Anthropodizee

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"I anziani sulla mascera": Die Alten in Zeiten von Corona - An der Strandpromenade von Moneglia/Ligurien am 31.8.2020

„I anziani sulla mascera“: Die Alten in Zeiten von Corona – An der Strandpromenade von Moneglia/Ligurien am 31.8.2020

 

 

Theodizee: Rechtfertigung von Gott hinsichtlich der von ihm zugelassenen Übel.
Theodizee als Widerspruch: Es gibt Gott, und es gibt Übel.
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Anthropodizee: Rechtfertigung des Menschen in Anbetracht der von ihm verursachten Übel.
Anthropodizee aktuell: Das Übel der (angeblich) menschengemachten Erderwärmung.
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Technodizee: Vorwurf, daß die Technik die Lebensbedingungen des Menschen beeinträchtigt oder gar zerstört.

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Mythos Mensch. Eine Anthropodizee“ von Franz Lisson
Die Theodizee-Frage lautet: Wie kann Gott das Böse zulassen, wenn er allmächtig ist? Wie lässt sich das Leiden in der Welt mit der Annahme vereinbaren, dass Gott gut sei? Den Begriff hat Leibniz geprägt, die Frage indes ist allerspätestens seit Hiob in der Welt. Es geht also um die Rechtfertigung Gottes („Gott war nicht das Gute, sondern das Ganze“, erfährt der junge Joseph in Thomas Manns Romantetralogie während seiner religiösen Unterweisungen). Neuerdings wird der Theodizee von philosophischen Autoren die Anthropodizee zur Seite gestellt. Unabhängig davon, inwieweit der Mensch tatsächlich das Weltklima beeinflusst, leben wir im Anthropozän, Homo sapiens ist in einem demiurgischen Maße der Gestalter seiner Umwelt geworden – seines Mitmenschen Würger war er ja schon immer –, insofern ist die Begriffsbildung mitsamt dem ihr innewohnenden „Klärungsbedarf“ der Weltstunde angemessen.
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Der philosophische Autor Frank Lisson, der vielleicht einsamste Wolf des hiesigen Literaturbetriebs, jedenfalls ein Außenseiter sui generis, hat nun ein Buch namens „Mythos Mensch. Eine Anthropodizee“ veröffentlicht, das ich mit grimmigem Vergnügen gelesen habe, weil der 50jährige, dem immer mal wieder schwärzester Pessimismus, Gottlosigkeit und Wehrkraftzersetzung vorgeworfen werden, eine amüsante Volte schlägt (dazu gleich). Er traktiert seinen Gegenstand allerdings nicht mit Blick auf möglichst große Vorwürfe an dessen Adresse (Holocaust, Hiroshima, Umweltzerstörung, Klimawandel, Feminismus, Freizeitmode etc.); ihm geht es vielmehr um den Allerweltsmenschen mit seinem Allerweltsbedürfnis nach Triebbefriedigung und Anpassung.
„Im Allgemeinen scheint keine Anthropodizee ohne eine starke Metaphysik formulierbar“, spekuliert der Wikipedia-Eintrag zur Begriffsklärung in einer verspäteten konversationslexikalischen Anwandlung (ich schaute dort nach, weil ich zu erfahren hoffte, wann das Wort geboren wurde). Lisson ist vollkommen anderer Ansicht. Für ihn ist gerade im Lichte seiner Anthropodizee „alle Metaphysik höherer Unsinn“. Warum? Darauf weist der Haupttitel „Mythos Mensch“ hin; das soll man lesen als: Der Mensch, das mythenbedürftige Tier, die ohne Mythen nicht lebensfähige Kreatur. „Wie kann ein denkendes, empfindendes Wesen in die Welt eintreten, ohne durch das Bedenkliche und also zu Bedenkende, das es überall umringt, in völliger Verstörung zu enden?“, fragt der einsame Grübler. „Ohne die Begabung zum Mythos hätte der Mensch seinen Weg in die Selbstwahrnehmung kaum überleben können.“ Demgegenüber sei alle Metaphysik sekundär. Über den Mythos erfand sich der Mensch „lauter Formen eines Alter ego, um sich selber für seinesgleichen interessant zu machen, also um eine auch metaphysische Balz aufführen zu können, um sich mit unerreichbar ‚höherer‘ Gesellschaft zu umgeben.“
Doch was zweieinhalbtausend Jahre hochartifizielles Denken hervorgebracht haben, zerplatze heute wie die als Metapher konkurrenzlose Seifenblase: „Das Wirklichkeitsfremde, ja Lächerliche, Unverständliche und Überflüssige philosophischer Probleme tritt deutlicher denn je zutage, wo bald alles Denken dem technisch-generativen Prozess unterworfen ist und also keine Hoffnung mehr besteht auf eine sinnvolle Existenz jenseits der üblichen gesellschaftspolitischen Verwertungsapparate.“ Die bislang so hochgeschätzte Weisheit erklärt Lisson ohne Umschweife zu einer „Funktionsstörung“, reif für jede Art Schierlingsbecher, zumindest aber alles andere als vorbildlich. Weisheit bewirke – nichts. „Fast alle sozialpsychologischen Phänomene und lebensphilosophischen Probleme, die uns heute beschäftigen, sind bereits vor zweitausendfünfhundert Jahren erkannt und dargestellt worden, ohne dass sich evolutionsbiologisch irgendetwas an ihren Ursachen und Verursachern geändert hätte.“
Nach Lissons Ansicht tritt die Menschheit momentan in ein vollkommen neues Decorum ein, neben dem sämtliche bisherigen Epochen zu einer Art Vorgeschichte schrumpfen werden. Der Mensch verliere „den gesamten kulturgeschichtlichen Horizont, der hinter ihm liegt“. Wir stünden am Eingang des postkulturellen Weltalters – den Gedanken, dass wir „nach den Kulturen“ leben, hat der Autor bereits in seinem 2008 erschienenen Buch „Homo absolutus“ dargelegt –, und wenn wir heute „die Summe aus drei Jahrtausenden innovativer Kulturgeschichte“ ziehen, müsste man feststellen, „dass fast nichts davon, außer den technischen Entwicklungen, hätte sein müssen, um dort anzukommen, worauf wir uns allesamt zubewegen: nämlich die erhöhte Ur-Stufe menschlicher Zweckmäßigkeit“, eine „Rebarbarisierung auf höchstem technisch-merkantilistischem Niveau“. Erst das 21. Jahrhundert „lehrt uns mit aller Deutlichkeit das Vergebliche der Arbeit am Menschen in bildungsbürgerlich-humanistischer Absicht“. Während eine Kultur stets begrenzt sei und das Besondere wolle, strebe die liberale Zivilisation nach Entgrenzung und globaler Nivellierung. Diesen Prozess nicht als Schmerz zu verspüren, sei ein sicheres Indiz dafür, dass man ihn bereits erfolgreich vollzogen habe; „welche Volks- oder Glaubenszugehörigkeit auf den Straßen und in den Shopping-Centern die Überfülle vermehrt, bleibt in den komfortindustriell verödeten Ländern wie denen Mitteleuropas reine Ermessenssache. Wer sich an dem einen nicht stört, wird sich bald auch an das andere gewöhnt haben.“
So oder so, es gebe „für den Menschen kein Glück jenseits seiner Mythen, das heißt jenseits der Lüge“. Jeder Denkfähige möge sich der Einsicht öffnen, „dass die Grundprobleme menschlichen Daseins weder kultureller noch politischer oder sozialer, sondern allein typologischer Art sind“.
