Deutsche Interessen statt Moral

„Die eigenen Interessen eines Staates zählen, nicht die Werte. Wenn ein Politiker anfängt, über „Werte“ zu schwadronieren, dann ist es höchste Zeit, den Raum zu verlassen“.
Dieses Diktum von Egon Bahr, dem außenpolitischer Berater von Willy Brandt, nehmen alle souveränen Staaten in Anspruch, für ihre Außenpolitik („Überleben wir?) und Innenpolitik („Wie leben wir?“).
Es ist geschrieben am Brandenburger Tor („Dem deutschen Volke“) und gesprochen im Amtseid der Minister („Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“).
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Es liegt im deutschen Interesse, als Land in der Mitte Europas mit all seinen Nachbarn gute Beziehungen zu haben. Dies erkannte Willy Brandt mit seiner nach Osten gerichteten Entspannungspolitik, die er zum Mißfallen der USA zu einer Zeit durchsetzte, als Russland die DDR unter seiner Knute hielt. Warum sollte diese im Kalten Krieg so erfolgreiche Entspannungspolitik nicht mehr gültig sein, nachdem Russland in der Ukraine einmarschiert ist?

Das deutsche Interesse rangiert vor den Interessen anderer wie z.B. der EU (EuGH), den USA („Hegemonialmacht weltweit“), der Ukraine, der Russischen Föderation, des WEF („Great Reset“) und der Melinda and Bill Gates Foundation (kontrolliert die WHO). Wenn Annalena Baerbock in Prag erklärt, “Ich unterstütze das Volk der Ukraine, egal was meine deutschen Wähler denken” bzw. „no mat­ter what my German voters think, but I want to deli­ver to the peop­le of the Ukrai­ne“, dann stellt sie entgegen ihrem Amtseid das Interesse der Ukraine vor das deutsche Interesse.

Die Grundlagen der Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr, also die gegenseitige Anerkennung von Sicherheitsinteressen, mit dem Ziel der Beilegung von Konflikten, sind durch die deutsche Aussenpolitik nach dem 24.2.2022 („Russland ruinieren“ der Aussenministerin) in einer historischen Lüge zur Ursachen des Ukrainekriegs uminterpretiert worden.

Jeder Interessenkonflikt muß im Sinne eines Interessenausgleichs gelöst werden. Dies gilt auch für die unterschiedlichen deutschen und amerikanischen Interessen:
a) In seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ von 1997 schrieb Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, die Hegemonie der USA erfordere, daß Russland keine Kontrolle über die Ukraine (Bodenschätze, Zugang zum Schwarzen Meer) erlangt.
b) Stratfor-Chef Georg Friedman wiederholte 2015 das Ziel der US-Aussenpolitik, daß es weiterhin keine Kooperation zwischen Russland und Deutschland geben darf. Deshalb der Widerstand der USA zu Lieferungen von Kohle, Erdöl und Gas von Russland nach Deutschland.
c) Die stellv. US-Aussenministerin Victoria Nuland gibt 2016 freimütig zu, daß die USA fünf Mrd Dollar zur Installation einer US-freundlichen Regierung in Kiew ausgegeben haben.
Dazu Ulrike Guérot (siehe (5) unten): „Daß die Amerikaner alles in der EU bestimmen ist real, die Frage ist nur, wann wir dies bemerken. Und ob wir uns trauen, den Amerikanern zu widersprechen, ohne uns zu Feinden zu machen.“
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Die Forderung „Deutsche Interessen first!“ wird im politischen Spektrum von links bis rechts immer dringlicher erhoben. Besorgniserregend dabei ist, daß Kritik sowie abweichende Meinung immer mehr als Staatsdelegitimierung, „Gewalt von rechts“, Linksterror bis hin zu Nazi abgetan werden. Dabei braucht eine offene Gesellschaft (offen nicht im Hinblick auf unkontrollierte Grenzen, sondern im Popper-schen Sinne im Hinblick auf einen ergebnisoffenen Diskurs) eine Diskussionskultur voller konstruktiver Kritik.
Hierzu sechs kritische Stimmen:

(1) Eugen Drewermann (Friedensbewegung)
Eugen Drewermann hat in seiner „Rede gegen den Krieg“ den Ukrainekrieg scharf verurteilt. Eine große Rede https://youtu.be/0yUMuRiqiOY. für die man sich die Zeit nehmen sollte. Die Rede eines der gebildetsten Intellektuellen in heutigen Deutschland, der über eine Stunde frei spricht. Die Rede eines Theologen, der gegen den Krieg immer wieder mit der Bergpredigt als Botschaft argumentiert.
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(2) Sahra Wagenknecht (Linke) in „Sanktionen nein – Erdgas ja (17.9.2022)
Jedes Projekt muß man evaluieren (lat „valere“ für „wert sein“), um seinen Wert bzw. seine Wirksamkeit festzustellen. Dies gilt auch für die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nach dessen völkerrechtswidrigem Einmarsch in die Ukraine am 24.2.2022. Olaf Scholz selbst hat im März 2022 erklärt: „Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht stärker treffen als Russland.“
Auch Sahra Wagenknecht unterstreicht diese Forderung in ihrem Video „Selbstgemachte Energiekrise“ vom 17.9.2022: https://youtu.be/U3JInRxTJek.
Darin bekräftigt sie nochmals ihre in der letzten Bundestagsdebatte in Berlin vorgetragene und mit viel Zustimmung bedachte Argumentation: https://youtu.be/J7AWlKXV8_I
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(3) Rede von Alice Weidel (AfD) am 19.5.2022 im deutschen Bundestag: https://youtu.be/ApNUJ45dE-w . Mehr dazu hier in „Weidel zur Ukraine: Das ist nicht unser Krieg“

(4) Oskar Lafontaine
Wer Frieden will, muss sich von den USA befreien“
Rede beim 34. Pleisweiler Gespräch
am 17. September 2022 in Kapellen-Drusweiler
https://youtu.be/NwyolbqGI6k, 1 Std
Oskar Lafontaine: „Deutschland handelt im Ukraine-Krieg als Vasall der USA“ , Beitrag in der Berliner Zeitung vom 30.8.2022
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(5) Ulrike Guérot in ihrem Beitrag „Vier Kriege toben in der Ukraine“ am 2.6.2022:
„Gemäß der US-geopolitischen Doktrin des amerikanischer Politikwissenschaftlers und Politikberaters Zbigniew Brzeziński verbietet der hegemoniale Anspruch der USA eine Kooperation von Deutschland bzw. EU und Nato mit Russland. Deshalb wird auf ukrainischem Boden eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen USA und Russland ausgefochten.“
Im Pleisweiler Gespräch mit Guerot am 17.7.2022:
https://youtu.be/z6Oe_sMBfEE

(6) Klaus von Dohnanyi (93), das letzte noch lebende Mitglied der Regierung Willy Brandt, sagte am 25.3.2022 bei Lanz: „Wir müssen jeden Schritt tun, um uns nicht nur zu bewaffnen, sondern auch zukünftige Kriege zu vermeiden. … Das kann am Ende nur Diplomatie – und wie ich meine, auch das Verständnis nationaler Interessen aller Beteiligten… Wir brauchen auch den Versuch eines Ausgleichs mit Russland – auch nach Putin.“ https://www.zdf.de/nachrichten/politik/dohnanyi-lanz-ukraine-krieg-russland-100.html
Ein lesenswertes Buch:
Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche, Siedler 2022
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Olaf Scholz hat im März 2022 erklärt: „Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht stärker treffen als Russland.“ Dies tun sie aber. Aufgrund des Gas-Energiemangels läuft Deutschland in den inneren Notstand und die Deindustrialisierung hinein, während Putin den Ukrainekrieg unvermindert fortsetzt.
„Wir erleben gerade, dass wir auf russisches Gas nicht verzichten können. Unsere Sanktionen haben diese Mangelsituation auch mit verursacht“ – so der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am 23.9.2022.
Der Importverzicht auf russische Energie muß sofort aufgehoben werden. Diese Rücknahme von Embargos bzw. Sanktionen muß so lange gelten, bis im Rahmen der Energiewende in Deutschland für das Erdgas ausreichend und bezahlbar Ersatz in Form von erneuerbaren Energien, Kernenergie bzw. neuen technologischen Verfahren (allen voran Stromspeicher) verfügbar ist.

Zurück zu Egon Bahr bzw. Willy Brandts Mahnung „Die eigenen Interessen eines Staates zählen, nicht die Werte“. Die derzeitige ideologie– und moralgeprägte deutsche Aussenpolitik (Werte) muß endlich einer realistischen Aussenpolitik (Interessen) weichen.

Klaus von Dohnanyi: USA und D haben unterschiedliche Interessen (23.9.2022)
10.10.2022

Klaus von Dohnanyi (SPD) 23.9.2022: D hat die Energiekrise selbst verschuldet

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Geht es in der internationalen Politik nur um „die Interessen von Staaten“?“
Vermutlich wird der frühere deutsche Politiker Egon Bahr und Zuarbeiter Willy Brandts bei der Umsetzung der Entspannungspolitik mit keiner Äußerung so oft zitiert wie mit dieser: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Willy Brandt: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.“

Bahrs Satz ist für die Friedensbewegung so wichtig
2. Leserbrief
Lieber Albrecht Müller, der Begriff Interesse erweckt bei mir nicht die einschränkende Bedeutung auf unmittelbares materielles Interesse, unstreitig gehören z.B. Sicherheitsfragen mit dazu. Auch mache ich, abseits staatsrechtlicher Details, keinen Unterschied zwischen Staat und Volk, denn den Staatsapparat hatte Bahr sicher nicht im Sinn.
Zudem scheint mir anerkannt, dass die Frage „welches Interesse hast Du oder hat ein Staat?“ – sofern sie heutzutage überhaupt noch gestellt wird – immer zuerst von den Betroffenen oder ihren legitimen Vertretern selbst beantwortet wird. Das macht den Begriff des Interesses thematisch offen und für den Betroffenen individuell deutbar. Grundsätzlich eine gute Voraussetzung für jede Konfliktbeilegung. Ich weiß, in Talkshows läuft das anders.
Im aktuellen Kriegskonflikt USA/Ukraine/Donbass/Russland unterscheidet der Mainstream zwischen Gut und Böse, was Michael Lüders zum Gegenstand seiner Betrachtungen macht. Das sind einseitige wertende Zuschreibungen. Sie sollen offensichtlich die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Wertewestens verschleiern, welche den Konflikt wenigstens seit 2014 befeuern. Diese werden in der medialen Öffentlichkeit weder nennenswert thematisiert und schon gar nicht offen und strittig diskutiert. Hier versagen die Konzernmedien und öffentlich-rechtlichen Sender auf fast ganzer Linie.
Die Aussage Egon Bahrs verlangt, diesen Schleier zu lüften und den Blick wieder auf die Kernfragen und -Erwartungen der Beteiligten zu richten. Das macht seinen Satz gerade für die Friedensbewegung so wichtig. Widerstreitende Interessen zu kennen und Ausgleich zu suchen ist Teil einer umfassend ansetzenden Friedenslogik, für die sie auf die Straßen geht und zu der wir alle zurückfinden müssen. Im Interesse der vom Konflikt betroffenen Staaten, d.h. ihrer Völker.
Bahrs Worte benennen das Gegenmodell zum messianischen Kreuzzug des Westens, der unversöhnlich seiner eng militärischen Kriegslogik folgt. Ich gewinne ihnen viel ab, denn sie passen zu meinem obersten politischen Programmsatz, der da lautet: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, nach Innen und nach Aussen“. (Willy Brandt, 29.9.1969, gest.am 08.Oktober 1992)
12.10.2022, U.F.

Bahr: …. nicht auf hochmoralisches Wortgeklingel hereinfallen
danke für ihren Artikel, der wichtige Aspekte der Außenpolitik von Brandt/Bahr verdeutlicht, insbesondere Ihre Gegenüberstellung der beiden Versionen des Umgangs zwischen den Völker.
Allerdings habe ich die Äußerung Egon Bahrs über Interessen von Staaten immer etwas anders verstanden. Er hat damals meines Wissens vor Schülern (Schulklasse aus Heidelberg) gesprochen und hat sie davor gewarnt, nicht auf hochmoralisches Wortgeklingel hereinzufallen, etwa in dem Sinne: Sie reden von Demokratie, Menschenrechten, von Mädchenschulen und Brunnen und der Notwendigkeit zu helfen oder gar mit Waffengewalt die Menschen zu schützen (R2P)… — Nein! Es geht dabei immer um eigene Interessen, die hinter dem Wortgeklingel verborgen werden sollen, „… merken Sie sich das!“ Mit freundlichen Grüßen
12.10.2022, B.M.

Bahr: … mit welchen Mitteln ich die Interessen vertrete
In Ihrem Artikel “Geht es in der internationalen Politik nur um „die Interessen von Staaten“?“ konstruieren sie einen falschen Gegensatz, wenn Sie schreiben, “Aber die Politik der Verständigung ist aus meiner Sicht um vieles zielführender als die lautstarke, nackte Interessenvertretung”.
Die Äußerung von Egon Bahr ist völlig korrekt. Eine andere Frage ist, in welchem Geiste und mit welchen Mitteln ich die Interessen vertrete. Wähle ich den konfrontativen und gewalttätigen Weg, wie ihn zum Beispiel die USA beschreiten, oder einen kooperativen Weg, wie er in der Entspannungspolitik zum Ausdruck kommt.
Sehr schön deutlich wird dies in der folgenden Grafik, welche die derzeit zwischen den Staaten herrschende „Sicherheitslogik“ einer „Friedenslogik“ gegenüberstellt.
https://pzkb.de/wp-content/uploads/2017/09/friedenslogik_d-8s-web.pdf
Netzwerk der Zivilgesellschaft zur Überwindung der Gewalt.
12.10.2022, H.Z.
… Alles vom 7.10.2022 bitte lesen auf
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88940
12.10.2022
https://www.nachdenkseiten.de/?p=89121

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