Kinder als Corona-Leidtragende

Letzte Woche an der Schweizer Seite des Bodensees: Gastronomie und Campingplätze offen. Kinder können Schule, Schwimmen, Sportvereine und Freizeiteinrichtungen besuchen. An der deutschen Bodenseeseite hingegen ist alles geschlossen. Man glaubt sich wie in einer anderen Welt, irrsinnig: Das Schweizer Bodenseeschiff von Stein am Rhein bis Konstanz darf nicht wie üblich an der deutschen Seite (z.B. in Gaienhofen) zum Zwischenhalt anlegen.
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Trotz ähnlichen Inzidenzen (in der Schweiz zeitweise sogar höhere Inzidenzwerte) zwei Welten: Der Schweizer „Kantönligeist“ setzt auf den mündigen, freien Bürger, der gerne selbstverantwortlich handelt. Der deutsche Bürger hingegen ist durch ständiges Nudging des fürsorglichen und gutmeinenden Sozialstaats gewohnt, alle nur denkbaren Lockdowns bzw. Grundrechtseinschränkungen dankbar und untertänigst willkommen zu heißen. Die Hauptleitragenden dabei sind die Kinder.

In Mammern/CH am Bodensee kamen uns die Kinder um 13 Uhr ohne Maske lachend aus der Schule (die seit 3/2020 nie geschlossen war) entgegen. In Freiburg/D daddelten sie derweil gezwungenermaßen auf dem Sofa am Smartphone. Die deutschen Kinder wurden über eine zehntausende von Euros teure Werbekampagne zu „Corona-Helden“ erklärt: Helden fürs kontaktarme Nichtstun.
Zuvor im März 2020 sorgte das offizielle und brutale Strategiepapier des BMI mit dem Titel „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“ für die „gewünschte Schockwirkung mit furchtbaren Aussagen wie: „Wenn Du das nicht tust, dann stirbt Oma den Erstickungstot an Corona“. So wurde Angst erzeugt und weitergeben an die Kinder sowie an die Alten.
In der Schweiz sind die Kinder keine „Helden“, sondern weiter einfach so, wie sie sind: Kinder eben. In der Schweiz wären Handlungsanweisungen (vornehm ausgedrückt: Strategiepapier) des Staates an die Eidgenossen mit Angst machenden Vokabeln wie  „Schockwirkung“ und „Omas Erstickungstod“ undenkbar.

