Klonovsky

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Fahrrad nach Rahmenbruch und Sturz am 12.9.2018

Fahrrad nach Rahmenbruch und Sturz am 12.9.2018: Deutsche Wertarbeit

 

Michael Klonovsky, gelernter Maurer aus dem Erzgebirge,
ist für mich einer der geistreichsten und gebildetsten Schriftsteller und Publizisten
– unabhängig von der politischen Richtung, die er vertritt.

https://www.courage-fuer-chemnitz.de
https://www.michael-klonovsky.de

Klonovsky zum 60. Geburtstag:
„Macht Kinder und trinkt Wein!“

https://www.klonovsky.de/2022/03/16-maerz-2022/
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Michael Klonovsky: Rote Linien

Michael Klonovsky hat es wieder getan, ein neues Buch: „Rote Linien“. Es ist wieder eine Aufarbeitung seiner Gedanken, die zu den schärfsten Analysen im konservativen Milieu gehören. Und so ist es eine Sammlung von Texten zu verschiedensten Themen geworden. Doch diesmal sind sie aktueller, mehr dem Tagesgeschehen zugewandt als seine vorherigen Essays und Aphorismensammlungen.

In dem elf Aufsätze umfassenden Werk nimmt er mit gewohntem Zynismus den aktuellen Wahnsinn unserer Gesellschaft aufs Korn und rechnet mit dem ideologisch aufgehetzten Mainstream ab. Dabei greift er Themen wie Migration, Gendern, Klimapolitik und das Handeln der aktuellen Regierung auf, die ihren propagierten Haß auf den neuen Staatsfeind Haß keineswegs widersprüchlich findet – also einmal die gesamte Hitparade! Da fragt man sich als guter Konservativer: „Was soll nur werden?“ Eine positive oder negative Beantwortung dieser Frage überläßt der heute in Berlin als politischer Berater tätige Autor großzügig dem Leser. Weil wir nun einmal in einer Zeit leben, in der nicht nur die Luft von Gegenwart und Zukunft, sondern auch die der Vergangenheit gesäubert werden muß, nimmt er sich auch dieser Aufgabe an. Etwa der Frage nach der Rolle der Europäer im Kolonialismus und der des deutschen und seiner Verbrechen im Besonderen. Oder er geht dem Anteil des „Sozialismus“ im Nationalsozialismus auf den Grund. Auch auf die von links gern gestellte Frage, was das deutsche Volk überhaupt sei, geht er scharfsinnig ein.

Das vergnügliche Leseerlebnis täuscht aber nicht über die Ernsthaftigkeit der Themen hinweg. Ganz im Gegenteil: Man wird von Klonovsky um so mehr in die Texte gesogen. Dabei werden immer wieder Belege und Einschübe aus verschiedensten Quellen eingewoben, so wie über den Sexismus als anthropologische Konstante. Egal ob es sich dabei um vergessene Standardwerke der Geschichte, Bücher linker pseudointellektueller Professoren oder Twitter-Mitteilungen handelt. Das Buch dient der Unterhaltung, kann aber auch als Argumentationsgrundlage in alltäglichen Diskussionen dienen. Das ist nicht verwunderlich, denn der Ursprung dieser Texte liegt in einer Anzahl von Videopodcasts „Acta diurna live“, die Michael Klonovsky über den Zeitraum von einigen Monaten im Jahr 2022 auf der US-amerikanischen Medienplattform Gettr veröffentlicht hat. Diese einstündigen Videos sind auf Gettr nachzusehen und sowohl durch ihre Länge als auch durch Klonovskys Gäste tiefergehender. „Rote Linien“ ist auch eine Empfehlung für diejenigen, die Klonovskys Blog nicht regelmäßig verfolgen.

Michael Klonovsky: Rote Linien. Acta diurna live.
Manuscriptum Verlagsbuchhandlung,
Lüdinghausen 2023, gebunden, 216 Seiten, 24 Euro
… Alles vom 12.1.2024 bitte lesen in der JF 3/24, Seite 21

 

Michael Klonovsky zum Sechzigsten
Ironie gegen die Nivellierung der Welt
Die Tour über Berlin nach München und zurück nach Berlin begann in Sachsen
von Artur Abramivych

60 Jahre ist es nun her, dass in einem erzgebirgischen Kurort unweit von Chemnitz der passionierte Anti-Konformist und wohl größte Stilist der heutigen deutschen Rechten zur Welt kam: mehr als Anlass genug für eine Gesamtschau auf Leben und Werk Michael Klonovskys.

Es dürfte inzwischen hinreichend bekannt sein, dass der junge Michael Klonovsky, obwohl Sohn eines Angehörigen der Ostberliner Nomenklatura und Absolvent einer sogenannten R-Klasse (in der man ihm bereits ab dem dritten Schuljahr die sechs Kasus des Russischen eingepaukt hatte), sich nach dem Abitur weigerte, zu studieren. Diese Fahnenflucht vor dem für alle Studenten obligatorischen, als „Gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium“ getarnten Marxismus-Leninismus sollte ihm Jahrzehnte später zum Verhängnis werden, sind doch die Gehälter der Bundestagsmitarbeiter abhängig vom akademischen Grad; und dass die Kommission für etwaig auftretende Härtefälle ausgerechnet von Claudia Roth geleitet wird, dürfte als Erklärung dafür hinreichen, warum der Gang in die Politik für Klonovsky in finanzieller Hinsicht ein entschiedenes Verlustgeschäft war.

Dabei hätte es auch ganz anders kommen können. Denn die Beschäftigungen, denen Klonovsky anstelle eines Studiums nachging, waren wenig standesgemäß – sofern dieser Begriff auf den Arbeiter- und Bauernstaat überhaupt angewandt werden kann: Vor allem arbeitete er als Gabelstaplerfahrer im größten Schnapsdepot Ostberlins und rächte sich weidlich an seinem „ersatzvaterländischen Laufställchen“, indem er sich ausgiebig am daselbst lagernden Eigentum des Volks labte.

Früh übte sich bei alledem der Antikommunist. Als enthusiasmierter Wagner-Hörer traf man, selbst wenn man bloß ein „in der DDR eingemauerter Wagnerianer“ war, zwangsläufig früher oder später auf den daselbst praktisch verbotenen Friedrich Nietzsche. Nachdem eine junge, verzagte Bibliothekarin, mit der er intimeren Umgang pflegte (denn Sex war neben dem Alkohol eine der wenigen Vergnügungen, die in der DDR nicht als Mangelware bezeichnet werden konnten), auf seine Bitte, ihm die indizierten Bücher zu beschaffen, nicht eingegangen, sondern den Staats- und Klassenfeind stattdessen zum Teufel gejagt hatte, erlangte er letztlich eine zweibändige Auswahl der Werke des verbotenen Philosophen ausgerechnet aus den Händen eines Aktivisten der kirchlichen Opposition: Das Verhältnis zum Autor des „Antichrist“ war dort ressentimentfreier als unter den Sozialisten.

In gesellschaftlicher Hinsicht völlig ambitionslos, verbrachte Klonovsky beinahe die gesamten 80er Jahre als schmökernder und pokulierender Privatier: Der Bildungsbürger verkommt ja im Arbeiter- und Bauernstaat zum Proletariat. Da er allerdings zur Zeit der Wende zufällig gerade als Korrekturleser bei der Blockparteizeitung „Der Morgen“ tätig war, spülte ihn die marktwirtschaftliche Entlassungswelle, die nach der Übernahme durch einen Westverlag einsetzte und mit der man sich der unfähigsten Apparatschiks entledigte, ganz an die Spitze. Er wurde Autor, mit einem Journalistenpreis für die Aufdeckung stalinistischer Verbrechen in der SBZ ausgezeichnet und schon zwei Jahre später von Helmut Markwort, dem Chefredakteur des neugegründeten Magazins „Focus“, seines Zeichens intendiert als konservatives Pendant zum „Spiegel“, nach München geholt, wo er bald zum Chef vom Dienst aufstieg. Erst 2016 kehrte Klonovsky dem inzwischen weitgehend auf Linie gebrachten „Focus“ den Rücken, um als Berater für die AfD tätig zu werden, und 2021 war er gar Chemnitzer Direktkandidat der AfD bei der Bundestagswahl.

