Ethik – Ohne Gott keine Moral

Thesen wie „Ohne Gott keine Moral“, „Die westlichen Werte entstammen dem Christentum“ und „Keine Ethik ohne Religion“ machen glauben, unserer Gesellschaft stehe eine moralische Orientierungslosigkeit und gar Verrohung bevor. Die Realität widerlegt dies: Die Kriminalitätsrate sinkt seit 50 Jahren, und zwar parallel zur Anzahl der Kirchenmitglieder und der Neugetauften. Es wären kühn, eine Kausalität zwischen diesen beiden Entwicklungen herzustellen – aber noch kühner, die umgekehrte Beziehung zu konstatieren. Einerseits verlieren in Deutschland die beiden christlichen Konfessionen immer dramatischer an Mitgliedern, während die Konfessionsfreien (Atheisten, Humanisten, Agnostiker, …) zunehmen. Andererseits leben wir in der EU heute nach den höchsten ethischen bzw. demokratischen Standards der Menschheitsgeschichte. Atheisten führen also ein genauso friedliches, gutes und gesetzstreues Leben wie die Gläubigen.
Die These „ohne Gott keine Moral“ ist aus einem weiteren Grund widerlegt: Unsere demokratische Wissensgesellschaft schöpft ihre ethischen Werte aus Humanismus, Aufklärung sowie Freiheitsbewegungen und sie hat sie festgeschrieben in Menschenrechten, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die allgemeinen Menschenrechte stehen an erster Stelle über allen Religionen. Dies schon allein aus dem Grund, da diese Rechte den Religionen z.T. fremd sind: So finden die Frauenrechte in der kath. Kirche keine Anerkennung, so sind Islam und freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht kompatibel.
10.3.2015

Der Fluch des Christentums
Der Philosoph Herbert Schnädelbach löste mit einer furiosen Anklage gegen den „Fluch des Christentums“ (DIE ZEIT vom 11.5.2000) eine Kontroverse aus, die bis heute nicht verstummen will. Die von Schnädelbach konstatierten „Sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion“ im Abriß:
1. Die Erbsünde: Menschenwürde und Menschenrechte existieren im Christentum nur für Glaubende als von Gott Begnadigte.
2. Die Rechtfertigung als blutiger Rechtshandel: Das Christentum kann sich Glaube/Liebe/ Hoffnung nicht ohne Blut vorstellen; je blutiger, desto authentischer.
3. Der Missionsbefehl: Der Missionsbefehl ist ein Toleranzverbot, denn was anders ist als christlich, ist nur dazu da, getauft zu werden.
4. Der christliche Antijudaismus: Die christliche Judenfeindschaft hat ihre Wurzel in den Evangelien.
5. Die christliche Eschatologie: Wäre es nicht christlicher, die Eschatologie unter das biblische Bilderverbot zu stellen?
6. Der Import des Platonsmus: Das Unheil der christlich-platonischen Diesseits-Jenseits-Unterscheidung besteht darin, dass durch sie die reale Welt zum bloßen Schein herabgesetzt und normativ entwertet wurde.
7. Der Umgang mit der historischen Wahrheit: Der strategische Umgang mit der historischen Wahrheit um einer höheren Wahrheit willen ist ein Erbübel des verfassten Christentums.

Schnädelbach’s Fazit:
„Ich habe den Eindruck, dass das verfasste Christentum in der modernen Welt sein tatsächliches Ende längst hinter sich hat, aber ohne dies bemerkt zu haben. Kirche als moralische Anstalt und als soziale Veranstaltung – das verdient Respekt und Unterstützung. Die Kirchen sind nicht zufällig leer, denn wer versteht schon die Predigten, Bibel- und Liedertexte? In Wahrheit haben die Kirchen nichts spezifisch Christliches mehr zu sagen. Das Christentum hat unsere Kultur auch positiv geprägt, das ist wahr, wenn auch seine kulturelle Gesamtbilanz insgesamt verheerend ausfällt; seine positiv prägenden Kräfte haben sich erschöpft oder sind übergegangen in die Energien eines profanen Humanismus. Der neuzeitliche Aufklärungsprozess folgte dabei selbst einem christlichen Gebot – dem der Wahrhaftigkeit – und damit einer „zweitausendjährigen Zucht zur Wahrheit, welche am Schlusse sich die Lüge im Glauben an Gott verbietet“ (Nietzsche). Erst in seinem Verlöschen könnte sich der Fluch des Christentums doch noch in Segen verwandeln.“

Der Fluch des Christentums: Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion. Eine kulturelle Bilanz nach zweitausend Jahren – von Herbert Schnädelbach, 11.5.2000
https://www.zeit.de/2000/20/200020.christentum_.xml

Kirche nicht verabschieden, sondern reformieren
Es wäre vielleicht ein Gewinn, wenn sich das hier geschilderte „Christentum“ aus der Geschichte verabschieden würde. Doch wie sollte das geschehen? Das ist meines Erachtens nur möglich durch Verwandlung von innen, das heißt durch erneute „Reformation“: Kirchliche Tradition muss an den Grundlagen gemessen und korrigiert werden, an den Schriften der Bibel. Diese Aufgabe ist nie abgeschlossen („Ecclesia semper reformanda“), sie steht vor jeder Generation neu.

Vorwürfe gegen die Kirchen führen nicht weiter
Kritiker werfen dem Christentum und dem Islam vor, sie zögen eine Blutspur durch die Geschichte, weil sie sich anmaßten, mit heiligem Furor zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Demnach wäre der islamistische Terror nur die aktuelle »Version« der monotheistischen Ursünde, des Kampfs gegen die Ungläubigen. Und hat sich nicht auch George W. Bush von seiner Religion verführen lassen? Sein „War on Terror“ beantwortet einen Massenmord, den Anschlag vom 11. September, mit einem Glaubenskrieg im Irak und Afhganistan.

Warum den rechten Gebrauch des Glaubens diskreditieren?
Dass Religion, jede Religion, immer in der Gefahr steht, instrumentalisiert und korrumpiert zu werden, wissen wir. Weder Christen noch Juden noch Muslime sind frei von den Versuchungen des Fundamentalismus. Aber spätestens seit Erich Fromm haben wir unterscheiden gelernt zwischen autoritären und humanitären Phänomenen innerhalb derselben Religion. Auch im Christentum findet sich beides. Warum angesichts der Möglichkeit des Missbrauchs den rechten Gebrauch christlichen Glaubens diskreditieren? Ist unsere Gesellschaft so aufgeklärt und human, dass sie auf seine ethischen Ressourcen verzichten kann?
25.5.2000, Klaus Nagorni, Karlsruhe Evangelische Akademie Baden

Gott ist Liebe
Das Christentum hat etwas zu bieten, das für das Überleben der Menschheit entscheidend sein wird: die Überzeugung nämlich, dass im Tiefsten und Letzten „Gott“ mit Liebe identisch ist. Freilich, das Christentum ist es der Welt bisher schuldig geblieben, dieses Angebot überzeugend zu realisieren. Aber ich will nicht gering bewerten, dass es die Erinnerung an den Satz „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8) durch die Jahrhunderte hindurch bei allem entsetzlichen Verrat wach gehalten hat.
Veit Schäfer, Rheinstetten

Trennung von Kirche und Staat: Religion ist Privatsache
Religion ist Privatsache und Kirchen werden geduldet, solange sie die Menschenrechte unserer demokratischen Gesellschaft respektieren. Aber: Der Einfluß der Kirchen. Hüb S. 106)  a) Uni b) Ausschüsse

Schwund der christlichen Kirchen parallel zum Anwachsen des Islam
Der Mitgliederschwund der kath. und ev. Kirchen in Deutschland geht einher mit dem Anwachsen des Islam. Diese Parallelität hat eine gute Seite, denn damit erhöht sich der Druck, das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland endlich zu klären:
a) Trennung von Kirche und Staat nach dem Vorbild Frankreichs (strenger Laizismus)?
b) Kath. und ev. Religionsunterricht ergänzen durch islam-sunnitischen, islam-schiitischen, islam-alevitischen usw. Religionsunterricht in der Schule? Oder aber Ethikunterricht für alle verpflichtend und bekenntnisorienierte Religion ausserhalb der Schule.
c) Ethikräte und Fachausschüsse (für Problemkreise wie Sterbehilfe/Hospiz, Social Freezing, Kinderrechte/Beschneidung usw.) nicht nur mit Christen besetzen, sondern auch mit Muslimen.

 

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