Heinrich-von-Stephan-Strasse als trostlose architektonische Sünde

Schon heute bietet sich die Heinrich-von-Stephan-Straße als trostlose, architektonische Sünde dar. Die Gebäude der BEK und der Rentenversicherung sind riesige Klötze, ohne jede Struktur und Akzente – die lediglich dem Prinzip maximaler Raumnutzung und Schaffung (verkäuflichen?) umbauten Raums folgen. Die dort agierenden Bauträger hatten offensichtlich nie ein „städtebauliches Aushängeschild“ im Sinne, sondern Gewinnmaximierung. Anders als auf dem Brielmann-Gelände oder am Zähringer-Turm gibt es nur gewerbliche Anlieger, denen die Gestaltung mit „Plattenbauten heutiger Prägung“ offenbar egal ist (sogar das Polizeigebäude und der Gisingerbau haben noch mehr Struktur und Ambiente). Es handelt sich ja tatsächlich nur um Betongerippe, die mit eingehängten Wänden und Fassaden „bekleidet“ sind – wie die ehemaligen DDR-Bauten.
Zitat Freiburger Wochenbericht, 25. April 2012: „Herr Eckhard Bull, Vorsitzender der Architektenkammer: Insgesamt sei es wünschenswert, mehr Besonderes zuzulassen“. Baubürgermeister Martin Haag: „An architektonisch Einzigartigem oder überaus Originellem mangele es“.
Dass unsere Baubehörden diese Verschandelung, die man in jeder asiatischen oder beliebigen anderen Großstadt weltweit zigfach besichtigen kann, auch noch als Aushängeschild bezeichnet, ist ein Gipfel des Hohns. Die Ausstattung mit kleinen Läden (wo bitte sind die Anwohner, die dort einkaufen sollen?) und einer KiTa (ohne Spielplatz?) darf man wohl nur als Feigenblatt für hemmungslose Vermarktung verstehen. Auch eine Klinik hat nichts im „Bahnhofsviertel“ zu suchen (wo gibt’s denn sowas noch?).  Es wird auch geflissentlich übersehen, dass es gar keinen Bedarf an Büroflächen – in Randlage der Innenstadt gibt – siehe zum Beispiel Aushänge am Bürogebäude Basler-Tor, am Bürohaus Basler Landstraße/Feldbergstraße, am Universalhaus St.Georgen. Ganz nebenbei: Will man noch mehr Pendler und Autoverkehr über die Basler Straße und Zubringer-Mitte anziehen? Die sind jetzt schon allmorgendlich und -abendlich verstopft. (Fahrradstadt Freiburg? Fußgängerzone Rotteckring?) Freiburg ist weltweit bekannt für seine bürgernahe „gutbürgerliche“ Altstadt und das Flair seiner Wohnviertel wie Herdern, Wiehre – wollen wir uns in Zukunft mit Hongkong oder Shanghai vergleichen? Aber dann bitte raus mit solchen Projekten an den Stadtrand – wo sie kein Tourist sehen muss und keine Feinstaubvergiftung droht. Es wird allerorten beklagt, dass es keine stadtnahen Wohnungen gäbe; zum Beispiel baut man Studentenwohnungen in das „nahe liegende“ Zähringen. Beispielhaft sei das Vauban genannt, das ebenfalls direkt an der Bahnlinie gelegen ist – und wirklich als „Aushängeschild“ Freiburgs gilt – auch architektonisch.
Heiner Albrecht, Freiburg , 11.Juni 2012

                    heinrich-von-stephan-strasse140117
(1) Blick nordwärts 12.6.2012                 (2) Blick südwärts                                     (3) H-v-Stephan-Strasse am 17.1.2014

(1) Heinrich-von-Stephan-Strasse 12.6.2012: Blick nach Norden
(2) Heinrich-von-Stephan-Strasse 12.6.2012: Blick nach Süden

 