Nur die „Staatslüge“ ändere sich periodisch – „Man hat über tausend Jahre mit der ‚katholischen‘ Lüge gelebt, vielleicht wird man noch einmal so lange mit der ‚demokratischen‘ Lüge leben müssen“–, der ihr getreulich folgende Typus bleibe dagegen der gleiche. „Immer wieder treibt es Gesellschaften zu neuen staatstragenden, allgemein verbindlichen Mythen und Dogmen, die das menschliche Bedürfnis nach moralischen Imperativen, nach Verboten und nach Feindverortungen legitimieren. Erst die neue Lüge, zu der sich alle bekennen müssen, die vom neuen Staat profitieren wollen, macht die Illusion eines gesellschaftlichen Fortschritts möglich.“ Es sei lediglich „ein formaler Unterschied, ob man die Leugnung der Wiederauferstehung Jesu oder der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen unter Strafe stellt. Man verlangt in beiden Fällen an etwas zu glauben, das jeder Empirie, Logik, Vernunft widerspricht.“ So habe heute der Rassismus-Vorwurf den Atheismus-Vorwurf „mit gleichbleibenden Konsequenzen“ ablösen können.
Der Autor folgert, „dass der Dogmatismus zur menschlichen Natur gehört. Ohne Hinwendung, Anlehnung, Bindung an einen zumeist absurden Glauben scheint sich der Mensch selbst auf heutiger Entwicklungsstufe nicht in der Welt zurechtzufinden.“ Denn: „Je weniger der Mensch an sich und an der von seinesgleichen errichteten Welt zweifelt, desto glücklicher bewegt er sich durchs Leben – und desto mehr Nachkommen wird er zeugen. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass der Skeptiker gegen den Mitmacher evolutionär keine Chance hat.“

Und nun kommen wir zur süffisanten Anthropodizee dieses notorischen Outlaws, nämlich der Rechtfertigung des Menschen in seiner Eigenschaft als Opportunist – und nur in dieser. Man werde, notiert Lisson, doch niemanden „abqualifizieren dürfen, der als Resultat des Zeitgeistes wie zufällig gerade diejenige Haltung einnimmt, die ihm in seiner Umgebung die meisten Vorteile verschafft“. Ja, mehr noch: „Wo Mitmachen Erfolg und damit das ‚schöne Leben‘ verspricht, sind Zweifel, Skepsis und Gewissensnöte das klare Anzeichen eines ungesunden Gemüts. – Loben und feiern wir also die Geschickten und Gewieften, die Arrivierten und klugen Taktiker.“ Denn das seien „die vor Gesundheit strotzenden Alphatiere des Lebens“. Ein instinktsicherer Mensch werde sich immer dem jeweils stärksten Dogmatismus anschließen. Alle Aufstände der Außenseiter und Widerständigen gegen dieses Weltgesetz seien lächerlich: „Wie peinlich, überhaupt jemals den Siegerinstinkt des zeitgeistgesteuerten, überall Mitmachenden angeklagt zu haben! So als gerate man immer wieder gegen schlechtes Wetter in Zorn.“
Man müsse gerade den in seinen Mythen und Zwecklügen behaglich lebenden Menschen als den „wahren“ und „richtigen“ Menschen begreifen und akzeptieren. „Und auch nur dadurch, nämlich durch das Lob dieser rein menschlichen Begabung zum Glauben an etwas real nicht Vorhandenes wie ‚Gott‘ oder den ‚guten Staat‘, sowie durch die Fähigkeit, allen Übeln ihr ‚Gutes‘ abzugewinnen – allein dadurch wäre eine Anthropodizee im gemeinmenschlichen Sinne möglich!“
Alles gut und schön. Aber wohin mit seinem Ekel?
… Alles vom 7.9.2020 von Michael Klonovsky bitte lesen auf
https://michael-klonovsky.de/acta-diurna
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Frank Lisson:
„Mythos Mensch. Eine Anthropodizee“
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„Der linke Gesinnungsdruck und Gleichschaltungsanspruch, die staatsbetriebliche Zensur unserer Tage muss jeden freien Geist zu den Rechten treiben. Dort findet er allerdings den nämlichen Typus vor.“
Frank Lisson.
„So wenig wie ein Kirchenchrist durch Jesus an das echte Christentum erinnert werden will, so wenig will ein Zeitgeistparteigenosse durch einen Sokrates oder Nietzsche darin belehrt werden, was echte Tugend oder Liebe zur Wahrheit sei. Deshalb würde ein Nietzsche heute auch niemals ein Nietzsche-Stipendium erhalten.“
Frank Lisson
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Die Anthropodizee-Frage
Philosophen verweisen hier auf die Relevanz der so genannten #Anthropodizee-Frage: Warum soll ich Leben weitergeben, wenn doch ohnehin alles Leben leidet, stirbt und irgendwann sinnfrei enden wird? Nichtreligiöse Weltanschauungen scheinen keine endgültigen Antworten auf die Anthropodizee-Frage formulieren zu können. Ihre Erzählungen dazu enden in der Kälte eines am Ende sinnlos sterbenden Universums.
Religiöse Traditionen verweisen dagegen auf ein göttliches Ziel der Geschichte, auf das hin jedes menschliche Leben sinnvoll, jedes Kind ein Segen und Geschenk sein kann. Entsprechend lehren und ritualisieren sie nicht nur den Segen von Familie, sondern unterstützen diese regelmäßig auch durch Angebote der Bildung, Betreuung und Heilung. In einigen Traditionen verzichten sogar manche Erwachsene – bisweilen religiös ritualisiert durch öffentliche Gelübde und folgende, kennzeichnende Kleidung – auf eigene Familien, um sich ganz in den Dienst der möglichst kinderreichen Gemeinschaft zu stellen!
Und so sind Religiöse quer durch alle Einkommens- und Bildungsschichten nicht nur regelmäßig kinderreicher als säkulare Populationen. Wir kennen auch einige extrem kinderreiche Traditionen wie die Old Order Amish, die Hutterer, die evangelikalen Quiverfulls und jüdischen Haredim, die wissenschaftliche Informationen filtern, aber zugleich dennoch (oder gar: deswegen?) evolutionär außerordentlich erfolgreich sind!
Wir verstehen also die Prozesse der biologischen und kulturellen Evolution von Religiosität und Religionen schon sehr weitgehend. Aber „beschreiben“ heißt noch nicht verstehen. Über welche Art von Informationen sprechen wir, wenn Menschen Sinn, Gemeinschaft und schließlich Antworten auf die Anthropodizee finden? Fehlen uns hier nur noch die richtigen Begriffe, oder brauchen wir eine ganz neue, auch metaphysische Perspektive?
… Alles vom Juli 2018 von Michael Blume bitte lesen auf
https://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/anthropodizee/#comment599
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Kommentare:
Glaube und Wissen trennen
Hierzu notiere ich nur meine Sicht auf die Antworten, ohne auf Einzelheiten der Argumente mit meinem Pro und Contra einzugehen , denn das wäre nur wieder selbstbezogen. Grundsätzlich und zusammenfassend deshalb nur : Diskussionen dieser Art leben von der Lust am Diskutieren, an der Lust am Rechthabenkönnen oder am mich Bescheiden. Müssen wir dabei die Sachen selbst oft aus den Augen verlieren, weil es sich sowohl beim Glauben und anderseits beim Wissen um prinzipiell unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Erkenntniswege handelt hin zu ebenfalls völlig unterschiedlichen Erkenntnissen und schließlich Überzeugungen. So ist meine Sicht darauf.
