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Deutsches Nationaltheater Weimar 8.12.2022: Diplomatie und Frieden statt Sanktionen und Waffen

 

Emmanuel Macron träumt von einer Renaissance Europas
Prosit für ein souveränes Europa
Von demonstrativer Herzlichkeit war der erste Staatsbesuch eines französischen
Präsidenten seit 23 Jahren in den Niederlanden geprägt. Dabei stattete Emmanuel Macron (Renaissance) nicht nur seinem „wirklich sehr guten Freund“, dem Regierungschef Mark Rutte (VVD), einen Besuch ab, sondern er nutzte auch die Gelegenheit, im Nexus-Forschungsinstitut eine europapolitische Grundsatzrede zu halten.
Bei seiner zunächst von lautstarken Kritikern seiner Klima- und Rentenpolitik unterbrochenen Ansprache umriß er die aus seiner Sicht sinnvolle wirtschaftliche und politische Rolle der Europäischen Union.
Nach seiner Auffassung müsse Europa einer Souveränitätsdoktrin folgen, die auf fünf Säulen beruht: Ihr erster Pfeiler sei dabei die Wettbewerbsfähigkeit Europas, die Voraussetzung dafür ist, die sozialen Errungenschaften der Europäischen Union zu bewahren. Dafür sei aber eine stärkere europäische Integration notwendig, damit sich kein Land den notwendigen Reformanstrengungen für globale Wettbewerbsfähigkeit entziehen könne. Als zweite Säule sieht er die bisher verpönte „Industriepolitik“, die auch aus Sicherheitsgründen  inzwischen unerläßlich sei, was die Vereinigten
Staaten von Amerika und die Volksrepublik China – im Gegensatz zu Europa – längst verstanden hätten.
Industriepolitik bedeute Schlüsseltechnologien, wie Microchips oder erneuerbare Energieerzeugungsanlagen, auf dem eigenen Territorium zu haben.
Bei auch in Zukunft notwendigen Importen solle darüber hinaus zur Risikominimierung auf eine ausreichende Diversifizierung – die dritte Säule – geachtet werden. Eine einseitige Abhängigkeit, wie die im Energiesektor von russischem Gas, solle sich nicht mehr wiederholen. Deshalb sei neben der Energieeinsparung und den erneuerbaren Energien auch die Kernkraft in Europa unverzichtbar. Dritter Souveränitätspfeiler sei die Sicherheit, der Schutz europäischer Interessen. Darum solle keine kritische Infrastruktur an außereuropäische Akteure verkauft werden.
Auch soziale Medien müßten unter EU-Kontrolle stehen, da deren Mißbrauch demokratiegefährdend sei. Die vierte Säule europäischer Politik sei das strikte Einfordern von „Wechselseitigkeit“ bei allen Handelsabkommen. Dabei müsse im Gegenzug für Marktzugang von jedem Handelspartner ein klarer Beitrag zum Schutz vor dem Klimawandel verlangt werden. Ohne diese Säulen seien solche Aussagen europäischen Firmen und Bürgern nicht zu vermitteln. „Ein Verbündeter zu sein heißt nicht, ein Vasall zu sein“ Den letzten Pfeiler nannte Macron „Kooperation“, also eine Wiederbelebung der internationalen Zusammenarbeit „zur Absicherung unserer humanistischen, solidarischen und friedliebenden Werte“. Zusammen würden diese Maximen sicherstellen, daß Europa in einer multi- und nicht nur bipolaren Welt, mit den USA und China als Akteuren, eigenständig handeln könne.
Seine wenige Tage zuvor im Zusammenhang mit einer Chinareise geäußerte umstrittene Aufforderung an die Europäer, den USA in der Taiwanpolitik nicht bedingungslos zu folgen, wiederholte er dagegen in abgewandelter Form bei einem Termin in Amsterdam: „Ein Verbündeter zu sein heißt nicht, ein Vasall zu sein.“ Tatsächlich sieht Macron die Gefahr, daß wechselseitige Provokationen zwischen
China und den USA an der Formosastraße in einen Krieg münden könnten. Eine bedingungslose Unterstützung Amerikas durch die Europäer, ohne Rücksicht auf chinesische Befindlichkeiten, könne diesen Kon ikt befeuern. Gastgeber Premierminister Mark Rutte, der dem französischen Präsidenten traditionell sehr
nahesteht, stimmte Macron in den Fragen der strategischen Souveränität Europas betont zu: „Europa muß nicht Spielfeld internationaler Politik sein, sondern Spieler“, so Rutte in Amsterdam.
Dies sei „keine Schwächung des Bündnisses mit den USA“, vielmehr sei man ein „zuverlässiger und fester Verbündeter der USA“, bemühte er sich, die Wogen zu glätten. Auch Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire (Renaissance) hob im Rahmen der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington hervor, daß Europa ein verläßlicher – aber eben auch starker – Bündnispartner der USA sein wolle. Im Hinblick auf die Kritik der französischen
Opposition oder auch des Fraktionschefs der europäischen Konservativen, Manfred Weber (CSU), die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit den USA zu unterschätzen, stellte er klar, daß hier „viel Lärm um nichts gemacht“ werde. Macron habe diesen Standpunkt bereits seit Jahren vertreten. Auch der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel (Reformbewegung), stellte sich hinter die Forderung Macrons nach europäischer
Eigenständigkeit.
… Alles vom 2.4.2023 bitte lesen in der JF 17/23, Seite 9

 

USA gegen Kooperation Russland-Europa, aber für Russland-China
„Die USA haben zwar eine engere eurasische Kooperation zwischen Rußland und Europa unterbunden, dafür aber eine um so engere Kooperation zwischen Rußland und China, dem Iran oder auch Indien auf den Weg gebracht. Moskau ist als geostrategischer Rivale aus Europa verdrängt. Dafür entsteht ein gewaltiges, neues Bündnissystem, einstweilen ohne den Westen und womöglich sogar gegen ihn. (…) Der EU bleibt nur eine Junior-Rolle mit den USA, die einem alten Kontinent nicht gut zu Gesicht steht.“
Heinz Theisen, Politikwissenschaftler, in der „Budapester Zeitung“ vom 7. April 2023

 

Buy American: USA vertreten ihre eigenen Interessen – auch gegen die EU
Den Europäern machte er wenig Hoffnung auf neue Geschäfte mit Amerika. Denn er bekannte sich zu der Formel des “Buy American“ in einer sehr eindringlichen Art: Heute Abend kündige ich neue Standards an, die vorschreiben, dass alle Baumaterialien, die mit den Gelder des Staates für die Infrastrukturprojekte des Bundes verwendet werden, in Amerika hergestellt werden müssen. “
Und weiter: Wir sorgen dafür, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt. “

Ausführlich behandelt er China, den Systemrivalen: Ich habe Präsident Xi deutlich gemacht, dass wir den Wettbewerb suchen, nicht den Konflikt. “
Und dieser Wettbewerb – das sagte Biden nicht – wird auch mit Schutzzöllen und Lieferverboten gekämpft. In diesem Kampf – und darauf kam es ihm heute Nacht an – sieht er ein verbindendes Element für die politischen Parteien in den USA: Lassen Sie es uns klar sagen: Den Wettbewerb mit China zu gewinnen, sollte uns alle vereinen. “
… Alles vom 8.2.2023 vom Morning Briefing bitte lesen auf
https://www.gabor-steinhart.com

 

Ulrike Guérot, Hauke Ritz: Endspiel Europa
Schädliche US-Strategien
Russisch-ukrainischer Krieg: Die Politikwissenschaftler Ulrike Guérot und Hauke Ritz beklagen die massive Einflußnahme der USA in Osteuropa als entscheidenden Impuls des Konfliktes
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat gewagt, was vorhersehbar und folgerichtig zu ihrer Versetzung auf die öffentliche Strafbank geführt hat: Gemeinsam mit dem promovierten Philosophen und Rußland-Kenner Hauke Ritz hat sie ein Buch verfaßt, das die verordnete Lesart des Ukraine-Kriegs gründlich gegen den Strich bürstet. Sie erkennt eine Stimmungsmache wie 1914: „Wohin man schaut, überschwengliche Parteinahme für die Ukraine, völlige Dämonisierung des Gegners, Reduzierung des Feindes auf eine Person (Putin), fehlende Kontextualisierung, klare Teilung in Gut und Böse, empörte Abwehr von Mitverantwortung, Moral statt Geostrategie.“
Guérot und Ritz haben zwei Motivstränge miteinander verknüpft: Erstens die Einsicht, „daß die EU als politisches Projekt gescheitert ist; zum anderen, daß das Rußland-Bild im Westen falsch oder doch zumindest unzureichend ist“. Beide stehen in dialektischer Wechselbeziehung: Ihr Scheitern macht die EU unfähig, im Ukraine-Krieg eine eigenständige Position zu beziehen und befriedend auf den Konflikt einzuwirken. Das Andauern des Krieges wiederum macht ihr Scheitern perfekt. So wird der geopolitische Konflikt für Europa zum „Endspiel“ mit der Aussicht, endgültig zum Vorfeld und zur Verfügungsmasse der USA zu degenerieren. Der Einwand, daß Europa und die EU nicht miteinander identisch sind, darf hier unberücksichtigt bleiben.

Was in den Medien durchweg „Putins Angriffskrieg“ genannt wird, ist bei Guérot und Ritz „ein lang vorbereiteter amerikanischer Stellvertreterkrieg“, dessen Wurzeln bis in die frühen 1990er Jahre zurückreichen. Sie haben Bücher, Aufsätze und Verlautbarungen US-amerikanischer Vordenker und Strategen gesichtet und den Extrakt daraus gezogen. Sie zitieren Zbigniew Brzeziński, George Friedman, Robert Kagan, Charles Krauthammer und Paul Wolfowitz. Letzterer war unter George W. Bush stellvertretender Verteidigungsminister und entschlossen, „jede feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu beherrschen, deren Ressourcen unter konsolidierter Kontrolle ausreichen würden, globale Macht zu erzeugen“. Als Feind wird jeder betrachtet, der den Versuch unternimmt, eine den USA vergleichbare Macht zu generieren. Während die USA nach 1989 umgehend Europa als potentiellen Konkurrenten erkannten, pflegten die Europäer ein „Einheits-Denken“ über die sogenannte westliche Wertegemeinschaft. Die Strategie Washingtons, Europa von den russischen Ressourcen durch einen Cordon sanitaire zu trennen, blieben unreflektiert.

Kriegsbeschädigte Ukraine wird völlig von den USA abhängig sein
Zur US-Strategie gehörten die „Farbrevolutionen“ und „Regime-Changes“ in den ehemaligen Sowjetrepubliken. In den mittelosteuropäischen Ländern besetzten unterdessen „junge, amerikanisierte Eliten mit Harvard- und Washington-Connections“ Spitzenfunktionen im Staat und in den Medien, „prototypisch zum Beispiel Radek Sikorski, der spätere polnische Außenminister“, der die Sprengung der Nord-Stream-Leitungen auf Twitter mit einem „Thank you, USA“ quittierte. Barack Obama rühmte die Fähigkeit der USA, „die weltweite öffentliche Meinung zu formen, (sie) hat geholfen, Rußland völlig zu isolieren“. Die Brandstiftung des Gewerkschaftshauses in Odessa 2014 durch ukrainische Nationalisten, bei der 48 Russen ums Leben kamen, geriet so völlig aus dem Fokus.
Das Minsker Abkommen, das eine föderale Struktur des Landes mit mehr Autonomie für die Ostukraine vorsah, wurde unter dem Einfluß Washingtons sabotiert, denn um die Ukraine zum militärischen Aufmarschgebiet der Nato zu machen, wird eine straffe Kiewer Zentralmacht benötigt. So erscheint „Putins Angriffskrieg“ eher als Defensivschlag, um der Nato-Umklammerung zu entgehen. Das Ergebnis ist eine schwer kriegsbeschädigte, enorm verschuldete Ukraine, die politisch völlig von den USA abhängig ist. Die Autoren fragen: „Kann Europa einen derartigen Vasallen in seiner Mitte wollen?“
Es wird ihn wohl wollen müssen. Wenn es zwischen den USA und Deutschland tatsächlich einmal hart auf hart geht, legen die Amerikaner Geheimdienstmaterial auf den Tisch und es heißt, „entweder macht ihr mit oder ihr seid dran“. In diesen Worten faßte 2013 Günter Heiß, damaliger Koordinator für deutsch-amerikanische Beziehungen, in der ARD-Sendung „Beckmann“ seine Erfahrungen mit der westlichen Führungsmacht zusammen.

Für Guérot kommen die USA als Gralshüter der „westlichen Werte“ nicht mehr in Frage, sie seien heute „sozial verwahrlost und kulturell ausgelaugt“. Überhaupt sei die Wirklichkeit im Westen durch Wokeness, Redeverbote, Cancel Culture, Zensur-Methoden, Kontokündigungen, die digitale und biometrische Überwachung, Staatsjournalismus und Psychokrieg gegen die eigene Bevölkerung gekennzeichnet.
Keine Frage, die Frau und ihr Co-Autor haben Courage! Ihr Buch ist anregend, doch es ist auch angreifbar. Als läßlicher Flüchtigkeitsfehler mag durchgehen, wenn es heißt, der französische Präsident François Mitterrand sei als Gegner der Wiedervereinigung im März 1990 zu Egon Krenz in die DDR gefahren. In Wahrheit weilte Mitterrand bereits im Dezember 1989 in Ost-Berlin. Zu dem Zeitpunkt war Krenz schon nicht mehr im Amt, der Gesprächspartner war Ministerpräsident Hans Modrow.

Gravierend wirkt sich Guérots berühmt-berüchtigte postnationale Euphorie aus, die aus Prinzip keine Grenzen kennt. Da Deutschland es sträflich unterlassen habe, von Anfang an in eine Euro-Transfers-Union einzuwilligen, soll nun der Krieg, der „um eine historisch geradezu absurde territoriale Integrität der Ukraine“ geführt wird, die überfällige „europäische Katharsis“, nämlich die Auflösung nationalstaatlicher Strukturen, herbeiführen. Ein Anfang sei bereits gemacht, denn die Entscheidung, ukrainische Flüchtlinge unbesehen in das deutsche Hartz-IV-System zu übernehmen, sei „eigentlich schon ein Vorbote davon, bei Bürgerrechten nicht mehr nach Nationalität zu differenzieren“.

Solche kruden Träumereien lassen sich sinnvoll nicht kritisieren. Historisch gesehen ist nahezu jede Grenze in Europa absurd. Doch was folgt daraus? Statt mit Feinarbeit wartet Guérot zum Schluß mit Bulldozer-Logik auf und walzt ihre und Ritz’ überzeugende Intervention gegen die offizielle Lesart des Ukraine-Krieges zur Hälfte wieder platt. Ihren Gegnern macht sie es damit leicht, den Einverstandenen dagegen schwer.
… Alles vom 16.12.2022 von Thorsten Hinz bitte lesen in der JF 51/22, Seite 1

Ulrike Guérot, Hauke Ritz: Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist und wie wir wieder davon träumen können.
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2022,
gebunden, 208 Seiten, 20 Euro