Ein Leben wie in einem Roman, und es konnte daher auch nicht ausbleiben, dass es schließlich zum Material für einen Roman geriet: seinen großen autobiographischen Wende- und Bildungsroman „Land der Wunder“ (2004). Die „gebrechliche Einrichtung der Welt“, die Kleist zum Triebmotor seiner Tragödien geraten ließ, wird hier, in dieser weit eher komischen als tragischen Stimmung, zum „Nichteingerichtetsein der Welt“ (der durch Normierung inhumanisierten, technokratischen Welt) für das „herausragende“ Individuum: Klonovskys Roman lebt zu einem Gutteil von der scharf beobachteten Komik eines jedweden Zusammenstoßes von Bürokratie und individuellen, distinktiven Eigenschaften.

Was das Buch erst zu einem großen Roman werden lässt, ist allerdings der Umstand, dass diese Komik mit meisterhafter Ironie geschildert ist. Wie auch sein bereits verstorbener väterlicher Freund, der von der abstrakten zur figürlichen Malerei gewechselte Peter Schermuly, zitiert Klonovsky gern Goethes Maxime aus dem Zweiten Teil des „Faust“: „Bedenke das Was, aber mehr noch bedenke das Wie.“ Das Sujet an sich macht nichts her; oder, auf die Literatur übertragen: Ein guter „Plot“ ist nicht das Geringste wert, wenn die Form nicht stimmt. Mehr noch: Die passende Form kann jeden noch so nichtigen „Plot“ aufwiegen.

Und so handelt es sich bei den liebsten Erzählern Klonovskys auch samt und sonders um große Meister der Form. Dass der Epiker Zeit hat, weiß jeder Leser Marcel Prousts; dass Sprache in der Kunst nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist, lernt man bei Vladimir Nabokov. Und was gegen die „Verbrauchtheit aller künstlerischen Mittel“ („Doktor Faustus“) hilft, derer sich ein jeder „Poeta doctus“ bereits seit mehreren Generationen schmerzhaft bewusst ist, lernt man bei Thomas Mann, der festhielt, dass „Liebe zu einem Kunstgeist, an dessen Möglichkeit man nicht mehr glaubt, die Parodie zeitigt“: keine herabsetzende, sondern eine im Gegenteil liebevolle Parodie im Sinne des ironischen Spiels mit antiquierten Formen, das gerade durch seine Ironie niemals drohen wird, anachronistisch oder albern zu erscheinen.

Es erübrigt sich zu erklären, dass jemand mit einer solchen Geistesahnengalerie den Linksliberalen, den Anhängern der engagierten Journalisten-Schriftsteller Hemingway, Böll und García Márquez, dieser nobelpreisgekrönten Trias der kitschierten Parataxe, ein Gräuel sein musste. Der einschlägig bekannte Journalist Maxim Biller diagnostizierte bereits 1995 das „Auftauchen der Neuen Rechten auf den Seiten von ‚Focus‘“ und machte dafür denn auch den „Hausdeutschen“ Klonovsky verantwortlich.

Doch auch einige unserer eigenen Partisanen, insbesondere jene strengerer Observanz, hielten ihn seit je für verdächtig. Einer ihrer Rädelsführer beschrieb Klonovsky, sichtlich unwillig, als „erlesenen Gaumen, Frauenfreund und durchtrainierten Aphoristiker“. Diese soldatisch verklemmte, die Politik mit Begriffshülsen wie dem von der „Mosaik-Rechten“ zu Tode theoretisierende und Kunst hauptsächlich nach ihrem gesellschaftlichen Nutzen beurteilende Ironielosigkeit kann einem Klonovsky selbstverständlich wenig abgewinnen. Einerseits ist da ein ähnliches, in der Geschichte der Neuen Rechten von Anfang an wiederholt begegnendes Ressentiment: So wurden auch Armin Mohler und Günter Maschke des Individualismus oder gar des Westlertums bezichtigt und von Wagenburg-Nachbarn als „Französlinge“ bezeichnet. Das letztgültige Wort darüber sprach allerdings schon der von Mohler zur Konservativen Revolution gerechnete Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, übrigens einem der liebsten Bücher Klonovskys: „Der Individualismus“, statuiert er dort, „ist in deutscher Sphäre nicht sowohl eine liberale, als eine aristokratische Weltanschauung“.

Und Individualität bedeutet nun einmal nicht zuletzt: eine freie, allenfalls durch einkommenstechnische Grenzen eingeschränkte gastronomische Auswahl. Klonovsky wird es den Honeckers und Mielkes niemals verzeihen, wie viele Jahrzehnte seines Lebens sie ihm nicht nur Puccini in guten Interpretationen, sondern auch Ossobuco zu einem Glas Barolo vorenthielten. Die neuen Puritaner und Bilderstürmer sind allerdings weniger rot als vielmehr grün (das heißt Milliardärs- statt Staatssozialisten); und allein der Umstand, dass sie in ihren Predigten zum Fleischverzicht aufrufen, wäre für Klonovsky Grund genug, sie zu verachten. Doch selbst dieser tiefen Verachtung ist er imstande, eine ironische Form zu geben: „Wir sollten die Vegetarier nicht schelten; sie haben viel zur Verfeinerung der Beilagen beigetragen.“

Es kommt im Falle Klonovskys allerdings zu aller Feingeistigkeit hinzu, dass er niemals gänzlich Partei sein konnte noch wollte. Gesinnung lässt er nicht gelten als Entschuldigung für mangelnde Persönlichkeit. So kam Klonovsky denn auch nicht umhin, seit frühesten Tagen auch dort zu kritisieren, wo er grundsätzlich sympathisierte; und womöglich nimmt es ihm der ein oder andere damals junge Autor des im Gefolge der „Selbstbewussten Nation“ (1994) erschienenen Sammelbands „Wir 89er“ von 1995 noch heute übel, dass er in seiner Besprechung dieser Publikation „avantgardistisches Pathos“ und „postpubertäre Emphase“ bemängelte. Aber Radikalismus ist Klonovsky gänzlich fremd; ein solcher ist zwangsläufig unironisch. Und Thomas Mann, um abermals die „Betrachtungen“ heranzuziehen, hatte allen Grund, der Ironie den Radikalismus gegenüberzustellen: „Für den Radikalisten ist das Leben kein Argument“, schreibt er, Nietzsche paraphrasierend. Demgegenüber: „‚Ist denn die Wahrheit ein Argument, – wenn es das Leben gilt?‘ Diese Frage ist die Formel der Ironie.“

Kunst ist nicht Wahrheit, sondern Illusion. Und nimmt man der Kunst diese Dimension, so bleibt von ihr nichts weiter übrig als unmusischer Agitprop (was man an den Dramen Bertolt Brechts eindrücklich studieren kann). Gegen solche Entwicklungen muss die politische Rechte nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus ethischen Gründen ein Bollwerk bilden.

Die Distinktion erhält allerdings erst dann eine ethische, will sagen: politische Dimension, wenn sie von ihren Feinden politisiert wird; an sich ist sie ein rein humanes Phänomen. Und so ist jenes Buch, in dem Klonovsky die Distinktion hochleben lässt, seine „Lebenswerte“ (2009), auch wesenhaft unpolitisch, vor allem ein Sprachwerk, das die heutzutage raren berufenen Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben die großen Polemiker und Satiriker deutscher Sprache zu stellen, Beurteiler wie Eckhard Henscheid und Peter Sloterdijk.

Bei einem Besuch Sloterdijks in der ehemaligen badischen Residenzstadt war es denn auch, wo Klonovsky seinen Lebensmenschen fand, die Pianistin Elena Gurevich. Denn was wäre die Distinktion ohne Frauen? Es stellt keine Übertreibung dar, wenn man befindet, dass dieses Urbild von ungetrübter Weiblichkeit, beheimatet in zwei nur „cum grano salis“ westlichen Kulturen, der russischen und der israelischen, seinen Blick für die widernatürliche Androgynisierung der westlichen Frau, vor allem aber des westlichen Mannes zusätzlich schärfte. Und ihr widmete er späterhin, nachdem sie ihm eine Familie geschenkt hatte, nicht zufällig sein nietzscheanistischstes Buch, die Klage (doch immerhin mannhaft und selbstironisch vorgetragene Klage!) über den Tod des Helden, einen Nekrolog, wie er heiterer kaum sein könnte, geschrieben von einem im Haushalt aushelfenden Geistesmenschen, der sich des eigenen Mangels an Heroismus ebenso sehr bewusst ist wie der Gefahren, die von einem derartigen Mangel ausgehen, sobald er ein ganzes Volk oder gar einen Erdteil erfasst. So paradox es sein mag: Wer wäre berufener, diesen Mangel zu beklagen, als wer ihn an sich beobachtet? Denn Nietzsches Selbstüberwindung ist doch nichts anderes als ein „Heroismus der Schwäche“, wie ihn späterhin Thomas Mann literarisch ausformen sollte.

Womöglich war es auch Elena, die ihm die Schönheit der Religion näherbrachte. Denn nicht von früh auf wusste der dem Sozialismus Entronnene um sie. Aus seinem 2001 erschienenen ersten Roman „Der Ramses-Code“, mit dem er, unter dem Deckmantel der kassenschlagenden Abenteuergeschichte, das Leben des Ägyptologen Jean-François Champollion und zugleich ein Panorama französischer Geschichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachzeichnete, spricht noch eine veritable Begeisterung für den sich blasphemisch selbst zum Kaiser krönenden „neuen Pharao“ Napoleon und tiefes Misstrauen gegenüber den „maßlos der Fressgier frönenden“ Legitimisten und Katholiken. Der „Universalismus der antiken Nationen“ und ihre „Toleranz“ werden hier, in deutlicher Anlehnung an den Heidelberger Professor Jan Assmann, den „religiösen Eiferern“, den „Vollendern der jüdischen Ausschließlichkeitsidee“ gegenübergestellt.

Damals hätte Klonovsky wohl auch Partei ergriffen für Arminius gegen die Römer – was ihm nun, angesichts der Einsicht nicht nur in die Zerbrechlichkeit, sondern auch in die distinktivierende Kraft einer jeden Zivilisation, fernläge. Es kommt hinzu, dass auch er einen „antigermanischen Affekt“ (Günter Maschke) entwickelt hat und seither gerne scherzt, die Parole „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ wäre inzwischen weit besser bei uns als bei der Linken aufgehoben. Seine nunmehrige, biographisch bedingte Vertrautheit mit dem ihm zuvor völlig unbekannten jüdischen Staat, wo die Shoah im politischen Alltag eine weit weniger bedeutende Rolle als hierzulande spielt, hat Klonovsky zudem zu der Einsicht gebracht, dass der „Sündenstolz“ nicht oktroyiert, sondern vielmehr ein deutsches Spezifikum ist. Daher ist auch jene Sottise seines Freundes Alexander Wendt ganz nach Klonovskys Geschmack, der zufolge die Lieblingsjuden des Deutschen „Herr und Frau Stolperstein“ seien.

Es liegt allerdings jenseits des rein Biographischen eine Folgerichtigkeit in der Veränderung seiner Haltung nicht nur zum Judentum, sondern auch zum Katholizismus. Er ist Repräsentant eines Paradigmenwechsels, der innerhalb der Rechten stattfand. Er ist zwar keineswegs gläubig geworden, aber doch gewissermaßen religiös: Denn der Ritus ist ebenso sehr Illusion wie alle Kunst. Das hat Martin Mosebach in der „Häresie der Formlosigkeit“, erschienen in Klonovskys liebstem Verlag, Karolinger, deutlich aufgezeigt.

Der Vollständigkeit und Fairness halber wollen wir hier nicht unterschlagen, dass diese Entwicklung selbst der tumbsten politischen Linken nicht entging. Statt weiterhin als „Hausdeutscher“ wie noch bei Biller zu gelten, wurde dem weitgehend der „damnatio memoriae“ Anheimgefallenen seither bei den zunehmend rarer werdenden Thematisierungen seiner Person stattdessen unterstellt, er wolle einen „klerikalfaschistischen Ständestaat errichten“ – so der notorische Georg Diez im „Spiegel“. Denn „Klerikalfaschist“ ist das antitheistische Wort für „Reaktionär“.

Klonovskys Wandel zum Reaktionär ging schließlich auch einher mit einer veränderten Gattungswahl. Es ist der Aphorismus die reaktionärste Literaturgattung: Seine Prägnanz ist die Folge einer tiefen Einsicht in die Vergeblichkeit jedweder Theoriegebäude, in die Nicht-Theoretisierbarkeit der Welt. Diese Einsicht ist wesenhaft pessimistisch. Die knalldeutschen Bildungsphilister haben nie Verständnis gehabt für pessimistisches Denken, und ihrer Exponiertesten einer, der von Nietzsche satirisierte Linkshegelianer David Friedrich Strauß, verstieg sich in seinem melioristischen Wahn gar zu der Behauptung, dass Philosophie grundsätzlich optimistisch zu sein habe und pessimistische Philosophie daher ein Widerspruch in sich sei. Nach einer von Klonovsky gerne zitierten Sottise des Regisseurs Billy Wilder allerdings landeten die Pessimisten in Hollywood – und die Optimisten in Auschwitz. Klonovsky ist zweifelsohne Pessimist, alles andere wäre ethisch, aber vor allem auch ästhetisch verwerflich; aber ist ein heitererer, ironischerer Pessimismus vorstellbar als derjenige, der aus seinen Aphorismen spricht?

Es ist demnach nur folgerichtig, dass er neben seinen beiden Freunden Günter Maschke und Martin Mosebach sowie Till Kinzel und Botho Strauß zu den wichtigsten Popularisierern eines denkbar unpopulären Autors zählt, des kolumbianischen und hierzulande bis in die 2000er hinein weitgehend unbekannten Aphoristikers Nicolás Gómez Dávila. Der bei Reclam erschienene, von Klonovsky herausgegebene Auswahlband seiner Aphorismen ist zwar wegen der Denunziatiönchen eines unironischen linken Twitter-Maulhelden, vor dem der Großverlag eingeknickt ist, nur noch antiquarisch erhältlich. Doch lebt der Geist des Kolumbianers in Klonovskys eigenen Aphorismen fort, die bisweilen die zynische Prägnanz des Don Nicolás gar übertreffen.

Beim ursprünglich auf seinen Freund Matthias Matussek gemünzten Aphorismus, der Vorwurf der Eitelkeit treffe hauptsächlich solche Menschen, die es vorzögen, sich selbst zu loben, statt andere zu tadeln – bei diesem Aphorismus handelt es sich recht eigentlich um eine klandestine Selbstbeschreibung: Denn alles Intrigante ist Klonovsky fern. Das Intrigante ist allerdings das, was die Politik ausmacht (Maschke sagte gar: Die Politik an sich stelle nichts anderes als Intrige, als Verschwörung dar). Und ein mit barocker Heiterkeit ausgestatteter Charakter ist naturgemäß nicht für das politische Tagesgeschäft zu gebrauchen.

Klonovsky ließ es sich dennoch nicht nehmen, dem in der Politik grassierenden eklatanten Mangel an Ironie Paroli zu bieten. Einer der Adlaten jener unironisch-verklemmten Theoretisierer-Partisanen, ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter, der zu Zonenzeiten SEDler gewesen war, versuchte, die Wahl Klonovskys zum Bundestagskandidaten in Chemnitz zu hintertreiben, mitunter indem er ihm mangelnde Loyalität zur Partei nachsagte. Bei der fraglichen Versammlung erklärte Klonovsky coram publico: „Es stimmt, ich bin nicht Mitglied Ihrer Partei. Aber ich war auch nie Mitglied der SED.“

Dass seine Bundestagskandidatur letztlich scheiterte (respektive die Briefwahlstimmen sie letztlich scheitern ließen, denn in 33 von 39 Stimmbezirken hatte Klonovsky die relative Mehrheit erreicht), ist vornehmlich insofern zu bedauern, als uns dadurch die zweifelsohne amüsantesten Reden, die im Hohen Hause hätten gegeben werden können, vorenthalten bleiben. Im Übrigen allerdings bietet das Ergebnis wenig Anlass zu Betrübnis. Denn so bleibt ihm die Muße, uns mit einem weiteren Roman zu beschenken. Und eine echt ironische Darstellung etwa des deutschen Politikbetriebs, wie sie in diesem unironischen Land kaum jemals gewagt worden ist, wäre zweifelsohne geeignet, all seine nicht gehaltenen Bundestagsreden aufzuwiegen.
… Alles vom 18.8.2022 von Artur Abramovych bitte lesen auf
https://ef-magazin.de/2022/08/21/20059-michael-klonovsky-zum-sechzigsten-ironie-gegen-die-nivellierung-der-welt

 

Acta Diurna wie auch Publico unterstützen – diese Medien erhalten keine Staatsgelder
Früher gab es beim Kalenderblattwechsel die Monatsendfigur, und der Klingelbeutel ging um; beides habe ich abgeschafft (die angekündigte Renovierung der Seite steht auch noch aus), die Fotos, geehrter Herr ***, letztlich aus Urheberrechtsgründen (da gibt es kein Zurück), die Kollekte aus Scham und Stolz. Nicht zu meinen Gunsten! Zugleich liest man, das schreibende Bordell der kanzleramtsnahen Medien werde künftig kräftig mit Steuergeld eingefettet und geschmiert. Wie gut, dass Freund Alexander Wendt in diesem Belang schon das Wort ergriffen hat; ich übernehme seinen Eintrag auf publico einfach wortgleich:

https://www.publicomag.com/about/
Unterstützen Sie uns: Das Angebot von Publico ist kostenfrei. Wer Gefallen an diesem Medium findet und möchte, dass es dieses Angebot dauerhaft gibt, der kann gern einen Beitrag eigener Wahl
per paypal.me/PublicoMag und/oder an
Wendt/Publico  IBAN DE04 7004 0048 0722 0155 00 bei der Commerzbank München überweisen.
Herzlichen Dank.
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„Liebe Leser: Medien erhalten derzeit reichliche Zuwendungen – aus dem Bundesetat demnächst 220 Millionen Euro an sogenannten Förderungen. Außerdem 43,5 Millionen Euro in Form von Anzeigen der Bundesregierung im Jahr 2019, wobei es 2020 mehr sein dürfte. Der Organisation ‚Neue Deutsche Medienmacher‘ zahlte das Bundeskanzleramt 2019 für deren Projekte mehr als eine Million Euro.
Dazu kommen noch großzügige Hilfen von Stiftungen diverser Milliardäre für etliche Medien.
Publico erhält nichts davon, und würde auch weder Staats- noch Stiftungsgeld annehmen. Unser Unternehmen finanziert diese Subventionen durch seine Steuern vielmehr mit (was sich nicht ohne weiteres ändern lässt).
Publico erhält keine Zuwendungen von Organisationen. Nur von einer informellen Organisation: seinen Lesern. Mit Ihren Beiträgen ermöglichen Sie die Beiträge auf Publico – auch umfangreichere Recherchen und Dossiers. Jeder Beitrag hilft, auch wenn Sie weder Regierungsbeamter noch Milliardär sind. Mit Ihrer freiwilligen Zahlung bewirken Sie viel. Unabhängig von dem Betrag. Danke.“
Denken Sie sich statt publico einfach „Kleiner Eckladen“ und klicken Sie hier. Vergelt’s Gott!
.. Alles vom 1.8.2020 bitte lesen auf
https://michael-klonovsky.de/acta-diurna
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Der tägliche Publikumsverkehr in meinem kleinen Eckladen hat Dimensionen erreicht, für die Letzterer nicht konzipiert war, und ich muss zuvörderst alle diejenigen um Pardon bitten, deren Mails oder Briefe ich nicht zu beantworten schaffte; ich lese aber alles brav und aufmerksam. Sodann will ich auf die erfreulich häufig vorgetragene Frage reagieren, ob denn irgendwo ein Konto sei, wohin der enthusiasmierte Leser ein paar Euronen überweisen könne, dem Autor dieses unbegreiflicherweise für lau verfügbaren Diariums seine erlesene Handwerksarbeit mit einer Spende zu danken. Nun denn also, halten Sie mich bei guter schlechter Laune unter:
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Sparkasse München, IBAN DE31 7015 0000 3002 1896 72. BIC SSKMDEMMXXX
oder per PayPal: https://paypal.me/Klonovsky
Grazie a tutti.
https://michael-klonovsky.de/aktuelles

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Die Linke – vom Gegenpart zum Parasit des Kapitalismus
Das letzte der angekündigten Videos im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Grablegung und Wiederauferstehung der DDR ist nun auch online; diesmal eine Rede im Berliner Abgeordnetenhaus auf Vorladung der Schwefelpartei zur ambitionierten Frage, warum die Linke ewig ist. Genaugenommen lautete der Vortragstitel: „Warum führt das Scheitern linker Utopien nicht zu deren Delegitimierung?“

Ich habe dort den Gedanken weiter ausgeführt, der schon in der Mainzer Rede (hier https://www.youtube.com/watch?v=2gSMKOAPezU „ich komme aus der DDR, ich komme aus der Zukunft“ und gedruckt hier https://jf-buchdienst.de/JF-Edition/Das-zweifache-Ueberleben-der-DDR.html „das zweifache Überleben der DDR“) anklang, nämlich dass die heutige Linke sich nicht mehr als Widerpart des Kapitalismus versteht, sondern als dessen Parasit eine dauerhafte Vereinigung anstrebt;
zwei, drei Absätze sind textidentisch. Der Ton ist etwas schnarrend, aber ich finde, dass er meiner Stimme einen gewissen menschenverachtenden, zynischen, zu Recht Empörung, Wut & Trauer auslösenden Schneid verleiht. Wenn ich lese, was ein Klaus Staeck – ja, genau, der sozialdemokratische Agitprop-Dino – aus dieser Rede herausgehört hat, komme ich schon ins Grübeln, in welche Keller der IQ unserer Linken noch so rauschen wird (er kann nicht mal den Namen von Wolfgang Harich schreiben). Aber gut, ich verteile meine Perlen allzeit großzügig und so will ich es auch künftig halten; jeder trage davon mit sich heim, was er zu raffen vermag.
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Da die Verwendung des Terminus „Parasit“ Erinnerungen an finsterste, längst überwunden geglaubte Zeiten weckt, gestatte ich mir, einen Passus aus der Rede hier gewissermaßen als Appetitmacher zu zitieren: „Der Begriff Parasit stammt vom altgriechischen Wort παράσιτος. Das Präfix παρά bedeutet ‚bei‘, ’neben‘, auch ‚gegen‘, σιτος wiederum stammt von σιτεῖσθαι, ‚essen‘. Es ist also jemand oder etwas, der oder das bei jemanden gegen dessen Willen mitisst.
In der Biologie bezeichnet Parasitismus den Ressourcenerwerb eines Lebewesens auf Kosten eines anderen, meist größeren Organismus, der als Wirt dient. – Man könnte also sämtliche kapitalismuskritischen Schriften der postkommunistischen Linken als ausgefüllte Bewirtungsformulare betrachten. Der Parasitismus dient der Steigerung der Fitness des Parasiten, was bisweilen mit einer Verminderung der Fitness des Wirtes einhergeht, jedenfalls dem Wirt eine Forcierung seiner Lebensanstrengungen abverlangt. Das nennt sich in der Politik ‚Umverteilung‘.
Wird dem Wirt kein nachhaltiger Schaden zugefügt, spricht man in der Biologie von ‚Probiose‘, in der Politik von ’sozialer Gerechtigkeit‘. Mitunter führt der Parasitenbefall auch zum Tod des Wirtes. – In diesem Fall muss der Traum von einem menschlicheren, gerechteren Wirt erneuert werden.
Parasitismus ist eine biologische Normalität. Aber auf den Menschen angewendet bekommt der Begriff einen üblen Beiklang, der mit dessen sozialdarwinistischer und eugenischer Verwendung zu tun hat – erinnert sei an die ‚unnützen Esser‘ bei den Nazis. Ich werde deshalb später einen Ersatzbegriff dafür vorschlagen. Ich gestatte mir aber den Hinweis, dass der Begriff ‚parasitär‘ zum Standard-Repertoire der klassischen Linken gehörte.
Lenin statuierte 1916: ‚Der Imperialismus ist: 1. monopolistischer Kapitalismus; 2. parasitärer oder faulender Kapitalismus; 3. sterbender Kapitalismus.‘ Im DDR-Staatsbürgerkundeunterricht bekam ich das eingebimst. Jenseits der Mauer faulte und starb also der parasitäre Kapitalismus, und unsereins schaute staunend im Fernsehen der Westwerbung beim Verfaulen zu. Es bereitet mir also ein gewisses Vergnügen, den Begriff ‚parasitär‘ nunmehr gegen die Linke zu kehren, zumal der Kapitalismus der größte Wertschöpfer der gesamten Menschheitsgeschichte ist, während sich die Linke, sofern sie überhaupt etwas produziert, vorwiegend mit der Produktion von Theoriemüllhalden beschäftigt. ….
Den gesamten Vortrag finden Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=PAY5jx1Pc3E
Den Redetext bitte lesen auf
Klonovsky: Die Linke vom Widerpart zum Parasit des Kapitalismus (6.11.2019)

