Wokeismus

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Kaki-Früchte am Baum in Freiburg geerntet am 6.12.2023

 

Josef Kraus: Am woken Marterpfahl – Wokeismus
Wie aus dem Toleranzgedanken ein Herrschaftsinstrument wurde
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Jede Art totalitärer, alle Lebensbereiche „total“ umfassender Herrschaft schien mit dem Jahr 1990 überwunden. Jetzt feiert eine Herrschaft eines kulturmarxistisch geprägten Totalitarismus ausgerechnet im Westen der Welt fröhlich Auferstehung: als hypermoralischer, autokratischer, auf Konformismus angelegter Wokeismus, der keinerlei alternatives Denken, Urteilen und Sprechen zuläßt. Vom „woken“ Mainstream abweichende Positionen in Wissenschaften und öffentlichem Diskurs sowie deren Vertreter werden zunehmend diskreditiert, oft gar kriminalisiert.

Am Anfang des „Kommunistischen Manifests“ von 1848 heißt es: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Heute würde dieses Manifest mit dem Satz beginnen: „Ein Gespenst geht um im Westen der Welt – das Gespenst des Wokeismus.“ Und dieses Gespenst metastasiert: Cancel Culture, Black Lives Matter, Stop White Supremacy! Stop Cultural Appropriation! Stop Toxic Masculinity! Virtue Signalling, Queer, Gender, Critical Whiteness -Studies, Critical Race Theory, Postcolonial Studies. Es sind dies Gebote, Verbote und neue „Wissenschaften“, die aus den USA kommen, vor allem von den dortigen sogenannten Elite-Unis; sie fallen in Deutschland trotz des hier salonfähigen Anti-Amerikanismus auf fruchtbaren Boden: „Am deutschen Wesen …“ Alte und neue linke Autoritarismen kommen hinzu: Antifaschismus, Antirassismus (Autorassismus?), Antikolonialismus, Globalismus, Universalismus, Multikulturalismus, Humanitarismus, Pazifismus. Es werden immer mehr Sachverhalte einbezogen – qua „Wording“, „Framing“ und „Nudging“.

Warum? Weil es ach so ungerecht zugeht auf dieser Welt. Immer neue Gerechtigkeiten sind angesagt: Bildungsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit. Friedrich August von Hayek (1899–1992) würde sagen: Gerechtigkeit ist das Trojanische Pferd des Totalitarismus. Das Manipulative dabei: Gerechtigkeit wird zum Vernebelungssynonym für Gleichmacherei. Basis-Ismus ist nämlich ein grenzenloser Egalitarismus. Was ist „woke“? Es kommt von „to wake“ = „aufwachen“ = aufgewacht als waches Bewußtsein für mangelnde Gerechtigkeit und für Rassismus. „Woke“ sein heißt: Man ist dauerempört, entsetzt, indigniert, man wittert allüberall Ungerechtigkeiten. Dagegen setzt man schier narzißtisch das geläuterte Selbstbild: Ich bin woke, also bin ich. Aber es ist dies nichts anderes als bornierter Moral-Rigorismus. Urmutter der Wokeness-Bewegung ist die in den 1980er Jahren entstandene Denk- und Sprachschablone der Political Correctness. Eine Rolle spielt auch die sogenannte Identitätspolitik. Diese will Gruppen identifizieren, die angeblich diskriminiert werden. Identitätspolitik bedeutet zudem „Autopoiesis“: Man erschafft sich zum Beispiel als „queer“, divers … Eine Kernprämisse der „Wokies“ lautet dann: Alle sind irgendwie Opfer. Viktimisierung total!

Ausgeschlossen vom Opferstatus allerdings ist der weiße heterosexuelle Mann. Denn: Rassismus gegen Weiße gibt es nicht. Rassismus ist schließlich die weiße Erbsünde schlechthin. An die Stelle des Realitätsprinzips treten massenpsychotische Wallungen. Das entlastet vom Reflektieren. Dann kann man um so leichter den Nutzer bestimmter Wörter als nicht „woke“ inkriminieren und bei staatlichen oder halbstaatlichen Meldestellen denunzieren. Inquisition, Scheiterhaufen und Pranger lassen grüßen. Im Netz werden „Shitstorms“ inszeniert – gegen Nicht-„Woke“, die als Häretiker zu gelten haben. Die „Woken“ erheben schließlich ihre Stimme in Medien, Schulen, Unternehmen, Kirchen, im Sport (siehe Kniefall, Regenbogenbinde), Hochschulen. Das macht ja den woken Totalitarismus aus: die Gleichschaltung aller Bereiche des Lebens. Wokeismus hat längst die Hochschulen erfaßt. Beliebt sind dort mittlerweile Cancel Culture /De-Platforming. „Mißliebige“ Personen sollen nicht mehr auftreten dürfen. Deren Reichweite, Reputation oder gar Berufsausübung sollen eingeschränkt werden. Beispielhaft genannt seien hier die Professoren Bernd Lucke, Jörg Baberowski, Egon Flaig und Bernd Ahrbeck. Als Gastredner verhindert wurden unter anderem schon Thilo Sarrazin und die Biologin Marie-Luise Vollbrecht in der Berliner Nacht der Wissenschaft 2023.

Auch hier kommt „Wokeness“ zunächst aus den US-Universitäten: Mathematik sei rassistisch, weil angeblich von den alten weißen Griechen stammend, Curricula werden gesäubert, Lektüre mit Trigger-Warnungen versehen. Bei Stellenbesetzungen gilt „positive Diskriminierung“ als „Affirmative Action“! Und in Deutschland?
Hier haben wir mehr als 250 Professuren für „Gender“. Zum Vergleich: neun für Kernforschung, 190 für Pharmazie.
Und die „Snowflakes“, die Schneeflocken-Studenten? „I feel offended“ hört man von ihnen, sie zerfließen immer häufiger vor Verletztheit. Zugleich geben sie sich gern als Aktivisten. Eine Studie der Universität Konstanz hat soeben gezeigt: Rund die Hälfe von ihnen ist bereit, Werbung und Flyer für einen Vortrag zu Themen wie „Migration“ oder „Geschlecht“ zu entfernen; rund ein Fünftel ist gar gewillt, bei solchen Themen einen Redner niederzuschreien.
Und dann erst der „woke“ Kapitalismus: Es ist dies die Strategie von Konzernen, durch „Virtue Signalling“ als woke zu gelten. Die Beispiele in Deutschland sind mittlerweile Legion. In nahezu der Hälfte aller Werbespots und Prospekte, selbst in der Werbung teuerster Autos, treten schwarze Models auf. Ohne „People of Color“ scheint es nicht mehr zu gehen, nicht einmal in Bildern „modellhafter“ Familien. Bezeichnenderweise sehen wir in einem Prospekt von Aldi auf einer Seite Arbeitskleidung – präsentiert von weißen Models, auf der gegenüberliegenden Seite Freizeitkleidung – präsentiert von PoC-Models. Die Lebensmittelkette Rewe hißt permanent die Regenbogenfahne. Die Bahn fährt 2021 mit einem „Railbow-ICE“ „que(e)r“ durch Deutschland.

Der Automobilhersteller Audi spricht Mitarbeiter und Kunden seit 2021 mit „Audianer_innen“ an. Konzerne verdonnern ihre „Mitarbeitenden“ zu „Compliance“-Seminaren, in denen den „Teilnehmenden“ „Wokeness“ eingetrichtert wird. Knorr benennt die „Zigeunersoße“ 2020 in „Paprikasoße ungarische Art“ um. Der Schokoladenkeks „Afrika“ von Bahlsen heißt seit 2020 „Perpetum“. „Unser tägliches Green-, Queer-, Pink-, Diversity-Washing gebt uns heute“– es wirkt: subkutan, suggestiv, subliminal. Der Bürger wird entmündigt. Am Ende kauft er sich zur Gewissensberuhigung ein „wokes“ Image. Keine „Cultural Appropriation“ aber auch andernorts: Kinder bloß nicht als Indianer verkleiden lassen! Winnetou gibt es nicht mehr (siehe Ravensburger), kein Auftritt von Rentnerinnen mit Sombreros auf der Bundesgartenschau Mannheim 2023!
Und dann erst der Kapital-Sektor: Google, Facebook und Co. sperren oder löschen alles, was woken Kriterien widerspricht. Investoren, das World Economic Forum und NGOs verfilzen monetär und personell miteinander. Man denkt unwillkürlich an eine Spielart der Hufeisen-Theorie: Kapitalismus und Sozialismus nähern sich an. Die „Philanthropen“ gehören dazu, sie bilden seit 2010 mit 150 Mitgliedern den Zirkel „The Giving Pledge“ von Bill Gates und Warren Buffett. Man will das Versprechen („pledge“) einlösen, Gewinne quasi in die Rettung der Welt zu investieren. Allein die Gates-Stiftung verfügt über 70 Milliarden US-Dollar. Davon gingen über 300 Millionen zuletzt an Medienhäuser wie CNN, NBC, BBC, Guardian, Financial Times, Le Monde, den Spiegel (hier 5,4 Millionen Euro). Der Arzt, Fernsehmoderator und Kabarettist Eckart von Hirschhausen bekam 2020 für seine Stiftung „Gesunde Erde Gesunde Menschen“ 1.399.984 US-Dollar.

Dazu die großen US-Vermögensverwalter: Blackrock mit 8,6 Billionen US-Dollar Vermögen, Vanguard mit 7,2 Billionen. Man investiert in „Klima“-Planwirtschaft. Die US-Technologiebörse Nasdaq verlangt Diversity-Quoten bei den von ihr gelisteten Unternehmen. Goldman Sachs blockiert Börsengänge, wenn ein Unternehmen nur von weißen Männern geführt wird. Vermögensverwalter wie Morgan Stanley, Citibank, Goldman Sachs spenden gerne an linke Lobbyvereine. Der Lobbyist Hal Harvey, laut Zeit der „mächtigste Grüne der Welt“, gründete 2008 die „Clima Works Foundation“ mit über 500 Millionen US-Dollar der Hewlett-Stiftung. Harvey ist 2012 Mit-Initiator von „Agora Energiewende“, 2020 der Stiftung Klimaneutralität. Geld kommt außerdem vom britischen Milliardeninvestor Christopher Hohn über die „Children’s Investment Fund Foundation“. Damit finanziert er auch die klimaradikale Gruppierung „Extinction Rebellion“. Man gewinnt den Eindruck: Das Amigo-Öko-System erfüllt den Tatbestand des „Milliardärssozialismus“. Oswald Spengler hatte diesen Begriff geprägt. „Woke“ ist die neuheidnische Ersatzreligion, ist Messianismus als Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen.

Die Götzen heißen jetzt „der Fremde“, „das Diverse“, „das Klima“ … Man prophezeit die Apokalypse. „Jedes Heilsversprechen ist zugleich Elendspropaganda“ (Norbert Bolz). Herrschen mit Angst ist das: Phobokratie! Man verspricht Paradiese, hat neue Propheten (Greta!), praktiziert mit Wohlwollen von Spitzen des Staates (Kinder-)Kreuzzüge, prangert vermeintliche „Todsünden“ an. Der Exorzismus und die Exkommunikation Ungläubiger folgt. Reuige Sünder gehen wie Flagellanten in Sack und Asche. Man huldigt einem Adventismus als säkularisierter Version totaler irdischer Gerechtigkeit. In Anlehnung an Karl Marx: Auch solche Religion ist Opium des Volkes. Die Assoziation zu Sigmund Freuds Diktum von Religion als „universeller Zwangsneurose“ liegt nahe, denn mit Ritualen und Geboten bewältigt man Angst. Wie Freud ja überhaupt meint, daß Schuldgefühle der Nährboden für die Entstehung einer Religion sind. Offenbar scheint ein „Heimweh ins Metaphysische“ eine Eigenheit gerade der Deutschen zu sein. Wer nicht mitspielt, wird als homophob, transphob, xenophob, islamophob usw. pathologisiert. Und mit psychisch Kranken debattiert man nicht, man muß sie heilen oder ausgrenzen im sozialen Tod. So entstand ein neuer Puritanismus einer selbsternannten Elite, mit dem „gute“ Gesinnung vermarktet wird. Apropos Elite: Auf die „unzweifelhafte Anziehungskraft“ totaler Herrschaft auf die geistige und künstlerische Elite hatte schon Hannah Arendt in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) hingewiesen.

Summa summarum: Mit dem Wokeismus werden die Kategorien wahr/unwahr und richtig/falsch ersetzt durch gut/böse. Das Ziel ist Konformität, Ent-Individualisierung. „Der neue Mensch wird gemacht“ (Lenin): formbar, ver-bildet/un-gebildet, bindungslos promisk, im besten Fall sequentiell monogam, ewig postpubertär, gender-fluid, queer, anti-weiß, bekennend antifaschistisch, antirassistisch, schuldbeladen, klimaneutral, one-world-regenbogenfarben, fortpflanzungsunwillig – der uniform woke Untertan also. Bis hinein ins Private inklusive der Sexualität, siehe das von der Ampelkoalition beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Begründet wird dieser Totalitarismus mit der angeblich überfälligen Dekonstruktion tradierter Gehäuse und Bezüge (Ehe von Mann/Frau, Familie, Volk), einer Dekonstruktion, die nichts anderes ist als autoaggressive Destruktion des Eigenen. Es setzt sich hier der Kulturmarxismus eines Antonio Gramsci durch – als Angriff auf die Errungenschaften der Aufklärung. Alles soll nach Menschenrechten aussehen. Indes bewahrheitet sich hier Carl Schmitts Diktum: „Wer Menschheit sagt, will betrügen.“ Georges Sorel geht noch weiter: Für den französischen Sozialphilosophen ist das humanitäre Ethos Merkmal von Dekadenz. Auch Arnold Gehlen greift diese „masseneudaimonistische Gesinnungsmoral“ in seinem 1969 erschienenen Buch „Moral und Hypermoral“ scharf an.
Konsequenz? Der deutsche Michel, dessen Namenspatron der Drachentöter Michael ist, muß heraus aus der woken Knechtschaft. Denn der Wokeismus wird Teil des westlichen Rausches an Dekadenz. Außerhalb von EU und Nordamerika interessiert das niemanden. Mehr noch: man freut sich dort ob des Niedergangs des Westens.
… Alles vom 8.12.2023 von Josef Kraus bitte lesen in der JF 50/23, Seite 18
https://www.junge-freiheit.de
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Josef Kraus, Jahrgang 1949, Lehrer und Psychologe, war Schulleiter und von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Als Autor veröffentlichte er zuletzt das Buch „Der deutsche Untertan. Vom Denken entwöhnt“ (2023).