Gottesstaat 2.0 kann alles retten

Der Ukrainekrieg wird enden, sobald die US-Geopolitik ihre Hegemonialdevise „USA gegen Russland“ durch „USA gegen China“ ersetzt hat. Spätestens in zwei Jahren wird dies der Fall sein – zudem laut NYT unabhängig davon, ob ein Demokrat oder ein Republikaner zum Präsidenten gewählt wird.

Deutschland hat sich ohne Not in untertänigem Gehorsam zu den USA und gegen die eigenen Interessen in den Ukrainekrieg hineinziehen lassen. Auch die Innenpolitik ist weniger von deutschen Interessen und Fakten als von Gehorsam und Glauben geprägt: Vom Glauben der Bürger gegenüber einem allmächtigen und alles errettenden Staat – woran dies liegen mag? Vier Aspekte:

Aspekt 1: Fjodor Dostojewski macht in seinem Roman „Böse Geister“ bzw. „Dämonen“ den Nihilismus verantwortlich: „Heute erscheint mir dieses Buch wie eine Parabel auf unsere Jetztzeit. Befinden wir uns nicht schon in einem postdemokratischen Wertewandel, der vom Nihilismus getrieben wird?“ – so Fabian Nicoly hier.
Der Nihilismus macht uns zum gleichgültigen Untertan. Wenn Bundesaußenministerin Annalena Baerbock „Russland ruinieren“ vorgibt, sind die Bürger 77 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs begeistert.

Aspekt 2: Die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley hat mit ihrer Prophezeiung „Stasi-Strukturen (und die) Methoden, mit denen sie gearbeitet haben … All das wird in die falschen Hände geraten. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien, westlichen Gesellschaft passen“ recht: Die heute regierende Linke hat sich des Machterhalts zuliebe per Proklamation einer Zeitenwende von der Ost-Entspannungspolitik von Willy Brandt losgesagt und das Land de fakto zur Kriegspartei gemacht.

Aspekt 3: Im einstigen Gottesstaat bildeten die Kirchenoberen den Staat. Heutzutage ist es umgekehrt: der Staat spielt sich als Gott auf und die Kirchenoberen applaudieren. Protestanten wie Katholiken befürworten den Einsatz deutscher schwerer Waffen und Panzer im Ukrainekrieg. Kriegsrhetorik statt Friedensrhetorik von den Kanzeln in Bundestag wie Kirchen. Reiner Oswald drückt dies so aus: „… die offiziellen Staatskirchen sind weitgehend zu nützlichen Idioten der fortschreitenden Zivilreligion geworden, und deren Gott ist der Staat. Dieser Gott ist allwissend, omnipotent, souverän, lebenserhaltend, sozial, solidarisch, unendlich gut, liebevoll, empathisch. Die geschulten Theologen mögen die fehlende Vollständigkeit der Attribute verzeihen. Wie stellen wir uns den Staat vor? Traditionell, im „Westen“, wünschen wir eine ordnende Macht, die in unserem Zusammenleben für Recht und Gerechtigkeit sorgt, unsere Freiheit schützt, uns Sicherheit bietet und den Rahmen für unser Wohl und Gedeihen festlegt. Die „Zuständigkeiten“ überschneiden sich. Daher hat der Staat sein Mandat immer mehr ausgedehnt und maßt sich göttliche Weisheit und Allmacht an. Ob Migration, Klima, Wirtschaft, Währung, Gesundheit: kein Problem, das für unsere Politiker zu groß wäre. Alles ist möglich, Turmbau zu Babel 2.0. Je ungebildeter das Politprekariat, desto berauschender seine wählerbeglückenden Allmachtsphantasien.“ Mehr dazu in „Der Staat, der alles rettet – Ihr werdet sein wie Gott“ hier.

Aspekt 4: Der Sachverständigenrat hat in seinem Überprüfungs- bzw. Evaluierungsbericht den Coronamaßnahmen (Maske, Lockdowns, Impfung) weitgehende Unwirksamkeit bescheinigt.
Dennoch zieht die Staatsführung keinerlei Konsequenzen, da die Politik im Gottesstaat 2.0 durch eine Zivil- bzw. Parareligion ersetzt ist. Alexander Wendt (mehr dazu in (1) unten) formuliert dies so: „Lässt sich eine Wirksamkeit der eigenen Politik nachweisen, … dann gilt der Beweis als geführt. Ergibt sich auch beim allerbesten Willen keine Evidenz, dann hat das nichts weiter zu bedeuten. Denn die Wirksamkeit existiert, sie verbirgt sich eben nur wie der abwesende Gott.“

Es liegt im deutschen Interesse, zu Russland als dem größten Nachbarn im Osten gute Beziehungen zu pflegen; daran gibt es nichts zu rütteln. „Die eigenen Interessen eines Staates zählen, nicht die Werte. Wenn ein Politiker anfängt, über „Werte“ zu schwadronieren, dann ist es höchste Zeit, den Raum zu verlassen“, so Egon Bahr. Es liegt im deutschen Interesse, die Entspannungspolitk von Willy Brandt fortzusetzen, die  Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Angstmache vor Coronaherbst sowie klimabedingtem Untergang zu beenden.
.
Unser immer mächtig werdender Staat mutiert zum Gottesstaat 2.0 – dank der Unterstützung der Kirchen wie auch der Medien. Der Staat läßt die Bürger zu überversorgten und bequemen Untertan werden und zerstört so auf Dauer die Demokratie. Wo sind die Parteien, die dafür plädieren, die Staatsquote bzw. Macht des Staates zurückzufahren? Wo sind die Abgeordneten, die hierfür die beiden folgenden Vorhaben unterstützen:
I. Religion als Privatsache: Durch Einführung der Trennung von Kirche und Staat (Laizismus) die beiden großen Konfessionen dazu bewegen, sich von ihrer Anbiederung an die Regierung zu verabschieden, um sich endlich wieder voll der Seelsorge als ihrer Kernaufgabe zu widmen.
II. Medien als 4. Gewalt: Durch Streichen staatlicher Zuschüsse und Rückzug der Parteien – vor allem der SPD – aus dem Mediensektor die Mainstream-Medien von ihrer Staatsnähe wegbringen, um so zu einer neutralen Berichterstattung und zu Kontrolle der drei Gewalten Legislative, Exekutive und Jurisdiktion als ihrer Kernaufgabe zurückzufinden
10.7.2022
.

