Khorchide – Islam Scharia Gott

Der Islam-Professor Mouhanad Khorchide bildet an der Uni Münster zukünftige Religionslehrer und Imame aus. Wegen seiner historischen Begründung von Koran bzw. Scharia erfährt er viel Zuspruch, aber auch Kritik: „Die Relation des liebenden zum strafenden Gott im Koran ist 18 zu 1“ – die Betonung auf den barmherzigen Gott könnte ja fast von Papst Franziskus stammen.

Die sanfte Stimme des Islam
… Ihr Buch über die Barmherzigkeit ist das interessanteste theologische Buch der jüngsten Zeit über den Islam. Ist schon dieser Titel zu viel für die muslimische Welt? Die Aussage „Islam ist Barmherzigkeit“ wird dem Islam vollkommen gerecht. Gott stellt sich im Koran mit den Worten vor: Ich bin der Allbarmherzige. Auf nichts ­anderes hat sich Gott verpflichtet als auf die Barmherzigkeit.
Und doch stößt gerade die Betonung der Barmherzigkeit Gottes bei manchen ­Muslimen auf Unverständnis. Sie stößt auf Unverständnis bei manchen Muslimen, die nicht wegen der Inhalte des Buches verunsichert sind, sondern durch die Resonanz. Das Buch wurde weithin wohlwollend aufgenommen, von Muslimen und Nichtmuslimen. Da gerät man als Autor sehr schnell in den Verdacht: Wenn die Mehrheitsgesellschaft das Buch gutheißt, dann scheint daran irgendetwas nicht zu stimmen. Der Fehlschluss ist: Wenn der Westen den Islam nicht will – aber den Khorchide und sein Buch, dann stimmt etwas nicht. Das müssen wir bekämpfen. Ich sage: Das sind politische, keine theologischen Überlegungen. Es sind Überlegungen von Menschen, die sich ihrer Sache nicht ­sicher sind und im Grunde in Europa längst noch nicht angekommen sind, auch wenn sie ­dies nicht einsehen. Sie haben ein Problem mit Europa, nicht mit mir. …….
Haben Sie Verständnis für die Salafisten? Ich verstehe, wie sie die Dinge denken. Junge Muslime begegnen immer wieder Vorurteilen. Sie hören: Ihr unzivilisierten Muslime, schaut euch doch einmal eure Herkunftsländer an! Sie fühlen sich ohnmächtig. Manche sind vielleicht Schulabbrecher. Und dann kommt ein islamistischer Prediger wie Pierre Vogel und sagt: Nicht wir, sondern die anderen sind die Bösen, und zwar seit der Kolonialzeit. Sie beuten uns aus, rauben unser Öl, sie heizen den Afghanistankrieg, den Nahostkonflikt an. Schaut mal, wie viele tote Frauen und Kinder es gibt. Das sind die Ungläubigen. Gott ist aber auf unserer Seite, er hasst die anderen. So wird aus Ohnmacht vermeintliche Macht. Das kann ich psychologisch nachvollziehen. Salafisten schenken Zuwendung, erzeugen das Gefühl von Sicherheit und Gruppenzugehörigkeit. Am Ende steht angeblich der Sieg. Weder in der Öffentlichkeit noch in den Moscheegemeinden finden die verunsicherten Seelen solche Machtfantasien. ….
Gesamtes Interview mit Prof Mouhanad Khorchide, Universität Münster, vom 13.3.2014 bitte lesen auf
https://chrismon.evangelisch.de

Mouhanad Khorchide (geb 1971 in Beirut)  stammt aus einer palästinensischen Familie und wuchs in Saudi-Arabien und Österreich auf. Seit 2010 Prof für islamische Religionsopädagogik an der Uni Münster.
Bücher: Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion, Herder 2012
Scharia – der missverstandene Gott, Herder 2013

Verschiedene Wege unter den monotheistischen Religionen wie dem Christentum, Judentum und Islam
Scharia. Ein Begriff, was nicht nur in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken verbreitet, sondern auch durch die Art und Weise der Praxis als solches was man darunter verstanden hat, führte letzten Endes auch Muslime durch die archaische Anwendung in Angst und Schrecken. Prof. Dr. Mouhanad Khorchide gelingt es in seinem neuen Buch “Scharia – der missverstandene Gott” nicht nur hermeneutische Denkansätze erfolgreich darzustellen, sondern auch “die missverstandenen Begriffe” die zu einem “missverstandenen Gott” geführt haben, mit starken Primärquellen aus dem Koran und der Sunna zu erläutern. Scharia bedeutet “Weg zur Quelle” (S. 73). Um diesen Begriff als ein juristisches Instrument zu widerlegen, bezieht er sich zum Beispiel auf die Stelle 5:48 im Koran, wo es darin heisst, dass verschiedene Gesetze und Wege unter den monotheistischen Religionen wie dem Christentum, Judentum und Islam bestimmt wurden, wobei der Begriff “Schir’a” was “Scharia” bedeutet im Arabischen vorkommt, im selben Vers jedoch von derselben Botschaft die Rede ist. Diese Interpretation von Ihm findet seine Unterstützung im Vers 13 der Sure 42 wo es darin ebenfalls heisst, dass den Früheren Propheten wie Noah, Moses und Jesus und Mohammed das gleiche Gesetz gegeben worden ist. Mit diesen Beispielen ist es dem Islamwissenschaftler gelungen, aus dem Koran selbst den Begriff “Scharia” zu definieren. Denn es kann nicht von juristischen Mitteln die Rede sein, da in der Thora und im Evangelium verschiedene Bestrafungen wie z.B. bei Unzucht definiert worden ist. Eine sehr wissenschaftliche Vorgehensweise konnte man bei der Differenzierung der früh mekkanischen und den medinensischen Suren beobachten. Solch eine Annäherung zum Koran ist von großer Bedeutung, um eine Kontextualisierung wie auch die Offenbarungsanlässe auf wissenschaftlicher Basis darstellen zu können, um die Begrifflichkeit wie die “Scharia” nicht im Sinne einer Ansammlung von detaillierten juristischen Regelungen zu verstehen. Einer seiner mutigsten Schritte war eine kritische Auseinandersetzung der Hadithwissenschaft. Er kritisiert die im sunnitischen Islam für “unantastbar” geltenden Autoritäten wie die Sammlungen von Bucharyy und analysiert die Niederschrift der Hadithe, deren Quellen ebenfalls eine Authentizität bei den Sunniten darstellen. Es führt tatsächlich kein Weg daran vorbei, dieses kritisch zu hinterfragen um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die “Sunna in einer politisch sehr angespannten Lage systematisch gesammelt und verschriftlich wurde“. Er kritisiert bei vielen Muslimen die fehlende Selbstreflexion und fordert zu Recht, dass eigene Intentionen stets neu hinterfragt werden sollten. Denn “die koranische Botschaft ist auf Veränderung und Entwicklung des Menschen und seiner Gesellschaft ausgerichtet, nicht auf Stillstand und Herkommen” (S. 54).
Ein Buch, das viele Fragen formuliert und sie dann auf Beste Art beantwortet. Ein Buch, worin die Scharia als ein dynamisches Modell, das neben dem Weg des Herzens zu Gott das Prinzip “Gerechtigkeit” beschreibt. Ein Buch, dass die Gott-Mensch-Beziehung zwischen hinterfragten und unhinterfragten differenziert. Ein Buch, was ich niemanden vorenthalten möchte.
10.3.2014, Baycan Yanar

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