Olympia ohne Medaillenspiegel – Bewertung – Gleichberechtigung

Ein erheblicher Teil der Berichterstattung über die Olympischen Spiele in London in den Medien orientierte sich in fast chauvinistischer Weise und sehr vordergründig am so genannten Medaillenspiegel. Alternative Bewertungsmöglichkeiten, wie die Anzahl der Medaillen mit der Einwohnerzahl des jeweiligen Landes in Beziehung zu setzen oder die Endkampfplatzierungen als herausragende sportliche Leistungen zu berücksichtigen, werden nicht in Betracht gezogen. Besonders unerträglich war die Schlagzeile „Rätselhaft unsportlich. Indien ist nach China des bevölkerungsreichste Land“, sowie die von der BZ übernommene dpa-Betrachtung. Nicht nur, dass hiermit ein ganzes Volk ansatzweise diffamiert wurde, es zeigte auch eine äußerst unkritische Betrachtungsweise. Solange Sport bis Mitte der 60er Jahre bei Olympischen Spielen noch als die „schönste Nebensache der Welt“ angesehen wurde, haben indische Hockey-Mannschaften jedes Mal olympische Medaillen gewonnen, meistens sogar die Goldmedaille. In dem Maß, wie sich der Hochleistungssport zum Profitum entwickelte und weltweit höchst problematische Auswüchse zeitigte (Doping, Betrug, kinder- und menschenverachtende Drill- und Kaderschmieden, Abhängigkeit von kommerziellen Interessen und staatlicher Förderung), erscheint eine Bewertung zeitgemäß, die sich nicht nur am Medaillenspiegel orientiert. Oder sollten wir uns an Staaten wie China (2. des Spiegels), Kasachstan (11.) oder Nordkorea (15.) ein Beispiel nehmen? Ich denke, es ist nachvollziehbar, wenn sich die größte Demokratie der Welt, Indien, im Unterschied zu den zitierten diktatorialen Systemen entscheidet, ihre öffentlichen Gelder, nicht in den Spitzensport zu stecken, um den Medaillenspiegel aufzupolieren, sondern damit dringendere Probleme des Landes zu lösen versucht. Insofern heben sich die Schlussbetrachtungen von Andreas Strepenik erfreulich von der sonst häufig – auch in der BZ – zu findenden vordergründigen Betrachtungsweise ab.
Dr. Erich Schmitz, Freiburg, 21.8.2012

Die Ideale sollten wir uns vergegenwärtigen und nicht die Tabelle
Sport ist und bleibt Zeitvertreib der Reichen und der Elite, sowohl in den Industrieländern als auch in den unterentwickelten Ländern. Deshalb wundere ich mich nicht, warum Indien kaum eine Medaille bei den Olympischen Spielen bekommt, da die Mehrheit der Bevölkerung ja in Armut lebt und Sport kein staatliches Prestige ist – anders als in China. In Zeiten des Wohlstandes, wo Reiseweltmeister Deutschland schon wieder die nächste Ferienreise plant, vergisst man, dass das Reisen und Wandern einst mit Überleben verbunden war. So auch bei vielen Hochleistungssportlern aus Ostafrika, die genötigt sind, große Strecken mit ihren Herden zurückzulegen. Heute werden diese Naturtalente unter modernen Bedingungen gefördert, weil der Sport dem staatlichen Prestige dient.
Aber was ist mit den Ruderern aus dem Pazifik, deren Naturtalent sich schon in Urzeiten erwiesen hat, indem sie den größten Ozean mit einfachen Booten überwunden und fast die ganze pazifische Inselwelt bevölkert haben? Sie sind bei Olympischen Spielen nicht vertreten, da durch Korruption andere Sportarten unterstützt werden. So wird auf den Philippinen, wo die durchschnittliche Körpergröße 1,60 Meter ist, Basketball staatlich und kommerziell gefördert. Und Reiten, denn die Großgrundbesitzer brauchen Reiter, um ihren Besitz zu bewachen. Trotzdem sind die Olympischen Spiele vorbildlich in der Sehnsucht nach weltweiter Gleichberechtigung. Was mir immer Gänsehaut macht, ist, wenn alle Athleten Seite an Seite ins Stadion einziehen. Diese Ideale sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen und nicht nur die Medaillentabelle!
Roy Paraiso, Kleinkems, 21.8.2012

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