Muenstertalbahn in D und Elsass

Ein neues Eisenbahnzeitalter bricht im Südlichen Breisgau an, wenn mit Beginn des neuen Schuljahres der Elektrozug „Talent“ offiziell seinen Betrieb auf der Münstertalbahn aufnimmt. Genau 99 Jahre sind es her, dass Willibald Strohmeyer, Pfarrer in St. Trudpert von 1909 bis 1945, am 20. Juli 1914 in seinem penibel geführten Tagebuch vermerkte: „Gestern wurde endlich mit dem Bahnbau Staufen-Münstertal begonnen. Was lange währt, wird endlich gut.“ Ganz so gut wie erhofft, lief es dann doch nicht, denn nur wenige Tage später schrieb Strohmeyer am 1. August ins Tagebuch: „Allgemeine Mobilmachung – Ausbruch des Krieges.“ Dieser war letztlich der entscheidende Grund, dass der Bau der knapp sechs Kilometer langen Bahnstrecke von Staufen ins Münstertal nicht so schnell wie geplant voranging und der erste Zug erst fast zwei Jahre später am 1. Mai 1916 im Bahnhof Untermünstertal einfuhr.
Das Eisenbahnzeitalter begann in unserer Region in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1845 wurde Freiburg und 1847 Krozingen an die Eisenbahnhauptstrecke Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Müllheim angeschlossen. Die etwas abseits gelegenen Städtchen Staufen und Sulzburg mussten weitere 47 Jahre auf ihren Bahnanschluss warten. Noch 1890 hoffte Kirchhofen auf einen Anschluss an die Hauptbahnlinie, denn – so ist dem Staufener Wochenblatt vom 20. März 1890 zu entnehmen – es sei eine Bahnlinie Wolfenweiler – Kirchhofen – Staufen – Sulzburg geplant gewesen.
In der Diskussion jener Jahre war auch eine Art Ringbahn von Gottenheim über Schallstadt, Ehrenstetten und Sölden nach Freiburg. Auch eine Bahnlinie Krozingen – Breisach hatte damals gute Chancen, Realität zu werden. Doch dann schlug die Stunde für das „Staufener Bähnle“. Innerhalb nur eines halben Jahres, vom 7. Juni (Spatenstich) bis 20. Dezember 1894 (erste Zugfahrt), wurde die 11,6 Kilometer lange Bahnstrecke Krozingen – Staufen – Sulzburg fertiggestellt, nachdem auch die zuvor favorisierte Schmalspurbahn Heitersheim – Dottingen – Ballrechten – Sulzburg nicht zustande gekommen war.
Planungen für Eisenbahnlinien gab es an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert im südbadischen wie im elsässischem Raum offenbar zuhauf. Der mit der Eisenbahn erzielte wirtschaftliche Aufschwung im Südlichen Breisgau (das Staufener Bähnle erwirtschaftete bereits im ersten Betriebsjahr 20 Prozent mehr Einnahmen als erwartet) führte zu recht euphorischen Plänen. So ließ 1896 die Freiburger Bankgesellschaft Bouisson & Simon den Plan für den Bau einer Eisenbahn Staufen – Münstertal – Mulden – Kaltwasser mit Fortführung einer Drahtseilbahn zum Belchen ausarbeiten.
Sechs Jahre später, am 1. Juli 1902, meldete das Staufener Wochenblatt, dass „das Projekt einer Münstertalbahn lebhaft erörtert wird“. Der durchgehende Transport des Holzes auf der Schiene anstatt auf der Achse (Fuhrwerk) vom waldreichen Münstertal bis an den Rhein schien in der Tat eine praktische und lukrative Sache zu sein. Schließlich waren es aber auch die Bürger des Münstertales, die einen Bahnanschluss an die schon bestehende Nebenbahn Krozingen – Staufen wünschten, „vorerst auch nur bis zum Wasen“, denn aus dem Obertal war wenig Interesse an einer Bahn und deren Finanzierung gezeigt worden.
Nachdem der Zentrumsabgeordnete Julius Schüler im Badischen Landtag die Opferbereitschaft der Gemeinde Untermünstertal (kostenfreies Gelände und 15 000 Mark pro Gleiskilometer) als „geradezu mustergültig“ dargestellt hatte, traf am 30. Juli 1913 die Baugenehmigung für die 5763 Meter lange Bahnstrecke ein. Deren Verwirklichung zog sich vom ersten Spatenstich am 9. Oktober 1913 bis zur Fertigstellung über zwei Jahre hin. Am 5. Mai 1915 schrieb Strohmeyer in sein Tagebuch: „Gegenwärtig arbeiten 50 Franzosen an der Bahn, es sind Zivilgefangene, die von vier Landsturmmännern bewacht werden.“
    
Bahnbau im elsässischen Münstertal
Nahezu zeitgleich zum Bahnbau im Südbadischen gab es ähnliche Eisenbahnplanungen auf dem jenseitigen damaligen Reichsgebiet im Elsass. Nur rund 40 Kilometer westwärts war im elsässischen Münstertal bereits 1868 eine Eisenbahnlinie zwischen Colmar und Munster und 1893 weiterführend bis Metzeral eingeweiht worden, die bis heute in Betrieb ist. Doch die Planungen gingen auch hier weiter. Analog zum badischen Münstertal, wo der Belchengipfel (vergeblich) mit einer Seilbahn bezwungen werden sollte, war das Ziel der (damaligen deutschen) Eisenbahnbauer die Vogesenkammhöhe Col de la Schlucht am Ende des Tales Kleine Fecht – mit 1160 Metern etwa die Höhe des Schauinslandes im Schwarzwald. Nachdem die Franzosen von Gerardmer auf der Vogesen-Westseite her bereits im Jahr 1904 den Col de la Schlucht mit einer fast 20 Kilometer langen Eisenbahnlinie erreicht hatten, bauten Tausende von französischen und deutschen Mineuren in Rekordzeit eine elektrische Tramway-Linie von Munster auf den Col de la Schlucht. Die 800 Höhenmeter überwand die Schmalspurbahn auf 13,6 Kilometern Länge, davon 2,8 Kilometer mittels Zahnradspur, über kunstvoll angelegte Trassen mit bis zu 22 Prozent Steigung und durch einen in die Felsen geschlagenen Tunnel. Zu jener Zeit galt die Tramway auf den Col de la Schlucht als die höchste Bergbahn im Deutschen Reich.
Am 13. Mai 1907 wurde die Tramway-Linie in Munster und auf dem deutsch-französischen Grenzbahnhof Col de la Schlucht mit viel Prominenz eingeweiht. In den nachfolgenden Vorkriegsjahren waren sich verkehrstechnisch nicht nur Vogesen und Schwarzwald sondern auch die Menschen näher gekommen. Im ausgehenden Kaiserreich erlebte der Tourismus durch die gut situierten „Sommerfrischler“ beiderseits des Rheins im Schwarzwald und in den Vogesen – nicht zuletzt Dank der Eisenbahn – eine, wenn auch nur kurze, Blütezeit.
Bereits am 3. September 1914 – als gerade die südbadische Münstertalbahn im Bau war – wurde die elsässische Schlucht-Tramway „Opfer des Ersten Weltkrieges“, wie es der Colmarer Historiker und Volkskundler Gérard Leser beschreibt. Von der ehemaligen Schmalspur-Zahnradtrasse der elsässischen Tramway auf den Col de la Schlucht ist ebenso wenig übrig geblieben wie auf badischer Seite von der Bahnlinie Staufen-Sulzburg, die 1969 im 75. Jahr ihres Bestehens stillgelegt wurde.
   
Damit war auch der Weiterbetrieb der badischen Münstertalbahn in höchstem Maße in Frage gestellt. Doch im Jahre 1976 setzten sich die Gemeinderäte von Staufen und Münstertal mit aller Vehemenz gegen damals kursierende Stilllegungspläne der Münstertalbahn ein – mit Erfolg, wie die seitherige Geschichte der Nebenbahn beweist. Die Euphorie der Eisenbahngründerjahre ist ebenso vorbei wie die Phase der Stilllegungspläne. Statt „Dampf-Bähnle“, „Feurigem Elias“ oder „Fauchender Donnerbüchse“ sind Realitätssinn und Umweltbewusstsein eingekehrt – mit Dieseltriebwagen, Regio-Shuttle und jetzt Elektro-S-Bahnzug „Talent“ – zum Nutzen der einheimischen Schüler und Pendler, zur Freude der Besucher und Feriengäste. Nach rund 100 Jahren schließt sich der Kreis einer regionalen Eisenbahngeschichte, die erfreulicherweise heute keine nationalen Grenzen mehr kennt.
   
Anlässlich der Inbetriebnahme der elektrifizierten Bahnstrecke zwischen Bad Krozingen und Staufen lädt die SWEG auf das letzte Septemberwochenende, Samstag und Sonntag, 28. und 29. September, zum kostenlosen Eisenbahnfahren auf dem neuen Elektrozug ein. An den Bahnhöfen Bad Krozingen, Staufen und Münstertal werden einheimische Vereine Bewirtungsstände einrichten. Die offizielle Eröffnung der Bahnlinie erfolgt eine Woche zuvor am Samstag, 21. September, zwischen 10 und 12 Uhr durch Verkehrsminister Winfried Hermann mit der Enthüllung der Gemeindewappen an den Bahnstationen durch die Bürgermeister von Münstertal, Staufen und Bad Krozingen.  
9.9.2013, Manfred Lange

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