Flechte 2013 – Pilz und Alge

Flechte des Jahres 2013 ist die Zwerg-Schildflechte (Peltigera didactyla). Verliehen hat ihr dieses Prädikat die Bryologisch-Lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa, ein Verein der Moos- und Flechtenkunde. In Baden-Württemberg gilt diese weltweit verbreitete Art als mäßig häufig, im Landkreis kommt sie an etlichen Orten vor. Bemerkenswert an ihr ist, dass sie oftmals an ungewöhnlichen Stellen wächst und sich auf verschiedene Weisen fortpflanzt.
Flechten sind Organismen, die aus zwei verschiedenen Lebewesen bestehen: Nämlich aus einem Pilz und mindestens einer Alge, die in engem Kontakt miteinander stehen. Dieses Zusammenleben ist für beide Partner von Vorteil. Der Pilz umhüllt die Alge und schützt sie vor Austrocknung und anderen Umwelteinflüssen. Quasi als Gegenleistung erhält der Pilz von der Alge Kohlenhydrate, die er zum Leben benötigt, selbst jedoch nicht herstellen kann. Eine Lebensgemeinschaft, von der beide Partner profitieren, wird als Symbiose bezeichnet.

Vielen Flechtenarten ermöglicht dieses Zusammenspiel, Stellen für sich zu erschließen, an denen ansonsten weder der Pilz noch die Alge für sich alleine überlebensfähig wären. Dies gilt auch für die Zwerg-Schildflechte, die sogar in der Arktis und Antarktis vorkommt. Sie gehört zu den Blattflechten, deren Merkmal lappenförmige, flächig entwickelte Vegetationskörper sind. Allerdings handelt es sich dabei nicht um richtige Blätter, wie sie bei Farn- und Samenpflanzen vorkommen.
  
Es gibt 1300 Flechtenarten in Baden-Württemberg
Gleichsam reagieren viele Flechten äußerst empfindlich auf verschiedene Umwelteinflüsse: Etwa gegen Schadstoffe in der Atmosphäre, weshalb etliche Arten Zeigerorganismen für eine gute Luftqualität sind. Andere wiederum wachsen sehr langsam, so dass sie von Störungen in ihrem jeweiligen Lebensraum besonders betroffen sind. Von den insgesamt rund 1300 in Baden-Württemberg bekannten Flechtenarten gilt daher lediglich etwa ein Drittel als gänzlich ungefährdet.
Die Zwerg-Schildflechte ist keine seltene Art, dafür in anderer Hinsicht bemerkenswert. Bei ihr handelt es sich um einen Pionier, der frisch angelegte Böschungen, Wegränder, Kiesgruben und alte Feuerstellen besiedelt. Vom Menschen geschaffene und gestörte Lebensräume also, was für Laubflechten ungewöhnlich ist. Mit der Zeit verändert sie ihr Aussehen und auch ihre Fortpflanzungsweise: Im ersten Stadium besteht Peltigera didactyla zunächst aus kleinen, graubraunen Läppchen, auf deren Oberseite spezielle Ausbreitungskörper – sogenannte Soredien – gebildet werden, die auf ungeschlechtliche Weise entstanden sind. Sie bestehen aus losen Päckchen von Pilzfäden und Algen, welche anschließend zu neuen Flechten auswachsen können. Ältere Exemplare haben ein rosettenartiges Wachstum und pflanzen sich geschlechtlich fort: Sie bilden Fruchtkörper aus, in denen Sporen gebildet werden. Dieser ungewöhnliche Lebenslauf ist übrigens wohl als Anpassung an den oftmals vergänglichen Charakter vieler Stellen, die von der Flechte des Jahres 2013 besiedelt werden, zu deuten: Die schnell einsetzende Produktion von Soredien sorgt nämlich für eine rasche Ausbreitung und Vermehrung – selbst dann, wenn der Wuchsort nach kurzer Zeit gestört oder gar vernichtet werden sollte. Die geschlechtliche Fortpflanzung findet indes erst später statt, wenn sich die besiedelte Stelle auch für längere Zeit als bewohnbar erwiesen hat.
6.12.2013, Andreas Braun

Dieser Beitrag wurde unter Flora abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar