Grosseltern, Kinder und Enkel

No discussion with children. Nachdem Gespräche mit Kindern und Enkeln immer wieder abrupt mit dem Vorwurf enden, man habe die falsche Meinung, meidet so mancher Opa den Diskurs zwischen Jung und Alt. Anfangs fällt es schwer, auf das Diskutieren unterschiedlicher Meinungen und das Abwägen von Argumenten zu verzichten. Inzwischen akzeptiert man als „alter weis(s)er Mann“ die Jungen.
Denn (1) Zeitmangel (2) Karrierestreben, (3) Ökonomieverständnis, (4) Opportunismus, (5) Medienhörigkeit und (6) „Jugend und Regierung sind sich einig, da beide eher links“  zwingen die Kinder und Enkel geradezu, sich im Glauben an eine vermeintliche Richtig-Falsch-Alternative an den Guten zu orientieren, die über die richtige Meinung verfügen.
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(1) Zeitmangel:
Übers Smartphone jederzeit erreichbar, wollen all die Blogs, Chats und Groups bedient werden – und zwar sofort. Social Media machen den Tag um mindestens ein Drittel kürzer. Da bleibt für die Jungen weniger Zeit übrig für ein Gespräch mit den Großeltern, außer sie greifen ebenfalls zum Handy.

(2) Karrierestreben:
Die Referendarin möchte Lehrerin werden, die Doktorand strebt die Habilitation an, der Azubi will als Facharbeiter übernommen werden, die Abteilungsleiterstelle lockt, der Abiturient braucht den 1,9-er Schnitt für das von ihm angestrebte Studium, … – da sind Kritik und abweichende Meinung, zumal zu gesellschaftlichen und politischen Fragen, allzuleicht hinderlich. Zudem droht die Cancel Culture, der eher militante Arm der Political Correctness. Nur wer nichts zu verlieren bzw. keine Nachteile zu befürchten hat, kann offen und ehrlich kommunizieren – also nur die kleinen Kinder und die Großeltern in Rente.
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(3) Ökonomieverständnis:
Die zentrale These von Luisa Neubauer von Fridays For Future (FfF) lautet: Fährt man zwecks Klimaschutz die staatliche Regulierung hoch und die Marktkräfte runter, kann dies zu etwas anderem führen als zum Sozialismus, sofern man global arbeitet. Kinder und Enkel stimmen dem zu, während meine These lautet: Nein, Planwirtschaft zerstört den Kapitalismus und führt in den Sozialismus. Dazu IFO-Chef Clemens Fuest „Ohne den Kapitalismus können wir den Klimaschutz vergessen“. Oder Roger Letsch: „Klimaschutz braucht den Humus des entwickelten Industriestaates“.
Die der tagtäglichen Daseinserhaltung dienenden Fragen wie Fahrradschnellweg, Diesel-Pkw-Verbot oder CO2-Steuer stellen sich nicht in Ländern wie Sudan, Kolumbien oder Myanmar, sondern nur in Staaten mit Meinungsfreiheit (für Kritik), Wirtschaftsstabilität (für Projekte) und Rechtsstaat (Investitionssicherheit).
Die vielen Akteure in der Marktwirtschaft irren ständig, aber in kleineren Maßstäben und mit Rückkopplung, während der Sozialismus von einem riesengroßen Fehler zum nächsten taumelt.
FfF verhält sich nach Innen zu Andersdenkenden genauso wie der Westen nach Außen zu den Entwicklungsländern: Besserwissen, Fordern, Entmündigen, Strafen – also Ideologie statt Argumentation.

