Meinungsfreiheit bedroht?

Die Meinungsfreiheit gilt in Deutschland seit nunmehr über 70 Jahren, denn jeder kann seine Meinung hierzulande frei sagen. Aber das Recht des Bürgers, seine Meinung zu äußern, schließt auch das Recht ein, gehört zu werden – in den Medien und in der inner– wie außerparlamentarischen Diskussion. Denn Kritik und abweichende Meinung des mündigen Bürgers sind essentiell in unserer Demokratie – incl. Meinungsvielfalt und Medienvielfalt..
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Doch mit diesem „gehört werden“ hapert es zuweilen: Professoren äußern ihre Sorge um die schwindende Freiheit von Forschung und Lehre an der Uni – siehe Frau Professor Susanne Schröter an der Uni Frankfurt. Umfragen liefern Ergebnisse wie „71 Prozent haben den Eindruck, dass man sich zur Flüchtlingsthematik nur mit Vorsicht äußern kann“ – siehe IFD-Allensbach unten. Politische Diskussionen werden mit der raschen Verortung zu links-/rechtsextrem bis hin zu Nazi unterdrückt. Dabei ist in unserem Staat mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung jede Bürgermeinung eine irgendwie abweichende Meinung und deshalb wertvoll und willkommen. Alternativlos-einheitliche Meinungen (Mainstream) dagegen sind Kennzeichen eher totalitärer bzw. faschistischer Staatsformen.
Wie ernstzunehend die Meinungsfreiheit an Hochschulen bedroht sein kann, zeigt ein Offener Brief von Prof Martin Wagener aus Berlin, der unten dokumentiert wird.
30.8.2019
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Umfrage des IFT Allensbach zur Meinungsfreiheit: 71%
„Anders ist das bei den Themen, die mehr als alle anderen als Tabuzonen eingeschätzt werden, Flüchtlinge und Islam. 71 Prozent haben den Eindruck, dass man sich zur Flüchtlingsthematik nur mit Vorsicht äußern kann. “
… Alles zu „Grenzen der Freiheit“ des Instituts für Demoskopie Allensbach vom 23.5.2019 bitte lesen auf
https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/user_upload/FAZ_Mai2019_Meinungsfreiheit.pdf

Offener Brief von Prof Wagener zur Freiheit von Forschung und Lehre
Prof. Dr. Martin Wagener, Professor für Internationale Politik mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik in der Hochschuleinrichtung „Zentrum für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung“ (ZNAF) des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Hochschullehrer beim Programm „Master in Intelligence and Security Studies“ (MISS), beklagt sich in einem Offenen Brief am 14. Juli 2019 politisch korrekte Beschneidungen der Freiheit von Forschung und Lehre.
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Prof. Dr. Martin Wagener
Berlin, 14. Juli 2019
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Erklärung zur Einschränkung der Lehrfreiheit an der Hochschule
im Gebäude des Zentrums für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung
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Sehr geehrte Damen und Herren,
am 9. Mai 2019 habe ich Martin Knobbe, Leiter des Hauptstadtbüros des Wochenmagazins „Der Spiegel“, und Dieter Stein, Chefredakteur der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, zu einer Podiumsdiskussion im laufenden Semester eingeladen. Da unsere Hochschuleinheit im Zentrum für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF) untergebracht worden ist, sollte die Veranstaltung dort stattfinden. Am 24. Juni 2019 kam es in besagter Angelegenheit zu einem Gespräch mit zwei Mitgliedern der Leitung des ZNAF und einer Person der Leitung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Mir wurde unmissverständlich dargelegt, dass Räumlichkeiten des ZNAF für eine solche Veranstaltung nicht zur Verfügung stünden. Weder im laufenden Semester noch danach.
Für das Wintersemester habe ich zudem eine weitere Vortragsveranstaltung mit dem Repräsentanten der Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh, geplant. Obwohl dieser bereits 2018 zu meinen Studenten gesprochen hat, gibt es nun auch in seinem Fall Vorbehalte. Zu den Reaktionen auf die Vortragseinladungen gehören sehr weitreichende Vorschläge: Seit Erteilung der Absage der Podiumsdiskussion ist mir von zwei Personen in entsprechender Stellung nahegelegt worden, meine Professur aufzugeben und die Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (HSB) bzw. das ZNAF zu verlassen.
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Abgesagte Podiumsveranstaltung mit Martin Knobbe und Dieter Stein
Die Idee zu einer Podiumsveranstaltung war Anfang Mai 2019 angedacht worden. Ich habe meine Studenten gefragt, ob sie Lust hätten, mit Journalisten zum Thema „Medien, Nachrichten, Echoräume“ zu diskutieren. Das Format wurde noch im Seminarraum besprochen, beide Journalisten wurden von mir benannt. Die Regeln waren einfach: Die Journalisten können sich in einem kurzen Eingangsreferat frei zum Thema äußern, und meine Studenten dürfen die Fragen stellen, die sie interessieren. Es hätte natürlich keine Auflagen für beide Seiten gegeben. Ich wäre als Moderator aufgetreten. Die Studenten signalisierten großes, geradezu einhelliges Interesse an der Veranstaltung, und so unterbreitete ich beiden Journalisten meine Idee. Sie sagten zu. Im Gespräch mit Vertretern der ZNAF- und BND-Leitung kam es zu keinem Konsens. Ich betrachte das Vorgehen als Eingriff in die Lehrfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Gegenseite sieht dies anders. Folglich musste ich Martin Knobbe und Dieter Stein absagen. Ich unterrichte seit nun über 20 Jahren und habe in dieser Zeit sehr viele externe Referenten in meinen Lehrveranstaltungen begrüßen dürfen. Für die Studenten war dies stets eine Bereicherung.

Nach der Causa des Prof. Dr. Martin van Creveld in Trier 2011 ist dies nun das zweite Mal, dass ich gezwungen worden bin, Gäste wieder auszuladen. Die Absage richtet sich eindeutig gegen beide Journalisten. Es wurde klar hervorgehoben, dass das Thema zu brisant sei und nicht in die aktuelle politische Stimmungslage passe. Ebenfalls wurde unzweideutig signalisiert, dass Journalisten keine Vorträge in den Räumlichkeiten des ZNAF halten sollen – andere Vorträge seien dagegen möglich. Was nun wirklich am Thema „Medien, Nachrichten, Echoräume“ so brisant sein soll, wurde mir in der Erklärung nicht ersichtlich. Deutlich abwegig finde ich die nun getroffene Festlegung, Professoren müssten künftig externe Referenten intern anmelden. Anschließend werde entschieden, ob sie vortragen dürfen. Wird dies umgesetzt, dann gibt es am ZNAF einen klaren Zensur-Mechanismus, der je nach politischer Stimmungslage mal diese, mal jene externen Referenten zu Wort kommen lässt. Ein solches Vorgehen steht im diametralen Gegensatz zum Anspruch, die Akademisierung innerhalb der Nachrichtendienste durch die Etablierung eines neuen Studiengangs voranzutreiben. Parallel zum Master in Intelligence and Security Studies (MISS) werden nun die Grenzen des inhaltlichen Diskurses enger gezogen.
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Die Vorgänge sind noch aus einem weiteren Grund irritierend: Von 2012 bis 2018 habe ich in Haar bei München unterrichtet. Es gab keine Probleme mit externen Referenten, zu denen der deutsche Botschafter in Luxemburg, Dr. Heinrich Kreft, und Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh gehörten. Zu Ehren des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Hanns W. Maull wurde ein komplettes Symposium in der Liegenschaft abgehalten. Sämtliche Veranstaltungen stießen auf großes Interesse. Die damaligen Referatsleiter haben die Lehrfreiheit geachtet: Ich habe von meinem Vorhaben berichtet und dann ging es sogleich darum, wie die jeweilige Veranstaltung umgesetzt werden kann. Eine Zensur fand nicht statt. Mir wurde zudem mitgeteilt, das Thema liege außerhalb meiner Lehrbefugnis, was inhaltlich natürlich unsinnig ist. Ich bin Professor für Politikwissenschaft und unterrichte Internationale Politik mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik. Die Befassung mit dem Gehalt und der Glaubwürdigkeit von Meldungen, die Nachrichtenagenturen oder Tageszeitungen publizieren, gehört zu den Querschnittsthemen aller Professoren der Politikwissenschaft, die sich natürlich darüber Gedanken machen, welchen Quellen sie in welchem Umfang trauen können. Ich beobachte dies in meinen Seminaren ja immer wieder: Viele Studenten sind sich – was zu Beginn des Studiums ganz natürlich ist – gar nicht bewusst, dass es bei Agenturmeldungen sowie Tageszeitungsbeiträgen je nach Thema und Redakteur Qualitätsunterschiede gibt. Eine Sensibilisierung für diese Problematik ist daher wichtig und sollte auch im Interesse eines Nachrichtendienstes liegen. In der Auswertung des BND werden täglich entsprechende Quellen aus dem Bereich der Open Source Intelligence verwendet, und künftige Mitarbeiter der Behörde sollten ein waches Auge für Qualitätsunterschiede der medialen Berichterstattung haben.
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Wie wichtig eine entsprechende Sensibilisierung im Bereich der Nachrichtendienste ist, zeigt die zum Teil methodisch fragwürdige Abfassung des Gutachtens des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Alternative für Deutschland (AfD) vom Januar 2019. In diesem wurden zur Beweisführung gleich mehrere Belege aus Quellen von Indymedia und der Antifa unkritisch zitiert. Es wurden also Behauptungen von Linksextremisten aufgegriffen, die selbst ständiges Thema der Berichterstattung in den Verfassungsschutzberichten sind, um die Verfassungsfeindlichkeit einer anderen Partei zu belegen. Würden Studenten in dieser Weise ihre Diplomarbeiten abfassen, würde dies zu starken Punktabzügen führen. Mögliche Sorgen, wonach es während der Podiumsdiskussion „zu politisch“ zugehen könnte, sind ebenfalls unbegründet. Zunächst ist festzustellen, dass sich Politikwissenschaftler natürlich insofern um Objektivität zu bemühen haben, als sie ihre Studenten möglichst breit unterrichten.
Pro- und Contra-Argumentationen bei strittigen Themen sollten zum Standard der Auseinandersetzung gehören, und verwendete Theorien müssen auf Stärken und Schwächen abgeklopft werden. Politikwissenschaft kann aber niemals neutral sein. Was auch immer in der Zunft publiziert wird, es steht am Ende immer für oder gegen eine Entwicklung, eine Sichtweise o.ä. Mein Wissenschaftsverständnis ist sehr empirisch-analytisch geprägt. Es gibt aber natürlich auch Kolleginnen und Kollegen, die im Schwerpunkt normativ-ontologisch ansetzen. Das ist ebenfalls Wissenschaft (und gerade z.B. für Rechtswissenschaftler regelmäßig überhaupt nicht nachzuvollziehen). Martin Knobbe und Dieter Stein hätten natürlich Position bezogen: Wie soll eine Diskussion auch anders zustande kommen? Eine wert- und normfreie Politikwissenschaft gibt es nicht. Sie lebt ja gerade vom Diskurs unterschiedlicher Meinungen, der nun am ZNAF eingeschränkt werden soll.
Martin Knobbe hat vor einiger Zeit einen sehr scharfen und auch polemischen Beitrag über Spiegel Online gegen mein Buch „Deutschlands unsichere Grenze. Plädoyer für einen neuen Schutzwall“ veröffentlicht. Dennoch habe ich ihn eingeladen, weil es wichtig ist, auch bei stark abweichenden Meinungen ins Gespräch zu kommen (mein Buch wäre natürlich nicht Thema der Podiumsdiskussion). Das ZNAF müsste nun nicht nur deshalb, sondern auch aus einem weiteren Grund Interesse an einem Spiegel-Journalisten haben: In seiner Ausgabe vom 1. Juni 2019 hat der Spiegel einen sehr wohlwollenden Beitrag über den MISS und damit auch über die Ausbildung von Studenten am ZNAF veröffentlicht. Warum besteht nun umfassende Sorge vor der Mitwirkung eines Spiegel-Journalisten an einer Podiumsdiskussion?
Auch zuvor gab es immer wieder eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Wochenmagazin und dem BND, wie dies z.B. das Interview mit Präsident Dr. Bruno Kahl in der Ausgabe vom 18. März 2017 zeigt. In ähnlicher Weise verwundert die Ablehnung Dieter Steins. Mittlerweile hat ein Großteil des Establishments der Jungen Freiheit ein Interview gegeben oder in ihr publiziert. Genannt seien Hans Apel, Egon Bahr, Alexander van der Bellen, Michel Friedman, Thomas Goppel, Burkhard Hirsch, Freya von Moltke oder Peter Altmaier. Zuletzt äußerte sich der sehr angesehene Staatsrechtler und ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz in dem Blatt. Rechtsextremisten und Rechtsradikale hätten auf diesen Personenkreis sicherlich keinen Zugriff. Somit wurde die Chance auf einen höchst interessanten Meinungsaustausch an der HSB Einheit im ZNAF vorläufig unterbunden. Die Studenten hätten mit Herrn Knobbe sicherlich kritisch über den Relotius-Skandal und die „Ibiza-Affäre“ sprechen wollen. Bei Herrn Stein wäre vermutlich die Frage aufgetaucht, ob die Junge Freiheit der AfD nicht zu wohlwollend gegenübersteht. Beide hätte man dann vermutlich auch gebeten darzulegen, wie sehr es bei der Abfassung von Nachrichten um objektive Berichterstattung geht und in welchem Umfang dabei eine spezifische Ausrichtung des jeweiligen Blattes einfließt. Und: Haben der Spiegel und die Junge Freiheit überhaupt eine klare, politische Ausrichtung? Leben beide in eigenen Echoräumen, sehen diese aber nur außerhalb des eigenen Leserkreises?
Zum Wesen einer Vortragsveranstaltung an einer Hochschule gehört traditionell auch die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem, was die Referenten darlegen. Der aktuelle Kurs „Internationale Politik“ im Hauptstudium I ist sehr diskussionsfreudig. Die Studenten fragen gezielt kritisch nach, wenn sie Dinge nicht verstehen oder für in sich widersprüchlich erachten. Insofern halte ich es geradezu für mutig, dass Martin Knobbe und Dieter Stein bereit sind, sich diesem Publikum zu stellen. Im Hörsaal wären keine klassischen Spiegel- oder JungeFreiheit-Vertreter, die man adressieren könnte. Und alle Beteiligten hätten etwas lernen können. An der HSB werden praktische Unterrichtselemente hochgehalten. Dies soll gerade das Unterscheidungsmerkmal zu den Universitäten sein. Vortragsveranstaltungen mit Journalisten werden in besonderer Weise dem Praxisgebot der HSB gerecht. Sie verfügen über vertiefte Einblicke in politische Entscheidungsprozesse, zu denen Wissenschaftlern regelmäßig der Zugang fehlt. Für Studenten sind solche Berührungspunkte mit der Praxis wichtig, um das eigene Blickfeld jenseits der Lektüre von Fachliteratur zu erweitern. Insbesondere künftige Mitarbeiter des BND müssen über ein hohes Reflexionsvermögen verfügen und in der Lage sein, in Diskussionen ihre Meinung zu vertreten. Das muss man gleichwohl üben. Im vorliegenden Fall hätte es im Anschluss an die Veranstaltung eine Nachbetrachtung zwischen Dozent und Studenten gegeben. In dieser wäre kritisch reflektiert worden, welche Argumente überzeugt haben und welche nicht. Auch deshalb ist es kontraproduktiv, grundsätzlich zu beschließen, Journalisten in der HSB-Einheit des ZNAF kein Forum zu bieten.
Wissenschaft muss kommunikationsfähig bleiben und den Austausch mit gesellschaftlichen Vertretern unterschiedlicher Art suchen, um sich nicht im Elfenbeinturm von den Realitäten abzukoppeln. Dazu gehören Gespräche mit Politikern, Diplomaten, Vertretern der Streitkräfte, Mitarbeitern von Rüstungskonzernen, Menschenrechtlern, Umweltschützern usw. – und natürlich auch mit Journalisten all jener Medien, die nicht als verfassungsfeindlich eingestuft werden. Martin Knobbe und Dieter Stein gehören zu den wichtigen Stimmen der deutschen Nachrichtenlandschaft, und es sollte selbstverständlich sein, dass sie an Podiumsdiskussionen in deutschen Hochschulen teilnehmen können.
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Vortragsveranstaltung mit Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh in der Schwebe
Im vergangenen Jahr hat der Repräsentant der Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh, an der HSB in Haar referiert. Der Vortrag fand vor 50 überaus interessierten Zuhörern statt. Die Veranstaltung wird ihnen damals sicherlich geholfen haben, die aktuelle Positionierung der derzeitigen Führung in Taipeh besser zu verstehen. Meine Studenten zeigten sich im Nachgang sehr beeindruckt. Shieh hatte ihnen von seinem Studium in Deutschland in den 1980er Jahren berichtet. In dieser Zeit war er zum überzeugten Demokraten geworden, was er bis in die Gegenwart geblieben ist. Parallel dazu hatte sich Taiwan seit Beginn der 1990er Jahre demokratisiert. Heute ist das Land in gesellschaftlicher Hinsicht sehr liberal aufgestellt. Die üblichen Statistiken zeigen, dass Taiwan zu den stabilsten Demokratien Ostasiens gehört, womit es den Werten der Bundesrepublik besonders nahe steht. Die Verzögerung der Zusage zur Vortragsveranstaltung gründet vermutlich in der Sorge, durch einen entsprechende Einladung gegen die „Ein-China-Politik“ Deutschlands zu verstoßen. Eine solche Überlegung käme reichlich spät, da Shieh ja bereits vor Studenten, die künftig beim BND arbeiten werden, vorgetragen hat. Damals gab es keine Probleme, und mir sind auch keine Proteste der chinesischen Botschaft bekannt. Selbiges gilt für die Taiwankonferenz vom Januar 2016, die ich zusammen mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin durchgeführt habe. An ihr nahmen mehrere Mitglieder der Taipeh Vertretung teil. Die Vorgängerin von Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh, Repräsentantin Agnes Chen, hielt einen Vortrag. Alles verlief vollkommen problemlos. Warum auch nicht? Taipeh darf im Rahmen der „Ein-China-Politik“ und mit faktischer Zustimmung Pekings in der Bundesrepublik Deutschland eine Vertretung unterhalten. Entsprechend verfügt die Bundesregierung über ein Pendant auf dem Inselstaat, das Deutsche Institut Taipei. Diese Situation haben alle drei Seiten – Berlin, Taipeh und Peking – anerkannt. Wenn in der Vergangenheit Gespräche auf Ministereben möglich waren, was soll dann an einem Vortrag des Repräsentanten der Taipeh Vertretung an der HSB problematisch sein? Sollte die chinesische Botschaft tatsächlich protestieren, ist dem entgegenzuhalten, dass eine solche Veranstaltung im Rahmen – und nicht außerhalb! – der „Ein-China-Politik“ erfolgt. Der geplante Vortrag von Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh würde unter wissenschaftlichakademischen Bedingungen stattfinden. Die Veranstaltung kann damit gar nicht den Charakter eines offiziellen Gedankenaustauschs haben. Zu vermuten ist jedoch, dass offizielle Stellen mittlerweile auf breiter Front Bestrebungen Pekings, die „Ein-China-Politik“ sehr eng auszulegen, folgen. Für diese Behauptung gibt es bereits seit einigen Jahren Belege. Setzt sich eine solche Haltung in der deutschen Hochschullandschaft durch, wären die Folgen fatal: Ein autoritär geführtes Land wäre dann zunehmend in der Lage, Vertreter einer Demokratie zu verunsichern und ihnen im schlimmsten Fall die eigenen Spielregeln aufzuzwingen
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Ein zunehmend „repressives Klima“
Das eigentlich Erschreckende an diesen Vorgängen ist, mit welcher Selbstverständlichkeit dieVerantwortlichen glauben, zwischen richtigen und falschen Meinungen, Podiumsdiskussionen und Vorstellungen von Wissenschaftsfreiheit unterscheiden zu können. Ihre Position setzt sich – hoffentlich nur vorläufig – durch, weil sie dazu aus hierarchischer Sicht bemächtigt sind. Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes ist geschaffen worden, um Professoren genau vor solchen Situationen zu schützen. In Deutschland wird dieses Grundrecht in der Praxis seit Jahren ausgehöhlt, um die Meinungskorridore eng zu halten. Immerhin gibt es in Wissenschaft und Medien derzeit eine zunehmende Sensibilisierung für die Problematik. Der Lit-Verlag hat jüngst zum Thema das Buch „Die Freiheit der Wissenschaft und ihre ‘Feinde’“ veröffentlicht, das von Wilhelm Hopf herausgegeben worden ist. Es enthält zahlreiche Beispiele aus dem In- und Ausland, die zeigen, wie Universitätsleitungen und Studenten versuchen, einen freien Wettbewerb der Ideen zu verkürzen. Im Juni 2019 machte das Monatsmagazin „Cicero“ mit einer in dieser Form selten gesehenen und sehr lesenswerten Titelgeschichte auf: „Professorenjagd. Wie Political Correctness die Freiheit der Lehre zerstört“.
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Chefredakteur Christoph Schwennicke stellt gleich zu Beginn des Heftes fest: „Das Phänomen ist nicht neu, aber es breitet sich zunehmend aus.“ Auch das Ausland ist mittlerweile auf die Lage in Deutschland aufmerksam geworden. Klaus-Rüdiger Mai attestierte am 12. Juni 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) „ein zunehmend repressives Klima“ in der Bundesrepublik: „Interventionen und administrative Lösungen aus politischen Interessen ersetzen in Deutschlands Hochschul- und Kulturszene zunehmend den demokratischen Diskurs.“ Dass es keinen deutschen Sonderweg in dieser Frage gibt, behauptet der international renommierte Historiker Niall Ferguson. Er sieht einen generellen Rückgang des Umfangs wissenschaftlicher Freiheiten in international anerkannten Hochschulen. Ferguson beklagt eine „Verarmung des intellektuellen Diskurses“.
In seinem Gespräch mit der NZZ vom 20. März 2019 stellt er fest: „Der Rahmen des Sagbaren im akademischen und öffentlichen Raum hat sich in den letzten Jahren drastisch verengt. Evidenzbasierte Argumente spielen keine Rolle mehr. Es gewinnt, wer die lautesten Unterstützer hat, und es verliert, wer um seine Reputation fürchten muss.“ Es sollte im Interesse aller Beteiligten sein, dass die Wissenschaftsfreiheit unabhängig von der politischen Großwetterlage maximale Geltungskraft erhält. Dies ist praktisch nur möglich, wenn an Hochschulen eine möglichst bunte, heterogene Schar von Wissenschaftlern eingestellt wird, die ein breites Spektrum an normativen Vorstellungen, Theorien, Methoden und Ideen vertritt.
Eine solche Situation ist zugleich ein vorzüglicher Demokratieschutz, gewährt sie bei gegenseitiger Toleranz doch immer auch Andersdenkenden die Möglichkeit, die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren. Gefährlich ist in diesem Zusammenhang auch die Bildung von dogmatisch ausgerichteten Denkschulen und Netzwerken innerhalb des wissenschaftlichen Betriebes, durch die eine einseitige Nachwuchsrekrutierung bewirkt wird. Dies muss hier deutlich unterstrichen werden: Es sind nicht nur Politiker, Universitätsleitungen und radikalisierte Studenten, die Diskurse verengen – regelmäßig sind es die Professoren selbst!
Was können wir als Wissenschaftler in dieser Situation tun? Vielleicht nehmen wir uns alle ein Beispiel an dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Er hat in seinem Leben umfassende Erfahrungen mit autoritären Strukturen gemacht. In seinem jüngsten Buch „Toleranz: einfach schwer“ fordert er nun mehr Toleranz im demokratischen Wettbewerb. Die Ausgrenzung von Meinungen sieht er wie den Umgangston in Internetforen als kritisch an. Zugleich ist er erstaunt darüber, ein solches Buch überhaupt vorzulegen: „Ich habe mir nicht vorstellen können, dass es jemals notwendig sein würde, über Toleranz in unserem Land zu schreiben.“ Wenn Gauck sich in dieser Form äußert, muss das Anlass zur Sorge geben. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung sollten doch Veranstaltungen unterstützt werden, auf denen Vertreter inhaltlich deutlich auseinanderstehender Medien bereit sind, an einem Tisch und vor Publikum zu diskutieren. Selbiges gilt für prononciert argumentierende Diplomaten. Wir brauchen in Deutschland mehr Offenheit, um unsere Demokratie langfristig lebendig zu halten. Selbst ernannte Politkommissare stehen dagegen im Widerspruch zu den Idealen des Grundgesetzes.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Wagener
https://www.martin-wagener.org

Kommentare:
Intellektuelle sind gefordert
Danke, Herr Prof. Dr. Wagener, dass Sie sich so deutlich gegen die Gesinnungsdiktatur stellen, die unser Land beherrscht. Das macht Hoffnung, denn die meisten Intellektuellen stellen sich auf die Seite des Mainstream, weil sie wissen, dass jedes Kontra ihrerseits zu einem Reputationsverlust führen muss. Es ist wichtig, dass Sie dieses Opfer bringen und somit ein Vorbild für viele sind, die in ähnlicher Weise in hohen gesellschaftlichen Positionen mit sich selbst kämpfen, weil sie genau wissen, dass die linke Ideologie, die in diesem Land vorsätzlich installiert wurde, jedes freiheitliche Denken, jedes Infragestellen des status quo und jede Kritik an der zerstörerischen politischen Richtung im Keim ersticken möchte! Bitte lassen Sie die Basis nicht im Stich, die diesen Verrat an der Demokratie erkannt hat und sich verzweifelt dagegen zu wehren versucht, denn IHRE Stimme und die aller anderen Akademiker hat ein viel höheres Gewicht als Tausende Stimmen aus dem niederen Fußvolk, dass die Konsequenzen einer irrsinnigen Politik am Ende auszubaden hat, während es sich die Elite des Landes eine Flucht in Ausland oder in gated communities locker leisten kann! DANKE!! Für Ihre Integrität und Ihren Mut!
30.8.2019, S.M., YO

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Political Correctness contrag Meinungsfreiheit
Der Grund ist ganz einfach der, dass die Political Correctness sich immer deutlicher zu einer gigantischen Geisteskrankheit auswächst. Und die können selbst die besten Psychiater nicht therapieren. Der Fachausdruck für eine solche Haltung lautet: Demophobie. Klar ist auch, dass Political Correctness Schlechtigkeit hervorruft und zwar durch “die Gewalt, die sie den Seelen der Menschen antut, indem sie sie zwingt, etwas zu sagen oder stillschweigend zu akzeptieren, was sie nicht wirklich glauben, anstatt es in Frage zu stellen.” Political Correctness ist kommunistische Propaganda im Kleinen. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es nicht der Zweck kommunistischer Propaganda war, zu überzeugen oder zu überreden oder gar zu informieren, sondern zu demütigen; und deshalb war sie umso besser, je weiter sie von der Realität entfernt war. Wenn Menschen gezwungen sind, zu schweigen, wenn ihnen die offensichtlichsten Lügen erzählt werden, oder – schlimmer noch – wenn sie gezwungen sind, diese Lügen auch noch selber zu wiederholen, dann verlieren sie ein für alle Mal ihren Sinn für Redlichkeit. Sich mit offensichtlichen Lügen einverstanden zu zeigen, bedeutet, dass man mit der Schlechtigkeit kooperiert und ein gewisse Art auch selber schlecht wird. Die Kraft, sich irgendetwas zu widersetzen, bröckelt dadurch oder wird sogar ganz zerstört. Eine Gesellschaft von kastrierten Lügnern ist leicht zu kontrollieren. Ich denke, wenn man die Political Correctness untersucht, wird man feststellen, dass sie den gleichen Effekt hat, und das ist auch beabsichtig.
30.8.2019, GL, YO

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