Ruheberg

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Blick nach Nordwesten über zwei Skilifte, Stollenbacher Hütte und Ruheberg zum Rheintalnebel und Kandel am 31.1.2011

 

Ruheberg bei Oberried – gepflegt von Carlos Cuellar Solis
Mit der Pflege der Bäume und der Grabstätten hat der gebürtige Peruaner Carlos Cuellar Solis in Oberried seine Lebensaufgabe gefunden. Wie kommt man von Peru nach Oberried und zu diesem Beruf?

Der direkte Weg ins Glück war rund 10 630 Kilometer lang. Diese Strecke entspricht der Luftlinie zwischen Lima und Oberried. Carlos Cuellar Solis hat sie zurückgelegt. Und dabei auch noch ein paar Umwege gemacht. Über die Weltmeere, auf einem Kreuzfahrtschiff. Heute kümmert er sich im Auftrag der Gemeinde um den Ruheberg in Oberried.

Dass der gebürtige Peruaner jetzt in Oberried arbeitet und im Ibental ein Zuhause fand, hat er der Liebe zu verdanken. Auf einem der noblen Dampfer des britisch-amerikanischen Cunard-Unternehmens hat er nicht nur viele Länder, sondern auch seine deutsche Frau kennengelernt, die aus Weilersbach stammt und die auf See als Servicekraft die Gäste betreute.
Wenn man so will, ist mittlerweile auch Cuellar Solis ins Betreuungsgewerbe eingestiegen. Mehr oder weniger schicksalsbedingt, aber immerhin, so sagt er, „habe ich jetzt meine Lebensaufgabe gefunden“. Dieser Job hat mit dem Leben an und für sich nur noch am Rande zu tun. Denn es geht mehr um Bäume und die drumherum angelegten Grabstätten: Cuellar Solis ist zusammen mit Andrea Maier bei der Gemeinde Oberried für den örtlichen Ruheberg verantwortlich. Der liegt auf einer Höhe von 1136 Meter in unmittelbarer Nähe der Stollenbacher Hütte. Im Oktober 2006 wurde dieser kommunale Berg-Naturfriedhof eröffnet. Damals war er deutschlandweit der erste seiner Art. Seither ist Cuellar Solis dabei.

Der Weg hoch zum Stollenbach war für ihn ein langer, einer mit etlichen Wendungen dazu. Mediziner wollte er nach einer Fachschulausbildung in Peru eigentlich werden. Doch das war zu teuer. So ließ er sich zum Buchhalter ausbilden. Vier Jahre lang war das sein Metier, dann heuerte er bei Cunard an und schipperte als Lagerist auf Passagierschiffen übers Meer. Fünf Jahre lang, dann folgte wieder der Schritt aufs Festland. Ziel war der Birkenmeierhof im Oberrieder Ortsteil Weilersbach – die Heimat seiner Frau.
Es war ein Weg ins Ungewisse. In vielerlei Hinsicht. Mit der deutschen Sprache war Cuellar Solis nicht vertraut, die Möglichkeiten, einen Job zu finden, waren deshalb extrem begrenzt. Zu alledem kam der Wunsch seiner Frau, die noch einmal für ein Jahr zurück aufs Schiff wollte und ihn in Oberried zurückließ.
Was also tun? Da wurde Cuellar Solis auf eine Anzeige eines Oberrieder Forstbetriebs aufmerksam, der einen Mitarbeiter suchte. Dem gegenüber hat er „ein bisschen Erfahrung in Forstsachen“ vorgegaukelt und wurde prompt eingestellt. Nicht, ohne sich vorher noch bei seinem Schwager zu erkundigen, wie eigentlich eine Motorsäge funktioniert. Natürlich habe es hin und wieder Probleme bei der Arbeit gegeben, blickt Cuellar Solis zurück, doch letztlich habe er sich ins Metier eingearbeitet. „Eine schöne Zeit“, wie er heute findet.

Ein paar Jahre später ist er dann zur Gemeinde gewechselt. Eine zweijährige Ausbildung in Königsbronn zum Forstwirt folgte. Dann passierte im Jahr 2003 bei Arbeiten im Sturmholz ein folgenschwerer Unfall. Vier Operationen waren die Folge, allesamt brachten sie nicht den erhofften Erfolg. Ein Knie nahm dauerhaft Schaden. Es schränkt ihn bis heute ein. Fast zwei Jahre konnte er nicht arbeiten, war krankgeschrieben.

Doch erneut ergab sich eine glückliche Fügung: Franz-Josef Winterhalter, der damalige Bürgermeister von Oberried, hatte unterdessen eine Idee geboren. Ein Friedhof im Wald schwebte ihm vor. Ein Stück Heimat für all jene, die nach Jahren zurückkehren und dort beerdigt werden wollen, wo sie einst geboren und aufgewachsen waren. Oder für solche Menschen, die nach einem besonderen Ort als Ruhestätte Ausschau halten und konventionelle Friedhöfe nicht als einen solchen betrachten.