Um ihre Hilflosigkeit zu vertuschen, tobt sich die deutsche Corona-Bürokratie weiter vornehmlich an den Kindern aus. So werden derzeit die drei G’s ‚Genesen-Geimpft-Getestet‘ auch den Kindern übergestülpt. Obwohl international die Gutachten von Wissenschaftlern überwiegen, welche die drei G’s allenfalls für Erwachsene als sinnvoll erachten, aber nicht für Kinder.
Für die Eltern ist die mit den drei G’s verbundene Notwendigkeit zum Registrieren, Testen, Anmelden, Buchen, Schlangestehen, Telefonieren, Mailen bzw. Reservieren eine Tortur, die kaum zu stemmen ist. Die unten wiedergegebenen Leserbriefe dreier Mütter verdeutlichen es: die Hauptleidtragenden von Corona sind die Kinder.
21.5.2021
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Als Mutter dreier Kinder bin ich empört und zunehmend verzweifelt
Corona-Diskriminierung der Kinder, Jugendlichen und Familien
Liebe BZ, als Mutter dreier Kinder bin ich empört und zunehmend verzweifelt. Wie kann es sein, dass Öffnungen für so viele Menschen mit Einschränkungen für die Kinder verbunden sind?
Alle Schülerinnen und Schüler werden ohnehin zwei Mal pro Woche getestet, und nun sollen Familien vor dem Schwimmbad-, Mundenhof- und gar Stadtbibliotheksbesuch einen Ausflug zum Testzentrum einplanen? Viele Kinder werden aufgrund solcher Maßnahmen diese Saison wieder nicht schwimmen lernen. Das Angebot der Schwimmkurse wurde nicht weiter ausgebaut, für das kommende Schuljahr sind offenbar bis jetzt auch keine größeren Zeitfenster für die Schulen vorgesehen, um den ausgefallenen Schwimmunterricht zu kompensieren.
Ich halte diese Regelungen für Familien unzumutbar und diskriminierend, gehören Kinder doch mit zu der Bevölkerungsgruppe, die am häufigsten getestet wird – und die einzige Gruppe, die zu Tests verpflichtet wird, wenn sie ihr Recht auf Bildung und soziale Teilhabe wahrnehmen möchte.
Zudem bin ich enttäuscht, dass Ihre Berichterstattung zum Mundenhof oder zur Öffnung der Schwimmbäder in keiner Weise die Diskriminierung der Kinder und Jugendlichen und Familien erwähnt. Bitte betonen auch Sie immer wieder, dass die Kinder die Leidtragenden vieler Maßnahmen sind. Sie sind keine kleinen Erwachsenen, die sich vor der Unterstellung, sie seien eine permanente Bedrohung für andere, rational oder argumentativ schützen können und sich gegen diesen Eindruck, der ihnen so oft vermittelt wird, wehren können.
Nicht nur Kinder können Covid-19 übertragen, auch Geimpfte können infektiös sein, informiert das RKI. Bitte helfen Sie den Kindern im Land!
21.5.2021, S.St.
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Kinder, das sind die Wesen, die die Politik systematisch benachteiligt
Erst lese ich freudig, dass die Freibäder nun endlich alles für die Öffnung vorbereiten und nur das Wetter noch besser werden muss. Dann sehe ich, dass auch Kinder ab sechs Jahren einen negativen Test brauchen.
Kinder und Jugendliche, man erinnert sich, das sind diese Wesen, die die Politik seit Beginn der Pandemie systematisch benachteiligt und vernachlässigt. Sei es durch die Schließung der Spielplätze, der Kindertagesstätten und Schulen oder auch der Sport- und Musikvereine, der Jugendzentren und -gruppen.
Familien werden von der vorherrschenden Quarantänepolitik durch die Kohortenregelung ungleich öfter und härter getroffen als alle anderen Bevölkerungsgruppen. Jugendliche vegetieren seit über einem Jahr mehr oder weniger allein daheim rum. Sie verzichten aus Solidarität zu den Älteren auf Geburtstagsfeiern, auf Klassenfahrten, auf Abibälle und Abschlussfeste, von den alltäglichen Einschränkungen ganz zu schweigen.
Kinder- und Jugendpsychiater warnen seit Monaten vor den gravierenden Folgen der Pandemie. Aerosolexperten sehen im Außenbereich minimale Ansteckungsrisiken, und dennoch werden Familien hier wieder benachteiligt.
Denn welche Familie und welcher Jugendliche kann es stemmen, für jeden Freibadtag einen tagesaktuellen Test bereitzuhalten – sowohl finanziell als auch organisatorisch ist das für die meisten Familien und Jugendlichen wohl ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein komplett überflüssiges dazu, denn jeder, der in Deutschland eine Schule besucht, und das machen die allermeisten Kinder ab sechs Jahren, wird zweimal die Woche verpflichtend getestet. Bloß leider i.d.R. ohne (sofortigen) Nachweis. Eine Bescheinigung über den Schulbesuch würde also vollkommen ausreichen, wenn man sich diesem Testwahnsinn schon unbedingt verschreiben muss.
Wenn ich mir gleichzeitig das Stufenmodell der Landesregierung anschaue, das es ermöglicht, ohne Test shoppen oder arbeiten und – natürlich! – zum Friseur zu gehen (all das übrigens in geschlossenen Räumen), dann weiß ich mal wieder, für wen hier Politik gemacht wird.
21.5.2021, L.P.
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„Erleichterungen“, die das Ganze schlimmer machen
Vor 1,5 Wochen waren wir als Familie (2 Kinder und 2 Erwachsene) auf dem Mundenhof, ohne Test, ohne Maske. Es war ein Lichtblick am grauen Himmel der Pandemie, auch wenn die Maske durchaus angebracht gewesen wäre, angesichts der Menschenmassen am Mundenhof.
Als ich die BZ am Samstag gelesen habe, konnte ich es erstmal nicht glauben. Kurz vor den Pfingstferien werden die angeblichen „Erleichterungen“ eingeführt, die das Ganze nochmal schlimmer machen. Es betrifft nicht nur den Mundenhof. Es betrifft die komplette Angebotslandschaft der Museen, Parks, Schwimmbäder und Bibliotheken.
In den zwei Wochen Ferien, in denen wir eher nicht wegfahren können, können wir rein theoretisch an zwei Tagen was unternehmen, nachdem wir den kostenlosen Bürgertest gemacht haben. Die restlichen 12 Tage müssten wir strenggenommen in die Röhre gucken. Dabei sind doch die Kinder die Leidtragenden dieser Pandemie. Und es wird weiterhin auf deren Rücken ausgetragen, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich möchte nicht wissen, wie viele am Testcenter am Mundenhof sich zum zweiten oder dritten Mal bereits pro Woche umsonst haben testen lassen. Ich kann es denen nicht übelnehmen, es bleibt den Leuten nichts anderes übrig.
Manch einer wird sagen: Lasst euch doch impfen. Tja, würde ich gern, aber die Kinder unter 12 sind ja momentan noch gar nicht im Impfscope. So ein Pech aber auch.
Ich weiß, ich kann hier nichts ändern, aber wenigstens meinen Unmut ablassen, und auf diese unzumutbaren Zustände für Familien mit Kindern aufmerksam machen.
21.5.2021, O.K.

 

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