… Alles vom 28.11.2019 bitte lesen auf
https://michael-klonovsky.de/acta-diurna

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Ich komme aus der DDR, ich komme aus der Zukunft
Diese Rede hielt der Schriftsteller und Publizist Michael Klonovsky anläßlich des 30. Jahrestags zum Fall der Berliner Mauer. Eine Rede, die zum Nachdenken anregt. Redetext unten.
https://youtu.be/2gSMKOAPezU
8. November 2019

Ich komme aus der DDR – Eine Bilanz dreißig Jahre nach dem Mauerfall:
Die DDR 2.0 im besten Deutschland, das es je gab – Sie hat überlebt
von Michael Klonovsky
Ich habe ungefähr die erste Hälfte meines Lebens in der DDR verbracht – ich bin Jahrgang 1962 –; das heißt, mit jedem Jahr, das ich jetzt älter werde, überwiegt der bundesrepublikanische Teil meiner Biographie. Seit geraumer Zeit beschleicht mich gar die Ahnung, es könne wieder in einer Art von DDR enden, einer DDR 2.0 sozusagen, einer smarteren, in ein höheres Sein überführten DDR, aber eben doch einer semisozialistischen Erziehungsdemokratur auf rumpfmarktwirtschaftlicher Grundlage und mit zunehmend levantinischem Antlitz.
Wer hätte am 9. November 1989, als der von ideologischen Starrköpfen geführte Mauerstaat in so atemberaubender Geschwindigkeit zusammenbrach, unter den hinter dieser Mauer Eingepferchten gedacht, daß sie kaum ein halbes Menschenleben später beobachten würden, wie ihr von ideologischen Starrköpfen geführtes Gemeinwesen nun in Ermangelung einer Grenze täglich ein bißchen weiter in Richtung Systemversagen steuert und eine offene und unkontrollierte Grenze mit ähnlichem Starrsinn verteidigt wird wie ehedem der „antifaschistischer Schutzwall“ vom DDR-System verteidigt wurde?
Die neue historische Erzählung, die man in nahezu sämtlichen Medien hören und lesen kann, lautet: Im Herbst 1989 gingen die Menschen für Weltoffenheit und gegen Abschottung auf die Straße. Grenzen sind schlimm, und die Rechtspopulisten wollen heute wieder Mauern bauen.
Die „Tagesschau“ brachte es zum Jahrestag des Mauerbaus am 13. August fertig, den Stacheldrahtverhau um Honeckers Staatsgatter, an dem es, wenn du von drinnen ins Freie wolltest, den Fangschuß setzte, in einem Atemzug mit der israelischen Grenze und der amerikanischen Grenze zu Mexiko zu nennen, also zwei Grenzen, mit denen Staaten ihr Hoheitsgebiet vor illegaler Einwanderung, Kriminalität und, was Israel betrifft, vor Terrorismus schützen. Diese lustigen Gesellen vom Staatsfunk wollen uns also einreden, daß es keinen Unterschied gibt zwischen: Niemand darf raus und: Nicht jeder darf rein. Daß es keinen Unterschied gibt zwischen einem Menschen, der seine Haustür abschließt, um selber zu entscheiden, wen er hereinläßt, und einem anderen Menschen, der jemanden in seinem Haus gefangenhält.

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Die DDR war tot, doch gerade die marktwirtschaftliche Frischblutzufuhr hat den Zombie wieder fit gemacht. Die Linke hat nämlich aus dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten eine Lehre gezogen. Wenn jeder sozialistische Staat der Erde aus wirtschaftlichen Gründen kollabiert, dann gibt es offenbar keine funktionierende linke Wirtschaft. Die ins Staatspolitische übertragene Folgerung daraus lautet: Lassen wir den Kapitalismus weiterleben, aber sorgen wir dafür, daß wir die kulturelle Hegemonie haben, daß wir die Öffentlichkeit beherrschen, daß wir den Sozialstaat kontrollieren, daß möglichst viel umverteilt wird, wobei natürlich wir diese Geldströme kontrollieren müssen, damit auch möglichst viel in unsere Taschen fließt. Die Linke hat begriffen, daß sie den Kapitalismus nicht stürzen muß, um zu herrschen. Die heutige Linke will nicht mehr der Widerpart des Kapitalismus sein, sondern sein Parasit. Die DDR konnte also durchaus überleben, obwohl sie als Staat zusammengebrochen ist. Ohne den Kapitalismus als Wirtstier bringt die Linke nur Unheil zustande. Johannes Gross hat das in die reizende Sentenz gefaßt: Honecker mußte 17 Millionen Menschen unterdrücken, um den Lebensstandard eines westdeutschen Handwerksmeisters zu erreichen, der 17 Mitarbeiter beschäftigt.

