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Gartenzwerge Deutschland Schwarz-Rot-Gold im April 2023

 

Wachsende Distanz Deutschland – Frankreich
Wie steht es um die deutsch-französischen Beziehungen?
Von Alain de Benoist
Vor einiger Zeit warfen die Franzosen Deutschland gerne vor, sich blind den  Entscheidungen der EU zu unterwerfen (oder sie zu inspirieren). Heute ist es eher umgekehrt.

In Frankreich spricht man gemeinhin vom „deutschfranzösischen Paar“, während in Deutschland das Wort „Motor“ oder „Tandem“ bevorzugt wird. Ein organischer Vergleich auf der einen Seite, ein mechanischer auf der anderen. Doch in beiden Fällen entspricht dies nicht der Realität. Das deutsch-französische Paar wurde geschieden, bevor es
überhaupt heiraten konnte. Und der Motor lief stets nur auf Sparflamme. Die deutsch-französischen Beziehungen, die auf beiden Seiten des Rheins als sehr wichtig angesehen
werden, waren in Wirklichkeit immer mit Zweideutigkeiten behaftet.
Im Januar dieses Jahres fiel selbst die Gedenkfeier  zur Unterzeichnung des Elysée-Vertrags durch Konrad Adenauer und General de Gaulle am 22. Januar 1963 flach. Der Vertrag war eine Totgeburt. Charles de Gaulle wollte damit die Grundlagen für ein blockunabhängiges deutsch-französisches Bündnis schaffen, das heißt: die
europäischen Länder von der UdSSR und den USA abkoppeln.
Er sollte drei Jahre später mit dem Beschluß, aus dem integrierten Nato-Kommando auszusteigen, ein Zeichen dafür setzen. Doch die unter Druck der Amerikaner gefällte Entscheidung des Deutschen Bundestages, dem Elysée-Vertrag eine Präambel hinzuzufügen, in der die Notwendigkeit einer „engen Assoziierung zwischen Europa
und den Vereinigten Staaten von Amerika“ bekräftigt wird, entsprach Bonns Willen, sich nicht von der amerikanischen Vormundschaft zu emanzipieren (Karlheinz Weißmann,
„Keine neue Entente cordiale“, in JF 4/23).
Was sind heute die größten Streitpunkte? Die Einführung eines an die alte D-Mark angelehnten Euro hat sich für Deutschland als vorteilhafter erwiesen als für Frankreich. Seit der Einführung der gemeinsamen Währung ist der Abstand zwischen den Volkswirtschaften der beiden Länder größer geworden. Die Franzosen ihrerseits sind immer noch gefangen zwischen einer Faszination für Deutschland (seine „Effizienz“, seine „Disziplin“ usw.) und dem Eindruck, daß es immer versucht, Frankreich zu übertreffen. Ein trübes Gefühl, das sich in einem Satz zusammenfassen läßt: Deutschland ist zu mächtig! Dadurch kann ein weiterer Satz billig vermieden werden: Frankreich ist zu schwach. Die Wahrheit ist, daß Frankreich und Deutschland bei vielen grundlegenden Themen unterschiedliche Interessen haben. In der Energiepolitik zum Beispiel versucht Paris, aus dem europäischen Strommarkt auszusteigen und massiv in die Kernenergie zu investieren, was das Gegenteil der von Deutschland verfolgten Strategie ist. Wenn Frankreich die nukleare Option gewählt hat, verläßt sich Deutschland auf erneuerbare Energien und Kohle.
In bezug auf die gemeinsame Währung möchte Frankreich eine Währungsabwertung des Euro, während Deutschland im Gegenteil eine Währungsaufwertung vorziehen würde. In bezug auf den Außenhandel wünscht sich Frankreich eine protektionistischere Europäische Union, während Deutschland dagegen ist, um seinen Handelsüberschuß zu erhalten. Was schließlich die Verteidigungs- und Außenpolitik betrifft, so würde Frankreich eine eigenständige EU-Politik begrüßen, während Deutschland als Ersatz für seine alternden Tornados lieber amerikanische F-35 als Rafale-Flugzeuge kaufen würde, wodurch die bilaterale Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ins Stocken gerät. Dasselbe gilt für den Begriff der „europäischen Verteidigung“: In Deutschland steht dieser Ausdruck für die Übernahme von mehr Verantwortung für den „europäischen Pfeiler“ innerhalb der Nato, während er in Frankreich im Gegenteil als Mittel für die europäischen Länder
gesehen wird, eine größere Autonomie gegenüber der Nato zu erlangen.

Hinzu kommt, daß Deutschland, um seinem demographischen Defizit zu begegnen, offenbar erneut seine Türen für eine massive ausländische  Einwanderung öffnen will,
wie Angela Merkel es bereits 2015 getan hatte, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, an dem Frankreich im Gegenteil versucht, die illegale Einwanderung besser zu bekämpfen, die Zahl der Asylanträge zu beschränken und generell in diesem Bereich eine restriktivere Politik zu verfolgen.
Die Deutschen ihrerseits verstehen nicht, daß die Franzosen auf die Straße gehen, um gegen eine geplante Rentenreform zu protestieren, die das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anheben würde, während bei ihnen dieses Alter auf 67 Jahre festgelegt ist. Sie sehen nicht, daß das Ausmaß dieser von zahlreichen Gewalttätigkeiten begleiteten Protestbewegung kein Zeichen dafür ist, daß die Franzosen „faul“ sind, sondern lediglich ein Vorwand, um einer viel allgemeineren sozialen Wut Ausdruck zu verleihen. Französische Arbeiter und ein großer Teil der Mittelschicht sehen sich nämlich anfällig für Verarmung, Unsicherheit und Deklassierung. Die Situation ist paradox. Vor einiger Zeit warfen die souveränen Franzosen Deutschland gerne vor, sich blind den Entscheidungen der Europäischen Union zu unterwerfen (oder sie zu inspirieren). Heute ist es eher umgekehrt: Sie werfen ihm vor, „die europäische Solidarität
vermissen zu lassen“!
Für viele Franzosen neigt Deutschland immer häufiger zu Alleingängen, um seine Interessen besser verteidigen zu können. Zwei Beispiele: die einseitige Entscheidung
Deutschlands, das von der EU beschlossene Verbot von Verbrennungsmotoren im Jahr 2025 nicht umzusetzen, und die Art und Weise, wie es sich mit aktiver Unterstützung
der dänischen und niederländischen Kommissare in der Debatte über die Atomindustrie durchgesetzt hat. In Frankreich hatten die Souveränisten der Regierung vorgeworfen, sie habe sich bereit erklärt, die Last der deutschen Sparpolitik mitzutragen. Diese hatte die Bundesrepublik  nach der Wiedervereinigung eingeführt, um ihren Überschuß an D-Mark aus dem Osten abzutragen, was das französische Wachstum bremste. Heute weisen sie
darauf hin, daß die deutsche Regierung es versäumt hat, Frankreich vor der Einrichtung eines Investitionsfonds in Höhe von 200 Milliarden Euro zu warnen, um die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die steigenden Energiekosten und die In ation abzumildern. Eine Maßnahme, die zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den
EU-Mitgliedsländern führen könnte. Frankreich war auch nicht erfreut darüber, daß Deutschland 14 Nato-Länder für den Kauf eines israelischen Raketenabwehrschildes
gewinnen konnte, obwohl es zusammen mit Italien versucht, sein eigenes Flugabwehrsystem „Mamba“ zu entwickeln. Das Fehlen eines Hinweises auf
die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz an der Karls-Universität in Prag bestätigte sie eher in ihrer Ansicht, daß Berlin versucht,
Frankreich bei den europäischen Rüstungsprogrammen an den Rand zu drängen.
Einige schlossen daraus, daß Frankreich heute bereit sei, zugunsten Deutschlands alles aufzugeben, ohne etwas dafür zu bekommen, was natürlich stark übertrieben ist.

Charles-Henri Gallois, Vorsitzender von Génération Frexit (einer Bewegung, die sich für den Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union einsetzt), ging kürzlich sogar so
weit zu erklären, daß, „wenn es ein deutsch-französisches Paar gibt, dann ist es ein sado-masochistisches Paar und Berlin hat die Peitsche in der Hand“. Die Deutschen können natürlich entgegnen, daß Präsident Emmanuel Macron Berlin selbst nicht vor der Veröffentlichung seines Interviews im Economist gewarnt hatte, in dem er für 2019 vom „Hirntod der Nato“ sprach. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage nicht verbessert.
In dieser Frage unterscheiden sich die Positionen von Emmanuel Macron und Olaf Scholz nicht grundlegend, aber die Chemie zwischen den beiden Männern stimmt
nicht. In Paris befürchtet man eine Destabilisierung der deutsch-französischen Beziehungen aufgrund der unweigerlich größeren Öffnung der Europäischen Union und der Nato in Richtung Osten, was Deutschland zwangsläufig eine neue „Zentralität“ verleihen würde, auf die Frankreich keinen Anspruch erheben kann. Zumal Kanzler Scholz
die Europäische Union auch auf den westlichen Balkan ausdehnen möchte, insbesondere auf das Kosovo, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Albanien.

… Alles vom 21.4.2023 von Alain de Benoist bitte lesen in der JF 17/23, Seite 18

Alain de Benoist, Jahrgang 1943, französischer Philosoph und Publizist, gibt die
Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“ heraus.