Ich versuche es einfacher zu sagen : Mein Glaube hängt zusammen mit meiner familiären Herkunft und meiner sog. Prägung durch Eltern und Erzieher. Ich habe ihn übernommen und so respektiere ich ihn . Mein Wissen hingegen ist das Ergebnis dessen, dass ich viel gelernt habe und mir dadurch eine eigene Meinung dazu selbst erworben habe, etwas also für richtig und bewiesen oder aber noch fragwürdig und weiterer Mühe für wert halte. Beides kann ich durch meine Denken zuverlässig unterscheiden. Die bleibende Frage ist dann nur noch, wie ich mit meinem Erkenntnisstand zurechtkomme in meinem Leben. Bin ich zufrieden und ohne weitere Fragen dazu, oder fühle ich oder weiß ich sogar, dass mir etwas noch fehlt am Wissen oder am Glauben ? Und vor allem : Kann ich es darauf beruhen lassen, dass es ist, wie es in mir ist, oder möchte ich mein Wissen und mein Glauben vervollkommnen ? Grüsse MZ
18.9.2019, M.Z.
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Religiöse haben doch ein noch viel größeres Problem mit der Anthropodizee
Sie müssen doch bei einem allwissenden/allgütigen Gott davon ausgehen, dass dieser das Leid vorausgesehen hat und sie trozdem ins Dasein geschmissen hat. Auch greift dieser Gott beim Leiden nicht ein.
Die Theodizee zeigt doch fundamental den Widerspruch zwischen einem allgütigen Gott und den unzähligen Leiden der fühlenden Wesen auf. Aus Allwissenheit und Allmacht folgt logisch Allverantwortlichkeit. Während nichtreligiöse davon ausgehen, dass das Leid nur schlechter Zufall ist (zumindest wenn es nicht von Menschen kommt).
6.8.2019, FEL
Ende Kommentare .
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Anthropodizee – durch die Klimadebatte ins Zentrum gerückt
2. Neu ist die Dimension der Verkettung von Natur und Technik. Die Katastrophe von Fukushima weist nicht nur auf die Gefahren hin, die Natur und Technik in sich bergen, und die zu Übeln werden können: zu malum physicum und zu malum technologicum, sondern zeigt in drastischer Manier die Möglichkeit einer wechselseitigen Potenzierung der Gefahren.
3. Der Diskurs zur Deutung von Katastrophen wird unter den Stichworten Theodizee, Technodizee und Anthropodizee geführt, in der Gott, die Technik und der Mensch vor dem Gericht der Vernunft erscheinen. Zwar entwickeln sich die jeweils vorherrschenden Deutungsmuster historisch entlang der dominierenden weltanschaulichen Sinnzuschreibung, doch bedeutet dies keine Sukzession von Vorstellungswelten, sondern ihre tendentielle Favorisierung seitens der Mehrheit. Heute treten nach wie vor alle drei Konzepte im Katastrophendiskurs auf.
4. Aktuell ist besonders die Anthropodizee ins Zentrum gerückt, bedingt auch durch die Debatte zum Klimawandel, dessen anthropogene Mitverursachung nach herrschender Meinung erwiesen sind. Schlüssel für das malum physicum und das malum technologicum ist demnach Mensch und dessen malum morale.
5. Damit wird keine grundlegend neue Deutungsrichtung eingeschlagen, sondern nur der menschliche Anteil aus den bisherigen Deutungsmustern Theodizee und Technodizee verstärkt, da der Umweg über Gott bzw. die Technik wegfällt und der Mensch unmittelbar zum „Verursacher“ wird. Im Rahmen der Theodizee sorgt der sündige Mensch „nur“ dafür, dass Gott die Natur strafend gegen ihn einsetzt, im Rahmen der Technodizee sorgt er mit seinen übermäßigen Bedürfnissen dafür, dass mit der Technik als „Lösung“ für die Befriedigung derselben potenzielles Übel geschaffen wird.
6. Für gläubige Menschen stellt sich angesichts des Übels der Sünde (malum morale) und des Übels in Gestalt von Naturkatastrophen (malum physicum) die Frage nach der Rechtfertigung eines gütigen, allwissenden und allmächtigen Gottes. Gottfried Wilhelm Leibniz unternimmt in seinem Essais de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal den Versuch, die Freiheit des Menschen und die Güte Gottes angesichts des in der Welt erkennbaren Übels in Einklang zu bringen.
7. Um Leibnizens Lösung zu verstehen, müssen wir Freiheit ernst nehmen. Die der Schöpfung eingestiftete Freiheit ruft Böses (malum morale) hervor, das Übles (malum physicum) nach sich zieht. Das ist der „Preis“ für die Möglichkeit des Guten, eine Möglichkeit, die nur in Freiheit gegeben ist.
8. In Analogie zu Leibnizens Argumentation in der Theodizee entwickelt der Berliner Philosoph Hans Poser den Gedanken, dass das Übel unserer Zeit das malum technologicum sei, das heißt die Möglichkeit der Einschränkung menschlicher Freiheit durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und die ständig virulente Gefahr von Katastrophen als Ergebnis von Technik. Kurz: Die Technik, die wir schufen, um freier zu werden, schränkt uns zunehmend ein und muss daher gerechtfertigt werden (Technodizee: https://jobo72.wordpress.com/2011/04/05/tun-was-wir-konnen/).
… Alles vom 11.3.2019 von Josef Bordat bitte lesen auf
https://jobosblog.wordpress.com/2019/03/11/fukushima/

https://www.irp-freiburg.de/
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Anthropodizee – Korrelation zwischen Religiosität und Demografie?
Die Anthropodizee frägt nach der Rechtfertigung des Menschen in Anbetracht des menschenverursachten Leides. Angelehnt ist dieser noch recht junge Begriff an die Theodizee, der Frage nach der Rechtfertigung Gottes. Atheisten stellt sich die Anthropodizee-Frage verstärkt, da sie ihr Sein nicht göttlich zu begründen vermögen.
Eng verwandt mit dieser Frage ist die, ob man überhaupt Kinder in die Welt setzen sollte. Ähnlich wie die Theodizee stellt sich auch diese vielen Menschen seit dem Holocaust in neuer Dimension. Eigentlich tangiert mich persönlich keine der beiden Fragen besonders. Sie sind existentiell-theoretisch und scheinen mir keinerlei Bezug auf mein praktisches Leben zu haben.
Der Mensch ist nun mal da, ob nun gerechtfertigt oder nicht. Wenn ich meinen Kindern einmal einen ausreichenden materiellen und seelischen Wohlstand bieten kann, sollen sie gebären. In eine gottlose, oder in eine Welt Gottes. Aus ihnen könnte einmal ein Hitler, aber auch ein Gandhi hervorwachsen. Das allem Handeln begleitende Risiko entgegen der eigenen Absicht, etwas Schlechtes zu tun, sollte aber, wenn es den nicht allzu groß ist, kein Grund sein, gar nicht erst zu handeln. Und ein Stück weit wird die persönliche Zukunft meiner Kinder sicher auch durch mich bedingt sein.
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Nun bin ich aber jüngst auf eine doch sehr interessante Korrelation zwischen Religiosität und Demografie gestoßen. Und der Autor Dr. Karim Akerma, dessen Thesen ich hier referiere, sieht eben ein erklärendes Bindeglied in der Anthropodizee. Ich werde dabei keinerlei Wertung vornehmen. Dazu bin ich auf dem Gebiet zu unbewandert und kenne seine Arbeit zu wenig (nur aus Sekundärtexten). Sie haben mein Interesse geweckt. Und deshalb möchte ich sie, so wie ich sie verstanden habe, hier kurz darlegen.
Erst einmal die Korrelation. Es ist in der Demografie empirisch belegt, dass tendenziell Theisten weitaus mehr Nachkommen zeugen als Atheisten (regional und international). Fast keine gottlose Kultur schaffte es in der Geschichte über zwei Kinder pro Familie. Die religiösen jedoch brachten es stets auf 3,4,5,6 oder mehr und damit zu einem exponentiellen Bevölkerungswachstum.
Deutlich zeigte sich dies im ehemaligen Westdeutschland. Angesichts des teuren Betreuungsangebotes waren die Konfessionslosen auch Kinderlos und umgekehrt. In der DDR hingegen gab es Bildung und Betreuung für alle, jedoch kaum Religion. Hier gab es kaum Familien mit keinem oder über drei Kindern. Dies ist wohlmöglich auch ein Grund dafür, dass die USA und Irland auch ohne staatliche Familienförderung eine höhere Geburtenrate haben (ich verschone Sie von Zahlen).
Hier bin ich aber zu wenig Religionsforscher, um dies quantitativ beurteilen zu können. Und wenn man darüber nachdenkt, macht dies auch Sinn. Fruchtbarkeit, die Möglichkeit Kinder hervorzubringen, wird in vielen Religionen als Segen Gottes angesehen. Klar, dass man dann Kinder will, ist es doch ein Lob von ganz oben.
… Ales vom 23.5.2014 bitte lesen auf
https://www.philoclopedia.de/2014/05/23/anthropodizee/

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Poser, Hans: Von der Theodizee zur Technodizee. Ein altes Problem in neuer Gestalt
In einer Ökologie-Diskussion wurde jüngst ein Beispiel herangezogen, das ganz dem Theodizee-Problem entspricht: Tiger sind dem Menschen gefährlich; warum sollen wir sie dann schützen und nicht ausrotten? Weil die Vielfalt der Natur ein Wert ist, lautet meist die Antwort, und sie provoziert die Frage, warum Vielfalt etwas Wertvolles sei.
Im 17. Jahrhundert hätte die Frage gelautet: Warum hat ein allmächtiger und gütiger Gott die so gefährlichen Tiere geschaffen? Leibniz verallgemeinert dies zum Theodizee-Problem als Frage nach dem Übel in der Welt: Vor 300 Jahren erschien jenes Buch, dem die folgenden Überlegungen gewidmet sind – die Essais de Théodicee sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal.

Technodizee und malum technologicum
In der säkularisierten Form der Theodizee, in der Technodizee, wird die Technik angeklagt, statt menschliche Lebens- und Freiheitsbedingungen zu schaffen, eben diese einzuschränken oder gar zu zerstören. Das malum technologicum besteht in der Zulassung der Möglichkeit einer solchen Einschränkung oder Zerstörung als Preis für die Ermöglichung menschlichen Lebens, menschlicher Kultur und menschlicher Freiheit, da menschliches Leben ohne Technik nicht bestehen könnte. Wie nimmt sich nun die Anklage gegen die Technik und gegen ihre Protagonisten auf dem Hintergrund der Theodizee-Argumentation aus?
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Ohne sie können wir nicht leben – mit ihr müssen wir künftigen Generationen eine Welt hinterlassen, in der sie ein lebenswertes Leben führen können. Das malum technologicum aber wird bestehen bleiben, weil menschliches Leben ohne Technik nicht möglich wäre. Doch unsere Pflicht ist es, unsere Vernunft, unseren kreativen Ideenreichtum und unser Wissen um Werte zu nutzen, um im Geiste von Leibniz und im Sinne des Prinzips des Besten in jedem Schritt für die Bewahrung einer lebenswerten Welt auch für künftige Generationen zu sorgen.
… Alles vom März 2011 von Hans Poser bitte lesen auf
https://www.information-philosophie.de/?a=1&t=5357&n=2&y=1&c=1
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Von der Redaktion „Information Philosophie“ stark gekürzter Text. Der Originaltext erscheint als eigene Publikation:
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Hans Poser: Von der Theodizee zur Technodizee. Ein altes Problem in neuer Gestalt.
40 S., kt., € 5.—, 2011, Hefte der Leibniz- Stiftungsprofessur Heft 2, Wehrhahn-Verlag, Hannover.

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