Regionalgeld

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Blick nach Norden über Herrenschwand-Hinterdorf zum Herzogenhorn (oben rechts) am 24.8.2008

 

 

Regionale Währungen in Europas Krisenländern

Die Finanzkrise in Europa hinterlässt im Süden immer tiefere Spuren: Auf Zypern erhalten die Menschen kein Geld mehr von den Banken, in Athen hat inzwischen jedes vierte Geschäft geschlossen, in Portugal gibt es in bestimmten Regionen keine funktionierende Wirtschaft mehr. Zwar wird in Brüssel immer wieder über große Wachstumsprogramme zum Bau von Straßen, Solarkraftwerken oder Windkraftanlagen in den Krisenländern gesprochen. Konkrete Beschlüsse blieben bisher aber aus. Wenn jedoch teure Programme nicht zustande kommen, warum unterstützt die Europäische Union dann nicht kleine unternehmerische Initiativen, die wenig kosten, aber den Menschen vor Ort viel bringen? Zum Beispiel mit Hilfe von regionalen Währungen, die sich in anderen Ländern längst bewährt haben.
Zugegeben, die Chiemgauer, Freitaler (in Freiburg) oder wie sie in Deutschland sonst noch heißen, werden gerne belächelt. Doch für die örtliche Wirtschaft können sie mehr bewirken, als viele Beobachter ahnen. Auch im reichen Deutschland. Das erfolgreichste Modell läuft im Chiemgau – und wird dort von Sparkassen und Volksbanken unterstützt. Das Muster ist einfach: Wer dem Chiemgauer e.V. beitritt, kann einen Euro in einen Chiemgauer umtauschen. Und mit diesem Gutschein dann in jenen 637 Unternehmen einkaufen, die ebenfalls dem Verein angehören. Wird der Chiemgauer in einem bestimmten Zeitraum nicht ausgegeben, verliert er an Wert. Weil mit Chiemgauern nur in lokalen Geschäften und nicht bei Aldi, Lidl und Co. eingekauft werden kann, erzeugen sie eine Art Konjunkturprogramm für die örtliche Wirtschaft. 661 000 Euro wurden bisher in Chiemgauer umgetauscht. Sie haben im vergangenen Jahr rund zehnmal den Besitzer gewechselt. Der Umsatz von knapp sieben Millionen Euro kommt der lokalen Wirtschaft zugute – das hat vor Jahren eine Untersuchung der Universität München belegt, deren Verfasser der regionalen Währung eher skeptisch gegenüberstehen.

Was solche ergänzenden – in der Fachsprache komplementären – Währungen bewirken können, zeigt sich im Schwellenland Brasilien. Dort sind 67 komplementäre Währungen in Umlauf. Die Wichtigste heißt „Palmas“ und wird von den mehr als 30 000 Bewohnern des Armenviertels Conjunto Palmeiras in der Millionenstadt Fortaleza im Nordosten des Landes genutzt. Der Bürgermeister und kirchliche Aktivisten stellten dort Ende der 1990er Jahre fest, dass die Menschen immer mehr verarmen. Geschäfte gab es so gut wie keine mehr, und wenn die Einwohner Geld ausgaben, dann für Waren aus reicheren Teilen Brasiliens oder für ausländische Billigprodukte. Das Geld wanderte ab. Dann versuchte die Stadtverwaltung eine neue Strategie. Sie gründete die Gemeindebank Banco Palmas und schuf eine lokale Währung. Alle Bewohner können die brasilianische Währung Real seitdem in Palmas umtauschen. Sie können auch kleine Beträge in Palmas zinsfrei leihen, um Waren zu kaufen, ein kleines Gewerbe aufzubauen oder das eigene zu renovieren. Die Bürger können staatliche Leistungen in Palmas abrechnen, die Stadtverwaltung bezahlt manche Rechnungen ebenfalls in Palmas. Nach Anfangsschwierigkeiten veränderte die neue Währung das Stadtviertel. Da Palmas nur dort ausgegeben werden können, blühten lokale Geschäfte und Handwerksbetriebe wieder auf. 250 gibt es inzwischen davon, und sie bezahlen auch untereinander in Palmas. Innerhalb von zehn Jahren entstand wieder ein lokales Netz von Konsumenten und Kleinbetrieben in Conjunto Palmeiras – und dieser Kreislauf schuf neue Jobs. Der Lebensstandard ist gestiegen. Fernando de Melo, der Vertreter des Bischofs vor Ort, sagt: „Die Palmas bleiben im Viertel. Das heißt: Selbst wenn es draußen kracht, bleibt unser wirtschaftliches und soziales Netz erhalten.“
Nach dem gleichen Muster könnten solche Währungen auch in Zypern, Griechenland oder in Portugal die lokalen Wirtschaftskreisläufe beleben und örtliche soziale Netze schaffen. Dabei ersetzen Palmas oder Chiemgauer weder den Euro noch die notwendige Regulierung der Finanzmärkte. Sie sind auch kein Ersatz für große Investitionen in die Infrastruktur. Doch in dem Augenblick, in dem die Europäische Union regionale Währungen in dahinsiechenden Regionen fördern würde, stärkte sie das wichtigste Gut der Menschen, ohne das die Krise nicht gelöst werden kann: ihre Kraft zur Selbsthilfe.
23.3.2013, Wolfgang Kessler 
Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der unabhängigen christlichen Zeitschrift Publik-Forum

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