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Sonnenuntergang am Lac de Neuchatel in Cudrefin am 10.6.2021

  • Schweiz: Gemeinsame Initiative für Grundrechte (29.7.2022)
  • 33 Franken für eine Pizza Margherita – warum die Schweiz so teuer ist (20.7.2022)

 

Schweiz: Gemeinsame Initiative für Grundrechte
Mass­nahmen­kritiker wollen Schweizer Sou­veräni­tät retten
Der Corona-Aktivist Nicolas Rimoldi schart die Massnahmengegner hinter sich. Für eine Volksinitiative sollen alle am selben Strick ziehen.
… Die «Freunde der Verfassung» und die Gruppe «Mass-Voll» um den Luzerner Corona-Aktivisten Nicolas A. Rimoldi hatten bis vor kurzem noch konkurrierende Initiativpläne verfolgt.
Aber an einer Sitzung einigten sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Mit an Bord sind laut Rimoldi zudem das von den Verfassungsfreunden abgesplitterte «Verfassungsbündnis», das «Lehrernetzwerk» und die Ärztevereinigung Aletheia. Dazu weitere Gruppen, Grüppchen und Politiker – etwa SVP-Nationalrat Lukas Reimann.
Der Vorstand der Verfassungsfreunde hat der Basis signalisiert, dass er «nach reiflicher Überlegung» Rimoldi bei der Unterschriftensammlung unterstützt. Roland Bühlmann, Co-Präsident der Verfassungsfreunde, gibt sich auf Anfrage aber vorsichtig: «Die Idee einer eigenen Initiative ist nicht vom Tisch.» Und finanziell wollen sich die Verfassungsfreunde an Rimoldis Projekt nicht beteiligen. Der Text von Rimoldis Initiative ging jedenfalls am Mittwoch an die Bundeskanzlei zur Vorprüfung. Im Herbst soll die Unterschriftensammlung starten.
Der Initiativtext ist mit gut einer A4-Seite aussergewöhnlich lang und dementsprechend komplex. Im Wesentlichen verlangt er zwei Dinge: Die Schweiz soll erstens keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, die in die Grundrechte ihrer Bürger eingreifen. Zweitens sollen bestehende internationale Verträge darauf überprüft werden, ob sie die Grundrechte in der Schweiz tangieren.
Im Blick hat Rimoldi etwa den geplanten Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieser soll es erlauben, weltweit schnell und konsequent auf neue Pandemien zu reagieren. Dazu sollen Massnahmen gegen die Krankheitsübertragung in allen teilnehmenden Ländern angeordnet werden können.
Die Initianten wollen die Bundesverfassung ändern, indem sie drei neue Absätze in den Artikel 54 einfügen. Dieser befasst sich mit der Aussenpolitik – und ist genau der Teil der Verfassung, den auch Christoph Blocher mit seiner Neutralitätsinitiative ergänzen will. «Das ist ein Zufall», sagt Rimoldi. «Natürlich unterstütze ich aber auch Blochers Anliegen – das zeigt doch, wie reformbedürftig dieser Artikel 54 ist.»

Jérôme Schwyzer, Präsident des «Lehrernetzwerks», ist überzeugt, «dass die Volksinitiative die verfassungsmässigen Rechte der Bürger endlich wirksam vor fremden Eingriffen schützen wird – was dem Bundesrat immer mehr misslingt».
Schwyzer hat als Lehrer primär Schulschliessungen, Test- und Maskenpflicht im Auge. Diese hätten sich ja als wirkungslos erwiesen .«Ich würde selbstverständlich unterschreiben», sagt der ehemalige SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt.
Der Rechtsprofessor sass bis Ende letzten Jahres für die SVP im Nationalrat. Er war wesentlich an der Ausarbeitung der sogenannten Selbstbestimmungs­initiative beteiligt. Sie verlangte, dass Schweizer Recht grundsätzlich über internationales Recht gestellt wird.
… Alles vom 29.7.2022 bitte lesen auf
https://www.tagesanzeiger.ch/massnahmenkritiker-wollen-schweizer-souveraenitaet-retten-129302843689

 

 

33 Franken für eine Pizza Margherita – warum die Schweiz so teuer ist
Zollschutz für die Landwirte, hochqualifizierte berufliche Bildung und eine exportorientierte Industrie: Löhne und Preise sind in der Schweiz ungleich höher. Das macht das Land zur Hochpreisinsel.
ie beiden Gäste aus Deutschland stehen am Eingang zu einer Pizzeria in Luzern, werfen einen Blick auf die ausgehängte Speisekarte und drehen dann ab. 33 Franken für eine einfache Margherita? Wer als Belag mehr will als Tomatensoße, Mozzarella und Basilikum, für den geht es bei 36 Franken weiter. Das Restaurant liegt nicht an der Uferpromenade des Vierwaldstätter Sees, und es ist in Sachen Preise kein Ausreißer. Immerhin: In einem anderen Lokal wird eine einfache Pasta für 22 Franken gereicht, etwas raffinierter wird es ab 30 Franken, für das Wasser dazu stehen später 6,50 Franken, für den Espresso 4,70 Franken auf der Rechnung.
An keinem Ort ist der Preisunterschied zwischen Deutschland und der Schweiz so sichtbar wie in der Gastronomie, wo sich die hohen Preise für Lebensmittel und die hohen Löhne addieren. Das Rinderfilet in einem gutbürgerlichen Gasthaus kostet 49,50 Franken, die Weinkarte startet bei 7 Franken für den Deziliter und 49 Franken für eine 0,7-Liter-Flasche, sie reicht bis 120 Franken. Im Café nebenan kostet der Cappuccino 6,60 Franken, so viel wie ein Kännchen Tee, für die Currywurst am Bistrotisch sind 10,80 Franken fällig.
Besuch in einem Lebensmittelmarkt im grenznahen Riehen. Egal ob Schweinefilet (4,50 Franken pro 100 Gramm) oder Kalbssteaks (8,30 Franken pro 100 Gramm), die Preise liegen deutlich über dem, was im benachbarten Lörrach in einem Markt mit eigener Fleischtheke verlangt wird: 2,90 Euro beim Schweine- und 3,50 Euro beim Kalbfleisch. In diesen Tagen kann man sich das Umrechnen der Währung sparen, der Kurs schwankt mehr oder weniger bei 1:1. Der Vergleich diverser Biomehle der Marke Alnatura zeigt, dass die identischen Produkte in Deutschland in etwa halb so viel kosten wie in der Schweiz, das gilt auch für einen Markenfrischkäse. Starke Preisunterschiede gibt es zudem bei Produkten aus den Drogeriemärkten.

Die Abschottung des Marktes ist Schuld an den hohen Preisen
Im Kaufkraftvergleich von 36 europäischen Staaten des Statistischen Bundesamtes steht die Schweiz seit Jahren an der Spitze, aktuell mit Island. Demnach liegt das Preisniveau der Schweiz um 54 Prozent über dem deutschen. Auch beim Big-Mac-Index, einem Vergleich der Kosten eines Burgers, liegt die Schweiz weit vorne. Schweizerinnen und Schweizer, die nahe der Grenze wohnen, gehen deshalb bei den Nachbarn einkaufen. Vor den coronabedingten Grenzschließungen flossen geschätzt zehn Milliarden Franken in die vier Nachbarländer, 40 Prozent allein nach Deutschland.
Die hohen Lebensmittelpreise führt Patrick Dümmler, Ökonom bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, in erster Linie auf die Abschottung des Marktes zurück, den Grenzschutz für die heimische Landwirtschaft. „Die Schweiz betreibt eine abgeschottete Landwirtschaftspolitik“, sagt Dümmler und verweist auf eine Studie der OECD, wonach die Konsumenten deshalb 3,1 Milliarden Franken mehr bezahlen müssen als bei einem offenen Markt. Nach Angaben der Welthandelsorganisation WTO erhebt die Schweiz im Durchschnitt 36,1 Prozent Einfuhrzoll auf landwirtschaftliche Produkte, auf Industrieerzeugnisse sind es nur 1,8 Prozent. Die Höhe der Zölle schwankt sowohl saisonal wie auch bei den Produkten. Selbst die Direktvermarktung badischer Bauern auf Wochenmärkten in Basel ist Bern ein Dorn im Auge. Das alles hält die Erzeugerpreise hoch. Jeder Haushalt wird so pro Jahr mit durchschnittlich 830 Franken belastet.
Für Mathias Binswanger, Ökonom an der Fachhochschule der Nordwestschweiz in Olten, ist der Grenzschutz aber unerlässlich. „Die Marktabschottung ist notwendig, damit die Landwirtschaft überleben kann“, sagt Binswanger. „Die Schweizer Bauern wären in der EU nicht konkurrenzfähig“, vor allem nicht die Bergbauern. Aus Gründen der Versorgungssicherheit, der Ökologie und dem Erhalt der Landschaft sei es daher richtig, die Bauern zu unterstützen. Ein zweiter Kostentreiber ist der fehlende Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel. Das „Kuschel-Duopol“ (Dümmler) Coop und Migros kommt mit dem Discounter Denner, einer Migros-Tochter, auf einen Marktanteil von 80 Prozent. In Deutschland schaffen Lidl, Aldi, Rewe und Edeka gemeinsam 75 Prozent. Die Folge seien Margen im Handel von mehr als 30 Prozent, in Deutschland sind es 20 bis 25 Prozent. „Die Wertschöpfung erfolgt in der Schweiz nicht auf dem Bauernhof, sondern im Lebensmittelhandel“, sagt Binswanger.

Die Übergangsquote zum Gymnasium ist deutlich niedriger
Damit sich Schweizerinnen und Schweizer ihre Heimat überhaupt leisten können, müssen sie entsprechend mehr verdienen. Bezogen auf die längere Wochenarbeitszeit und die geringere Zahl an Urlaubs- und Feiertagen liegen die Löhne und Gehälter 50, in wenigen Fällen sogar 100 Prozent über denen in Deutschland.
Aber wie können Schweizer Unternehmen dennoch wettbewerbsfähig sein? „Es ist wie bei einem Puzzle“ sagt Rudolf Minsch, Chefvolkswirt beim Wirtschaftsverband Economiesuisse. „Es sind viele Einzelteile, die sich zu einem Gesamtbild fügen müssen.“ Die Schweiz exportiert keine Massengüter, sondern hochwertige Produkte. Dazu sind die Lohnnebenkosten niedrig, die Steuern „moderat“, der Arbeitsmarkt flexibel. Kündigungen seien leichter möglich, aber deshalb werden freie Stellen auch schneller wieder besetzt. Dauerschleifen, gar eine Generation Praktikum, gebe es kaum. Als wichtige Standortfaktoren nennt Minsch zudem die gute Infrastruktur und Forschung. Dass daraus nutzbringende Innovationen für den Weltmarkt entstehen, dafür sorge dann das gut funktionierende duale Ausbildungssystem. Im Vergleich zu Deutschland genieße die berufliche Bildung einen hohen Stellenwert. „Bei uns machen sehr viele junge Leute eine berufliche Ausbildung, die durchaus die Qualifikationen hätten für das Gymnasium“, sagt Minsch. Abzulesen sei das an der Übergangsquote zum Gymnasium, die in der Schweiz bei 20 Prozent liegt, sich in Deutschland der 50-Prozent-Marke nähert. „Wir wissen aus Studien, dass wir viele Talente in der beruflichen Bildung haben, die dort zum einen das Niveau heben. Und auf diesem Niveau gelingt dann der Austausch zwischen Universität und Unternehmen, Theorie und Praxis, Modell und Anwendung besser.“

Konkurrenzdruck ist unerwünscht
Nicht zuletzt sorgen die hohe Exportquote von 70 Prozent und der starke Franken für Innovationsdruck. Zugleich entfällt die Hälfte aller Exporte auf den Bereich Pharma, „also einen wenig preissensitiven Bereich“, wie Binswanger es nennt. Andere Bereiche der Wirtschaft behaupten sich auf dem Weltmarkt, weil sie viel im Ausland produzieren oder Vorprodukte beziehen. Nichts an der Nespresso-Kapsel sei schweizerisch, außer dem Preis. Die Mehrzahl der Züge von Stadler werden unter anderem von den 1000 Beschäftigten einer Waggonbaufabrik in Minsk geschweißt und nur in der Schweiz endmontiert. „Wegen der hohen Automatisation und der vielen Vorprodukte spielen die hohen Löhne in diesen exportstarken Bereichen keine so große Rolle“, sagt Binswanger. Und im personalintensiven, aber ortsgebundenen Dienstleistungssektor wie Gesundheitswesen oder Gastronomie herrsche kein Konkurrenzdruck.
Und wo Konkurrenz droht, schotten sich Teile der Wirtschaft gegen den Wettbewerb ab. Das Schreckgespenst der „Lohndrückerei“, von den Gewerkschaften an die Wand geworfen, hat entscheidend zum Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU beigetragen. Die Gewerkschaften forderten als „flankierende Maßnahmen“ Sonderregeln, um Handwerker und Arbeitnehmer aus der EU fernzuhalten. Das sei nur schwer mit den Grundregeln des freien Marktes zu vereinbaren, befand man in Brüssel. In Bern fürchtete man eine breite Allianz gegen das Abkommen in einer Volksabstimmung und brach die Gespräche ab.
… Alles vom 20.7.2022 von Franz Schmider bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/teures-pflaster-x1x–215241620.html
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Ein Kommentar:
Dieser informative Artikel von Franz Schmider zeugt von recherche-freudigem Journalismus, wie man ihn kaum noch kennt. Liebe Lehrer: Bitte den Artikel ausschneiden und im „Wirtschaftskunde“-Unterricht (gibt’s so was überhaupt noch?) mit den Schülern besprechen.
Wirtschaftsmacht wie Demografie machen Deutschland im internationalen Vergleich immer unbedeutender, Asien und BRICS gewinnen. Damit wird das Modell „Deutschland – eine zweie kleine neutrale Schweiz“ realistisch: Deutschland als Stabilitätsinsel.
20.7.2022