Michel Houellebecq: Vernichten

Nach „Unterwerfung“ liegt der neueste Buch „Vernichten“ von Michel Houellebecq als deutsche Übersetzung in den Buchläden aus. Startauflage 300.000. Nach in den letzten Jahren über 4 Millionen verkauften Büchern allein in Frankreich. Warum lesen so viele Houellebecq, obwohl er nicht easy, sondern anstrengendes deep Reading verlangt?
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Zumindest drei Gründe ‚verführen‘ zum Lesen:
(1) Michel Houellebecq wird nicht nur als Dichter wahrgenommen, sondern als Prophet. So sagt er in „Unterwerfung“ die Verdrängung der christlichjüdischen durch eine vom Islam geprägte Kultur voraus, die viele Leser bereits im Jetzt und Heute erahnen bzw. erleben.

(2) Michel Houellebecq ist ein nihilistischer Naturalist, dessen realistischer und harter Schreibstil ihn deutlich von der intellektuell schön- und ideologisch zwangs-gefärbten Schreibe der woken Gegenwartsautoren abhebt.
Die 624 Seiten von „Vernichten“ lesen sich deshalb eher als Streitschrift bzw. Dokument und nicht als Roman.

(3) Der dritte Grund liegt in der Hoffnung, daß Houellebecq mit all seinen dunklen Untergangsszenarien doch kein lustvoller Provokateur ist, sondern daß er damit seine heimliche Sehnsucht nach einer Sinn-Ordnung ausdrückt. So sagt er 2019 im Interwiew: „Zu den Zeiten, als der Islam verborgen war, wo es einen Islam im Keller gab, da lief alles gut. Jetzt machen die Muslime Probleme. Weil man ihnen sagt, sie könnten sichtbar sein. Um das zu regeln, wäre es besser, die katholische Religion würde stärker werden.“

Der originale Buchtitel ist „Anéantir“. Als Titel hätte man in der deutschen Übersetzung besser „Auslöschen“, „Ausrotten“ oder „Niederschmettern“ gewählt als „Vernichten“, dem im Französischen das weitverbreitete und platte „Détruire“ entspricht.
27.1.2022
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Vernichten – Buch von Michel Houellebecq: 
Aus dem Französischen übersetzt von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek.
DuMont Literaturverlag. Hardcover mit Schutzumschlag, 624 Seiten, 28,00 €.
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Das Phänomen Houellebecq

Seine Romane haben prophetischen Charakter, weil sie die hyperrealistisch beobachteten Merkmale der Wirklichkeit zu einer voraussehenden Bilanz unserer Epoche verdichten:
In der »Ausweitung der Kampfzone« thematisiert er den Konflikt von Ökonomie und Sexualität im Wirtschaftsliberalismus, in den »Elementarteilchen« den Untergang der Scholastik und den Triumph des Materialismus, eine These, die in »Plattform« fortgeschrieben wurde.
In der »Möglichkeit einer Insel« wird der Transhumanismus vorhergesehen, in »Karte und Gebiet« zieht Houellebecq die Konsequenzen, die der Nihilismus auf die Kunstproduktion hat.
»Unterwerfung« entwirft das Bild eines islamistisch geprägten Europas. »Serotonin« benennt die Depression als das Signum unseres Zeitalters, und »Vernichten« schließlich (ein Buch, dessen Titel korrekt übersetzt eher »Auslöschung« oder »Auslöschen« hätte heißen müssen, wenn das nicht von einem Werk eines anderen Dichter-Sehers, Thomas Bernhard, schon belegt worden wäre) fasst die Themen der vorhergehenden Romane in einer spektakulären Engführung als einen universalisierten Lebensekel des Protagonisten zusammen.

Der prophetische Charakter seiner Bücher wurde durch außerliterarische Ereignisse nur noch verstärkt: Wenige Tage vor den Anschlägen des 11. September wird sein Roman »Plattform« veröffentlicht, der auf seine Weise die Dekadenz der westlichen Welt, die auch die islamistischen Terroristen brandmarkten, im Visier hatte. Die tödlichen Schüsse in der Redaktion von Charlie Hebdo fielen just am Tag der Auslieferung von Houellebecqs »Unterwerfung«. Man muss kein Marketinggenie sein, um aus diesen Koinzidenzen Kapital zu schlagen. Literatur, die die Wirklichkeit vorwegnimmt, wächst wie selbstverständliche eine prophetische Qualität zu, die sie weit über die Masse der dichterischen Produktion erhebt.

Denn vielleicht – vielleicht! – ist es gar nicht die Lust am Untergang unserer materialistischen, digitalisierten, ent-individualisierten, sexbesessenen und zur Liebe komplett unfähigen Welt, die uns masochistisch an diesen Texten fesselt. Vielleicht ist es etwas ganz anderes, etwas diesem Zusammenbruch und diesem Niedergang vollständig Entgegengesetztes, das als ganz schwaches Licht in der Dunkelheit des Houellebecq’schen Universums leuchtet und sich kaum gegen die übermächtig scheinende Finsternis behaupten kann.
Cécile, die Schwester des Protagonisten Paul Raison aus dem neuen Roman, ist eine praktizierende Katholikin, der es sogar gelingt, ihren eher skeptischen Bruder zur Weihnachtsmesse in die Dorfkirche im Beaujolais mitzunehmen.
Diese kleinen katholischen Motive gibt es in jedem der Romane Houellebecqs, und sie korrespondieren mit Aussagen, die er als Person gemacht hat. Er berichtete über wiederholte Versuche, zum Katholizismus zu konvertieren, die alle vergebens blieben.

Jedenfalls brennt tief in den Grüften der Houllebecq‘schen Untergangslandschaften eine Kerze, deren Schein immer wieder durch die düsteren Texturen hindurchleuchtet. Und möglicherweise ist dieser schwache Hoffnungspunkt das wirkliche Faszinosum seiner Romane.
… Alles vom 20.1.2022 von Dr. Alexander Pschera bitte lesen auf
https://www.die-tagespost.de/kultur/houellebecq-ist-ein-phaenomen-art-224833
… vom 26.1.2022 auf
https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/das-phaenomen-houellebecq/
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Einige Kommentare:
… im deutschen Kulturbetrieb?
Ein Mann wie Houellebecq wäre von den kulturellen „Eliten“ hierzulande in den Boden gestampft worden. Wer im deutschen Kulturbetrieb überleben will, muss ein beflissener Nachplapperer grünlinker Dogmen sein. Das wird bei uns als große Kunst angesehen.
27.1.2022, C.B.

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