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Römische Philosophen aus Keramik in der Abendsonne am 2.8.2015

Römische Philosophen aus Keramik in der Abendsonne am 2.8.2015

 

Gesellschaft für kritische Philosophie
Die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg (GKPN) ist ein gemeinnütziger freidenkerisch-humanistischer Verein mit über 400 Mitgliedern im ganzen deutschsprachigen Raum sowie vereinzelt auch in Ländern anderer Erdteile (z.B. USA, Kanada, Hong Kong). Sie sieht sich in der Tradition der antiken sokratischen Philosophie, der Philosophie der Aufklärung sowie der modernen Philosophien des Wiener Kreises und des kritischen Rationalismus.

https://www.gkpn.de/
Ufuk Özbe ist Mitglied der GKPN

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Über die Viralität des Bösen- Statt eines Nachrufs auf Gunnar Kaiser
Deutschland, das einstige Land der Philosophen, hat heute nur noch Richard David Precht zu bieten? Nein, aber leider ist der wahre Philosoph Gunnar Kaiser viel zu früh von uns gegangen. In seinem letzten Buch („Der Kult“) geht Kaiser der Frage nach, wie passieren konnte, dass die Mehrheit der Bürger unserer Gesellschaft sich widerstandslos zu Untertanen machen ließ, denen ihre verfassungsgemäßen Grundrechte nur noch als Belohnung für Gehorsam und Wohlverhalten zugeteilt wurden.
Kaiser beginnt mit einem überraschenden Geständnis: „Seit ich etwas werden wollte, wollte ich berühmt werden.“ Er war auf dem besten Wege dazu, hatte schon einen Namen in den entscheidenden Zirkeln, die Berühmtheit fördern. Da kam ihm etwas dazwischen, was einer der letzten unberechenbaren Faktoren menschlicher Individualität ist: Sein Gewissen. Als sein Abweichlertum spürbar wurde, fragte ihn sein Literaturagent: „Willst du deinem Gewissen folgen, oder willst du auf der Party bleiben?“ Kaiser entschied sich für sein Gewissen und wurde für viele Andersdenkende zur Leitfigur, für viele Suchende eine wertvolle Orientierung. Was seine philosophischen Lektionen betrifft, eine Quelle der Bildung.
Er beobachtete aufmerksam die schleichende Entwicklung in der Corona-Krise hin zu einem totalitären biopolitischen Verordnungsstaat. Er wies zum Schluss immer wieder darauf hin, dass die Gefahr keineswegs gebannt war, nachdem die Corona-Erzählung, wie es neudeutsch heißt – die PCR-Tests, die Überlastung der Intensivstationen, die Mortalitätsrate, die Notwendigkeit von Masken, Schulen und Kindergärten als Treiber der Pandemie, moralischer Impfzwang und Lockdown – sich vollständig als falsch erwiesen hat.
Kaiser zeigt, dass die eigentliche Gefahr, die den Aufstieg des Totalitarismus ermöglicht, die Passivität der Mehrheitsgesellschaft ist.

Kaisers Schlussfolgerung: Nicht mehr Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus sind die zukünftige Gefahr, sondern eine unkontrollierte Technokratie. Diese Technokratie arbeitet nicht mit äußerer Gewalt, sondern bietet ein Weltbild an, in dem „Gruppenzugehörigkeit, Fortschrittsgläubigkeit und eine Autorität Linderung und Sicherheit vor der kalten Grausamkeit“ der realen Welt anbietet. Kaiser nennt die neue Ideologie „Kult“.
„Mit der Konsolidierung der Hegemonie des Kults bringen sich neue Weltsicht und neuer Mensch gegenseitig hervor.“ Am Ende stimmt die gehorsame Menge ihrer Selbstabschaffung zu. Schließlich hat der dem WEF-Chef Klaus Schwab nahestehende Ideologe Yuval Harari bereits vor Jahren in seinem Buch „Homo Deus“ die Frage gestellt, was, nachdem die KI voll entwickelt ist und auch die Produktionsprozesse übernommen hat, mit den vielen überflüssig gewordenen Menschen passieren soll. Wenn man dann weiß, dass eine wachsende Anzahl von Klimaideologen den Menschen als Klimakiller ansieht, bekommt man Gänsehaut, wenn man über die möglichen Konsequenzen nachdenkt.
… Alles vom 15.11.2023 bitte lesen auf
https://vera-lengsfeld.de/2023/11/16/ueber-die-viralitaet-des-boesen-statt-eines-nachrufs-auf-gunnar-kaiser/#more-7308

 

Der Schriftsteller und Philosoph Gunnar Kaiser ist tot
Als die Welt im Frühjahr 2020 mit einem Schlag Kopf stand und die gewaltigen Veränderungen der Lebensverhältnisse anschließend gar kein Ende mehr nehmen wollten, gehörte Gunnar Kaiser zu jenen wenigen öffentlichen Personen, die den Verzweifelten Kraft und intellektuelle Orientierung gaben. Der Philosoph, Schriftsteller und ehemalige Lehrer erhob frühzeitig seine Stimme, stellte Fragen, unterhielt sich mit seinen Gästen, er kritisierte die gesellschaftliche Antwort auf das Corona-Virus insgesamt. Auch ich lauschte seinen Gedanken nach der Arbeit beim Kochen. Ich bin nicht allein, sah ich. Das tat gut.

Jedes einzelne seiner auf seinem YouTube-Kanal https://www.youtube.com/@GunnarKaiserTV zu sehenden Videos zeigt einen vergeistigten und einfühlsamen, einen denkenden Menschen, gegenüber dem die Ausgrenzer und Herrschaftshörigen wirken wie bemitleidenswerte Kleingeister. Gunnar Kaiser vertrat, was unter Deutschlands Intellektuellen, die sich vor allem mit klebrigem Moralismus hervortun, selten ist: die Freiheit des selbstdenkenden und für sich entscheidenden Individuums, wie es die Aufklärung hochhält, und dies auch schon vor Corona. Er misstraute dem Gerücht, der veröffentlichten Stimmung und machte sich lieber aus eigener Anschauung eine Vorstellung von den Dingen, selbst von Personae non gratae – auch, indem er sie konfrontierte.
https://www.youtube.com/watch?v=yblzxhzMGEQ
… Alles vom 24,10,2023 von Felix Pierrefort bitte lesen auf
https://www.achgut.com/artikel/zum_tode_von_gunnar_kaiser

Zum Tod von Gunnar Kaiser
Wie so viele derzeit, die eine liberale und demokratische Grundhaltung haben, litt er sehr unter der zunehmenden Radikalisierung von Politik und Gesellschaft, der dadurch hervorgerufenen Spaltung und der sich zunehmend ausweitenden Zensur von Wissenschaft, Kunst und freier Meinungsäußerung.
Zum Tod von Gunnar Kaiser: Seine beste Rede!
https://www.youtube.com/watch?v=VG0ZZ6-xw18
Und wie so viele, die genug Rückgrat haben, ihre Zweifel und ihre Kritik öffentlich zu äußern, wurde er auf das Widerlichste angefeindet, von einer ebenso bildungsfernen wie der Regierung gegenüber kadavergehorsamen Haltungsjournaille. Einer Schreiberlingzunft, die oft schon am selbständigen Recherchieren und Lesen von Statistiken, oder gar an schlichter Verhältnisrechnung scheitert, aber dennoch vor Meinung und selbsternanntem „Gutmenschenstatus“ geradezu explodiert.
Der Märtyrer des neuen Totalitarismus wird totgeschwiegen!
Man darf davon ausgehen, dass all dies seiner Krebserkrankung nicht förderlich war. Umso erschütternder, dass man in den etablierten Medien so gut wie keinen Hinweis auf seinen Tod findet. Man versucht, ihn zusammen mit der Wahrheit stillschweigend zu begraben. Bis Gras über die Sache gewachsen ist.
… Alles vom 25.10.2023 bitte lesen auf
https://philosophia-perennis.com/2023/10/25/zum-tod-von-gunnar-kaiser/
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Gunnar Kaiser: Ich bin so getäuscht!
Wisst ihr, was mich in den letzten dreieinhalb Jahren am meisten enttäuscht hat? Das war die ausbleibende Reaktion der Intellektuellen, denn sie haben geschwiegen. … Menschen, die es doch eigentlich hätten besser wissen. … Diese Enttäuschung hat mich krank gemacht geradezu. Ich wurde getäuscht. Ich habe mich selbst getäuscht.

