Demokratie braucht Spalter

Dem Spalter bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder er kritisiert und wird ausgegrenzt. Oder er schweigt und läuft konform mit. Letzterer zählt zur „Schweigenden Mehrheit“. Das Problem liegt im mangelnden Demokratieverständnis hierzulande: Abweichende Meinung frei zu äußern, offen zu demonstrieren und gefahrlos zu diskutieren, dies ist fundamentales Element der Demokratie.
Spätestens seit Budapest 9/2015 jedoch wird abweichende Meinung ‚bestraft‘ über vielfältige Instrumente wie Kontaktschuld, Nazi-Keule, Political Correctness, Framing, Gesinnungsethik, Mobbing, Cancel Culture, De-fakto-Berufsverbot.
.
Jan Fleischhauer warnt vor der Kuhstallwärme: „Es heißt immer, die Spaltung der Gesellschaft nehme zu. Ich bin absolut für Spaltung. Ich halte Spaltung in einer Demokratie für das Normalste der Welt. Mir geht nichts so sehr auf die Nerven wie die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft. Wo es zu harmonisch wird, nehme ich Reißaus.“ (https://www.mediummagazin.de/ 4-2020).
Der Kabarettist Andreas Rebers formuliert pointiert: „Es konnte sich niemand vorstellen, wie ein erfolgreiches Geschäftsmodell die Spaltung der Gesellschaft ist.“
.
Wer seine abweichende Meinung nicht im Verschweigen unterdrückt, sondern als Kritik konstruktiv artikuliert und begründet, der müsste als Demokrat eigentlich belohnt werden. Warum hat die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) dieses Aufgabenfeld noch immer nicht entdeckt?
28.11.2020
.

Ja, wir sind gespalten!
„Entzwei und gebiete! Tüchtig Wort“: Als Feind wird markiert, wer anderer Meinung als die Mehrheit – von Thorsten Hinz
Folgt man der öffentlichen Rhetorik, dann sind die Spaltungen, die von brandgefährlichen Spaltern verursacht werden, die schlimmsten aller politischen und gesellschaftlichen Übel. Der gefährlichste Spalter ist natürlich Donald Trump, der die amerikanische Gesellschaft und darüber hinaus den Westen gespalten hat. In Osteuropa spalten autoritäre Regierungen die europäische Wertegemeinschaft, weil sie sich der muslimischen Einwanderung widersetzen. In Deutschland werden Haßverbreiter, Ausgrenzer, Rassisten, Verschwörungsgläubige, Klimaleugner, Islamophobe, Sexisten, Covidioten und natürlich die Rechten als Spalter identifiziert.
.
Die Spalter zerteilen laut Wörterbuch ein Ganzes, sie zerstören eine Einheit, etwa die Einheit des Staates, der Gesellschaft, der Nation. Gäbe es die oben genannten Spalter nicht oder könnte man sie eliminieren, so muß man annehmen, würden alle die Hand sich reichen und Harmonie, Vernunft, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte das Land, Europa und die Welt bis in den letzten Winkel erfüllen. Merkwürdigerweise wurde auch der CDU-Politiker Friedrich Merz, der keiner der genannten Kategorien des Bösen angehört, als Spalter bezeichnet. Grund ist sein – vermutlich zutreffender – Vorwurf an das Parteiestablishment, es wolle mit der Verschiebung des Parteitags seine Wahl zum Vorsitzenden verhindern.
Das Wort bezeichnet offenbar zwei unterschiedliche Spalter-Qualitäten, eine traditionelle und eine moderne. Auf die traditionelle Bedeutung bezieht sich der vormalige Spiegel-, jetzt Focus-Autor Jan Fleischhauer, wenn er sagt: „Ich bin absolut für Spaltung. Ich halte Spaltung in einer Demokratie für das Normalste der Welt. Mir geht nichts so sehr auf die Nerven wie die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft.“ Fleischhauer moniert die Schläfrigkeit des politischen Diskurses und die dahinterstehende Erwartung, der Konsens müsse feststehen, bevor der Streit überhaupt erst begonnen hat. Er orientiert sich am Demokratie-Ideal, wonach der öffentliche Austausch von Argumenten, der Meinungsstreit, idealerweise zur besten aller möglichen Lösungen führt.
.
Die „Kuhstallwärme“ gehört zum Biedermeier der alten Bundesrepublik, der sich zum Teil aus der Geschichte erklärt. In der Weimarer Republik waren die politischen Lager so unversöhnlich aneinandergeraten, daß am Ende alle gemeinsam in den Abgrund rauschten. Herbert Wehner erklärte 1960 als Fraktionschef der SPD im Bundestag: „Das geteilte Deutschland (…) kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen.“
Zum „Konsens der Demokraten“ gehörte auch die stillschweigende Akzeptanz der Bundesrepublik als ein Protektorat, das politisch unter Aufsicht und moralisch unter Bewährung stand. Das führte zu einer politischen Bräsigkeit, die sich habituell im CDU-Kanzler Helmut Kohl personifizierte. Kohl sei, so Karl Heinz Bohrer, „eine Art Refrain auf den Durchschnittstypus einer westdeutschen Kleinstadt – und Westdeutschland bestand nur aus solchen Kleinstädten“. Als der ebenso bräsige Johannes Rau 1987 als SPD-Kanzlerkandidat gegen ihn antrat, wählte er das bezeichnende Motto: „Versöhnen statt spalten.“
.
In der alten Wortbedeutung meint „Spaltung“ also Abweichung von einer politischen Mentalität. Im modernen Gebrauch geht es ums politische Prinzip. Der Begriff dient der Feindmarkierung. Als Feind wird markiert, wer gegen die Transformation der Gesellschaft in eine „neue Normalität“ und die Degenerierung des Nationalstaates zur neu aufgesiedelten Verwaltungseinheit eines Global-Regimes opponiert.
Das neue Ganze, das in Deutschland gerade geschaffen wird, umschließt neben den Staatsbürgern, die „schon länger hier leben“, auch alle, die „neu dazugekommen sind“ (Angela Merkel) und prospektiv sogar jene, die erst noch im Begriff sind, hierher aufzubrechen.
Dieser Prozeß hat bereits zur Aufspaltung der relativ homogenen Einheit in eine multitribale Konfusion geführt, in der sich immer weniger Beteiligte an rechtsstaatliche Normen und immer mehr an ihre Stammeszugehörigkeit und an religiöse Vorschriften gebunden fühlen.
.
Ausgerechnet die Kritiker der offenkundigen Spaltungen und Fragmentierungen werden mit der geballten Macht des politisch-medialen Komplexes als „Spalter“ ins Aus gestellt. Dem liegt ein heilsgeschichtliches respektive ideologisches Politikverständnis zugrunde: Für das künftige Glück der globalen Menschengemeinschaft müssen Opfer erbracht werden. Wer sich dieser Einsicht verschließt, ist ein Häretiker, ein Feind – ein Spalter eben. So schied der vormalige Bundespräsident Joachim Gauck die Landeskinder, die zum hellen Deutschland gehören, von den Finsterlingen aus Dunkeldeutschland. Letztere, so die Insinuation, seien moralisch minderwertige, unmaßgebliche Feinde der im Entstehen begriffenen, neuen Republik.
Damit sie gelingt, wird die Gesellschaft in besinnungslosen Taumel versetzt. Die Kämpfe gegen Rechts, gegen die Klimaerwärmung, gegen Corona absorbieren alle Aufmerksamkeit und Kraft und dulden keine Zweifel. Selbst der FDP-Vorsitzende Christian Lindner mußte sich vorhalten lassen, seine Kritik an den Corona-Maßnahmen befördere „die derzeit immer stärker werdende Spaltung in der Bevölkerung“.
Hier geht es nicht um demokratischen Meinungsstreit, sondern um die Behauptung absoluter Wahrheiten. Das Zeitalter der Ideologien hatte 1989 nicht geendet, es hatte nur eine Pause eingelegt.
Früher waren die Ideologen ehrlicher. Sie heuchelten keinen demokratischen Konsens, sondern sprachen von antagonistischen Gegensätzen, deren Austrag Sieger und Verlierer kennt. Was die einen als Gewinn einzustreichen hofften, sollten die anderen als Verlust hergeben.
Jeder Versuch, den Spalter-Vorwurf zu widerlegen, ist Zeitverschwendung. Ja, das Land ist gespalten, aber anders als Politik und Medien behaupten. Täuschende Konsensangebote à la „Wir müssen reden!“ sind Aufforderungen zur Unterwerfung. Der gesunde Menschenverstand muß die Illusion aufgeben, mit der permanenten Kriegserklärung an ihn ließe sich eine Übereinkunft erzielen, und präzise die realen Spaltungen benennen, solange das noch möglich ist.
… Alles vom 6.11.2020 von Thorsten Hinz bitte lesen in der JF 46/20, Seite 13
https://www.junge-freiheit.de
.
…  divergierende Ansichten als Positivum
Thorsten Hinz hat zum Thema gesellschaftlicher „Spaltung“ wie immer, auch diesmal eine der realen Lage entsprechende Analyse geliefert. Steht ein so wichtiges Problem wie das der Massen­immigration im öffentlichen Feuer engagiert geführter Debatten, muß es zwangsläufig zu divergierenden Ansichten kommen. Das wird hierzulande als gesellschaftliche Spaltung verteufelt und ersatzweise die bleierne Einheitsmeinung zelebriert.
In Wirklichkeit geht es bei diesem vermeintlich allgemeinen Willen zur Zustimmung für die Einwanderungspolitik der Regierung um einen sanktionsbewehrten Herrschaftskonsens. Wer nicht konform mitläuft, wird ausgegrenzt und eliminiert. Und wer sich aus beruflichen oder anderen Gründen keine Kritikäußerung leisten kann, schweigt besser. Wieso soll der Zustand gespaltener Meinung nicht demokratisch sein?
13.11.2020, Manfred D. Kempa, Unterhaching, JF 47/20, Seite 23
.
Kritisieren in der Demokratie belohnen
10 Euro fürs Redenhalten in der „Speakers Corner“ (allüberall, nicht nur im Hyde Park in London), 5 Euro fürs Demonstrieren, 4 Euro fürs Pro-Contra-Argumentieren, 6 Euro fürs Diskutieren?
13.11.2020, K.B.

Dieser Beitrag wurde unter Bildung, Buergerbeteiligung, Engagement, Integration, Kultur, Zukunft abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar