Himmelreich 10 Jahre Inklusion

Der Beweis, dass Inklusion gelingen kann: Seit zehn Jahren arbeitet das Hofgut Himmelreich erfolgreich – Menschen mit Behinderung in ersten Arbeitsmarkt etabliert. Es mutet an wie ein Wunder. Als Heike K. und Max G. vor zehn Jahren als junge Mitarbeiter mit Handicap gemeinsam mit fünf anderen, ebenfalls gehandicapten Kollegen zur Einweihung des Restaurants im „Hofgut Himmelreich“ die Gäste der Eröffnungsfeier bewirteten, taten sie sich schwer. Mehr als ein Glas und eine Flasche auf dem Tablett im Gedränge zu servieren, war nahezu unmöglich. Jetzt, zehn Jahre später, und mit der liebevollen Begleitung von Arbeitsassistenten und Kollegen ohne Handicap schmeißen Heike und Max fast den kompletten Servicebereich – könnte man zumindest manchmal meinen. Selbstbewusst nehmen sie Bestellungen auf, servieren und scheuen auch nicht vor dem Kassieren, auch des Trinkgeldes, zurück.
Der Vater dieses Unternehmens, an dessen langfristigen Erfolg vor über zehn Jahren nur wenige glaubten, ist Jürgen Dangl. Damals hatte der jetzt im Ruhestand lebende Diakonie-Kreisgeschäftsführer einen Traum, an den er unendlich fest glaubte. Es müsse doch möglich sein, dass Menschen mit Behinderung einen ganz normalen Arbeitsplatz mit allen sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen ausfüllen könnten. Der Hotel- und Gaststättenbereich erschien Dangl besonders gut für den Einsatz behinderter Menschen geeignet. Und das Hofgut Himmelreich, ein 500 Jahre altes historisches Gasthaus im Besitz der Unternehmerfamilie Fauler, stand 2004 zu erschwinglichen Konditionen zum Kauf an. Eine eigens gegründete gemeinnützige GmbH mit dem „Netzwerk Diakonie“ als Gesellschafter übernahm die betriebswirtschaftliche Trägerschaft. Dangl leitete als ehrenamtlicher Geschäftsführer lange die Geschicke. Dann kam 2008 Jochen Lauber als hauptamtlicher Geschäftsführer, um die wachsenden Geschäftsbereiche der „Hofgut Himmelreich gGmbH“ zu verantworten.

Hotel und Restaurant haben sich etabliert
Drei Arbeitsbereiche bestimmen heute das Leben im Hofgut Himmelreich. In der Außenwirkung und wirtschaftlichen Bedeutung besticht das Hotel mit Restaurant. Hier sind inzwischen elf Menschen mit Behinderung gemeinsam mit solchen ohne Handicap im Service, in der Küche und im Hotelbereich fest angestellt und sorgen für guten Besuch im Restaurant und Biergarten sowie zufriedene Übernachtungsgäste. Für Jochen Lauber ist wichtig, dass es sich gerade beim Hotel- und Gaststättenbereich um ein Lokal handelt, dass sich den harten Herausforderungen des Marktes stellen muss: „Wir sind inzwischen Normalität geworden.“ Neben dem Blick auf die Wirtschaftlichkeit meint er damit aber auch, dass es für die Gäste kein Problem (mehr) sei, von Menschen mit Handicap bedient zu werden. „Gerade hier liefern wir den Beweis“, so Lauber, „dass es funktioniert mit der Inklusion. Schaut uns an: Ihr könnt uns gerne nachahmen!“

Der Bahnhof ist das Himmelreich
Die „Himmelreich-Idee“ erfuhr 2006 mit der Übernahme des Bahnhofs und der Einrichtung einer DB-Agentur mit integriertem Reisebüro eine erste Erweiterung. „Wie im Gasthof und Hotel steht hier für uns der Dienstleistungsgedanke ganz groß im Vordergrund“, verrät Jochen Lauber das Geheimnis des wachsenden Geschäftsinteresses vieler Kunden. Zwei Mitarbeitende, einer davon mit Handicap, legen großen Wert auf persönliche Beratung rund ums Thema Bahnfahren und Verreisen. „Manche Kunden kommen inzwischen von weit her, um sich von unseren Bahnprofis die richtige Fahrkarte, Reiseroute oder Übernachtung vermitteln zu lassen.“ Ein kleiner Kiosk bietet regionale Produkte und vertreibt die Wartezeit auf den nächsten Zug der Höllentalbahn mit einer Tasse Kaffee.

Die Integrative Akademie Himmelreich öffnet Türen
Ein weiterer Baustein des großen Erfolges im Hofgut Himmelreich ist eine umfassende Netzwerkarbeit. So war 2007 neben dem Gründervater Dangl u.a. auch der ehemalige Rektor der Katholischen Hochschule Freiburg, Professor Helmut Schwalb, an der Entwicklung einer Integrativen Akademie im Himmelreich beteiligt. Die guten Erfahrungen in der Himmelreicher Gastronomie sollten auch anderen Hotels und Gaststätten nutzbar gemacht werden. Die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein, die Agentur für Arbeit und der Integrationsfachdienst unterstützten die Akademie-Bestrebungen, mit berufsvorbereitenden Maßnahmen junge Menschen mit geistiger Behinderung in achtzehn Monaten für sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe vorzubereiten. Praktikumszeiten in der Gastronomie gehörten dazu, begleitet von Mentoren als Mittler zwischen Mitarbeiter und Gastronom. Montag beginnt der achte Kurs. Von rund 60 bisherigen Absolventen haben 95 Prozent einen festen Arbeitsplatz und bilden sich in einem modularen System ständig weiter. Auch das gehört zum Wunder vom Himmelreich. Bald ist übrigens die Containerzeit der Akademie vorbei. Da ein Ausbau des inzwischen dem Hofgut gehörenden Bahnhofs zu teuer ist, geht sie in freie Schulräume nach Buchenbach.

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Diese drei Bereiche stehen für den Erfolg des „Hofgutes Himmelreich“: Hotel und Gasthof – mit Geschäftsführer Jochen Lauber, Integrative Akademie Himmelreich – noch im Container und die DB-Agentur mit Reisebüro im Bahnhof Himmelreich (v.l.).

Viele Auszeichnungen
Draußen und drinnen hängen im Hofgut Himmelreich unzählige Ehrungen für gelungene Inklusion. Der letzte und besonders tolle Preis war vor wenigen Wochen der neue Landesinklusionspreis in der Kategorie Arbeit. Doch für Jochen Lauber sind auch die vielen Menschen rund ums Himmelreich eine Auszeichnung: „Die gute Zusammenarbeit aller ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Der uneingeschränkte Arbeitseinsatz, bei dem sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringt, ist unendlich wertvoll.“ Und das ginge vom Aufsichtsrat über Mitarbeiter mit und ohne Behinderung sowie Arbeitsassistenten, Lehrer und Mentoren bis hin zu Minijobbern und vielen Ehrenamtlichen: „All denen gilt nach zehn schweren, aber durchaus erfolgreichen Jahren unser Dank – und den feiern wir beim Hoffest vom 19. bis 21. September.“ Das genaue Programm ist der Anzeige auf dieser Seite zu entnehmen.
10.9.2014, Gerhard Lück, www.dreisamtaeler.de

 

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