Nachtwanderer in Hochdorf – Jugendliche vom Alkohol abhalten

„Beziehung statt Erziehung“ heißt das Motto, unter dem seit einem halben Jahr Hochdorfer Bürger am Wochenende auf der Suche nach dem Gespräch mit Jugendlichen nachts durch den Stadtteil in Freiburgs Nordwesten laufen. Weit sichtbar sind die gelben Jäckchen, denen das Logo „Nachtwanderer“ auf die Brust gedruckt  ist. Jeweils einmal pro Woche, in der Nacht auf Samstag oder Sonntag, läuft eine gemischt-geschlechtliche Dreiergruppe der insgesamt sieben Personen (vier Frauen und drei Männer) mehrere Stunden durch den Ort. Sie haben sich eine Route mit bestimmten Punkten gesetzt, an denen die Jugendlichen gerne anzutreffen sind. Der Dorfplatz, die Brücke am Schwimmbad, ein Spielplatz in der Nähe der Autobahn, eine von Jugendlichen gebaute Hütte und der Parkplatz eines Einkaufszentrums gehören dazu. Die Notwendigkeit, auf die Jugend des eigenen Ortes zuzugehen, hat eine Vorgeschichte. Mal gab es einen Scherbenhaufen auf dem Hochdorfer Dorfplatz, bei diversen Waldhocks kam es zu Schlägereien, an einem bei den Jugendlichen beliebten Spielplatz nahe der Autobahn, der auch von Gästen aus anderen Stadtteilen frequentiert wurde, kam es wiederholt zu Zerstörungen.
Man hat daraufhin beschlossen, dass etwas getan werden muss, die Gemeinde hat mit den Vereinen gesprochen und ist schließlich auf das städtische Präventionsprojekt „Prärie“, welches  junge Menschen vor riskantem Alkoholkonsum schützen will, gestoßen. In der Maßnahmendiskussion fiel das „Zauberwort Nachtwanderer“, „Prärie“ könnte man dabei als Geburtshelfer bezeichnen, erzählt Hochdorfs Ortsvorsteher Christoph Lang-Jakob.

Das Konzept der Nachtwanderer stammt ursprünglich aus Skandinavien. In Schweden waren schon 1987 die ersten Nachtwanderer unterwegs, mittlerweile sind es dort etwa 200000 Nachtwanderer bei acht Millionen Einwohnern. In  Deutschland war Bremen die erste Stadt, in der Nachtwanderer unterwegs waren. Inzwischen entdecken immer mehr Gemeinden die Idee, auch in Heitersheim ist ein Nachtwanderer-Projekt im Entstehen.
Nun versuchen auch die Hochdorfer in Form von Nachtwanderern mit ihrer Jugend in den Dialog zu kommen. In Hochdorf ist die Einwohnerzahl und gerade die Zahl der jungen Einwohner in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich angestiegen. Mittlerweile hat der Freiburger Stadtteil mehr als 5000 Einwohner. Und nach sozialen Wohnungsbaumaßnahmen hat Hochdorf auch ein Wohngebiet mit Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben und aus vielen Nationen stammen.
Gleich nach ihrem ersten Ortsspaziergang waren die Nachtwanderer sehr überrascht angesichts der Reaktionen, die sie auf ihren Streifzügen verspürten. Ein „Hallo Nachtwanderer, wir haben jetzt gerade keine Zeit“ sei schon das Negativste gewesen, was sie bis heute zu hören bekamen. Oft würde das Gespräch von den Jugendlichen angenommen, mal erfährt man, wie sich einer über den Erhalt eines Jobangebots freut, mal wird man erstaunt gefragt, ob man das Ganze wirklich ohne Bezahlung mache. „Es wäre schön, wenn ihr eure Sachen hinterher wegräumt“, ist das Maximum dessen, was man sich als Belehrung zugesteht.
„Wir gehen aktiv auf Gruppen von Jugendlichen zu, wollen dann aber eine angenehme Atmosphäre schaffen und Vertrauen aufbauen“ erzählt eine Nachtwanderin. Oft wird die Musik schon leiser gedreht, wenn die Nachtwanderer von weitem sichtbar werden. Missverständnisse können ausgeräumt werden, etwa dass eine bestimmte Gruppe gar nicht für eine Beschädigung in einem Garten verantwortlich war.
Seit es die Nachtwanderer gebe, sei die Zahl der Beschwerden, die etwa wegen nächtlicher Ruhestörung auf seinem Schreibtisch landen, sehr stark gesunken, freut sich der Ortsvorsteher Lang-Jakob. Und jetzt hat er schon ein wenig Sorge, dass es ihm mit den Nachtwanderern eines Tages so gehen könnte wie den Pionieren in der Hansestadt Bremen: „Dort hat man mittlerweile Probleme, Nachtwanderer zu finden, weil die auf ihren nächtlichen Spaziergängen zu wenig zu tun haben sollen.“
Otto Schnekenburger, 17.6.2012, www.der-sonntag.de

 

Beziehung statt Erziehung
Sie erleben viel, wenn sie nachts durch Hochdorf ziehen: Jugendliche, die ihnen erzählen, dass sie sich ausgestoßen fühlen. Jugendliche, die sie zum Mitfeiern einladen. Jugendliche, die von der Trennung ihrer Eltern berichten oder Fotos von ihrem Patenkind zeigen. Nur eines ist Marta Gerber und Manfred Merkle und den drei anderen Frauen und zwei Männern in ihrem ersten halben Jahr als „Nachtwanderer“ nie passiert: dass Jugendliche genervt reagierten. … Alles vom 15.6.2012 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/freiburg-west/zuhoeren-und-aufklaeren-in-der-nacht–60628517.html 

Präventionsprojekt „Prärie“
Das Präventionsprojekt „Prärie“ der Stadt Freiburg – der Name weist auf die vier Bereiche Prävention (Vorbeugen), Relaxation (Entspannen), Intervention (Eingreifen) und Evaluation (Bewertung) – soll Jugendliche vor Alkokol-Missbrauch schützen. Nach dem Ende der Alkoholverbots in der Freiburger City ist dies wichtiger denn je, so  Karin-Anne Böttcher (Koordinationsstelle Kommunale Alkoholpolitik) und Klaus Limberger (Fachstelle Sucht des Baden-Württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation). Im Rahmen von „Prärie“ sind die „Nachtwanderer“ unterwegs – in Weingarten und Hochdorf.
www.Freiburg.de/prairie

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