(1) Corona-Evaluierung: Wir wissen auch so, was wir glauben
Der Sachverständigenrat sieht keine Evidenz für den Nutzen der meisten Corona-Maßnahmen. Die Verantwortlichen reagieren nicht etwa mit Zerknirschung. Stattdessen arbeiten sie an der konsequenten Ersetzung von Politik durch Parareligion.

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Evaluierung der Coronamaßnahmen kam zu dem Schluss, dass sich die Wirkung der allermeisten Maßnahmen nur schwach oder gar nicht nachweisen lässt. Eine Erschütterung bei den Politikern, Wissenschaftlern und Medienmitarbeitern, die zwei Jahre lang genau diese Maßnahmen gefordert, verteidigt und immer neue verlangt hatten, blieb aus. Niemand von ihnen rechnete ja im Ernst mit einem anderen Ergebnis. Aber aus dem Bericht oder vielmehr aus der Reaktion darauf ergibt sich auch etwas Neues: die Geburt einer Politik, in der es auf Evidenz gar nicht mehr ankommt. Wirkung muss nicht mehr bewiesen werden, was diese Neopolitik sehr nah an die Religion rückt.

Im Fall der Coronapolitik-Evaluierung durch den Sachverständigenrat dürfte das Ergebnis – kein Nachweis für die Wirksamkeit fast aller von der Regierung verfügten Maßnahmen – wie gesagt niemand überrascht haben. Dass die Lahmlegung des öffentlichen Lebens inklusive Schulschließungen und Ausgangssperren das Virus in seinem Lauf nicht beeinflusst hatten, ergab sich aus so gut wie jeder Untersuchung aus anderen Ländern – dazu etwas später – vor allem aber aus dem direkten Vergleich benachbarter Länder mit sogenannten harten Maßnahmen und einem mäßigeren Maßnahmenregime, etwa Schweden und Deutschland, oder zwischen den deutschen Bundesländern – Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern – die sich nach dem Ende der bundesweiten Corona-Maßnahmen in Frühjahr 2022 flächendeckend zu Hotspots erklärten, um die Restriktionen aufrechtzuerhalten – und deren Infektions- und Hospitalisierungsraten sich trotzdem kaum vom Schnitt der anderen Bundesländer unterschied.

In der Gesamtzahl der an und mit Corona Verstorbenen unterscheidet sich Deutschland mit seinen im internationalen Vergleich restriktiven Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre nur noch marginal von der Schwedens, das ganz auf schwere Freiheitseingriffe verzichtete. In Deutschland liegt die Zahl der Covid-Toten – an und mit – per 5. Juli bei 1677 pro Million Einwohner, in Schweden bei 1867. Das beliebte Gegenargument lautet: aber Schweden ist sehr viel dünner besiedelt. In Deutschland gab es allerdings auch hohe Infektionszahlen in dünn besiedelten ländlichen Gebieten. Und Frankreich, dünner besiedelt als Deutschland und insgesamt von einer noch restriktiveren Coronapolitik geprägt – 2020 Ausgangsbeschränkung mit nur einem Kilometer Radius und dem strikten Verbot, in Parks spazieren zu gehen – zählt im Juli 2022 insgesamt 2284 Toten pro Million. Die Schweiz, die 2021 ihre Maßnahmen lockerte, als Deutschland noch die Gastronomie völlig zusperrte, steht mit 1587 Toten pro Million per Saldo besser da als der Nachbar.
Irgendwo und irgendwann hätte sich also eine Maßnahmenwirkung in die Daten einprägen müssen, selbst in so dünne Daten, wie sie in Deutschland vorliegen.

Die Reaktion auf den Sachverständigenbericht öffnet nicht nur eine Tür, sondern ein breites Tor zur Umformung der deutschen Politik zu einer Parareligion und damit zur Politik der Unfehlbarkeit. Das Prinzip lässt sich auch auf alle andere Felder anwenden: Lässt sich eine Wirksamkeit der eigenen Politik nachweisen, und sei der Nachweis noch so schwach und die Nachweiskommission noch so beflissen, dann gilt der Beweis als geführt. Ergibt sich auch beim allerbesten Willen keine Evidenz, dann hat das nichts weiter zu bedeuten. Denn die Wirksamkeit existiert, sie verbirgt sich eben nur wie der abwesende Gott. Und der braucht bekanntlich überhaupt keine Datengrundlage. Wirkungslos oder sogar schädlich kann Politik also aus ontologischen Gründen nicht sein.
… Alles vom 7.7.2022 von Alexander Wendt bitte lesen auf
https://www.publicomag.com/2022/07/wir-wissen-auch-so-was-wir-glauben/

Dieser Beitrag wurde unter Energie, Kirchen, Kultur, Regio, Religion, Zukunft abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar