Europa Leitkultur – Aufklaerung

Wie kann unsere Demokratie erhalten und gerettet werden? „Die Antwort darf nicht in der gewohnten, eingefahrenen Reaktion des Liberalismus liegen – Toleranz und Verständnis. Nein! Damit wird sich der Liberalismus nach und nach selbst unterminieren. Wir haben das Recht, Grenzen zu setzen. Wir fühlen uns zu schuldig in Europa, unsere multikulturelle Toleranz ist Ausdruck eines schlechten gewissens eines Schuldkomplexes, an dem Europa zugrunde gehen kann. Die größte Gefahr für Europa ist seine Trägheit, seine Zuflucht in eine Kultur der Gleichgültigkeit und des allgemeinen Relativismus… Was wir brauchen, ist eine übergeordnete Leitkultur, die regelt, auf welche Weise die Subkulturen interagieren.“ Diese Absage an Multikulti und Forderung nach einer europäischen Leitkultur der Aufklärung vertritt nicht irgendein konservativer Intellektueller, sondern der slowenische, linke und atheistische Philosoph Slavoj Zizek (einer der kühnsten Intellektuellen Europas – so der Spiegel) in seinem Beitrag „Unsere Trägkeit ist die größte Gefahr“, Der Spiegel 12/2015 vom 14.3.2015, S. 130-134.

(1) Europa zwischen China und USA: Zizek sieht das globale kapitalistische System bedroht von den „vier apokalyptischen Reitern“ Klimawandel, Biogenetik, Finanzmarktderegulierung und sozialer Apartheid. In der Mitte zwischen dem autoritären Kapitalismus (China) und dem brutalen Neoliberalismus (USA) findet sich die liberale Demokratie (Europa) mit ihren Werten Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, die nicht von den Polen China und USA zerrieben werden darf und die es zu retten gilt.

(2) Menschenrechte über allem: „Der Multikulturalismus mit seinem wechselseitigen Respekt für die Empfindlichkeiten des anderen funktioniert nicht mehr. … Deshalb sage ich als Linker: Wir müssen für unsere eigene Leitkultur kämpfen.“ Zizek plädiert für eine Leitkultur, die aus der Aufklärung und der universellen Gültigkeit der Menschenrechte schöpft und in die sich alle – Christen, Muslime, Konfessionslose – einbringen müssen, auch dadurch, dass sie eigene ‚Dogmen‘ aufgeben. Dazu gibt Zizek zwei Beispiele: „Strenge Muslime finden unsere blasphemischen Bilder und unseren rücksichtslosen Humor, die für uns einen Teil unserer Freiheit ausmachen, unmöglich zu ertragen; genauso finden westliche Liberale Praktiken wie die erzwungene Eheschließung oder das Wegsperren der Frau, die Teil des gelebten Islam sind, unmöglich zu ertragen.“ Die Menschenrechte dürfen nie irgendeiner kulturellen Differenz geopfert werden.

(3) Leitkultur erfordert Ein- bzw. Unterordnung: Derzeit setzt Europa dem Fundamentalismus (Islam, Orthodoxie) nur Laisser-Faire, gutmenschliche Toleranz und ungezügelten Hedonismus entgegen: Wachstum, Konsum, Event, ‚das aller-allerneueste iPhone‘, Genuß. Hier sieht Zizek das Problem: „Individualistischer Hedonismus und Fundamentalismus befeuern einander. Der Fundamentalismus kann wirkungsvoll nur mit einem neuen kollektiven Projekt des radikalen Wechsels bekämpft werden. “ Einem Wechsel weg vom gestressten Euro-Genußbürger hin zum universellen Individuum, das bereit ist, sich zu emanzipieren: „Die europäische Leitkultur ist der Universalismus der Aufklärung, in dem die Individuen sich zu sich selbst als universell verhalten. Das heißt, sie müssen fähig sein, von ihrer Besonderheit abzusehen, ihre partikulare soziale, religiöse oder ethnische Position zu übergehen. Es reicht nicht, einander zu tolerieren; wir müssen unsere eigene kulturelle Identität als etwas Kontingentes, als etwas Zufälliges, etwas Veränderbares erfahren können…. Ich bleibe im Laufe eines Lebens nicht derselbe, aber ich bleibe ich selbst.“ Auch hierzu gibt Zizek ein schönes Beispiel, das einer Muslimin, für die das Kopftuch nicht kontingent, sondern wesentlich ist: „Da liegt das explosive Problem. Das Mädchen, die Frau müsste selbstbestimmt darüber entscheiden. Damit es das kann, müsste es jedoch vom Druck der Familie und der Gemeinschaft befreit werden. Und hier setzt die emanzipatorische Gewalt ein: Die einzige Möglichkeit zur Emanzipation ist die Entwurzelung, das Herausreißen aus dem Anpassungszwang der Gemeinschaft.“ Zu solcher Emanzipation ist der aktuelle Islam in Europa nicht bereit: „Der Islam läßt den Austritt aus der Gemeinschaft der Gläubigen nicht zu.“ Deshalb ist der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ Unsinn!
(4) Fazit: Menschenrechte vor Religionen. Europäische Leitkultur der Aufklärung statt christliche Leitkultur. Islam muß sich reformieren. Eine Leitkultur statt viele Parallelgesellschaften. Laizismus mit Trennung von Kirche und Staat.
Als großes Fragezeichen bleibt Zizek’s Anspruch, die Europäische Leitkultur der Aufklärung könne nur von der Linken erkämpft werden. Warum ‚links‘? Warum nicht einfach ‚europäisch‘?
16.3.2015

 

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