Gesichts und geschmacklos
Die Neugestaltung der Heinrich-von-Stephan-Straße zwang mich schon des Öfteren zum Kopfschütteln. Die neue gesichts- und geschmacklose Durchschneidung der Stadt kann doch nicht als „Aushängeschild“ tituliert werden. Durch das jetzige Bild der Straße wird die Bahndurchschneidung der Stadt noch sichtbarer gemacht. Die „schlichtere“ Seite im Westen; die „gehobenere“ im Osten. Zum Flanieren oder auch nur Spazierengehen lädt diese Straße sicherlich nicht ein. Die erstellten Gebäude erinnern mich an die Aufeinanderstapelung von Schuhkartons – ohne irgendeine architektonische Idee. Die wird zwar für die Zukunft versprochen, jedoch kann nach jetzigen sichtbaren Erfahrungen an der Realisierung von Blickfängern gezweifelt werden. Bis jetzt ist doch alles nichts anderes als Funktion. Ein roter Anstrich mit englischem Namen „Red one“ entspricht zwar dem Trend, die deutsche Sprache zu vergessen, verbessert das Bild meines Erachtens aber auch nicht. Der künftige Apotheker muss ein wahnsinnig optimistischer Typ sein. Im Bahnhof gibt es bereits eine Apotheke; vom Stühlinger kommen die Kunden sicher nicht, und die anderen verbinden dies mit einem Besuch der Stadt. Wir sind nicht immer froh, alt zu sein, jedoch freuen wir, meine Frau und ich, uns immer wieder, dieses zum Glück nicht mehr erleben zu müssen.
Norbert Kreiter, Bad Krozingen , 14.5.2012

Die quadratischen Klötze zeigen keine Spur menschlichen Lebens
Freiburg boomt. Die neu Stadtumfahrung Heinrich-von-Stephan-Straße bekommt neue Bau-Komplexe. Das nennt der Wirtschaftsförderer Herr Dallmann „das neue Aushängeschild“. Freiburg wird geliebt für seine Kleinteiligkeit, für seine menschliche und kulturelle Offenheit, für langfristige Beständigkeit der Lebensführung und Alternativen in allen Lebensbereichen. Freiburg ist durch seine Vielseitigkeit zur Wohlfühlstadt geworden. Und gerade nicht, weil es großstädtisch konzipiert ist. Dieses Gefühl weckt Interesse im Rest der Republik.
Gefeiert werden vom Wirtschaftsförderer Dallmann immer neue Zuzüge, immer größere Bevölkerungszahlen. Ist das ein Wert an sich? Es bestätigt Freiburg als Großstadt und zeigt sich in seiner Bebauung. In großstädtischem Größenwahn schiebt sich Riegel nach Riegel die Straßenachse entlang. Markante Gebäude fordert der oberste Stadtplaner Wulf Daseking. Aber wo bleiben die Freiburger Tugenden? Die quadratischen Klötze zeigen keine Spur menschlichen Lebens. Als Gipfel der Zuwendung plant ein Investor dort einen Kindergarten, eingebettet zwischen Bahngleise und Hauptverkehrsachse – zukunftsorientiert. Hier werden Perspektiven und Entwicklungspotenzial verschenkt, die Wohlfühlstadt verspielt. Freiburg soll offen und freundlich bleiben!
Stefan Dalmühle, Freiburg , 14.5.2012

Das neue Aushängeschild“, BZ vom 27. April:

 

Austauschbare Investitionskästen
Es ist erstaunlich, dass die „Bauexperten“ der Stadt dieses seelen- und substanzlose Gebilde aus den dunkelsten Abgründen der 70er-Jahre-Architektur (zurecht) so einstimmig verurteilen und zum Abschuss freigeben – gleichzeitig jedoch wird nicht einmal einen Kilometer südlich in der H-v.-Stephan Straße mit exakt derselben Mentalität weitergebaut. Diese austauschbaren Investitionskästen Unmüssigscher Prägung vereinen sozusagen jeglichen architektonischen Irrweg der letzten 60 Jahre. Hier verbindet sich die neue Sachlichkeit, der abstrahierenden Qualitätsverlust der 70er Jahre und der Brutalismus zu einer einzigen Synthese des Grauens. Hier wird mit einer fensterfrontquadrigen Selbstherrlichkeit die gesamte Umgebung – inklusive etwaiger, aber im Entwurf wohl auch nicht vorgesehener Menschen – unterdrückt, deklassiert und zum Zaungast eines Viertels gemacht, das für Riesen gemacht zu sein scheint. Dies ist leider auch gar nicht zu vermeiden, weil sich hier Gebäude nicht gegen einen natürlichen städtischen Passantenstrom behaupten müssen, sondern gegen eine unnatürliche vierspurige Straße. Wie bei jeder Vergrößerung jedoch leidet das Detail, und in diesem Fall die Qualität. Wo Fassaden mit einem einzigen Mausklick als kahle Fensterloch-Wand erzeugt werden können, verschwindet erstens die kleinteilige „Textur“ eines Gebäudes, die es ihm erst ermöglicht, mit Würde zu altern. Zweitens leidet die bauliche Qualität, genauso wie bei einem aufgeblasenen Ballon die Hülle schwächer wird. Sie leidet auch schon allein deshalb, weil diese Gebäude Fremdkörper sind, nicht nur in der Stadt, sondern in der Klimazone, weil sie aus Materialien bestehen, die auf Schnelligkeit und Kostengünstigkeit des Bauens getrimmt sind und zum größten Teil erst seit maximal 50 Jahren bewährt sind. Kein Mensch weiß mit Sicherheit, wie diese Kolosse in 30 Jahren dastehen werden, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich werden sie Sanierungsfälle sein, baulich wie ästhetisch, ähnlich den anderen architektonischen Zyklopen in dieser Stadt (alte UB, neue UB, der unsägliche Komplex am Schwabentor, eben die Volksbank und die Kaiserkrone aller städtebaulichen Verfehlungen – der Karlsbau.)
Um auf der städtebaulichen Ebene zu bleiben – was passiert eigentlich, wenn die Generation unter 35 weiterhin kaum mehr Autos kauft? Was passiert, wenn die Baby-Boomer-Schreckensherrschaft schließlich mit 250 PS ihrem Ende zudonnert? Was passiert mit solchen Straßen und solchen Gebäuden, wenn hier in 40 Jahren eben keine auf 10 Kubikmeter aufgeblasenen Blech-Egos mehr verkehren, sondern Menschen? Auf Fahrrädern und in Straßenbahnen? Zu Fuß? Wie werden die nachfolgenden Generationen solche Viertel beurteilen, die ganz offenbar für Bewohner gemacht sind, die 20 mal größer waren als sie selbst? Welche Kosten wird es verursachen, solche städtebaulichen Irrwege wieder zu korrigieren, die nichts anderes sind als die Stahlbeton gewordene Arroganz einer ganzen Generation?
Es wird denjenigen, die nun mit diesen infantilen Bauklötzen ihr Geld verdienen, wenig interessieren. Was zählt, ist nicht mehr die Funktion eines Gebäudes oder die Schönheit – beides sind Kategorien, die der heutige „Projektentwickler“ schon längst transzendiert. Was zählt, ist der schnelle Gewinn. Die Mentalität entspricht hier derjenigen eines Bankers – wichtig ist nicht, was in 10, 20, 50, 100 Jahren ist. Wichtig ist das, was am Ende des Tages herauskommt, nach mir die Sintflut.
Man baut hier eine Stadt, für die unsere Kinder und Enkel uns genauso verfluchen werden wie wir gerade die Menschen der 60er und 70er Jahre dafür verfluchen, die Stadt mit solchem Mist wie der Bismarckstraßenfront vollgebaut zu haben (das Konzerthaus als positive Ausnahme mal ausgelassen). Und es wirkt daher wie der ein typischer Fall von Wasser predigen und Wein saufen, wenn nun die Bauexperten in der Stadt auf das Volksbank-Gebäude schimpfen.
28.9.2013, Thomas Sperber

 

Dieser Beitrag wurde unter Architekt, Freiburg abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar