noch ahnt niemand, dass zwei Wochen später ein Selbstmordattentat in der Kathedrale von Peschawar das Land erschüttern wird, über 200 Tote. Der Leiter der Sozialabteilung des Krankenhauses wird allein fünf Familienangehörige verlieren.
Am Tag nach dem Geburtstagsfest ist Karatschi „zu“. Ein Politiker ist verhaftet worden, weil er zwei Polizisten ermordet hat, seine Anhänger, Schlägertrupps, gehen auf die Straße. So ist erst zwei Tage später der Besuch der Außenstation in Malir möglich, einem der 18 Stadtteile von Karatschi. Hier hat Ruth Pfau ein neues Projekt ins Leben gerufen: Das Team besucht Schwerstbehinderte in den Slums, Menschen mit fortschreitender Muskellähmung, um die sich sonst niemand kümmert. Sie selber hält derweil Sprechstunde, nach kurzer Zeit ist der Raum voll: eine demente Alte, die sie seit Jahren als Leprapatientin kennt, der sie Zeit und Zuwendung schenkt; eine Mutter mit ihrem schwerstbehinderten Kind. Der Strom der Hilfsbedürftigen reißt nicht ab. Dazwischen zwei ausgeheilte Leprakranke. Sie zeigen ihr die Wunden an verkrüppelten Füßen. Sie haben nicht die richtigen Schuhe. Das lässt ihr keine Ruhe. Hat man schon Kontakt mit einem Schuster aufgenommen, fragt sie den verantwortlichen Leiter? Ja, aber das hätte nicht geklappt. Sie ist unzufrieden, fragt nach. Man sieht, wie es in ihr arbeitet.
Ist es nicht ein Tropfen auf den heißen Stein? Ja, sagt sie. Sie hat auch keine Antwort auf das Leiden. „Vielleicht ist es unsinnig, etwas zu tun. Aber nichts zu tun, wäre noch unsinniger.“ Also macht sie weiter. Trotz ihres Alters, trotz der Gebrechen, die auch sie kennt. Wenn sie nicht wirklich überzeugt wäre, dass Liebe das letzte Wort ist, trotz allen Augenscheins, sagt sie, dann stünde ihr eigenes Leben auf dem Spiel. „Deshalb mache ich weiter.“
7.5.2014, Rudolf Walter ist Cheflektor beim Herder-Verlag Freiburg.

 

 

Wunder hat sie mehr als eines vollbracht
Ruth Pfau ist für mich eine nicht kanonisierte Heilige. Der Vatikan täte gut daran, über seine Heiligsprechungen neu nachzudenken. Wunder hat Ruth Pfau mehr als eines vollbracht. Oder ist es kein Wunder, wenn Christen, Hindus und Muslime im Dienst kranker Menschen zusammenarbeiten?
10.5.2014, Herta Siebler-Ferry

Unsere Gesellschaft braucht solche Lichtgestalten
Der begeisterten Äußerung von Frau Siebler-Ferry in ihrem Leserbrief anlässlich des Vortrags in der Katholischen Akademie in Freiburg ist voll beizupflichten: Ruth Pfau ist eine (noch) nicht kanonisierte Heilige! Der Ruf „Santa subito“ kam uns sogleich in den Sinn – obwohl die zu Ehrende in ihrer Bescheidenheit das gewiss weit von sich weisen würde. Sie könnte stellvertretend stehen für die vielen Heiligen in Karachi (die sie selbst erwähnte). Ob der Vatikan sie vorerst wenigstens noch mehr finanziell und ideell unterstützen könnte, wie das über das DAHW (jetzt: Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe) schon durch viele geschieht? Unsere Gesellschaft benötigt dringend solche humanitären Lichtgestalten, die sich in unserer so friedlosen Welt (sowohl im kleinen persönlichen Kreis wie in der Weltpolitik) vorbildlich für Frieden, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Toleranz und ein wertschätzendes Miteinander einsetzen. Und es ist hoffnungsvoll, dass ihr Werk mit Hilfe von (ebenfalls anwesenden und vorgestellten) jüngeren Mitarbeitern und Nachfolgern weiter fortgesetzt werden kann. Verdienstvoll und dankenswert ist sicher auch, dass es dem Freiburger Herder-Verlag mit Herrn Walter gelungen ist, diese inzwischen mehrfach Ausgezeichnete und jetzt von der Theologischen Fakultät geehrte Frau nach Freiburg zu holen.
21.5.2014, Monika u. Jens-C. Schönwandt, Freiburg

 

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