Gender zum Nachdenken

Gender ist „in“. Übers Gendern wird viel geschrieben. Lustiges: „Gender ist Befreiung der Frau„. Nachdenklichmachendes: „Gender soll die Bevölkerung davon ablenken, sich mit den eigentlichen Problemen zu beschäftigen“. Besorgniserregendes: „Deutschland hat mehr Hochschullehrstühle für Gender als für Physik„. Realistisches: „78 % der Deutschen lehnen das Gendern ab.“.
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Einen äußerst informative und zugleich ironische Beitrag zu Gender liefert Michael Klonovsky, einer der wohl gebildetsten und kreativsten Denker und Autoren im heutigen Deutschland. Ein kleiner Auszug unten. Zum kompletten Lesen hier:
https://www.klonovsky.de/2022/10/gendern-ist-vor-allem-haesslich.
Oder zum Anhören hier:
https://www.klonovsky.de/2022/10/heute-abend-in-diesem-theater-2 .
10.10.2022

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Klonovsky: „Ich gehe heute Abend zum Italiener“
… Das einzige, in desto enervierender Indolenz vorgetragene Argument der feministischen „Sprachkritiker” lautet bekanntlich, Frauen würden durch das generische Maskulinum unsichtbar gemacht, also diskriminiert. Es ist aber gerade das Hauptmerkmal dieses generischen Maskulinums, dass es sich auf ganze Gruppen ohne Geschlechtsdifferenzierung bezieht: Lehrer, Sportler, Spinner. Die Sexusneutralität ergibt sich aus dem Modus der Wortbildung. Im Deutschen kann an jeden Verbstamm das Suffix ‑er angehängt werden, und schon hat man ein Substantiv, das eine Gruppe bezeichnet, deren Geschlechtsneutralität bei nichtbelebten Gegenständen (Bohrer, Träger, Schraubenzieher, Türöffner) noch niemand bezweifelt hat. Wäre -er eine männliche Nachsilbe analog zum weiblichen -in, müsste man beide einfach austauschen können, um aus dem männlichen Bohrer die weibliche Bohrin zu schaffen. Offenkundig funktioniert das nicht.
Die Idée fixe, das Deutsche trage ungerechte Vorstellungen in unsere Köpfe, indem es uns zu viel Männliches und zu wenig Weibliches sehen lasse, ist gleichwohl der unhinterfragte Standard in allen Diskussionen. „Wir lesen ‚ein Arzt’ – und vor dem inneren Auge erscheint: ein Mann“, schreibt das Magazin GEO in einem Themenheft. Beweise? Überflüssig.
Wenn ich lese: „Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist…“, erscheint dann das Bild eines Mannes vor meinem inneren Auge? Nein. Wenn mir jemand erzählt, der Hörsaal sei voller Studenten gewesen, denke ich da vor allem an Männer? Nein. Wenn ich lese: „In dieser Gegend siedelten Germanen vom Stamm der Cherusker“, dann denke ich an beide Geschlechter. Wenn ich aber lese: „Die Germanen schlugen die Römer im Teutoburger Wald“, denke ich an Männer. Deswegen sagt ja auch kein Mensch: Germaninnen und Germanen überfielen Römerinnen und Römer im Teutoburger Wald. Es kämpfen derzeit übrigens auch nicht Ukrainerinnen und Ukrainer gegen Russinnen und Russen, und es kommt auch kein Journalist auf den Gedanken, das zu schreiben. Und außer ein paar Narren kommt auch niemand darauf, ich hätte eben nur männliche Journalisten gemeint.

Grammatisches und biologisches Geschlecht haben nur bedingt – und auf den gesamten Wortschatz gerechnet ziemlich wenig – miteinander zu tun. Insofern ist auch die Formulierung falsch, Frauen seien im generischen Maskulinum „mitgemeint”. Wie der Linguist Peter Eisenberg festhält, ist der(!)jenige, der das generische Maskulinum verwendet, „vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit”. Diese Elementartatsache der Sprache, die niemand geschaffen hat, sondern die ein Resultat der kulturellen Evolution ist, wie jede Sprache, wie Sprache überhaupt, ist durch die feministische Unterstellung umetikettiert worden, grammatikalische Maskulina seien „männliche Worte” und das generische Maskulinum sei quasi sprachlich geronnenes Patriarchiat.

Diese Hütchenspielerinnen wollen dem Publikum weismachen, ein grammatikalischer Mechanismus namens Genus sei eine „strukturelle” Diskriminierung der Frauen, denn wenn die gesamte Gesellschaft, wenn jede Brücke, jeder Turm, jede Formel, jede Wissenschaft, jedes Sportgerät, jedes Werkzeug, jede Institution, jede Firma, jedes Jobprofil, jede Sexualpraktik, ja sogar das Klima Frauen diskriminiert, dann kann das in der Sprache ja unmöglich nicht der Fall sein. „Das Maskulinum”, schreibt Eisenberg, zuletzt Professor für deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, „wurde regelrecht sexualisiert.”

Auf diese Weise ist die geschlechtsneutrale Gruppenbezeichnung „Bürger” in die Bezeichnung aller männlichen Bürger umgemogelt worden – als ob der „Bürgersaal” nicht allen 64 Geschlechtern offenstünde –, und jeder politische Redner begrüßt die Frauen im Publikum inzwischen zweimal, wenn er die „lieben Bürgerinnen und Bürger“ anspricht. Wer behauptet, es gebe keinen fundamentalen Unterschied zwischen den Aussagen: „Ich gehe heute Abend zum Italiener” und „Ich gehe heute Abend zur Italienerin”, der will Ihnen eine Bärin aufbinden (im Fall zwei könnte es sich übrigens empfehlen, eine Pariserin einzustecken).
… Alles von Michael Klonovsky vom 6.10.2022 bitte lesen auf
https://www.klonovsky.de/2022/10/gendern-ist-vor-allem-haesslich/

Michael Klonovsky: Gender und „Sprache ist Wohnung“ (6.10.2022)
Michael Klonovsky: „Die Deutschen haben sich daran gewöhnt …“  (6.10.2022)

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