Oradur Nazi-Massaker – Gauck

In Oradour hatten Soldaten der Waffen-SS 1944 über 600 Franzosen getötet. Bundespräsident Joachim Gauck hat als erstes deutsches Staatsoberhaupt den Ort in Mittelfrankreich besucht. Seine Rede zu dem furchbaren Massaker fand international Anerkennung, aber von Elsässern kommt Kritik. Warum lädt das Elsass nicht Herrn Gauck einfach mal ein? Da könnte man das Problem der Zwangsrekrutierten besprechen – unter Freunden.

 

Massaker von Oradour: Hat Gauck begangenes Unrecht ignoriert?
Bei seinem Besuch in Oradour-sur-Glane hat Bundespräsident Gauck sich schockiert über das dort verübte Massaker der Nazis geäußert. Doch einige Elsässer sind enttäuscht – und machen ihm Vorwürfe. Es ist jetzt schon einige Tage her, dass Bundespräsident Joachim Gauck als erster hochrangiger Deutscher am Ort des Massakers von Oradour-sur-Glane der Opfer gedachte. Im Juni 1944 hatte dort eine Einheit der Waffen-SS Hunderte Menschenleben vernichtet. Gauck fand vor Ort starke Worte der Versöhnung, er sprach von einem „zum Himmel schreienden Verbrechen“ und von der Schuld, die Deutsche auf sich geladen hätten. Einen aus elsässischer Sicht zentralen Teil der Geschichte von Oradour klammerte er dabei aber aus.
Was in dem Dorf im Limousin vor fast sieben Jahrzehnten geschehen ist, betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch die Beziehung der Franzosen zu den Elsässern. Unter den Tätern befanden sich damals 14 junge Männer aus dem Elsass – einer französischen Region, die von den Nationalsozialisten besetzt worden war. Bis heute leiden Elsässer der Kriegs- und Nachkriegsgeneration an dem unterschwelligen Vorwurf, die mehr als 100.000 Männer, die damals in die Waffen-SS und die Wehrmacht eingezogen worden waren, hätten aus freien Stücken für das nationalsozialistische Regime gekämpft. Historiker und Veteranen sind im Elsass bis heute überzeugt davon, diese Schuldvermutung gegen die Elsässer sei hinreichend ausgeräumt.
Was ist mit den Zwangsrekrutierten? Die Erwartungen an Gaucks Besuch in Oradour waren deshalb hoch gewesen, manche Reaktionen auf seine Worte fielen entsprechend ungehalten aus. „Warum hat er es nicht ausgesprochen, dass die Elsässer keine Wahl hatten?“, fragt sich Bernard Rodenstein, Sohn eines Zwangsrekrutierten. Rodenstein, ein pensionierter Pastor aus Colmar, setzt sich seit Jahren für die Anerkennung der Kriegswaisen der Zwangsrekrutierten ein. Er hat wie viele andere Hinterbliebene und Veteranen gehofft, Gauck werde das Unrecht eingestehen und das Kriegsverbrechen an den Elsässern beim Namen nennen. Völkerrechtlich ist es seit der Haager Landkriegsordnung Ende des 19. Jahrhunderts festgeschrieben, dass die Bewohner eines besetzten Gebietes (in diesem Fall das Elsass) nicht zu Kriegshandlungen gegen ihr eigenes Land gezwungen werden dürfen. Die Tragik von Oradour besteht für den elsässischen Historiker Jean-Laurent Vonau darin, dass der Mord an französischen Zivilisten vor diesem Hintergrund ein zweifaches Kriegsverbrechen darstellt. Gauck traf für ihn jedenfalls nicht die richtigen Worte. „Die Klammer ist geschlossen, diese Gelegenheit wird nicht wiederkommen“, macht er seiner Enttäuschung Luft. Bei Gaucks Besuch in Oradour habe eine deutsch-französische Versöhnung über die Köpfe der Elsässer hinweg stattgefunden.
Unverständnis bei den Elsässern: Auch dass ausgerechnet Robert Hébras, einer der wenigen Überlebenden, die beiden Präsidenten bei ihrem Rundgang durch die Ruinen von Oradour geführt hat, stößt auf Unverständnis. Seit Jahren vergiftet ein Rechtsstreit zwischen Veteranenverbänden und Hébras das Verhältnis zwischen den beiden Regionen. Der 88-Jährige schreibt in seinem Buch über die letzten Stunden von Oradour, die beteiligten Elsässer seien „angeblich Zwangsrekrutierte“ gewesen. Für den Historiker Alfred Wahl handelt es sich um „eine Provokation, die verhindert, dass sich die Wunde schließt“.
Fest steht: Was in Oradour geschehen ist, wurde bis heute auch hierzulande unzureichend aufgearbeitet. Die deutsche Justiz bereitet erst jetzt eine Anklage gegen die noch lebenden deutschen Verantwortlichen vor. In Frankreich wurde 1953 nach dem Prozess von Bordeaux gegen 13 der 14 Elsässer eine Amnestie erlassen. Sie hatten glaubhaft vermitteln können, dass sie gegen ihren Willen in der Waffen-SS gekämpft und in Oradour nicht zu den Anführern gehört hatten. „Hébras streut weiter den Zweifel“, betont Rodenstein, „die Elsässer hätten aus freien Stücken mitgemacht.“
18.9.2013, Bärbel Nückles

 

 

Malgre-nous
Ich gebe Ihnen Recht, Herr Gauck wird das Thema bestimmt „diplomatisch geschickt“ umgangen haben, das Thema ist komplexer als es vielleicht erscheint. @ Wolf Hermann Armin: Als dt.-frz. Doppelstaatler habe ich es quasi in die Wiege gelegt bekommen, mich mit der deutsch-französischen und der elsässischen Geschichte auseinanderzusetzen. Aus ganz persönlichen Gesprächen mit ehemaligen elsässischen Wehrmachts- und SS-Angehörigen kann ich guten Gewissens behaupten, dass es nicht nur die unschuldig zwangsrekrutierten „malgré-nous“ gab, nein es gab auch Elsässer, die mit Feuer und Flamme für das Naziregime gekämpft haben. Die französische Politik und Gesellschaft hat bis heute ein großes Problem damit, sich der Diskussion über die französischen Kollaborateure im Dritten Reich zu stellen. Das geschehene Unrecht an den Zwangsrekrutierten ist nach außen hin wesentlich komfortabler darzustellen. Das KZ-Zwischenlager Drancy bei Paris, welches von französischen Vichy-Gendarmen bewacht und geräumt wurde, ist hier eines der unrühmlichsten Beispiele von Geschichtsverdrängung. Versetzen Sie sich in die damalige Zeit, auf der einen Seite das politisch und instabile Frankreich, auf der anderen Seiten das militärisch und wirtschaftlich aufstrebende (auch wenn auf Schulden gebettete) Deutschland, welches den Franzosen auch noch das vormals besetzte Ruhrgebiet sang- und klanglos abgeluchst hat. Wie auch die Deutschen selbst ist auch so mancher Elsässer, welcher häufig ja noch aus wilhelminischer Zeit Familienangehörige auf der anderen Rheinseite hatte, dieser Verblendung unterlegen. Nochmals zurück zu den Zwangsrekrutierten. Aus strategischen Gründen und offensichtlich mißtrauischen Zwängen wurden die elsässischen Zwangsrekrutierten in den meisten Fällen nicht an der Westfront eingesetzt sondern eher an der Ostfront „verbraten“. Dort konnte man relativ sicher sein, dass keiner auf seine „französischen Brüder“ schießen musste. An der Westfront selbst kamen aus Nazisicht eher „zuverlässig regimetreue Kameraden“ zum Einsatz. Ich habe also meine berechtigten Zweifel, dass die elsässischen SS-Schärgen von Oradour Ihre Unschuld in Hände waschen und sich unter dem Mäntelchen der Zwangsrekrutierung verstecken können. Es kann und darf aber nicht ein deutsches Staatsoberhaupt sein, welcher hier den Nagel der geschichtlichen Mitverantwortlichkeit ins französische und damit elsässische Brett schlägt, nein dies muss aus einer kritischen gesellschaftlichen Mitte Frankreichs, also auch des Elsasses, kommen. Bonne soirée à tous.
18.9.2013, Patrick Pfefferle

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