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Störche im frisch geernteten Getreidefeld im Dreisamtal bei Freiburg 25.6.2023

  • Schachern um Agrarflächen in der Ukraine (14.7.2023)

 

Schachern um Agrarflächen in der Ukraine
Wiederaufbau der Ukraine – Teil 2:
Versuchen internationale Firmen, Zugriff auf die ukrainische Landwirtschaft zu erhalten?
Björn Harms
In den vergangenen Monaten tauchten in den sozialen Medien immer wieder Gerüchte auf, laut denen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj 17 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche an die ausländischen Firmen Monsanto, Dupont und Cargill verkauft hätte. Die Gerüchte stimmen nicht. Weder ist es derzeit für ausländische Firmen rechtlich möglich, Agrarflächen in der Ukraine zu erwerben, noch tauchen die Käufe in den Bilanzen der Firmen auf. Dennoch hat die Geschichte ein großes „Aber“.

Mit rund 32 Millionen Hektar Ackerfläche verfügt die Ukraine über doppelt soviel Nutzfläche wie Deutschland. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine. Große Teile davon sind mit dem russischen Angriff unbrauchbar geworden. Bei einem möglichen Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg spielt das Thema jedoch eine zentrale Rolle.
Viele internationale Investoren setzen auf die angestrebte Privatisierungswelle, die das Land frischem Kapital öffnen soll. Allerdings schob die ukrainische Regierung bei der Landwirtschaft ausländischen Spekulanten zumindest auf dem Papier einen Riegel vor. Seit Juli 2021 dürfen laut Gesetz nur ukrainische Bürger landwirtschaftliche Flächen kaufen und verkaufen, und zwar nicht mehr als 100 Hektar pro Person. Inländische Unternehmen werden erst ab Januar 2024 das Recht erhalten, landwirtschaftliche Flächen bis zu 10.000 Hektar zu erwerben. Die Möglichkeit, landwirtschaftliche Flächen an ausländische Bürger zu verkaufen, soll durch ein nationales Referendum entschieden werden, dessen Datum noch nicht bekannt ist.
Die „Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine“, auf der westliche Regierungsvertreter, Banken und Konzerne alljährlich über die Zukunft der Ukraine und nötige Reformen diskutieren, setzt jedoch darauf, daß diese Hürde fällt. In einem Bericht über die Reformen in der Ukraine heißt es: Die Nachkriegszeit biete eine Gelegenheit, „die schwierige Bodenreform zu vollenden durch die Ausweitung des Rechts auf den Erwerb landwirtschaftlicher Gebiete auf juristische Personen, einschließlich ausländischer Personen“.

„Für die Ukrainer ist dies eine tragische Situation“
Seit Jahren drängen IWF und Weltbank darauf, die ukrainische Landwirtschaft für das internationale Handelssystem zu öffnen. Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), die der Weltbank angehört, genehmigte in den vergangenen Jahren immer wieder hohe Millionenkredite für die Umstrukturierung des Agrarmarktes. 2019 waren es 200 Millionen US-Dollar. In den Jahren 2020 und 2021 bewilligte die IBRD zwei Darlehen über insgesamt 700 Millionen US-Dollar. Diese sind an die Bedingung geknüpft, daß Reformen zur „Schaffung eines transparenten Marktes für landwirtschaftliche Flächen“ sowie zur „Entmonopolisierung von Schlüsselsektoren zur Stärkung des Wettbewerbs, zur Privatisierung von Staatsbetrieben und zur Bekämpfung der Korruption“ durchgeführt werden.

Dabei gibt es bereits jetzt Mittel und Wege, das Gesetz zu unterlaufen. Der in den USA ansässige Thinktank „Oakland Institute“ hat die ukrainische Landwirtschaft in mehreren Publikationen untersucht. Frederic Mousseau, Chef des Instituts, erklärt die Vorgehensweise gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Ausländische Unternehmen brauchen kein Land zu kaufen, da die größten Landbesitzer in der Regel Land pachten. Wir haben festgestellt, daß mehrere ausländische Unternehmen bereits zu den größten Landbesitzern gehören, wie etwa NCH Capital – ein in den USA ansässiger Private-Equity-Fonds, der der fünftgrößte Landbesitzer in der Ukraine ist.“
Ausländische Unternehmen können sich beispielsweise eine loyale Drittperson suchen, die das Land für sie erwirbt. Dann schließen beide Partner einen Pachtvertrag ab, in dem ein Vorkaufsrecht verankert wird – für den Fall, daß ein Referendum den Kauf für ausländische Entitäten erlaubt. Neben der Verpachtung gibt es laut Mousseau zwei weitere Möglichkeiten, wie ausländische Investoren die Kontrolle über landwirtschaftliche Flächen übernehmen können: „Erstens durch Beteiligung an Unternehmen, die von Oligarchen geführt werden, die bereits große Landflächen kontrollieren. Oder zweitens indem sie als Kreditgeber für diese Unternehmen auftreten.“
Rund 4,3 Millionen Hektar werden in der Ukraine von größeren Betrieben landwirtschaftlich genutzt, wobei der Großteil davon, über drei Millionen Hektar, in den Händen von nur einem Dutzend großer Unternehmen liegt, die meist von ukrainischen Oligarchen geführt werden. Einige dieser Oligarchen waren immer wieder Teil von Korruptionsuntersuchungen der Behörden.
Die meisten der Firmen sind im Ausland registriert – in Steuerparadiesen wie Zypern oder Luxemburg. Das Oakland Institute schätzt „die Gesamtfläche des ukrainischen Bodens, die von Oligarchen, korrupten Einzelpersonen und großen Agrarunternehmen kontrolliert wird, auf etwa neun Millionen Hektar“, was rund 28 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche entspricht. „Es wird angenommen, daß das verbleibende Land von mehr als acht Millionen ukrainischen Landwirten genutzt wird, obwohl umfassende Daten fehlen“, heißt es weiter.
Diese kleinen Landwirte könnten aufgrund der Strukturanpassungen unter die Mühlen großer Agrarbetriebe und Hedgefonds geraten. „Für die Ukrainer ist dies eine tragische Situation, bei der sie nur verlieren können“, meint Mousseau im Gespräch mit der JF. „Während sie für die Verteidigung ihres Landes sterben, unterstützen Finanzinstitute heimtückisch die Konsolidierung von Ackerland durch Oligarchen und westliche Finanzinteressen.“
… Alles vom 14..7.2023 von Björn Harms bitte lesen in der JF 29/33, Seite 5