Reproduktionsmedizin Genesis

Die Reproduktionsmedizin beendet die Genealogie und löst eine Revolution aus, derer wir erst allmählich gewahr werden: Die Selektion bei der Züchtung von Milchkühen und Rennpferden wird auch beim Menschen gelingen. Der „Geburtenfatalismus“ (Peter Sloterdijk) wird durch eine Zuchtwahl auf wiss. Basis ersetzt. Allein in D entstehen pro Jahr etwa 100000 Kinder unklarer oder verborgener biologischer Herkunft. Die Medizin kann Menschen machen.

In Thailand ist eine Leihmutter schon für 10.000 Euro zu haben. Den Fertilitätskliniken arbeiten junge Männer zu, die einen florierenden Handel mit künstlich hergestellten Babys betreiben. So hat ein Japaner 15 Eizellen von Frauen aus Schweden mit seinem Samen befruchtet und von Thai-Leihmüttern austragen lassen.

(1) Die Reproduktionsmedizin hat zwei Folgen:
a) Die erste Folge ist die Eugenik. Wer Menschen machen kann, will sie optimal machen: gesünder, schöner, größer, hübscher, intelligenter, schlanker, vollbusiger, lockiger, langlebigerer, stabiler, …  Die Optimierungsvision wird zum Optimierungswahn.
b) Die zweite Folge ist die Aufhebung der Genealogie: Ahnentafeln, also das Abstammungssystem „Geschlecht“, wird es künftig nicht mehr geben.

(2) Mit zunehmender Routine werden künstliche Befruchtungen in profitablen Reproduktionszentren zwar preiswerter, aber nicht umsonst. Dies führt zur weiteren Polarisierung in Reiche und Arme: Die gebildete Schicht bedient sich der optimierten Menschenherstellung, während sich das Volk auf althergebrachte Weise fortpflanzt.

(3) Gegen die Reproduktionsmedizin gibt es kaum Proteste (Medizinethik), zumal sie nach Fortschritt aussieht und sowieso geschieht. Allenfalls altmodische Christen und Wertkonservative lehnen sich auf. So nennt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff in ihrer Dresdner Rede die Reproduktionstechniken schlicht „abscheulich“, und „Mein Schicksal liegt in Gottes Hand und nicht in meinen Händen.“  Elisabeth Beck-Gernsheim  in der FAZ: „Ob das schwule Paar aus Oslo, das im Labor eigenes Sperma mit den Eizellen einer Ukrainerin mixen und die Embryonen von einer indischen Leihutter austragen läßt – mit Hilfe der globalisierten Reproduktionsmedizin werden Weltbürger in einem ganz neuen Sinne gezeugt. … Dürfen wir sie uns Wegbereiter einer friedlicheren Weltordnung vorstellen?“ das dürfen wir natürlich als moderne Gutmenschen.

(4) Jährlich gibt es über 100000 durch Samenspende gezeugte Kinder, deren Recht auf Auskunft nach dem biologischen Vater nichts nutzt, da anonym gespendet wurde. Ist das schlimm für diese Kinder?

(5) Eltern, Geschwister, … das ist den Kaninchen egal, Hauptsache Nachkommen. Es war eine der größten kulturellen Leistungen, das Kaninchenprinzip außer Kraft zu setzen. Der genealogischen Ordnung war jeder Mensch unterworfen und aus dieser Selbstverortung bezog er sein Selbstbewußtsein. „Je suis mon passé“ – ich bin meine Vergangenheit, sagt Jean-Paul Sartre. Ab nun wird das Kaninchenprinzip über die Reproduktionsfabriken wieder modern: Die Macht der Vorväter erlischt, die Selbstachtung hängt nicht mehr an der Tradition, sondern am Hier und Jetzt, am Geldbeutel und an der Samenqualität.

(6) Die Elternschaft ist reproduktionstechnisch gesehen nur noch ein schwaches soziales Konstrukt, fern von Blutsbanden: „Die Liebe zwischen zwei Partnern ist erheblich nur noch für die Aufzucht, für Zeugung und Geburt jedoch bedeutungslos. Deshalb spricht alles dafür, die Reproduktion jenen zu überlassen, die sie am besten beherrschen – den Technikern.“ (Ulrich Greiner, Die Herstellung des Menschen, DIE ZEIT vom 25.9.2014, S. 55).

(7) Mit der Pille wurde Sexualität von Fortpflanzung getrennt. Nun wird Prinzip Verhütung durch das Prinzip Herstellung ergänzt. Es gilt die Wirkungskette „Verhütung > Sex > Herstellung > Fortpflanzung“. Dabei ist der Vater auf der Strecke geblieben, Mitscherlichs Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ von 1963 bewahrheitet sich auf ungeahnte Weise. Die moderne Frau läßt ihre Eizellen einfrieren, um sich später mal den passenden Samen von der Bank zu besorgen und mit eigenen oder fremden Eizellen zu mixen und selbst oder in Indien auszutragen. Die moderne Generation ist vom biologischen Fatalismus befreit.

„Den Fantasien der Selbstermächtigung und Selbsterlösung kommt die Reproduktionsmedizin aufs Verlockendste entgegen. Sie verspricht, jeden, der es bezahlen kann, zum Herrn oder zur Herrin des eigenen Lebens zu machen. Sie optimiert den Menschen als Kunstprodukt.“ (Ulrich Greiner, s.o.). Und die beim Optimieren übrig bleibenden IVF-befruchteten Eizellen, Samen bzw. Embryonen werden ihrem Schicksal als Abfall überlassen – kriminell.

 

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