Ich bin enttäuscht – und das ist gut so. Was passiert eigentlich, wenn man merkt, dass man sich selber etwas vorgemacht hat? Und wie segensreich kann es sein, die Erwartungen von anderen nicht mehr erfüllen zu können?
12.10.2022, https://youtu.be/I28GKP3iSRs
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Gunnar Kaiser ist am 12.10.2023 seiner Krebserkrankung erlegen.
https://kaisertv.de
https://philosophia-perennis.com/2023/10/23/stimme-der-vernunft-gegen-den-wahnsinn-gunnar-kaiser-verstorben/

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Adieu Gunnar
… gemeinsam starteten wir wenige Monate später den „Appell für freie Debattenräume“ https://idw-europe.org/ , den 200 bekannte Persönlichkeiten und über 20 000 gleichgesinnte Menschen unterschrieben, viele davon Leser der ersten Stunde dieser Publikation, die daraus entstand. …
Corona alarmierte uns beide gleichermaßen. Konnte das wirklich deren Ernst sein? Plötzlich war da dieses Narrativ. Doch da war auch jemand, der laut und immer wieder an inzwischen Hunderttausende auf YouTube sagte, auch weil er nicht anders konnte, „Ich mach da nicht mit“ : Dieser eine warst du, Gunnar Kaiser. Und du hast allein damit ein Zeichen gesetzt, das besser wirkt als jedes lehrreiche Video oder auch deine vielen Stunden im Klassenzimmer vor deinen Schülern. Du warst dadurch ein Vorbild, wurdest ein Symbol für den Widerstand. Du zeigtest, dass es möglich ist. Du zahltest den Preis des Ausgestossenwerdens, den viele kennen, doch du lebtest den Prozess auch noch öffentlich vor und durch: Diffamierung in Leitmedien, Aufgabe des Lehrerberufs, gecancelt von einer „liberalen“ Stiftung. Unbeirrt machtest du weiter, du klammertest dich nicht ans Weltliche, die Welt des Geistes gab dir mehr. Damit machtest du unendlich vielen Leuten Mut. Schnell wurde klar, die Cancel Culture war nur die Blaupause vor dem Corona-Theater, die Generalprobe. …
Dein Wirken, lieber Gunnar, und wer will das leugnen, brachte Menschen zusammen, eigentlich überall, wo du warst. Du hast Menschen zum Denken angeregt und ins Handeln gebracht.
…. Alles vom 25.10.2023 von Milosz Matuschek bitte lesen auf
https://www.freischwebende-intelligenz.org/p/adieu-gunnar

30.10.2023
https://www.misesde.org/2023/10/gunnar-kaiser-ein-mutiger-freund-der-freiheit/

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Staatsphilosoph Richard David Precht
„Bei Leuten, die gegen Migration auf die Straße gegangen sind, dann gegen die Corona-Maßnahmen und demnächst gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakatastrophe ist es eine grundsätzliche Trotzhaltung, eine sehr infantile und überhaupt nicht mündige Trotzhaltung.
Wenn man ernsthaft darüber nachdenken würde, welche Konsequenzen es hätte, aus der Pflichtverantwortung des Staates herausgelassen zu werden, würde man seines Lebens nicht mehr froh. Daran erkennt man, daß es sich um eine ziemlich infantile Trotzreaktion handelt.“
Richard David Precht, Philosoph, bei „Sternstunde Philosophie“
auf „SRF Kultur“ am 20. Juni 2021

Mit dieser Aufruf zu Konformismus und Untertanengeist offenbart sich der TV-Star Precht als Staatsphilosoph: Im Nanny-Staat gilt Gleichheit im Denken und Gehorsam im Handeln.

 

Unterstellungen gegen den Philosophen Martin Heidegger bezeugen Ignoranz
Die Unterstellungen, Heideggers Grundwerk „Sein und Zeit“ (1927) transportiere nationalsozialistische Weltanschauung (Emmanuel Faye/Sidonie Kellerer), Heideggers Diktum von der Diktatur des anonymen Man beziehe sich auf das „deutsche Dasein, das der jüdische Geist in der Form des Man, sprich, der demokratischen Öffentlichkeit bedroht“ (Sidonie Kellerer), dass es in „Sein und Zeit“ einen „unschlüssigen und unbestimmten Antisemitismus“ gebe (Dieter Thomä), sind grotesk und absurd und bezeugen eine abgrundtiefe Ignoranz.
Träfen jene Unterstellungen zu, dann hätten doch sicherlich die bekannten jüdischen Schüler Heideggers aus den 1920er Jahren – Hans Jonas, Karl Löwith, Hannah Arendt – diesen ideologisch-unphilosophischen Geist des Werkes „Sein und Zeit“ erkannt und es verworfen.
Träfen die genannten Vorwürfe zu, dann hätte auch Hans-Georg Gadamers Philosophische Hermeneutik den antisemitischen Geist von „Sein und Zeit“ in sich aufgenommen; denn diese Hermeneutik wurzelt in Heideggers Analysen von Befindlichkeit und Geworfenheit, Verstehen und Entwurf, Rede, Auslegung und Aussage.
Auch Emmanuel Levinas gehörte zu den Studierenden Heideggers Ende der 1920er Jahre. In einem Interview in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Freiburger Religionsphilosophen Bernhard Casper sagte er über „Sein und Zeit“: „Dies ist ein Werk, das vergleichbar ist nur mit Platons ‚Phaidros‘, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘ und Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘“. Allein dieses Urteil über „Sein und Zeit“ durch den jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas entlarvt die neuesten Unterstellungen als tiefe Unwahrheiten. Dass „Sein und Zeit“ zwei frühe Kritiker gefunden hat, verwundert nicht, wenn man weiß, dass auch Kants „Kritik der reinen Vernunft“ gleich nach Erscheinen Kritiker gehabt hat.
5.12.2020, Friedrich-Wilhelm von Herrmann,Freiburg, BZ
(Philosoph und letzter Privatsekretär von Martin Heidegger)
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Zu: „Zwei frühe Kritiker von ,Sein und Zeit‘“, Beitrag von Eggert Blum (Kultur, 27. November)
https://www.badische-zeitung.de/war-heideggers-sein-und-zeit-bereits-nationalsozialistisch-kontaminiert–198337333.html

