Real- gegen Empörungspolitik

Putin hat mit der Invasion der Ukraine einen Krieg begonnen und droht – auf Englisch abgefaßt – brutal mit einem atomaren Erstschlag: „To anyone who would consider interfering from the outside: If you do, you will face consequences greater than any you have faced in history. All relevant decisions have been taken. I hope you hear me.“
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Putin ist als Aggressor schuldig. Gleichwohl ist er nicht verrückt, sondern er handelt als knallharter Realpolitiker – im Gegensatz zum Westen, in dem „Empörungspolitiker“ (siehe Gabor Steingart unten) ihre große Stunde erleben.
Die deutsche Außenministerin in weinerlich-beleidigtem Ton: „Er (Lawrow) hat mich angelogen“, also ob er ihr in Moskau hätte sagen sollen „Stell Dir vor, liebe Annalena, wir marschieren am Donnerstagmorgen aus drei Himmelsrichtungen in die Ukraine ein.“ Kanzler Scholz verurteilt die Invasion „aufs Schärfste“, verweigert sich aber der schärfsten Sanktionsmaßnahme, dem Ausschluß Russlands aus dem SWIFT (weil dadurch die Gasimporte bzw. deren Bezahlung gestoppt würden).
US-Präsident Biden: „Ich denke, was Sie sehen werden, ist, dass Russland zur Rechenschaft gezogen wird, wenn es einmarschiert. Und es kommt darauf an, was es tut. Es ist eine Sache, wenn es sich um einen geringfügigen Einfall handelt und wir uns am Ende darüber streiten, was zu tun und zu lassen ist, und so weiter. “ Dieses Gerede von einem „geringfügigen Einfall – minor incursion“ muß für Putin wie eine Art Einladung geklungen haben.
Als Einzige scheint es die Ex-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer kapiert zu haben: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben.“
Die folgenden Punkte (Reihenfolge zufällig) stellen keinerlei Schuldzuweisung für die eine oder andere Seite dar, sondern geschichtliche Fakten:

(1) Die russische Invasion in die Ukraine stellt einen Bruch des Völkerrechts dar. Zumal die Regierung Selensky aus freien, demokratischen Wahlen hervorging. Auch die Loslösung der Regionen Luchansk und Donezk sind völkerrechtlich illegitim und verletzten die territoriale Integrität der Ukraine.
(2) Russland verweist darauf, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung ein Versprechen erhalten zu haben, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Die NATO-Osterweiterung ist für Putin ein Vertrauensbruch.
(3) Wirtschaftssanktionen sind immer und für alle nachteilig, wobei besonders die sanktionsgebende Seite die eigenen Nachteile kleinreden will.
(4) Putins Rede am 25.9.2001 vor dem Bundestag mit dem Bekenntnis, Russland gehöre geo-politisch wie kulturell zu Europa, wird mit stehenden Ovationen begrüßt, in der Folgezeit aber ignoriert – vermutlich auch auf Drängen der USA.

(5) Die US-Aussenpolitik arbeitete seit dem 1. Weltkrieg stets daraufhin, eine zu enge Beziehung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern.
(6) Im Kosovo galt, vom internationalen Gerichtshof bestätigt, das Diktum „Selbstbestimmungsrecht VOR Völkerrecht“, welches der territorialen Souveränität widerspricht. Warum gilt dies nicht auch im Falle der Krim oder des Donbass, wo zu über 70% Russisch gesprochen wird?
(7) Der US-Präsident Obama beleidigte 2014 das größte Land der Welt mit „Russland ist eine Regionalmacht“. Zudem gibt es viele Zitate, in denen er Putin persönlich verspottet.
(9) In der Kuba-Krise fühlten die USA ihre Sicherheit durch russische Raketen bedroht. Russland fühlt sich durch Nato-Militär in der Ukraine bedroht und fordert einen Sicherheitspuffer mit Belarus und Ukraine.

(10) Als einzige Atommacht der Welt hat die Ukraine auf eigene Atomwaffen verzichtet und u.a. auch damit eine Zusage auf territoriale Integrität erreicht.
(11) Russland geht es „nur“ um die Ukraine als Sicherheitspuffer. „Ein Krieg gegen eine geschlossene Nato ist nicht zu gewinnen. Deshalb wird Russland weiter versuchen, die NATO und die EU zu spalten“ (Ex-NATO-Generalsekretär Klaus Naumenn).
(12) Tripolare Weltwordnung: Putin geht mit der Invasion in der Ukraine, die in seinem Land nicht so unumstritten ist wie die der Krim, nun den ersten Schritt zur tripolaren Weltordnung: USA, China, Russland. Das ist seine Weltordnung. Dabei fängt die Sicherheit Russlands an der Westgrenze Weißrusslands und der Ukraine an.
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Hätte die deutsche Politik dem Wunsch Russlands nach einem Sicherheitspuffer entsprochen und sich gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine ausgesprochen, dann wäre Putin kaum in der Ukraine interveniert. Das europäische Wirtschaftsbündnis wäre für das ukrainische Volk besser gewesen als die transatlantische NATO-Zugehörigkeit.
26.2.2022
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Unsere Empörungspolitiker bestreiten die Mitverantwortung
Putins Kriegsziel ist nicht Kiew. Sein Kriegsziel ist eine Neuordnung Europas und das Überschreiben der bisherigen Sicherheitsarchitektur, die er zunehmend als Unsicherheitsarchitektur empfunden hat. Er hat das oft gesagt. Und die Nato hat es genauso oft überhört. Nun nimmt er sich, was ihm freiwillig keiner geben wollte…
Der Aggressor Putin hält den westlichen Politikern den Spiegel vor. Das werden sie ihm nie verzeihen. Seine Stärke ist ihre Schwäche. Er hat einen Plan, sie nicht. Er macht Geschichte und sie einen kläglichen Eindruck. Appelle und die ernsten Mienen von förmlich in schwarz gekleideten Politikern, Sondersitzungen der Nato und eine weitere Salve folgenloser Drohungen.
Eine Spirale westlicher Hilflosigkeiten ist in Gang gekommen, die der Kriegsherr im Kreml mit Fug und Recht als geistigen Geländegewinn für sich verbuchen darf. Wer durch den Nebel der aktuellen Aufgeregtheit hindurch schaut, der wird unschwer erkennen: Der Westen hat nach der Implosion der Sowjetunion einen Weg beschritten, der sich spätens jetzt als Irrweg erweist. Dieser Irrweg des Westens wurde nicht an einem Tag zurückgelegt, sondern in sieben Schritten:

Erstens hat man tatsächlich geglaubt, der Westen sei der historische Gewinner der Geschichte und man könne Russland jetzt planmäßig demütigen.

Zweitens: Als Russland deutlich machte, dass es diese Weltsicht nicht teilt, hat man diese Wortmeldung vorsätzlich ignoriert. Bewusst ließ man unseren großen östlichen Nachbarn in Richtung Armut trudeln.

Drittens: Die NATO-Osterweiterung wurde vorangetrieben wie eine Polar Expedition. 14 Staaten, die früher zum Warschauer Pakt gehörten, hat die NATO sich mittlerweile einverleibt. Immer wieder hat man dabei Art. 5 des NATO Vertrages, also die Pflicht, einem bedrohten Land militärisch beizustehen, auch an Staaten verteilt, die für Russlands Sicherheit zentral und für den Westen marginal waren.

Viertens: Der Westen hat ignoriert, das Russland politisches System das primäre Ziel verfolgt, die geostrategische Sicherheit des Landes zu sichern und damit das Überleben seiner Führungskaste – und eben nicht zwingend die Wohlstandsvermehrung der Bevölkerung im Blick hat. Für wirtschaftliche Sanktionen sind diese Regime nicht erreichbar, denn die Rechnung, in diesem Fall die Verlustrechnung, wird weitergereicht an das gemeine Volk. In der Demokratie kommt es zur Abwahl der erfolglosen Führer, in der Autokratie nur zur Erhöhung der Kosten für den Sicherheitsapparat.

Fünftens: Der Westen rechnet falsch, wenn er glaubt mit seinem Sanktionsregime den Russen den Zugang zum Weltmarkt abschneiden zu können. In einer Welt von 8,5 Milliarden Menschen – von denen rund zehn Prozent im Einflussbereich der NATO leben – findet ein Rohstofflieferant wie Russland immer seine Abnehmer.

Sechstens: Der Westen lebt weiter in der Welt des 20. Jahrhunderts. Das Konzept vom Weltpolizisten USA – der wie die römischen Prokonsule auf allen Kontinenten seine Garnisonen unterhält – hat im Irak, in Afghanistan, in Libyen und auch im Nahen Osten nicht funktioniert. Beginnend mit dem Vietnamkrieg (und mit der Ausnahme der Rückeroberung des Zwergenstaates Kuwait) gingen alle militärischen Interventionen seit den sechziger Jahren verloren. Das Konzept Weltpolizist ist eine Fiktion geworden.

Siebtens: Der Aufstieg Chinas hat das geostrategische Spiel entscheidend verändert. In Wahrheit sind wir Zeitzeuge nicht einer neuen Blockkonfrontation, sondern eines neuen Stellvertreterkrieges. Russland agiert als das chinesische Vorauskommando.
… Alles vom 24.2.2022 von Steingart’s Morningbriefing bitte lesen auf https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=FFinV7425152

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