Bildungsideal – Digitalisierung

Wir bewundern den gebildeten, weit gereisten Menschen, dessen Heimat die Welt ist, ignorieren aber, dass dieser als Vielflieger ein übler Öko-Vandale ist. Das Bildungsideal von Autonomie, Persönlichkeitsentfaltung und individueller Freiheit muß radikal korrigiert werden, da es sich als ein Kollaborateur des Klimawandels erwiesen hat: Das deutsche Bildungsideal, von Herder und Schiller formuliert und Humboldt und Hegel tradiert, stellte Sprache, Philosophie und Kunst in den Vordergrund, übernahm mit der industriellen Revolution (Dampfmaschine, Verbrennen von Kohle, Erdöl und Gas) dann das rechnende Denken der technischen Weltbeherrschung. Bildungsbegriff und Energieverbrauch liefen parallel:
(1) Um 1800 nutzt nur die sog. Bildungselite die neuen Energieträger,
(2) um 1900 die Oberschicht und das Bürgertum,
(3) um 1970 gilt ‚energieintensiver Lebensstil und Bildung für alle‘.
Man meinte, Technik könne die Natur beherrschen, welch ein Irrtum. Der Klimawandel ist ein Ohrfeige, die die Natur in unsere bildungsblasierten Gesichter schmettert. Auf das technologisch optimierte Verfeuern von Kohle, Gas und Öl im großen Stil feuert die Natur jetzt zurück mit Überschwemmungen, Dürren und Hurrikans. Der Techniker hatte die Natur nie beherrscht, das Zusammenwirken von Techno- und Biosphäre muß in einen neuen Bildungsbegriff eingehen – im Sinne einer „allgemeinen Ökologisierung des Denkens und der Theorie“ (Medienwissenschaftler Erich Hörl).
„Ziel der Bidung sollte nicht das Zwecklose sein, die Autonomie, die Selbstbestimmung, auch nicht das große Wort Freiheit; vielmehr geht es nun darum, Einsicht zu gewinnen in die komplexe Gemengenlage, die menschliche und nichtmenschliche Akteure miteinander verbindet. Gebildet sein müsste heute heißen: sich berühren lassen von der Mitwelt, ein Verständnis des Lebensnetzes, das menschliche und nichtmenschliche Akteure fortwährend koproduzieren a)“
.
Das Lebensnetz umfaßt neben Energie-, Waren- und Dienstleistungs- auch Informationsströme. Damit sind wir mit der Digitalisierung nach den Etappen (1) – (3) bei der Bildungsetappe (4) angelangt: Der gebildete Mensch begreift, dass in diesem Lebensnetz keine Handlung – auch nicht die an PC, Smartphone bzw. online – ohne Folgen bleibt. Angesichts der ökologischen Katastrophe wird es eine Frage der Bildung sein: Entweder exzessiver Digitalpakt oder positive, gemeinschaftliche Selbstverkleinerung des Menschen. Die Welt im Sinne des Schönen, des Seltenen, des Wahren, der Schonung und des Miteinanders erfahren, nutzen und auch programmieren – oder eben nicht.
.
Ein Beispiel: „Die Smartphones, von denen kaum jemand die Finger lassen kann, sind zweifellos recht schön. Aber längst nicht schön genug. Nicht nur werden für ihre Produktion seltene Rohstoffe abgebaut, sondern die Geräte verhindern auch eine umfassende ästhetische Erfahrung. Sie verschließen sich vor ihren Nutzern, lassen sich, bis sie weggeschmissen werden, weder phsisch noch digital öffnen. Vom alten Bildungsideal der Autonomie bleibt dem Individuum in dieser verschlossenen Welt nur die Freiheit, Entschedungen hinnerhalb klar vorgegebener Grenzen zu treffen. Das ist, im Kern, Erziehung zur Postdemokratie.
Eine „Elementarbildung zur Industrie“ (wie sie schon Pestalozzi angeregt hat) müsste an diesem Punkt ansetzen. Sie würde das Bewußtstein schärfen, wann ein Produkt (wie das Smartphone) oder Programm (wie Facebook) als hässlich zu bezeichnen wäre; nämlich wenn es auf Kosten der menschlichen oder nichtmenschlichen Mitwelt hergestellt oder eingesetzt wird oder sich gegen sie verschließt. Als schön gälten Produkte, wenn sie sich der Teilhabe menschlicher und nichtmenschlicher Akteure öffneten“.
.
Die Ökobilanz eines Smartphones .- ob von Samsung oder gar vermeintlich nobel und edel von Apple – ist grauenhaft. Wenn der gebildete Mensch dies nicht erkennt, dann mag er ein Tölpel sein oder aber unser an Schulen und Hochschulen vermitteltes Bildungsideal (3) taugt nichts.
1.11.2017

a) Maximilian Probst: Umdenken oder untergehen. Auf der Suche nach inem neuen Bildungsbegriff. Das Ideal der Aufklärung ist am Ende – es hat den Planeten zerstört. Der Mensch muß lernen, seine eigene Freiheit zu begrenzen, DIE ZEIT vom 26.10.2017, Seite 66

Dieser Beitrag wurde unter Bildung, Energie, Klima, Nachhaltigkeit, Schulen, Zukunft abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar