Die letzten Tage Europas: Broder

In seinem 8/2013 erschienenen Buch „Die letzten Tage Europas“ beschreibt Henryk M. Broder die Tragödie, wie aus der großen Europa-Idee eine bevormundende Ideologie werden konnte – als wahrer Europäer, der die europäische Vielfalt schätzt und die totale Gleichmacherei durch die EU-Bürokraten anprangert. „Wäre die EU ein Staat, der die Aufnahme in die EU beantragen würde, müsste der Antrag zurückgewiesen werden – aus Mangel an demokratischer Substanz“. Wie kann es sein, dass der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz, „ein fröhlicher Rheinländer, mit dem man jede Woche Weiberfastnacht feiern möchte“, so etwas freimütig erklärt? Wie kommt es, dass es für jede unmaßgebliche Bagatelle detaillierte Regeln gibt (von der Gurkenkrümmung über das Olivenölfläschchen bis zum Kondom), aber nicht für den Umgang mit Diktaturen? Was bedeutet es, dass der Terminkalender von Herman van Rompuy, dem ersten ständige Präsidenten des Europäischen Rates, für einen  Donnerstag Ende Dezember 2012 folgendes anzeigt:
17 Uhr, Treffen zu einem Meinungsaustausch mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz;
17.30 Uhr, Gruppenfoto.
17.45 erste Arbeitssitzung.
20 Uhr, Arbeitsessen, gefolgt von einer Pressekonferenz.
„Was für eine aufregende, erfüllte Existenz im Dienste der europäischen Idee!“ – so Broder dazu, für den  „die EU der massivste Versuch einer Ent-Demokratisierung der Gesellschaft seit dem Ende der Sowjetunion“ ist.

EU-Parlament ohne Rechte
„Das EU-‚Parlament‘ ist die einzige Volksvertretung in der sogenannten ‚freien Welt‘, die kein Recht hat, Gesetze vorzuschlagen. … Nicht die 754 Europaabgeordneten, also die Volksvertreter haben das Sagen, sondern die 27 EU-Kommissare aus ebenso vielen Ländern, beziehungsweise 28, nach dem Beitritt Kroatiens im Juli 2013.  Es gilt das Prinzip ‚One state, one vote‘. Anders als in jedem richtigen Parlament gibt es im Europaparlament keine Regierungsfraktion und keine Opposition. Wer einmal eine Abstimmung miterlebt hat, der weißt, was der Begriff ‚Farce‘ bedeutet.“ Ein EU-Kommissar verdient doppelt so viel wie ein Bundesminister, ein Saaldiener des EU-Parlaments dasselbe wie ein promovierter wissenschaftler Mitarbeiter an der Uni. www.ec.europa.eu
   .
Abstellgleis fürs heimische Personal:
„Von allen Parlamenten in Europa ist das Europaparlament nicht nur das größte, sondern auch dasjenige mit der geringsten Legitimation“. Die Wahlbeteiligung ging zurück von 62% in 1979 über 43% in 2009 auf ..?.. am 25.5.2014. Viele Politiker wechseln nach Brüssel bzw. Strassburg nach Querelen im Herkunftsland oder zum lukrativen „800 Euro plus“-Abgang aus dem Berufsleben: „Für mich persönlich ist es ein vernünftiger Abgang aus der Politik, der ohne Krach und ohne Blesuren stattfindet“ – so Lothar Bisky in entwaffnender Ehrlichkeit.

Experten produzieren Papier:
„Die zentrale Rolle kommt nicht dem Parlament, sondern der Kommission zu, die wie ein hypertropher Wohlfahrtsausschuss agiert“. Sie produziert Schriften, Ideen, Vorschläge, Anordnungen, Eingaben, …, die Broder mit „Pleonasmus“ und „Tautologie“ belegt.  Beispiel „Corporate Social Responsibility (CSR)“: Im „Lexikon der Nachhaltigkeit“ www.nachhaltigkeit.info/artikel/eu_gruenbuch_csr_773.htm heißt es „Funktion dieser Stelle soll es sein, einen proaktiven Ansatz in der Antizipierung und Bewältigung des Wandels zu entwickeln.“ Dazu Broder: „Auf die Idee, einen ‚proaktiven Ansatz‘ zur ‚Antizipierung‘ zu entwickeln, kann nur jemand kommen, der sich damit beschäftigt, Prognosen für die Ereignisse von gestern abzugeben“.  
„Die EU beschäftigt Tausende von Experten: Ökonomen, Politologen, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Historiker; sie vergibt darüber hinaus Forschungsaufträge und sie produziert Unmengen von bedrucktem Papier, die von Hunderten Übersetzern in 24 Sprachen übersetzt werden. Wenn all diese Erkenntnisse dort zwar angehäuft und verbreitet, aber letzlich igniroert werden, dann nennt das der Europapolitiker den ‚politischen Willen zur Einheit'“.

EU-Subventionen:
„Der Haushalt der Union für die Jahre von 2014 bis 2020 beträgt eine Billion Euro, als eine Million Millionen Euro. Man muss sich das Budget wie einen großen Topf vorstellen, in den alle etwas einzahlen und aus dem alle etwas bekommen. Die einen mehr, die anderen weniger. Einige finanzstarke Länder, wie die Bundesrepublik, zahlen mehr ein, als sie erhalten, die meisten Länder bekommen mehr heraus, als sie einbezahlt haben. Wie es eben so ist, wenn eine ‚Umfairteilung‘ stattfindet.“
Die Umfairteilung in der EU ist vergleichbar mit dem Länderfinanzausgleich in D – in beiden Fällen müssen die Nutznießer das Geld auch sinnvoll verwenden. Wahlgeschenkefinanzierung an Klientel wie das frühe Renteneintrittsalter (Frankreich) und extrem niedrige Steuern (Malta, Zypern) zählen nicht dazu.

EU-Fördermittel:
Die EU als Geldeinnahme- und verteilungsapparat. „So wie ein Förster während seines Studiums lernt, Eichen von Buchen und Eschen von Fichten zu unterscheiden, lernt ein EU-Fundraiser, Wege durch den EU-Förderdschungel zu finden. …. Auch das professionelle Schnorren kann erlernt werden.“ www.emcra.eu/akademie/qualifizierung-zum-eu-fundraiser . Man kann die bürokratischen Stolpersteine der Anträge auf EU-Förderung auch abwälzen: www.foerdermittel-coaching.de/unternehmungsberatung-fuer-foerdermittel-existenzgruendung-und-franchising.html , wobei die Kosten von der Steuer abgesetzt werden können. 

Die EZB schafft virtuelles Geld
„Die Alternative zur Realwirtschaft heißt Finanzwirtschaft. Wird in der Realwirtschaft aus einem Baum ein Tisch gemacht, aus einem Rind Tafelspitz und aus Aprikosen Marillenschnaps, macht man in der Finanzwirtschaft geld aus Geld. Im Falle der Banken, denen die EZB mit Milliardenkrediten zu Hilfe kam, bedeutet das: Sie wurden in die Lage versetzt, ‚ihre Bilanzen aufzupolieren‘; ndem sie sich gegenseitig Geld leihen, gehen sowohl die Umsätze wie die Gewinne in die Höhe. Dabei ist alles nur eine Frage der Buchhaltung. Das Verfahren funktioniert, solange das Geld der Bankenkreislauf nicht verläßt, also mit der Realwirtschaft nicht in Verbindung kommt.“ Zum Verständnis erzählt Broder die jüdische Anekdote der Freunde Schlomo und Mosche, die sich gegeinseitig ein Kunstgemälde wiederholt verkaufen – zu einem immer höheren Preis. Und den Swinger-Club: A treibt es mit B, B mit C, … bis der Letzte wieder bei A landet – Arthur Schnitzler hat dazu daas Bühnenstück „Der Reigen“ geschrieben.
    .
Armutsmigration wie Reichtumsmigration gibt es nicht:
„Es gibt Naturgesetze, die man nicht ungestraft ignorieren kann. Die Tatsache, dass Menschen ihrem Elend zu entkommen versuchen, indem sie irgendwo hinziehen, wo vermeintlich Milch und Honig fließen, gehört dazu. deswegen ist der Begriff ‚Armutswanderung‘ nicht nur irreführend, sondern idiotisch.“ In einer EU mit Euro als Einheitswährung (macht Lebensverhältnisse vergleichbar), offenen Grenzen und Reisefreiheit muß eine Migrationswelle einsetzen, die nur Verlierer kennt: Die armen Länder (Fachleute fehlen, Landstriche veröden)  wie die reichen Länder (Sozialprobleme, Slums).
  
 .  
Henryk M. Broder:
Die letzten Tage Europas – Wie wir eine gute Idee versenken
Knaus, 8/2013, 256 S. 19,90 Eurp, ISBN 978-3-8135-0456-9

Dieser Beitrag wurde unter Buchhandel, EU, Finanzsystem abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar