Oberrheinrat – EU-Buerokratie

Dem Oberrheinrat fehlt es an der nötigen Courage – Klaus Endress fordert, dass sich die Institution stärker für die grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit einsetzt. Im Mai haben die Franzosen Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt, im Juni erreichte der Hoffnungsträger eine absolute Mehrheit im Parlament. Viele Schlüsselpositionen sind mit deutschlandfreundlichen Politikern besetzt worden. Frankreich und Deutschland könnten seit langer Zeit wieder – auf der Basis einer gemeinsamen Vorstellung von Europa und Marktwirtschaft – den europäischen Karren nach vorne ziehen. Höchste Zeit dafür! 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge hat das grandiose Projekt eines offenen Europas viele schmerzhafte Rückschritte hinnehmen müssen.
Ungeachtet der großen Fragen rund um Griechenland und die Flüchtlingspolitik ist auch am schönen Oberrhein nicht alles zum Besten bestellt. Füllen wir unsere selbstgewählte Vorreiterrolle für ein geeintes Europa akzeptabel aus? Bauen wir Brücken oder Mauern?
In Europa gilt Dienstleistungsfreiheit. Auch heute noch darf ein Einwohner von Mulhouse ein Servicetechniker-Unternehmen aus Weil für das Installieren seines Wasserhahns beauftragen. Seit Oktober 2016 aber muss die Fahrt über den Rhein zuvor vom Dienstleister im Internet auf Französisch oder Englisch angemeldet werden. Mit einer Flut von Dokumenten, vom Arbeitsvertrag des Monteurs bis zur letzten monatlichen Lohnbescheinigung, alle stets aktuell ins Französische übersetzt. Jeder einzelne Rheinübertritt kostet zudem 30 Euro Verwaltungskosten pro Person, das Erstanlegen eines Unternehmens im Internet 300 Euro – das ist Kleinstaaterei aus dem 19. Jahrhundert mit den Methoden des digitalen Zeitalters.
Es macht es nicht besser, dass auch die Schweiz seltsame Auflagen für Dienstleister hat. Auch in Deutschland könnte die Umsetzung der europäischen Entsenderichtlinie 2014/67/EU vom 15. Mai 2014 unbürokratischer sein. Diese Richtlinie gehört europaweit ersatzlos gestrichen
Unternehmer empört, dass dieser ungeheuerliche Vorgang bislang kaum Resonanz unter den vielen Freunden Europas am Oberrhein gefunden hat. Wenn wir am Oberrhein eine „Modellregion“ sein wollen, wie können wir einen solchen Einschnitt in unsere Freiheit hinnehmen? Wie viel ist übrig vom Geist Europas, wenn jeder Dienstleister, der die deutsch-französische Grenze übertritt, als Gefahr für „Lohndumping“ behandelt wird.
Es mag schwarze Schafe geben. Aber deshalb jeden grenzquerenden Dienstleister zu verdächtigen, ist ein Affront. Manche munkeln, es gehe gar nicht um Lohndumping, sondern um eine weniger sichtbare Form von Protektionismus? Eine Modellregion hat Tricks nicht nötig. Arbeitsplätze werden so nur bei Behörden und Rechtsanwälten geschaffen. Der Oberrheinrat, bestehend aus 71 deutschen, französischen und schweizerischen gewählten Vertretern, feiert in diesen Tagen sein 20-jähriges Jubiläum. Seine Vertreter sehen sich laut Internetauftritt als „starke Stimme“ der Region, wollen „nah an den Menschen“ sein und Empfehlungen an regionale und nationale Regierungen geben. Der Oberrheinrat spricht sich für die Vertiefung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts aus.
Auf der Agenda des Oberrheinrats findet sich zu dem Thema Entsenderichtlinie in 20 Jahren kein Wort, wohl aber steht derzeit der grenzüberschreitende Kampf gegen die Tigermücke auf dem Plan. Die Zukunft des europäischen Projekts mit einem kraftvollen französischen-deutschen Motor wird nur gelingen, wenn wir Abschied nehmen vom europäisch reden und national handeln. Und wenn wir die Prioritäten erkennen.
Europa ist eine grandiose Idee, die die Menschen wieder begeistert. Bürger gehen europaweit zu den Demonstrationen von „Pulse of Europe“. Der Oberrhein hat alle Voraussetzungen, tatsächlich zu einem europäischen „Labor“ zu werden. Es ist an uns, mehr öffentlichen Druck zu machen gegen den schleichenden Verfall der Errungenschaften im europäischen Grenzverkehr.
Die vielen mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit befassten Organisationen müssen die Courage aufbringen, den Finger auf die Wunden zu legen. Die Bürger wollen Europa, wollen die Mobilität von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Sie wollen klare Grenzen nach außen, aber Offenheit innerhalb Europas. Der Oberrheinrat ist mit 20 Jahren erwachsen geworden. Ich würde mir wünschen, seine Stimme zukünftig kritischer und lauter zu hören. Wie es derzeit aussieht, hätten Merkel und Macron wohl nichts dagegen! Bon anniversaire!
3.7.2017, Klaus Endress, Gastkommentar in der Badische Zeitung
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Klaus Endress, Jahrgang 1948, ist Präsident des Verwaltungsrats der Endress+Hauser AG sowie Präsident des Wirtschaftsverbandes Industrieller Unternehmenin Baden (WVIB)

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