Kaffeefahrten für Senioren – Erfahrungsbericht zu dubiosen Geschäften

Seit nunmehr rund zwei Jahren bekomme ich so jede zweite Woche eine Mitteilung zugeschickt, dass ich 2500 Euro gewonnen habe und diese eigentlich nur abholen muss. Dazu ist es allerdings notwendig, dass ich an einem bestimmten Tag gratis und kostenlos mit einem Bus irgendwo in den Schwarzwald, an den Bodensee oder ins Elsass fahren muss und dort neben einem kostenlosen Frühstück, Freigetränk und Mittagessen auch noch allerlei Waren im Werte von einigen hundert Euro geschenkt bekomme. Ehrlich wie ich bin, habe ich diese Gewinnankündigungen (bei denen ständig die Gefahr drohte, dass sie verfallen könnten) immer meiner Frau gezeigt. Diese hat alles immer wortlos zerrissen und in den Papierkorb geschmissen. Doch nun hat sie sich erweichen lassen und ist mit mir zu einer kostenlosen Fahrt ins Elsass zu einer Blumenschau in der Nähe von Straßburg gefahren.
Als wir frühmorgens am Scherrer-Platz in Haslach ankamen, standen schon mehrere ältere Personen, teilweise mit Krücken und Gehwägelchen, und warteten auf den Bus. Dieser kam auch pünktlich um 7.45 Uhr, Autokennzeichen Heilbronn, älteres Modell. Als wir einstiegen, war der Bus schon fast voll. Meine Frau kam mit einem Mitreisenden ins Gespräch, der ihr erzählte, dass er schon einige Male bei solchen Fahrten dabei war und auch schon einiges erlebt hat. Er war sich fast sicher, dass wir nie in die Blumenschau kommen würden, da die Verkaufsveranstaltung – denn um eine solche handele es sich bei der Freifahrt – mindestens bis in die frühen Abendstunden dauern würde. Naja, wenn ich dafür aber die 2 500 Euro ausbezahlt bekäme, dann wollte ich dies noch verschmerzen.
Dann ging es mit ratterndem Getriebe über Breisach und Colmar in einen kleinen elsässischen Ort namens Duppigheim. Dort weit außerhalb wurden wir am Lokal „Auberge du Vieux Moulin“ abgeladen. Der Busfahrer wies noch darauf hin, dass der Wirt etwas eigenartig sei, und wenn ihm jemand blöd komme, er einfach das Lokal verlasse und zum Angeln gehe; damit wäre das Mittagessen dann gestorben. Tatsächlich bekamen wir ein Frühstück mit Wurst und Käse und eine Tasse Kaffee. Kostenlos. Dann erklärte der clevere Verkaufsmanager, dass damit das Gratisessen erledigt sei, denn über dem Coupon „Mittagessen“ hätte ja nicht „kostenlos“ gestanden. Doch für 9 Euro, zu denen er noch 5 Euro aus der eigenen Tasche dazulegte, konnte man einen Hähnchenschlegel mit Spätzle und Pommes ordern, was auch die meisten taten.
Danach redete der Verkaufsmanager zwei Stunden lang pausenlos. Sämtliche Ängste der alten Leute – ob Rente, Pflegefall, Hartz IV, Krankheiten, Einsamkeit oder verrohte Jugendliche – kamen zur Sprache. Er bat um das Vertrauen für sich und ging so weit, dass er die meist weit über 70 Jahre alten Teilnehmer (der älteste war 96!) aufforderte, ihm ohne Gegenleistung 20 Euro zu schenken. Tatsächlich waren acht dazu bereit, denen er danach ein Geschenk mit einem wesentlich höheren Wert als Dank versprach.
Es war fast 13 Uhr, als der Verkäufer eine Pause und das Mittagessen ankündigte. Doch stattdessen gab es eine kinoreife Wildwestshow. Der Verkäufer kam sich am Tresen mit dem Wirt in die Haare und dieser streckte ihn mit einer gezielten Ohrfeige zu Boden. Nicht genug damit, packte er ihn am Hosengürtel und schleifte den halb Bewusstlosen hinaus vor die Tür. Vehement wurde nach der Polizei gerufen, aber außer dem Verkaufsadjutanten hatte keiner ein Handy parat und erst recht nicht die Nummer der elsässischen Polizei. Sich die Backe reibend, kam der Verkäufer wieder in den Raum und erklärte, dass er schon lange so etwas habe kommen sehen. Der Wirt sei ein echter Deutschenhasser und er habe jetzt halt die Prügel bezogen. Nichtsdestotrotz müsse er ja was verkaufen, weshalb er jetzt Bügeleisen und Aloe-Vera-Tinkturen zu einem sensationellen Preis anbot. Doch gekauft wurde nicht viel.
Hatte der Geohrfeigte jetzt auf das Mitleid der Teilnehmer gehofft, so lag er voll daneben. Erreicht war nur, dass niemand mehr nach dem Essen verlangte. Das Schlemmermahl gab es dann tatsächlich gegen 15 Uhr, nachdem der Verkaufsassistent zuvor noch erfolglos Fußcreme, Hornhaut- und Hühneraugensalben angeboten hatte. Nach dem Essen tauchte ein weiterer Verkäufer auf, der nun Reisen anbot. Auch war er zuständig für den versprochenen Gewinn. Dieser bestand aus einem Rubbellos der Staatlichen Lotterie, Preis 1 Euro, das jeder geschenkt bekam. Dadurch bestand tatsächlich die Möglichkeit, den Hauptgewinn über 2 500 Euro freizurubbeln. Dies war natürlich nicht der Fall, worauf man darauf hingewiesen wurde, dass es sich ja nur um eine mögliche „Gewinnoption“ gehandelt habe und man nicht glauben sollte, dass sie sich nicht juristisch abgesichert hätten. Tatsächlich hatten zwar alle in ihrem Einladungsschreiben den Gewinn von 2500 Euro versprochen bekommen, aber keiner stand nun auf und beklagte sich. Stattdessen wurden tatsächlich einige Reisen gebucht und dafür sowohl Unterschriften geleistet als auch Bankdaten zum Lastschrifteinzug preisgegeben.
Wir hatten inzwischen das Lokal verlassen und uns im Freien, gleich einigen anderen Gestressten und Gelangweilten, in die Sonne gesetzt. Um 18.30 Uhr wurden wir dann alle herein gerufen, da es jetzt die versprochenen Sachpreise für alle Teilnehmer geben sollte. Tatsächlich bekam jede Frau einen Plüschseehund und die Männer einen Plastiktaschenrechner und eine Miniwasserwaage überreicht. Auf das zugesagte acht Pfund schwere Schlemmerpaket mit Wurstdosen, Käse, Eier und einer Flasche Rotwein (Paare bekommen alles doppelt!) angesprochen, wurde erklärt, dass dies nach dem Lebensmittelgesetz gar nicht erlaubt wäre und doch wohl niemand eine Vergiftung riskieren wolle. Man habe ja andere hochwertige Geschenke erhalten. Um 19 Uhr waren wir endlich im Bus, keiner fragte mehr nach der Blumenschau. Die Heimfahrt begann.
Fazit: Nichts gewonnen, außer an Erfahrung! Mehr als die Hälfte der recht alten Teilnehmer waren süchtige Gratisbusreisende. Sie nutzten einfach die Möglichkeit, wieder mal billig aus den eigenen vier Wänden und unter andere Leute zu kommen! Übrigens: Heute lag schon die nächste Einladung im Briefkasten, dieses Mal zu einer Schifffahrt in Straßburg. Meine Frau hat sie wieder spontan zerrissen!
Hans Sigmund, 21. September 2011

Vor allem ältere Menschen gehen betrügerischen Anbietern von Kaffeefahrten immer wieder in die Falle, und das, obwohl die Verbraucherzentralen seit Jahren davor warnen. BZ-Mitarbeiter Hans Sigmund, 70, hat sich trotz alledem auf solch eine Werbefahrt begeben – und Kurioses erlebt. „Der beste Rat, den ich geben kann, ist: Gehen Sie da nicht hin!“, sagt Erich Nolte von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Ansonsten rät er, nichts zu unterschreiben und nichts bar zu bezahlen.

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