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Quarantäne wegen Corona – was tun: Storytelling?

Kulturphilosoph Robert Harrison: «Es muss sich erst noch zeigen, was dieser Moment für uns alle gewesen sein wird – wird er uns radikal befreien oder für lange Zeit lähmen?»
Plötzlich kommt uns die Welt abhanden, und wir hängen zu Hause in der (Corona-)Quarantäne im grossen Nichts. Was hilft dagegen? René Scheu hat mit dem Kulturphilosophen Robert Harrison über das beste Antidot gesprochen: gutes altes Storytelling.

H: Ich spüre – wie wohl so mancher in diesen Tagen – eine ständige mentale und emotionale Anspannung, die auf die Dauer zugleich lähmend wirkt. Sie rührt von einer Grundstimmung der Angst – und ich denke, wir sollten hier wirklich das deutsche Wort in einem existenzialistischen Sinne verwenden. Wir spüren die Angst einerseits ganz konkret, sozusagen in jeder wachen Sekunde dieser verrückten Zeit, und zugleich bleibt sie – im Gegensatz zur Furcht – ganz diffus. Wovor haben wir eigentlich Angst? Nun ja, in der Angst kommt uns die Welt als solche, das Seiende als Ganzes abhanden. Martin Heidegger spricht davon, dass uns das grosse Ganze entgleite.
Für Heidegger ist die Angst aber zugleich eine fundamental wichtige Erfahrung: Der Mensch – das Dasein – ist plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen. Das Dasein ist gezwungen, sich mit sich selbst zu konfrontieren und zu entscheiden, was es wirklich sein will – und was nicht.
H: Gewiss, das stimmt – aber es ist höchstens die halbe Wahrheit. Das geht mir in diesen Tagen auf. Diese frühe Analyse der Angst, auf die Sie anspielen und die Heidegger in «Sein und Zeit» leistet, verfährt noch idealisierend. Denn die Erfahrung, die wir nun alle machen, ist viel radikaler, sie greift tiefer ein in unser Verhältnis zur Welt, zu Mitmenschen und zu unserem eigenen Selbst. Es ist so, als würden wir bis in die letzte Faser unserer Existenz empfinden, dass wir in einer Art Nichts hängen – nicht nur die Welt kommt uns abhanden, auch wir selbst kommen uns abhanden. Wir schauen am Morgen in den Spiegel und sehen das Gesicht einer Person, die wir nicht wiedererkennen. Warten Sie, ich schaue einmal . . . (Harrison steht auf.)
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. . . wiederum die Bibliothek, Sie bewegen sich darin wie im Kreise Ihrer Freunde! Nach welchem Buch halten Sie Ausschau?
H: Es geht um den Aufsatz «Was ist Metaphysik?», Heideggers öffentliche Antrittsvorlesung, die er im Sommer 1929 in der Aula der Universität Freiburg im Breisgau gehalten hat. Ach ja, hier! (Harrison setzt sich wieder auf seinen Stuhl und nimmt einen Band zur Hand.) Ich lese kurz vor, in epischer Heideggerscher Diktion. Mir scheint, der Philosoph finde hier die treffenden Worte für eine Erfahrung, die uns nun alle verbindet: «Wir ‹schweben› in Angst. Deutlicher: die Angst lässt uns schweben, weil sie das Seiende im Ganzen zum Entgleiten bringt. Darin liegt, dass wir selbst – diese seienden Menschen – inmitten des Seienden uns mitentgleiten. Daher ist im Grunde nicht ‹dir› und ‹mir› unheimlich, sondern ‹einem› ist es so. Nur das reine Da-sein in der Durchschütterung dieses Schwebens, darin es sich an nichts halten kann, ist noch da.» Genau so ist es.
Heideggers pathetische und etwas verblasene Formulierungen gewinnen vor der gegenwärtigen Situation des Lebens in Quarantäne in der Tat eine ganz neue Dringlichkeit. Was wir verlieren, ist die öffentliche Welt mit ihren Institutionen, Räumen und Gesprächen.
H: Genau – es ist die Welt, in der wir ständig leben, ohne sie doch jemals als solche wahrzunehmen. Nun fällt sie weg, und wir können via Skype, Zoom oder Teams so viel kommunizieren, wie wir wollen, unser In-der-Welt-Sein lässt sich mit allen technischen Hilfsmitteln der Virtual Reality nicht wiederaufbauen. Vielleicht zum ersten Mal in unserem Leben realisieren wir, dass unsere Identität – unsere Selbstheit – wesenhaft an diese gemeinsam geteilte Welt gebunden ist und wir sie nicht aus eigener Kraft wiederherzustellen vermögen. Wir hängen also von anderen ab, wir hängen von einer menschengemachten Infrastruktur aus Institutionen, Räumen und Geschichten ab, und die unheimliche Erfahrung dieser Ohnmacht ist ziemlich einschneidend. Diese Erfahrung des reinen Da-seins, des reinen Existierens, die machen wir nun alle. Wir sitzen zu Hause, unsere Gedanken kreisen, wir werden wirklich fast verrückt.
Wir empfinden, dass wir da sind – und es auch nicht sein könnten. Das ist ein Moment der brutalen Wahrheit – und der dezidierten Unbestimmtheit.
H: Dieser Moment ist fast nicht auszuhalten, so wertvoll er auch für Einzelne sein mag. Wir sind nun jetzt alle zu Existenzialisten geworden, ob wir wollen oder nicht. Aber wir empfinden zunächst nur die Last. Es muss sich erst noch zeigen, was dieser Moment für uns alle gewesen sein wird – wird er uns radikal befreien oder für lange Zeit lähmen?
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Nun outen Sie sich aber als harscher Kulturkritiker. Heute benutzen die meisten doch ohnehin eine Tastatur oder sprechen gleich in ihr Smartphone – das ist easier und effizienter.
H: Ja, klar. Aber wer nicht mehr schreiben kann, kann womöglich auch nicht gut sprechen. Die sozialen Konversationen auch gebildeter, erfolgreicher Menschen im Silicon Valley sind von einer Armut, die mich immer wieder erschreckt. Natürlich, wenn es um einen Geschäftsabschluss geht, ist kein novellare erforderlich, obwohl es bestimmt auch umsatzfördernd wirkt. Aber dieselbe arme Sprache, die im Geschäftsbereich gilt, prägt längst auch den sozialen Alltag. Und dies macht uns ärmer. Wenn ich mit einem Tech-Unternehmer essen gehe und wir uns darüber austauschen, woher wir kommen und was wir hier tun, dann will ich von ihm eine Geschichte hören. Was uns an Menschen fasziniert, sind nicht die Tatsachen ihres Lebens, es sind die Geschichten, die sie über sich selbst erzählen!
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Und die Geschichten sterben aus?
H: Nein. Nur haben sie manche von uns outgesourct – sie schauen sich phantastische Netflix-Serien an, weil sie dieses menschliche Urbedürfnis befriedigen. Da sind Profis am Werk, keine Frage, und die wissen, wie man eine gute Geschichte gut erzählt. Die Kunst des novellare hat sich seit Boccaccio nicht verändert. Nun sitzen die Menschen also vor dem Bildschirm und konsumieren Geschichten, aber sie arbeiten selbst nicht mehr an ihren Geschichten. Und das macht ihr eigenes Leben garantiert ärmer.
Wenn wir dieselbe Netflix-Serie anschauen, können wir uns immerhin darüber austauschen und eine Community bilden.
H: Natürlich. Aber auch das müssen wir mit Eloquenz und Eleganz tun – wir selbst müssen zu den Geschichtenerzählern werden, diese Arbeit kann uns niemand abnehmen. Aber es ist die schönste Arbeit, die ich kenne.
Wir lernen, Geschichten zu erzählen, wenn wir Geschichten lesen.
H Lest! Lest! Lest! Lest Boccaccio. Er wird euer Leben verändern. Für Boccaccio sind Grosszügigkeit und Dankbarkeit die beiden grössten Tugenden: Sei dankbar für das, was du erhalten hast. Und reiche es mit derselben Grosszügigkeit weiter. Und genau so ist es: Literatur ist ein Geschenk, das nie aufhört, sich zu schenken. Warum sollten wir gerade jetzt, in der Quarantäne, nicht so klug sein, dieses Geschenk anzunehmen und so selbst zu Schenkenden zu werden?
… Alles vom 9.4.2020 bitte lesen auf
https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-und-boccaccio-geschichten-staerken-unser-immunsystem-ld.1550896?mktcid=nled&mktcval=124&kid=nma_2020-4-9&trco=
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Kommentare:
Storytelling zum Überleben
Menschen sind physische Wesen zum Anfassen. Da ist nichts Symbolisches dabei. Allerdings benötigen sie fürs Überleben Geschichten, wofür (genau!) gutes altes Storytelling dienlich ist. „Stories“ also, in welchen sich Menschen „symbolisch“ wiederfinden. Kann eine unheimliche Erfahrung sein, muss es aber nicht. In der Regel kommen dabei Welten nicht abhanden, sondern eröffnen sich Neue. Um das grosse Nichts z.B. in einer Quarantäne auszufüllen. Für Menschen, welche sich dessen nicht bewusst waren / sind, können „Stories“ tatsächlich zu Lektionen fürs Leben mutieren. Wenn es das Aufkommen des Coronavirus dazu braucht, dann sei dem so. Denn gutes altes Storytelling ist beste Medizin, stärkt (genau!) die Immunabwehr und gehört zwingend in die Hausapotheke!
9.4.2020, W.M., NZO

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Robert Harrison ist Professor für italienische und französische Literatur an der Stanford University und Kulturphilosoph. Er zählt zu den besten Kennern der frühen italienischen Literatur. Seit 2007 ist er Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. Auf Deutsch sind von ihm zuletzt die Bücher «Ewige Jugend. Eine Kulturgeschichte des Alterns» (Hanser, 2015) und «Gärten. Ein Versuch über das Wesen des Menschen» (Hanser, 2010) erschienen.

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Der Philosoph Peter Sloterdijk eröffnete die Vortragsreihe „Nach Gott“ im Freiburger Theater.
Die sonntäglichen 11-Uhr-Veranstaltungen mit Großdenkerinnen und -denkern im Theater Freiburg waren immer gut besuchte Alternativgottesdienste für Agnostiker. Dass nun auch unter der Intendanz von Peter Carp das liebgewonnene Theoriehochamt wieder eingeführt wurde, hat die Diskursgemeinde per Abstimmung mit den Füßen eindeutig für gut befunden: Anders als viele Kirchen war das Große Haus rappelvoll. Es ist wohl zeitgemäßer, statt über Gott „Nach Gott. Über die Religion nach ihrer Entzauberung“ zu reden, wie der Titel der vom Institut für Gegenwartsfragen kuratierten neuen Vortragsreihe lautet.
Eröffnungsgast war der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk und hatte – es war nach seiner späten Ankunft zu knapp für einen Check gewesen – gleich Mikrofonprobleme. Offenbar hat es das Reden über Gott auch auf der Metaebene schwer, sich über mediales Rauschen hinweg Gehör zu verschaffen. Mit der Zeit wurde es besser oder die Ohren der Zuhörer spitzer, wobei die Lautstärke jedoch nie erlaubte, im andächtig-konzentrierten Lauschen nachzulassen. Das Bühnensetting verstärkte die akustisch erzwungene Andacht: Tisch und Stuhl, dazu die Ankündigung, dass es keine Diskussion geben werde, vermittelten eine sakrale Ex-cathedra-Stimmung, in der das Werbebanner vom kooperierenden SWR als einziges ornamentales Element schon fast wie ein konfessionelles Statement wirkte.
Sich dem Vortrag dergestalt über Äußerlichkeiten zu nähern, greift Sloterdijks Gedanken auf, dass Religion sich mit Homer als poetologisch-theatrales Verfahren aus dem reinen Kraftfeld der Naturgewalten löst. Die olympischen Götter waren anfangs im Grunde eine von poetischen Dilettanten fabulierte, schwerkraftbefreit über den Menschen schwebende Oligarchenclique. Sobald das antike Theater beginnt, deren Geschicke auf der Bühne zu verhandeln, wird ihre Herbeirufung zum technischen Problem. Mit welcher Maschinerie verhilft man Göttern zum standesgemäßen Auftritt?
Im Lauf der Zeit werden Zeus & Co. langsam zur Farce, ihre Rede zu unglaubwürdigem Promi-Geschwätz. Plato ruft sie im Namen des Guten zur Ordnung eines theologisch-therapeutischen Behandlungsprotokolls, trennt die homerische Dichtung von der Suche nach der Wahrheit. Ab da existieren Götter nur noch im Superlativ als die Höchsten, Weisesten, Gütigsten. Schamanen-Priester werden zu Dozenten. Aus diesem Programm lässt sich nur durch die behauptete Unmittelbarkeit von Offenbarungsreligionen wie dem Christentum aussteigen. Offenbarungsgötter sind wie Meteoriteneinschläge im Profanierungsprozess der Religionen, sorgen aber auch für ein Überangebot und mit der Möglichkeit zum Anbieterwechsel letztlich zu einer Religion ohne Gott. An diesem Punkt ließ Sloterdijk den neuen Fortschrittsgott der Singularität, diesen imaginären Moment, an dem Künstliche oder andere postmenschliche Intelligenz die Erde übernimmt, in der Verkleidung des ägyptischen Königgottes auftreten. Ein Pharao kreiste schon vor etlichen tausend Jahren als transhumane Singularität nur um sich selbst.
… Alles vom 7.5.2019 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/dichtung-und-wahrheit-x1x–172713799.html

 

 

Peter Sloterdijk: Der zentrale Denker Deutschlands
Er zählt zu den bedeutendsten, aber auch umstrittensten Denkern der Gegenwart. Unbestritten schreibt er das beste Deutsch seiner Gilde: Peter Sloterdijk. Michael Klonovsky besuchte den philosophischen Schriftsteller, wie er sich selbst nennt, vor knapp sechs Jahren auf Korsika und verfasste anschließend eine wunderbare Schilderung der Begegnung.
Es gibt einen Typus Mensch, mit dem verglichen sogar Supermodels oder Kanzlerkandidaten Dutzendwesen sind. „Das Universum scheint sich verschworen zu haben“, beschrieb der amerikanische Autor Henry Louis Mencken das Phänomen, „endlose Serien von Bauern oder Sozialisten hervorzubringen, aber starke und geheimnisvolle Widerstände bestehen seit Ewigkeiten gegen die Hervorbringung von Philosophen.“

Eine populäre Vorstellung will, dass man den Philosophen an gewissen Eigentümlichkeiten seines Äußeren identifizieren können müsse. Sloterdijk hat erklärt, ob jemand ein Philosoph ist, sei, wenn überhaupt, an seiner Physiognomie zu erkennen. Er selber wirkt immer ein bisschen wie von woanders her in die Gegenwart gefallen. In einen Tagebucheintrag beschreibt er sich als „unfrisierbaren Oger, den man gelegentlich in nächtlichen Fernsehsendungen gesehen hat“.

Der Bezug auf Nietzsche ist in Sloterdijks Werk virulent. Wer nach dem großen Umwerter lebe, hat er vor Jahren geschrieben, habe es leichter, denn er sei gewarnt „vor den drei unverzeihlichen Sündenfällen des Bewußtseins: vor Idealismus, Moralismus und Ressentiment“.
….
Sein Buch „Weltfremdheit“ endet mit dem Bekenntnis zur „Pflicht, glücklich zu sein“. Sloterdijk hat kein Interesse an der modischen Demontage der abendländischen Tradition. Autoren, die erst zweitausend Jahre tot sind, betrachtet er nicht als überholt, sondern als Zeitgenossen, von deren Denken sich befruchten lassen zu dürfen ein Privileg ist.
….
Das deutsche Steuersystem hat er als „Staats-Kleptokratie“ geschmäht, die zwanghafte deutsche Fixierung auf die Hitler-Jahre verdrießlich „das masopatriotische Syndrom“ genannt: „Es gibt bei uns offenbar ein Bedürfnis, die mentalen Gitterstäbe immer wieder zu justieren, hinter denen zu leben Unzählige beschlossen haben.“ Auch der universitäre Modebegriff „Gender“ kommt in seinem Werk nicht vor.

Überdies produziert er ständig exzellente Aphorismen: „Das Interesse an Kunst ist in der Regel nur das Sonntagsgesicht der Gier.“ – „In Frankreich bringt der Amoralismus einen eigenen Kitsch hervor.“ – „Die Linksparteien sind Klärwerke für Affekte, die bei guter Arbeit trübe Wut in helle Selbstachtung umwandeln.“ – „Der Philosophieprofessor ist an die Universität angepasst wie der Pinguin an die Antarktis.“

Dieser Artikel erschien (leicht gekürzt) in: Focus 41/2012, S. 124 ff. sowie auf dem sehr empfehlenswerten Blog von Michael Klonovsky, der nur so vor Gedanken, Ein- und Quersichten sprüht. Sollten Sie sich unbedingt öfters ansehen. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des geschätzten Autors und Blogbetreibers.
… Alles vom Michael Klonowsky vom 15.7.2018 zu „Unter den lebenden deutschen Geisteswissenschaftlern der einzige, den man mit Fug und Recht Philosoph nennen darf“ bitte lesen auf
https://juergenfritz.com/2018/07/15/sloterdijk/
https://michael-klonovsky.de/acta-diurna
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Zum Autor: Michael Klonovsky, 1962 im Erzgebirge geboren, ist Romanautor und Publizist. Aufgewachsen in Ostberlin. Maurerlehre. Abitur. Seit 1990 Journalist. “Wächterpreis der Tagespresse” für die „Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen durch die DDR-Justiz und den Staatssicherheitsdienst“. 1992: Wechsel zum Focus, zunächst als Redakteur, später als Chef vom Dienst bzw. Textchef, Leiter des Debattenressorts, sodann als Autor. Am 31. Mai 2016 endete die Ehe mit Focus, die Partner hatten sich auseinandergelebt. Von Juni 2016 bis Anfang 2017 war er parteiloser Berater von Frauke Petry, von Juni bis November 2017 Sprecher der von Jörg Meuthen geführten Landtagsfraktion der AfD Baden-Württemberg. Michael Klonovsky ist Autor mehrerer Bücher.
Peter Sloterdisjk 70 Jahre
Der Philosoph Peter Sloterdijk ist ein Hüne in jeder Hinsicht. Von ihm kann man sich einiges abschauen. Eine persönliche Würdigung zum 70. Geburtstag.
Der Mann, der sich selbst als unfrisierten Oger bezeichnet, ist ein Hüne. Auf Bühnen und in Debatten aller Art verströmt Peter Sloterdijk die Aura des soliden In-sich-Ruhens. Bis vor kurzum trainierte er die Spannung, der sich solche Gelassenheit verdankt, auf ausgedehnten Fahrradtouren, wobei jede Tagesstrecke, jede Extrasteigung, jeder Zwischensprint im Tagebuch vermerkt wurde. Auch in geistiger Hinsicht ist Sloterdijks Erscheinung bemerkenswert. Als Autor hat er in den letzten gut dreissig Jahren ein Werk geschaffen, hinter dem man eine philosophische Factory vermuten muss. Entweder schuften ein Dutzend ehemalige Studenten für den Philosophen von Karlsruhe oder er verfügt über einen Einflüsterer, der niemals ruht. Sloterdijk, das darf man neidlos anerkennen, ist ein Denkathlet, dessen philosophische Essenz sich in den einen, von ihm geprägten Satz fassen lässt: Dasein heisst In-Form-Sein.
René Scheu, 26.6.2017
https://www.nzz.ch/feuilleton/zum-70-geburtstag-von-peter-sloterdijk-so-kommst-du-in-form-ld.1302784
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Peter Sloterdijk – Der unruhige Philosoph aus Karlsruhe
Peter Sloterdijk ist Gegenwartsbeobachter und Geschichtsüberflieger in einem. Wenn er die Jetztzeit mit der ihm eigenen Schärfe deutet, dann schöpft er aus 2500 Jahren Geistestradition. Darunter macht er es nicht. Der Denker aus Karlsruhe hat in den letzten 35 Jahren 40 Bücher publiziert und damit ein Opus geschaffen, das vielen Kollegen die Röte – oder Blässe – des Neides ins Gesicht treibt. Längst hat sein Werk die Welt erobert, auch jenseits des Atlantiks. Der «New Yorker», der sonst nicht durch besondere Germanophilie auffällt, hat Sloterdijk eben ein umfangreiches Porträt gewidmet. Der Sportsgeist des Philosophen ist derweil ungebrochen. Im Herbst erscheint der zweite Band seines Tagebuches «Zeilen und Tage» – 600 Seiten geballte (und witzige) Denk-Prosa.

 

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