(4) Opportunismus:
Als Anthropodizee bezeichnet man die Rechtfertigung des Menschen in Anbetracht der von ihm verursachten Übel. Frank Lisson liefert in seinem Buch „Mythos Mensch“ eine zum Nachdenken anregende Anthropodizee, nämlich die Rechtfertigung des Menschen in seiner Eigenschaft als Opportunist: Man werde doch niemanden “abqualifizieren dürfen, der als Resultat des Zeitgeistes wie zufällig gerade diejenige Haltung einnimmt, die ihm in seiner Umgebung die meisten Vorteile verschafft”. Anstelle von Kritik ist der Flow im Mainstream angesagt: “Wo Mitmachen Erfolg und damit das ‚schöne Leben‘ verspricht, sind Zweifel, Skepsis und Gewissensnöte das klare Anzeichen eines ungesunden Gemüts. – Loben und feiern wir also die Geschickten und Gewieften, die Arrivierten und klugen Taktiker.” Opportunisten sind “die vor Gesundheit strotzenden Alphatiere des Lebens”, die sich instinktsicher dem jeweils stärksten Dogmatismus anschließen. Alle Widerständigen gegen dieses Weltgesetz machen sich nur lächerlich: “Wie peinlich, überhaupt jemals den Siegerinstinkt des zeitgeistgesteuerten, überall Mitmachenden angeklagt zu haben! So als gerate man immer wieder gegen schlechtes Wetter in Zorn.”
Mit dem Buchtitel “Mythos Mensch” will Lisson sagen, daß der Mensch ohne Mythen nicht lebensfähig ist, denn “Wie kann ein denkendes, empfindendes Wesen in die Welt eintreten, ohne durch das Bedenkliche und also zu Bedenkende, das es überall umringt, in völliger Verstörung zu enden? Ohne die Begabung zum Mythos hätte der Mensch seinen Weg in die Selbstwahrnehmung kaum überleben können.” Den Opportunisten als den in seinen Mythen und Zwecklügen behaglich lebenden Wohlstandsbürger muß man als den “wahren” und “richtigen” Menschen annehmen: “Und auch nur dadurch, nämlich durch das Lob dieser rein menschlichen Begabung zum Glauben an etwas real nicht Vorhandenes wie ‚Gott‘ oder den ‚guten Staat‘, sowie durch die Fähigkeit, allen Übeln ihr ‚Gutes‘ abzugewinnen – allein dadurch wäre eine Anthropodizee im gemeinmenschlichen Sinne möglich!”
Im Klartext: Unser Wohlfahrtsstaat fördert Bequemlichkeit und Verdummung. Materiell wohl versorgt und intellektuell opportunistisch. Und diesen Opportunismus können die Großeltern ihren erwerbstätigen Söhnen und Töchtern nicht zum Vorwurf machen. Auch wenn er das offene Gespräch zwischen den Generationen erschwert.

(5) Medienhörigkeit
Die seit den 68ern links-dominierten Medien standen bis zur Jahrtausendwende in Opposition zur den eher mitte-rechts dominierten Regierungen. Da gab es noch fetzige Auseinandersetzungen (Spiegel gegen Franz-Josef Strauß) und interessante, weil geistig anspruchsvolle Streitkultur.
Nach dem durch Angela Merkel durchgesetzten Linksrutsch der CDU sind die weiterhin linken Mainstream-Medien eher zu Claqueuren der Regierung geworden: Wendepunkte wie Kernkraftabsage, EU-Haftung und Grenzöffnung wurden fast frenetisch beklatscht und kaum kritisch hinterfragt – von der Kontrollfunktion der Medien als 4. Macht der Demokratie ist heute nichts mehr zu spüren.
Man sollte meinen, dass solche fast regierungshörigen Medien für die kritische Jugend als langweilig abgelehnt werden. Doch weit gefehlt: Durch Framing und geeignete Narrative („Oma Umweltsau“) gelang den linken Medien das Kunststück, den für die ebenfalls linken Jungen so attraktiven Touch des Opponierens zu erhalten.

(6) Jugend und Regierung sind sich einig, da beide eher links
Die Jugend ist immer gegen das sog. Establishment gestimmt, auch in meiner Jugendzeit war es nicht anders, auch wir agierten gegen die strukturelle Gewalt des Staates und gegen die militärische Macht. Aber damals standen wir politisch links und die Regierung mitsamt unseren Eltern rechts. Heute hingegen trifft eine wie immer linke Jugend auf eine ebenfalls links ausgerichtete Regierung, bei Akzeptanz seitens der Eltern und Teilen der Großeltern. Die ältere Generation hingegen zeigt sich gespalten: Die einen machen begeistert mit bei „Opas For Future“ und „Omas gegen Rechts“, die anderen jedoch orientieren sich an Wertekonservativismus und politischer Mitte. Zu letzteren zähle ich mich als Opa – und genau hier liegt das Problem. Die Jungen sind nicht gewohnt und willens, sich mit einer anderen Meinung und deren Argumenten auseinander zu setzen und zu streiten.
Clemens Traub, ein abtrünniger FfF-Aktivist beschreibt dies in seinem Buch „Future For Fridays?“ so: „Wer – wie viele Aktivisten bei Fridays for Future – so behütet groß wird, hat kaum Einblicke in das Leben, das Millionen Menschen in unserem Land führen.“ Die jungen Leute von FfF haben das Gefühl, „die einzige Wahrheit gepachtet zu haben. … Das Denken konzentrierte sich zunehmend auf ein Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse. Irgendwann fühlte sich der Klimaprotest an wie ein totaler, autoritärer Kampf gegen den Rest der Menschheit.“ Und genauso fühlt man sich als Oma oder Opa bei den wenigen Gesprächen mit Enkeln und Kindern: als dem „Rest der Menschheit“ zugehörig.
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Staat und Revolution sind sich – da beide links – einig wie nie. Der Staat ist mit Presse und NGOs zum linken polit-medialen Komplex verschmolzen. Die Revolution reicht von den Enkeln über die Kinder bis zu dem Teil der Großeltern, die als 68er wie Alt-86er der linken Ideologie treu geblieben sind.
Schon Simone de Beauvoir beschreibt in ihrem Buch über das Altern die Einigkeit von Großeltern und Enkelgeneration: Die einen verfügen noch über wenig Vernunft, während die anderen sich von ihr verabschiedet haben. Ich zähle zu dem Teil der Großelterngeneration, die wertekonservativ der politischen Mitte zugehörig sind. Eigentlich eine gute Basis für interessante Streitgespräche mit Kindern und Enkeln. Dem ist aber leider nicht so, da der Jugend dazu neigt, vorgefertigte Meinung als Glaubenssätze zu verteidigen statt zu diskutieren.
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Resumé: Diskussion unerwünscht
Bei Treffen im Familienkreis wird allzuoft Oberflächliches gepflegt, Gespräche bleiben an der Fassade kleben: Krankheiten, Urlaub, Ernährungstips zur geregelten Verdauung, Sonderangebote – Diskussionsversuche jenseits von Aldi oder Lidl scheitern kläglich:
Auf die Frage „Laut Untersuchungen an der Uni Tübingen und in der Schweiz trugen 85% bzw. 81% der an Corona erkrankten eine Maske – also ist diese doch wirkungslos?“ die Antwort „Das will ich nicht hören“
„Die Corona-Shutdowns der 28 EU-Staaten bewirkten nur 9% CO2-Emissionsrückgang und wurden durch gleichzeitige Zunahme seitens China mehr als ausgeglichen“ erfährt die Antwort „Jetzt fängst Du schon wieder an“
Der Aussage des Nobelpreisträgers Milton Friedman „You can have open borders, you can have social welfare – but you can’t have both“ wird entgegnet, diese sei veraltet.
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Bleibt als Sorge: Erst wenn Blackout, Rezession und wirtschaftliche Not zur Befreiung aus der Wohlstandblase geführt haben, werden vernunftgeleitete und ehrliche Gespräche zwischen den Generationen wieder möglich sein.
Bleibt als Trost: Opa und Oma sind gefragt, wenn’s ums Kinderhüten oder ums Geld geht.
20.10.2020

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