So etwas gab es damals hierzulande nicht, jedenfalls nicht in kommunaler Obhut. Zwar existieren seit 1999 sogenannte Friedwälder, die nach einer Idee des Schweizers Ueli Sauter auch in Deutschland vereinzelt geschaffen wurden, doch diese sind privat organisiert. Und: Oberried hätte für die Einrichtung eines solchen Friedwaldes eine Stange Geld bezahlen müssen. Eine Art Franchise also. Das wollte Oberried, allen voran Bürgermeister Winterhalter, aber nicht. Stattdessen nahm dieser Kontakt mit der für solche Belange zuständigen Naturschutzbehörde des Landratsamtes auf. Auch deshalb, weil dort oben am Stollenbach das Auerhuhn brütet – auch der Grund dafür, dass der Ruheberg in den Monaten Dezember bis Ende März jährlich selber ruht. Sprich: Beerdigungen können in diesem Zeitraum nicht stattfinden.

Als die Genehmigung aus den Freiburger Amtsstuben in Oberried eintraf, stand auch Cuellar Solis wieder vor der Türe. Er war mittlerweile gesundgeschrieben. Als Fachmann für den Wald bot es sich also an, ihm die Zuständigkeiten für die anstehenden Arbeiten auf dem Ruheberg zu übertragen. „Ich war begeistert und habe sofort zugesagt“, blickt er auf die für ihn damals so wichtigen Tage zurück; „das war ideal für mich“. Auch Franz-Josef Winterhalter, der nach 24-jähriger Amtszeit 2013 nicht mehr für eine vierte Amtszeit kandidierte und heute Ehrenbürger von Oberried ist, findet, dass Cuellar Solis genau der Richtige für den Pflegejob ist: „Er ist die Seele des Ruhebergs.“
Für den Peruaner ist der Job längst keine gewöhnliche Arbeit mehr, sondern vielmehr Berufung. Stets zuvorkommend und freundlich führt er Besucher durch das mittlerweile schon zwei Mal erweiterte Gelände und erklärt die unterschiedlichen Baumarten und möglichen Beisetzungsrituale. „Wir hatten hier schon alle möglichen Formen: von Schamanen, Yoga, Picknick, klassischer Musik bis hin zu den lauteren Tönen von Led Zeppelin“, erklärt er. Nicht alles, aber doch vieles sei möglich, sagt Cuellar Solis. Je nach Wunsch der Verstorbenen oder der Trauergesellschaft. Auch Kirchenvertreter sind auf dem Ruheberg, auf dem mittlerweile schon rund 1600 Personen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, nur Gast.

Schmunzelnd erzählt Cuellar Solis davon, dass lediglich der damals für Oberried zuständige evangelische Pfarrer bei der Eröffnung des Ruhebergs zugegen war. José Cabral, der seinerzeit aus Portugal stammende katholische Geistliche im Ort, war unten im Dorf geblieben. Tote gehörten auf den Friedhof bei der Kirche, so seine Erklärung. Bürgermeister Winterhalter hatte auch um einen Besuch beim damaligen Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch bitten müssen, um dessen Vorbehalte auszuräumen zu können. Auch er war den Oberrieder Plänen mit viel Skepsis entgegengetreten.
Natürlich hat sich auch Cuellar Solis schon einen Baum auf dem Ruheberg ausgesucht. Ein Zurück nach Südamerika wird es für ihn nicht geben. „Oberried ist zu meiner Heimat geworden“, sagt er und deutet vom Ruheberg hinunter ins Dreisamtal. Ganz hinten am Horizont zeigt er in Richtung Ibental. Dort wohnt er inzwischen mit Frau und zwei Töchtern; „schöner kann’s gar nicht sein“.

Und weil es ihm im Ibental so gut gefällt, hat er oben auf dem Ruheberg neben Tannen, Fichten sowie Birken und Buchen auch schon so manche Eibe gepflanzt. Jener Nadelbaum, der dem Ibental seinen Namen gegeben hat. Die Eibe ist die älteste und schattenverträglichste Baumart Europas. Sie ist zudem sehr robust und erreicht in der Regel ein hohes Alter. Ideal also für einen Ruheberg, wo die allein zugelassenen Urnengräber eine Laufzeit von 100 Jahren haben können. „Ich kann mir keinen schöneren Platz auf Erden vorstellen“, sagt Carlos Cuellar Solis und nickt zufrieden.
… Alls vom 27.6.2021 von Michael Dörfler bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/carlos-cuellar-solis-hat-in-oberried-seine-lebensaufgabe-gefunden-er-pflegt-den-ruheberg–202917135.html