Als ein in der „ehemaligen“ DDR Aufgewachsener sehe ich mich heute von einem Wald aus Déjà-vus umstellt. Zum Beispiel, wenn sich Kulturschaffende in öffentlichen Ergebenheitsadressen hinter die Politik der Staatsführung stellen und zum Kampf gegen die Opposition aufrufen. Oder wenn konformistische Aktionen wie die „Erklärung der Vielen“ mit Geldern aus dem Kanzlerinnen-Etat bezuschußt werden. Oder wenn eine Stasi-Zuträgerin wie Anetta Kahane für ihre Bespitzelungs- und Denunziationsstiftung unter anderem mit meinem Steuergeld alimentiert wird, also auf meine Kosten meine Freiheit unterwühlt.
Oder wenn Kritiker der geduldeten und geförderten Einwanderung von überwiegend jungen männlichen Primär- oder Sekundäranalphabeten in der Medienöffentlichkeit behandelt werden wie in der DDR sogenannte feindlich-negative Subjekte, die am proletarischen Internationalismus und an der Sicherung des Weltfriedens durch den Warschauer Pakt zweifelten – wenngleich im smarten Gesinnungsstaat BRD die Konsequenz nur soziale Isolation und nicht gleich Isolationshaft heißt; soviel Differenzierung muß sein.
Oder wenn eine ehemalige SED-Genossin und DDR-Juristin, die vor der Wende gegen die „aggressivsten und reaktionärsten Kräfte des Monopolkapitals“ anschrieb, Vorsitzende der ARD werden und ihren Job darin sehen konnte, „den Positionen der AfD den Boden zu entziehen“.
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Diese Konsensvollstreckungsgeilheit, diese alternativlose Zukunftsgewißheit, diese ständige Massenmobilisierung, die Lagerbildung und Feindmarkierung, das flankierende Spitzel- und Denunziationswesen: das riecht alles nach DDR.
Wenn eine staatliche Institution wie die Hessische Filmförderung, die ihren Etat über das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst und den Hessischen Rundfunk aus Steuergeldern bezieht, den Geschäftsführer entläßt, weil der sich privat mit dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei getroffen hat und aus der Presse nicht mal ein Grummeln zu vernehmen ist, was ist das anderes als eine DDR 2.0? Was früher der unerlaubte Westkontakt war, ist heute der verbotene AfD-Kontakt.
Diese Konsensvollstreckungsgeilheit, diese blöde blinzelnde alternativlose Zukunftsgewißheit, während tatsächlich nur abgeräumt wird, was noch steht, diese ständige Massenmobilisierung, die Lagerbildung und Feindmarkierung, das flankierende Spitzel- und Denunziationswesen: Das riecht alles nach DDR.
Was mich persönlich am meisten an damals erinnert, das ist der Gesinnungsdruck, das ist die alltägliche moralische Erpressung, das sind die feststehenden Schmähbegriffe für diejenigen, die früher „Staatsfeinde“ oder „Agenten des Klassenfeindes“ hießen, das ist die Welt der zwei Zungen, eine für daheim, eine für die Öffentlichkeit. Ich bemerke es jedesmal, wenn mich meine Kinder irgend etwas Politisches fragen, worüber in der Schule gesprochen wird. Was ich von Merkel halte etwa. Was ich von „Fridays for Future“ halte. Ob Donald Trump wirklich so schlimm ist. Ich erkläre dann in der Regel, daß ich die Dinge so und so sehe, aber daß sie sich ihre Meinung selber bilden sollen. Meist füge ich noch hinzu, daß es nicht zwingend nötig ist, ihren Lehrern und Mitschülern von meiner Sicht der Dinge zu erzählen.
Ich bin schließlich schon in frühester Jugend darauf dressiert worden, daß es besser ist, wenn andere nicht von meiner Sicht der Dinge erfahren. Ich komme ja aus der DDR. Ich komme aus der Zukunft. Doch daß man aufgefordert wird, etwas auszusprechen, und sei es nur als Frage, was einem unter den Nägeln brennt, und man es wegen der kalkulierbaren Folgen lieber läßt – so etwas ist im besten Deutschland, das es je gab, plötzlich wieder Alltag. Mit einer einzigen falschen Bemerkung kann man sich heute die Karriere verderben, den Studienplatz riskieren, den Job verlieren, den Bekanntenkreis halbieren.
Vor dreißig Jahren, als diese verfluchte Mauer gefallen war, glaubte ich, fortan in einem freien Land leben zu dürfen. Das war naiv. Bärbel Bohley sah die Entwicklung schon damals weit klarer. „All die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten“, prophezeite sie im Frühjahr 1991. „Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen.
Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Das ständige Lügen, die Desinformation, der Nebel: Ich erinnere an die „Fachkräfte“, die zu Hunderttausenden zu uns ins Land strömen, an die Ärzte und Ingenieure, die ein neues Wirtschaftswunder ins Werk setzen sollten, an die permanenten Geld- und Brieftaschenfunde sogenannter Flüchtlinge und die prompten Zurückerstattungen der Funde an die schusseligen eingeborenen Besitzer. Ich erinnere an die Propaganda, daß „Flüchtlinge nicht krimineller als Deutsche“ seien – sind sie auch nicht, sie begehen nur ungleich mehr Straftaten –, und daß jeder, der etwas anderes behauptet, ein Rassist sei. Oder an die polyphon vorgetragene Lüge, daß sich unter den Schutzsuchenden keine Terroristen befänden.
Oder an die notorisch vorgebrachte Behauptung, die Anschläge von Terroristen, die sich auf den Islam berufen, hätten nichts mit dem Islam zu tun. Und, und, und. Ein Lügenmeer, ein Desinformationsozean, eine landesweit wabernde Nebelbank.
Das Befremden darüber zum Ausdruck bringen, daß der Schoß immer noch fruchtbar ist, daß er nur dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Diktaturen munter neue Enteigner, Kollektivisten, Denunzianten und Verfolger hervorkreißt.
Aber Sie wollen doch, höre ich bisweilen, die Zustände in der DDR nicht mit heute vergleichen? Nein – gewollt habe ich es nie. Aber es drängt sich einfach auf. Vergleichen heißt ja nicht gleichsetzen. Ein Vergleich legt auch die Unterschiede offen; und natürlich gibt es Unterschiede. Die Opposition sitzt heute im Bundestag und nicht im Knast – wobei jeder einzelne AfD-Abgeordnete davon ausgehen kann, daß er nach seiner Parlamentarierzeit draußen ungefähr so behandelt wird wie ein DDR-Regimekritiker nach seiner Gefängniszeit behandelt wurde: als Aussätziger. Stasiakten werden nicht mehr heimlich geführt, sondern für jedermann einsehbar bei Wikipedia. Die Polizei verfolgt die Opposition nicht, sondern beschützt sie – zumindest einstweilen noch – vor der im Namen der Toleranz aufgehetzten Zivilgesellschaft. Der wichtigste Unterschied besteht freilich darin, daß man aus der Bundesrepublik jederzeit ausreisen kann.

Trotz all dieser ernsten Scherze muß der Vergleich DDR-Bundesrepublik auch seine Grenzen haben. Die DDR war ein Drecksstaat, eine gemeine Diktatur, ein Großkombinat zur Abrichtung von Untertanen, ein Schurkenstaat mit einem Schurkengeheimdienst, ein Spitzel- und Polizeistaat, ein XXL-Knast für 17 Millionen Insassen. Wenn man solche Vergleiche anstellt, dann vor allem, um das Befremden darüber zum Ausdruck zu bringen, daß der Schoß immer noch fruchtbar ist, daß er nur dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Diktaturen munter neue Enteigner, Kollektivisten, Denunzianten und Verfolger hervorkreißt. Wenn ich DDR und BRD vergleiche, dann vor allem deshalb, weil ich meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten will, daß diese Republik halbwegs freiheitlich und vor allem ein Rechtsstaat bleibt.
Die DDR hat aber auch in anderer Hinsicht überlebt. Es haben ja nicht nur FDJ-Sekretärinnen in Führungspositionen, Politkommissare, protestantische Staatskirchenpfaffen, Spitzel, Stasi-Kader für die Antifa-Ausbildung, Fachkräfte für Zersetzung, Westlinkenfinanzierer, TV-Moderatorinnen und eine ganze Staatspartei mitsamt ihres verschobenen Vermögens überlebt, sondern auch die normalen Menschen des Ostens, von denen heute viele gegen sozialistische Verheißungen immun sind, ungefähr wie man immun gegen die Masern ist, wenn man sie einmal durchgestanden hat.
Es hat eben nicht nur die sozialistische Mentalität überlebt, die antibürgerliche Mentalität, die Kollektiv- oder Herden-Mentalität, die Mucker- und Maulkorb-Mentalität, die Sozialneid-Mentalität, die Gleichheit über Freiheit stellende Mentalität, sondern es hat auch die Mentalität des Trotzes, des Aufmuckens, des Sich-nicht-mehr-hinter-die-Fichte-führen-lassens, der Skepsis gegenüber einer moralisierenden und Parolen ausschreienden Führung, des Nonkonformismus und der Ideologieresistenz überlebt. Nicht nur Maybrit Illner kommt aus der DDR, sondern auch Katrin Huß, nicht nur Durs Grünbein, sondern auch Uwe Tellkamp, nicht nur Wolfgang Thierse, sondern auch Vera Lengsfeld.
Bei den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hat sich das renitente ostelbische Milieu wieder präsentiert. Die Wahlen im Osten legten Zeugnis ab von einer erfolgreichen Immunreaktion.
Eine ganz andere Lesart deutet dagegen die ostelbischen Falschwähler allesamt als frustrierte, fremdenfeindliche, demokratieunfähige Vollpfosten, völkisch-autoritäre Charaktere und unaufgeklärte Verlierernaturen, gegen die von allerlei gruppenbezogenen Tabus umstellte deutsche Öffentlichkeitsarbeiter endlich einmal ihre Haßgefühle ausleben dürfen. Sie stellen die Ossis als widerspenstig, undankbar, unmündig und böse dar – klassische Gouvernanten-Aussagen.
Die ostdeutschen Mündel gehorchen nicht, und da man sie nicht direkt schlagen kann, werden sie mit Verachtung und Stigmatisierung bestraft. Vor allem bestreitet das tonangebende Milieu den Ostdeutschen, daß sie seit 1989 eigene Erfahrungen gesammelt und daraus Schlußfolgerungen gezogen haben. Zum Beispiel mit dem ständig vorgebrachten Scheinargument, wie man im Osten denn gegen die Masseneinwanderung sein könne, es gebe dort doch kaum Migranten. „Hirschfeld in Brandenburg: Null Flüchtlinge, aber 50,6 Prozent AfD“, wunderte sich exemplarisch der Berliner Tagesspiegel. Ich erlaube mir, dagegenzuhalten: Leipzig, Wahlkreis 31: Null Quadratmeter brennender Regenwald, aber 29 Prozent Grüne. Merkwürdig, nicht wahr?
Ostdeutsche Falschwähler haben begriffen, daß die EU mittlerweile ein Moloch geworden ist, der fast schon so autoritär, freiheitsbeschneidend und für sie unerreichbar agiert wie früher der Warschauer Pakt. Kein sächsischer Busfahrer glaubt, wovon der Bremer Politologe und der Hamburger Medienschaffende durchdrungen sind: daß er Schuld trägt am Elend der Dritten Welt und mit seiner Abluft zum Abschmelzen der Polkappen beiträgt. Im deutschen Willkommenswahn 2015 haben die ostdeutschen Falschwähler erkannt, daß der Merkelismus Züge eines Amoklaufes trägt, vor dessen Folgen man sich schützen muß, haben begriffen, daß ein politischer Apparat, dessen Sprechpuppen Phrasen wie „Bunt statt braun“, „Vielfalt statt Einfalt“, „Wir bekommen plötzlich Menschen geschenkt“, „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, „Menschlichkeit kennt keine Obergrenze“ und neuerdings „Wir wollen kein CO2 mehr“ daherplappern, so unglaublich infantil und verblödet ist, daß die Marxismus-Dozenten der DDR daneben plötzlich so prätentiös wie griechische Statuen wirken.
15.11.2019, Junge Freiheit 547/19, Seite 18
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Michael Klonovsky, Jahrgang 1962, ist Publizist und Schriftsteller. Der abgedruckte Text ist ein Auszug einer Rede im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz anläßlich des dreißigsten Jahrestages des Mauerfalls.
https://michael-klonovsky.de
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Eine Wucht: „Sie hat überlebt“ von Michael Klonovsky
Jeder Satz ein Fußtritt. Dieser Artikel ist eine Wucht – jeder Satz ein Fußtritt gegen die Mauer, die das bundesrepublikanische Herrschaftskartell in den Köpfen der Bewohner errichten will. Es ist eine Dauerbaustelle, weil mit jedem offenen Wort wie dem Ihren, das publiziert wird, wieder ein Stein herausfällt. Demokraten aller Bundesländer, verweigert euch der Umerziehung zu Untertanen!
28.11.2019, Paul Schweiger, München, JF
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Aphorismen und Ähnliches – Einige Beispiele
„Die Linke ist imstande, der Forderung eines Rechtsparteilers nach mehr Grünflächen in Bahnhofsnähe mit dem Ruf „Nie wieder Faschismus!“ entgegenzutreten“
Michael Klonovsky: Aphorismen und Ähnliches,
ISBN 978 3 85418 179 8, Karolinger Verlag Wien und Leipzig, 2014, Seite 57
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„Bis heute hat noch kein unreligiöses Volk seine Überlebensfähigkeit unter Beweis gestellt“

„Die aktuell gültige Maßeinheit für die Erbsünde ist der CO2-Abdruck“

„Wenn das Volk durch durch hinreichend viele Tabus (Nazi-Keule, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit) sprachlos gemacht worden ist, gewähren ihm die Partei politische Gesprächsangebote (wie Steinmeier: „Wir müssen miteinander reden“)“
Seite 12

„Wenn Deutschland endlich gestorben ist, dürfen auch ein paar Argumente zu seiner historischen Entlastung vorgetragen werden“
Seite 13

 

 

Auf dem Weg in die DDR 2.0
1.10.2010, Michael Klonovsky

20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Bundesrepublik wieder von Sozialisten regiert – meint Michael Klonovsky, der erstaunliche Parallelen zwischen dem heutigen Deutschland und der einstigen DDR erkennt.
Die Geschichte mag keinen Sinn haben, aber Sinn für Ironie besitzt sie. Gehen wir dafür zurück ins Frühjahr 1989. Der Ministerpräsident des Saarlandes besuchte den Staatschef der DDR, zum neunten Mal übrigens. Wie hätte es wohl in beider Ohren geklungen, wenn man ihnen prophezeit hätte, dass in knapp zwei Dezennien der eine, Oskar Lafontaine, den anderen, Erich den Einzigen, als Parteivorsitzenden beerbt haben würde? Und welcher Bundesbürger, Alice Schwarzer eingeschlossen, hätte nicht jedem einen Vogel gezeigt, der zum selben Zeitpunkt behauptet hätte, bis dahin werde übrigens auch eine Frau ins Kanzleramt einziehen, obendrein eine aus der DDR? Solche Rückschauen belehren uns darüber, dass es etwas gibt, auf das zu wetten sich lohnt: das Unwahrscheinliche.
Es war ziemlich genau ein Jahr nach dem Mauerfall, als ein Ostberliner Bekannter, der damals einen regen Handel mit übriggebliebenen DDR-Konserven betrieb, zu mir sagte: „Die reden dauernd davon, wann wir auf West-Niveau kommen. Die sollten sich mal lieber Gedanken machen, wann der Westen auf unserem Level aufschlägt.“ Das war erstaunlich hellsichtig. Jedenfalls mehren sich die Zeichen, dass die Bundesrepublik nicht unerhebliche Anstrengungen unternimmt, ein sozialistischer Staat à la DDR zu werden, ohne Mauer zwar, aber immerhin hat eine bekannte und gar nicht unansehnliche Linken-Politikerin schon eine Steuer für Dauerausreisende gefordert.
Doch beginnen wir mit dem Positiven. Die „Aktuelle Kamera“ dauert nur noch eine Viertelstunde. In der Bundesrepublik sind nur zwei von drei Strophen des Deutschlandliedes tabu, also eine weniger als in der DDR. Es gibt noch Stasi-Leute und Stasi-Zuträger, aber die sind kaum mehr zentral organisiert und sitzen nicht mehr an Abhörgeräten, sondern zum Beispiel bloß in den Parlamenten (einer will sogar Bürgermeister von Potsdam werden). Die Direktiven kommen nicht mehr aus Moskau, sondern aus Brüssel. „Unsere Menschen“ (Margot Honecker) heißen heute „die Menschen draußen im Lande“ (Angela Merkel). Linkspartei-Chef Gregor Gysi sagt, alle Demokraten müssten gemeinsam „gegen rechts“ kämpfen. Das ist doch durchaus komisch.
Warum tritt der Irak nicht der EU bei?
Etwas weniger komisch, sofern man nicht in einem der Parteiapparate sitzt, dürfte sein, dass der vermeintliche Souverän quasi keinerlei politisches Mitbestimmungsrecht besitzt. Er darf alle vier Jahre zur Wahlurne trotten und seine Stimme abgeben. Wenn er konservativ oder rechts ist, weiß er freilich nicht, wem er sie geben soll. Früher hatten wir die „Kandidaten der Nationalen Front“, heute gibt es den „Konsens der Demokraten“. Seine Vollstrecker wachen über die roten Linien, die keiner überschreiten darf, der sich Demokrat nennen will und jenseits derer mehrere Millionen Menschen denken und meinen, die niemand vertritt. Im Gegensatz zu früher werden die enthaltenen Stimmen heute zwar gezählt und beklagt, doch Folgen resultieren daraus nicht. Niemals hat eine Partei erklärt, ihr Programm sei falsch, stets war es nur nicht richtig an die Wähler vermittelt worden. Volksabstimmungen in so fundamentalen Fragen wie der D-Mark-Abschaffung oder dem Maastricht-Vertrag wären ein bisschen zuviel gewagte Demokratie.
In den elementaren Fragen gibt es zwischen den Parteien keine Unterschiede mehr. Da keine antisozialistischen, freiheitlichen, patriotischen Parteien in Deutschland existieren, zumindest keine, die ein halbwegs zivilisierter Mensch wählen kann, fällt es der Kanzlerin leicht, wie weiland die SED-Vögte ihre Politik als „alternativlos“ zu deklarieren. Die Miliardenhilfe für die Banken – alternativlos. Die „weitere Vertiefung der europäischen Integration“ (vulgo: die immer stärkere Unterwerfung der Staaten unter den wüstesten Zentralismus in der Geschichte des Kontinents) – alternativlos. Die Milliarden für Griechenland – alternativlos. Demnächst wird uns vielleicht noch der EU-Beitritt der Türkei – warum eigentlich nicht des Irak? – als alternativlos verkauft.
Der Fall Sarrazin, dessen Entlassung aus der Bundesbank vermutlich ebenfalls alternativlos war, hat die Kluft zwischen der politisch-medialen Kaste und „den Menschen draußen im Land“ exemplarisch bzw. DDR light-mäßig vorgeführt.
https://www.focus.de/politik/deutschland/20-jahre-wende/tid-20035/kommentar-auf-dem-weg-in-die-ddr-2-0_aid_557918.html
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Überall tummeln sich Sozialisten
8.10.2010, Michael Klonovsky
Natürlich gibt es auf dem Weg in die DDR 2.0 noch viel zu verbessern, allein in der Verwendung des sozialistischen „noch“. Wir brauchen eindeutig noch mehr soziale Gerechtigkeit. Wir brauchen noch mehr Gender-Mainstreaming und noch mehr Antidiskriminierung. Wir brauchen noch mehr Engagement gegen rechts. Die Integration der Deutschen in Berlin-Neukölln und Duisburg-Marxloh muss noch besser werden. Wir müssen den 8. Mai endlich ohne Wenn und Aber und ohne Frau Steinbach als „Tag der Befreiung“ feiern. Und so weiter.
„Rhetorik“, schrieb der reaktionäre Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila, sei „die einzige Blume im demokratischen Garten“. Die hatten wir in der DDR mitsamt reaktionären Aphoristikern abgeschafft, denn wer in der Wahrheit lebt, braucht keine Rhetorik. Der Westen benötigte viele Jahre, um das zu kapieren. Angela Merkel hat diese traurige Kapitel nun beendet. Was sie von sich gibt, ist nahezu komplett unzitabel und, im Slogan der Universitäten gesprochen, diskursiv nicht anschlussfähig. Bürgerliche, eloquente, sich gebildet gebende Figuren wie Franz Josef Strauss oder Helmut Schmidt waren in der DDR von Anfang an undenkbar. Sigmar Gabriel und Claudia Roth dagegen vermitteln dem Ossi auch habituell wieder heimische Gefühle.
Egal, auf welches Politikfeld man schaut, überall tummeln sich Sozialisten, gleich welcher Parteizugehörigkeit. Die Familienpolitik der CDU – sozialistisch. Die Bildungspolitik – sozialistisch. Die Sozialpolitik, die Integrationspolitik – nirgendwo ein Ansatz von bürgerlicher, konservativer, rechter Sicht der Dinge. Und über all das berichten Journalisten, die Umfragen zufolge (aber die braucht es gar nicht) mehrheitlich Rot-Grün präferieren.

Fataler Hang zum Sozialismus
Wie unverblümt hierzulande manche schon wieder DDR spielen, zeigt beispielsweise folgender Vorfall. Im Frühjahr 2008 wurde im Beruflichen Schulungszentrum für Wirtschaft in Chemnitz ein Wandbild übermalt. Aus dem einzigen Grund, dass der Künstler, Benjamin Zschocke mit Namen, ein Rechter ist. Kein Neonazi oder NPD-Mann, sondern Mitarbeiter der Stadtratsfraktion Pro Chemnitz/DSU, dabei nicht einmal Parteimitglied – Zschocke arbeitete dort als Halbtags-Schreibkraft.
Auf dem Bild war das Panorama von Chemnitz zu sehen; jene Gebäude, die von alliierten Bombern zerstört wurden, hatte der Künstler nur in Grautönen gemalt. Die Grüne Petra Zais, Vorstandsmitglied ihrer Partei im Stadtrat, hatte die Entfernung des Bildes gefordert. In Schulen, so Zais, dürfe keine Kunst „von Leuten, die unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnen“, gezeigt werden. Dass man für die freiheitliche Gesellschaft kämpfen muss, hat Faru Zais übrigens schon vor dem Mauerfall gelernt, unter anderem sieben Jahre lang an der SED-Bezirksparteischule Mittweida. Als sich einer der wenigen Auschwitz-Überlebenden der Stadt das Wandgemälde ansah, fand der alte Herr zwar nichts daran auszusetzen, doch die grün übertünchte rote Bilderstürmerin konnte sich durchsetzen: Heute ist die Wand wieder so weiß wie ihr Gewissen seit vermutlich jeher. Ein Aufschrei der Medien wegen dieses Angriffs auf die Kunstfreiheit? Selten so gelacht.
Freilich, vom realsozialistischen Drecksstaat DDR ist die Bundesrepublik immer noch unermesslich weit entfernt. Dort wurde jeder, der sein sozialistisches Gehege verlassen wollte, entweder eingesperrt oder erschossen (heute bestreitet man speziell in der Mauerbauer-Nachfolgerpartei, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei). Dort herrschte überdies eine Verhässlichung des öffentlichen Raums, mit der sich nicht einmal heutige bundesdeutsche Theaterbühnen messen können. Diese elende Tyrannei von Sowjet-Moskaus Gnaden, ausgeübt von einer Clique bösartiger Greise als Herrscher über ein quasi kolonialisiertes Volk, kann gar nicht genug angeschwärzt werden.
Das ändert freilich nichts daran, dass auch das wiedervereinigte Deutschland einen fatalen Hang zum Sozialismus und ein gestörtes Verhältnis zur Freiheit hat. Wenn wir nach 20 Jahren wieder zurückblicken, werden mit Sicherheit wieder Dinge geschehen sein, die wir heute unglaublich fänden.
https://www.focus.de/politik/deutschland/20-jahre-wende/tid-20035/michael-klonowsky-ueberall-tummeln-sich-sozialisten_aid_557919.html

Der Autor
Michael Klonovsky wurde 1962 im Erzgebirge geboren und lebte bis 1992 in Ost-Berlin. Der gelernte Maurer ist Autor zahlreicher Bücher und gewann 1990 den „Wächterpreis der Tagespresse“ für die „Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen durch die DDR-Justiz und den Staatssicherheitsdienst“. Beim FOCUS leitet er das Debatten-Ressort.

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