Musiktherapie bei Demenz

Fast eine Million Menschen leiden in Deutschland an Demenz. Viele Studien belegen, dass Musizieren und  Singen das emotionale Gleichgewicht der Demenzkranken stärken und die Lebensqualität der  Dementen, Angehörigen und Pflegekräfte verbessern kann. das Problem: Das Liederrepertoire wird immer kleiner und Singen als peinlich empfunden.
     

Melodien gegen das Vergessen
Demenzpatienten fällt es schwer, sich zu erinnern. Ist die Krankheit fortgeschritten, bauen sie auch körperlich ab. Musiktherapeuten sind überzeugt: Eine vertraute Melodie kann verloren geglaubte Erinnerungen zurückholen und neue Energie geben. Auch bei Menschen mit Schlaganfall und Parkinson wurden vielversprechende Ergebnisse beobachtet. Frau Dronski ist wütend. Ihr Gesicht läuft rot an, die Hände zittern. Gerade hat eine Mitbewohnerin den Gemeinschaftsraum des Pflegeheims verlassen. „Sie sind ja ganz aufgeregt“, sagt die Musiktherapeutin. Was ist denn los? „Ich kann sie nicht leiden, die alte Kuh, ich will ihr eine kleben“, zischt Frau Dronski in ihrem Rollstuhl. „Dann gibt es ja Mord und Totschlag“, meint die Therapeutin. „Wie klingt so was denn?“ Sie fängt an, einen Kinderreim zu skandieren, „Links, links, links, umme Ecke stinkt’s“, macht dabei mit der linken Faust eine schlagende Bewegung und lädt Frau Dronski ein, …
aus: Birgit Schönberger, Melodien gegen das Vergessen, www.psychologie-heute.de, 2/2013

 

Singen macht vielen Angst, aber gerade darin liegt die befreiende Kraft

Erkennt jemand, der ein Teil seines Gedächtnisses verloren hat, eine Melodie, dann wird dies als große Freude empfunden.
Die Erinnerungen, die durch einen Schlager wachgerufen werden, können als Ankrüpfungspunkt zur Biografiearbeit genutzt werden.
Über ein Lied kommt man nicht nur ins Erzählen, sondern auch ins körperliche Erleben: Patienten, die sich normalerweise weigern, das Bett zu verlassen, stehen auf und bewegen sich, tanzend oder gestikulierend, wenn sie eine bestimmte Melodie hören. Besonders rhythmische Musik übt für die meisten einen starken Bewegungsanreiz aus.
Über ein Lied oder ein Schlagerrefrain kann der Demente etwas ausdrücken, was mit Worten nicht mehr möglich bzw. zu anstrengend ist.
Für Musik sind Kranke auch noch bei fortgeschrittener Demenz empfänglich: „Das musikalische Gedächtnis scheint stabiler zu sein als andere Gedächtnisregionen. Es ist stark an Emotionen gekoppelt und hat eine enge Verbindung zum biografischen Gedächtnis“, so Prof Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Die Musik, die man zwischen Hoch- und Spätpubertät hört, also zwischen 15 und 22, ist die Musik, die prägt. Deshalb sollte die Musiktherapie die Lieder finden, die jemand in dieser Phase gerne gehört hat.
Musik kann angstlösend wirken und zu Abbau wie Kontrolle von Spannungen verhelfen – so die neurologische Musiktherapie.
Musik ist ein Mittel, um mit anderen und auch mit sich selbst besser in Kontakt zu kommen.
Ein Lied kann den Zugang zu Gefühlen ermöglichen, die verschüttet sind.

Leider wird die Musiktheapie auch heute noch als zwar nettes, aber verzichtbares Anhängsel betrachtet. Ein Grund mag daran liegen, dass die Studien die harten Wissenschaftskriterien nicht erfüllen und deshalb der Beweisdruck erhalten bleibt.
Die Musiktherapie hat es imer schwerer: Früher verfügten die Patienten über ein riesiges Liederrepertoire und hatten keine Scheu zu singen – sie waren gewohnt, Melodien zu trällern, Schlager zu schmettern und im Chor mitzusingen. Heute fehlen die Volkslieder und den meisten ist es peinlich zu singen. Man ist ja nur gewöhnt, Musik zu konsumieren bzw. allenfalls ein „I can’t get no …“ nickenderweise mit zu murmeln. Musizieren und Singen macht vielen Angst, aber gerade darin liegt die befreiende Kraft.
7.1.2013

Dieser Beitrag wurde unter Demenz, Musik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar