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Das Geheimnis der Rosen - Quilt-Stoffbild 130 * 100 cm

Das Geheimnis der Rosen – Quilt-Stoffbild 130 * 100 cm

 

 

Marita Lanfer: Säen bei Nacht
Der Deutsche Widerstand als Auftrag zur Erziehung.

Vorbilder für eine Zeitenwende
Familie, Glaube, Vaterland: Marita Lanfer über Kraftquellen des Widerstands vom 20. Juli 1944
Buchbesprechung von Oliver Busch

Die pensionierte Lehrerin Marita Lanfer hat ein dickes Buch über Männer und Frauen im Widerstand gegen die NS-Diktatur geschrieben. An solchen Werken ist kein Mangel mehr. Dem trägt die Verfasserin gleich eingangs mit einer Warnung an den Leser Rechnung: Ihre Arbeit beanspruche keinen Platz in der rührigen historischen Forschung zu diesem Thema, weil sie dazu „nichts Neues“ bieten könne.
Das ist jedoch nur insoweit korrekt, als Lanfer konventionelle Erwartungen nicht erfüllt, sie tatsächlich keine neuen Quellen erschließt, keine bislang unbekannten Akteure der Anti-Hitler-Opposition präsentiert, keine verborgenen Details zum Alltagswiderstand oder aus dem Netzwerk der Verschwörer des 20. Juli 1944 ans Licht bringt. Trotzdem überrascht hier eine Außenseiterin mit einem erstaunlich innovativen Zugriff auf das von der Historikerzunft aufgetürmte Material zur deutschen Widerstandsgeschichte. Methodisch handelt es sich dabei um eine Kollektivbiographie, die die Stoffmassen anhand einer einfachen Fragestellung ordnet: Welchen Anteil hatten Erziehung und Bildung daran, daß Menschen sich zu „außerordentlichen Exponenten der sittlichen Auflehnung gegen das Hitlerregime“ entwickelten? Welche „Quellen der Kraft“ erschlossen sich ihnen in Elternhaus und Schule, die sie befähigten zu ihrer lebensgefährlichen „Bewährung im Aufstand“?
Die glückliche Auswahl von drei Dutzend Biographien und Briefeditionen, die Lanfer trifft, legt ihre Schwerpunkte auf die studentische Fronde der „Weißen Rose“, auf den „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James von Moltke, Peter Yorck von Wartenburg, Adam Trott zu Solz, Julius Leber, Alfred Delp und Adolf Reichwein, die engsten Zirkel der Militäropposition mit Hans von Dohnanyi, Hans Oster und dem ihnen im „Amt Canaris“ attachierten Theologen Dietrich Bonhoeffer sowie auf Henning von Tres­ckow, Fabian von Schlabrendorff, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Schließlich kommen einige Repräsentanten des ostelbischen Adels wie Ewald von Kleist-Schmenzin und Heinrich von Lehndorff ausführlich zu Wort.

Der Text ist so konzipiert, daß Lanfer die aus Lebenszeugnissen komponierte Zitaten-Collage mit ihren Aussagen zu den „Quellen der Kraft“, als da sind Familie, Schule, Bildung, Natur, Heimat, Jugendbewegung und vor allem der christliche Glaube, mit der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in der Geschlechterlotto spielenden, ihrem Bildungsverfall nur noch zuschauenden bunten Berliner Regenbogenrepublik stärkstens kontrastiert. Mit dem Effekt, daß Lanfers Chor der Stimmen klingt wie aus einem „inzwischen fast vollständig untergegangenen Deutschland“.

Der wesentliche Unterschied zwischen jenen Reichsdeutschen und den zur Selbstabschaffung entschlossenen bundesdeutschen Lemmingen besteht für Lanfer in der früh eingeübten Bereitschaft zum Dienst am Ganzen, in der Ausrichtung auf einen überindividuellen „höheren Daseinszweck“ in Gestalt von Volk und Nation. Denen in einer vertikalen Werthierarchie jedoch der Gott des Christentums noch übergeordnet ist. Damit ist eine unübersteigbare Grenze gezogen gegenüber der nationalsozialistischen Verabsolutierung des als rassisch determiniert verstandenen Volkes. Zugleich ist Distanz gewahrt zur NS-Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, da die auf Wilhelm von Humboldt und die Weimarer Klassik zurückgehende Figur der allseits gebildeten, selbständig urteilenden und handelnden „Persönlichkeit“ keine Ähnlichkeit hat mit dem in die „Volksgemeinschaft“ eines totalitären Staates eingeschmolzenen „Volksgenossen“.

Intakte Familien als Motor für die selbstbestimmte Persönlichkeit
Wie Lanfer anhand ihrer autobiographischen, nicht selten in der Haft, nach ergangenem Todesurteil, formulierten Bekenntnisse belegt, war es immer das Vorbild der Eltern gewesen, von dem die Persönlichkeitsbildung ihren Ausgang nahm. Wobei die nachhaltige Wirkung der Autorität des Vaters und der Liebe der Mutter von der Harmonie zwischen den Eheleuten abhing. Alle Widerstandskämpfer in Lanfers Porträtgalerie stammen aus „intakten Ehen“, und sie schlossen selbst Ehen mit „starken Frauen“, die sich unter den extremen Belastungen der Kriegsjahre als so fest erwiesen, daß das Gros der „Witwen des 20. Juli“ sich nicht wieder verheiratete. „Die Kraft unserer Männer“, zeigte sich die Witwe Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfelds überzeugt, sei „zutiefst durch besonders glückliche Ehen begründet“ gewesen.

„Die Eltern trennten sich fast nie“, erzählt Sabine Leibholz-Bonhoeffer, „jeder war nur ‘ein halber Mensch’ ohne den andern. Sie brachten es in einer fünfzigjährigen Ehe auf eine Trennungszeit von ein paar Wochen.“ Was für den wilhelminischen Psychiatrie-Professor Karl Bonhoeffer und seine Frau Paula galt, bestimmte durchgängig auch das Eheleben der jüngeren Generation im Widerstand. Auffällig ist zudem, daß alle hier Zitierten auch als Erwachsene stets enge Verbindungen zu den Eltern pflegten.

Einen womöglich gleich tiefen Einfluß auf die Formung selbstdenkender, selbständiger, aber verantwortungsbewußter Persönlichkeiten hatte die Schule, zumeist ein Internat. Allein den Abiturjahrgängen 1921 bis 1933 der thüringischen Klosterschule Roßleben sind zwanzig Absolventen der Opposition gegen Hitler zuzurechnen. Unter ihnen Peter Graf Yorck von Wartenburg und Heinrich von Lehndorff. Wie erklärt sich dieser hohe Anteil von Schülern eines relativ kleinen Elitegymnasiums am Widerstand? Für Lanfer ist neben der Vermittlung des humanistischen Erbes die Weckung des Leistungswillens und die Gewöhnung an Disziplin typisch für Roßleben, daß dort die Zöglinge lernten, für eigene Überzeugungen zu kämpfen, sie gegen Widerstände zu verteidigen und sich gegen die Wonnen des Opportunismus zu wappnen. Daß gerade diese Charaktererziehung dem Leitwort der Schule gemäß einmal ihrem Dienst am Vaterland zugute kommen sollte, verstand sich von selbst. Niemand aus dieser „Auslese“, wie Clarita Trott zu Solz die Roßlebener tituliert, zweifelte zudem daran, daß der wahrhaft menschliche Mensch sich in ethnisch-kulturell fundierten, historisch gewachsenen familiären, regionalen, nationalen Gemeinschaften verwirklicht.

Nur in solchen Solidargemeinschaften, so zieht Lanfer eine wichtige Lehre aus ihrer Musterung der Widerstandsbiographien, ließe sich den barbarischen Zumutungen einer transhumanistischen Moderne trotzen, deren Erziehungsziel keineswegs der „mündige Bürger“ ist, sondern wie in der frühen bolschewistischen Sowjetunion, der möglichst wurzellose nomadische „Flugsandmensch“, der preiswert in den Produktionsprozeß paßt und der demnächst durch einen Mikrochip ersetzbar ist. Spätestens seit der Bologna-Reform ist die ökonomisierte Schul- und Bildungspolitik der Bundesrepublik bemüht, diesen Typus, die unselbständige Anti-Persönlichkeit und den handzahmen Untertanen, zu züchten.

Dagegen das Vorbild des Widerstands zu mobilisieren, wie Lanfer das in bewundernswert idealistischem Schwung tut, könnte herbe Enttäuschungen zeitigen. Denn sich als „postnational“ definierende Vielvölkergesellschaften wie der Extremfall Bundesrepublik, glauben die ideelle Integration über „Konstruktionen“ wie Heimat, Vaterland, Nation heute für entbehrlich halten zu dürfen. Verzicht, Dienst, Opfer sind daher, wie Lanfer beklagt, mit Konsequenz kein Gegenstand der Lehrpläne, und die Persönlichkeit, die nur Sand ins Getriebe streuen würde, kein Bildungsideal mehr. Den einzigen Artikel der Verfassung einer solchen „postnationalen Gesellschaft“ hat der Sozialphilosoph Jürgen Habermas auf die kürzeste Formel gebracht: Zukunft braucht keine Herkunft. Einen durch vorgängige kulturelle, geschweige denn ethnische Homogenität gesicherten „Hintergrundkonsens“ hätten von Diversifizierung geprägte Großkollektive gar nicht nötig. Auch diesen gemeingefährlichen Blödsinn müßte eine Zeitenwende dringend hinter sich lassen. Nur mit enormem Optimismus ist allerdings zu hoffen, daß Marita Lanfers Vitalisierung der im deutschen Widerstand wirksam gewesenen Bildungsideale dazu einen zarten Anstoß geben könnte.
… Alles von Oliver Busch bitte lesen in der JF 29/22, Seite 19
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Marita Lanfer: Säen bei Nacht.
Der Deutsche Widerstand als Auftrag zur Erziehung.
Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2021, broschiert, 467 Seiten, 19,90 Euro

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„Was Erziehung leisten kann – Deutscher Widerstand
Deutscher Widerstand: Was hat die Angehörigen des 20. Juli 1944 befähigt, ihr Leben in die Bresche zu werfen? In ihrem bemerkenswerten Buch meint die Pädagogin Marita Lanfer, das Geheimnis nun gelüftet zu haben
Moritz Schwarz

Frau Lanfer, inwiefern zeigt unser Verhältnis zum Widerstand des 20. Juli 1944, daß wir Deutschen ein pathologisches Selbstverständnis haben, wie Sie sagen?

Marita Lanfer: Unsere allzu berechtigte tiefe Scham über den Nationalsozialismus verhindert den angemessenen Blick auf die Tatsache des deutschen Widerstandes. Wer ihn hervorhebt, wird oft der Schönfärberei bezichtigt, mit der er von den Verbrechen ablenken wolle. In Wahrheit könnte das Bewußtsein, was diese Menschen an Gesinnung und Charakter bewiesen haben, maßgeblich zur Gesundung unseres nationalen Selbstverständnisses beitragen.

Zum Beispiel?
Lanfer: Etwa ihre heute verschrieenen preußischen Tugenden wie Selbstdisziplin, Bescheidenheit, Zuverlässigkeit, Verantwortungsgefühl und Mut – was etwas anderes war als das, was heute billig als „Zivilcourage“ gefeiert wird. Vor allem aber ihr Glaube an eine verbindliche Ordnung, eine letzte Instanz, der man verpflichtet ist: Es kennzeichnet diese Menschen aus allen Schichten, daß sie dazu erzogen waren, das als wahr Erkannte bedingungslos über das eigene Wohl zu stellen. Wo sehen wir das heute?

Aber inwiefern offenbart das ein pathologisches Selbstverständnis der Deutschen?
Lanfer: Diese Menschen zählten, wie ihr Mut zeigt, zu den Besten unseres Volkes, dessen sittlichem Fortbestehen sie sich verschrieben hatten – das aber seinerseits von diesem Erbe nichts mehr hören will! Denn unser Volk ist mit einem Schuldkomplex beladen, auf den hierzulande alles reduziert wird. Die Selbstachtung ist verlorengegangen. Das aber ist verstörend, weil es wie eine Barrikade gegen unser Fühlen und Denken ist: Wir Deutschen können uns in unserem Land, unserem Volk, unserer Heimat kaum mehr finden. Denken Sie etwa daran, wie diese Begriffe heute mit „Ausgrenzung“ übersetzt werden.

Weshalb interessiert Sie das so?
Lanfer: Als Pädagogin frage ich mich natürlich: Wie sollen sich Heranwachsende, die einmal in Heimatkunde statt „Sachkunde“ unterrichtet wurden, da noch mit ihrer Herkunft identifizieren und einmal die Identität unseres Volkes wahren können? Denn ebensowenig wie ein gebeugter Mensch kann ein gebeugtes Volk aufrecht und weitblickend die Zukunft bestehen.

„Der Deutsche Widerstand als Auftrag zur Erziehung“ lautet der Untertitel Ihres neuen Buches „Säen bei Nacht“ – der 20. Juli also als ein Erziehungsratgeber?
Lanfer: Nein. Abgesehen davon, daß sich der deutsche Widerstand keineswegs im 20. Juli erschöpft, versteht sich das Buch als Anstoß zur Besinnung darauf, was Erziehung leisten kann. Es ist nicht primär ein politisches, sondern in erster Linie ein pädagogisches Buch, ein Fazit aus Biographien einer Vielzahl unterschiedlichster Widerstandskämpfer unter dem Aspekt: Wie sind diese kerzengeraden Menschen erzogen worden, bereit, für ihre Überzeugung sogar ihr Leben zu opfern – wohl das sittlich Höchste, was man erringen kann. Und: Gibt es in der Erziehung dieser Menschen etwas, das ihnen bei aller Unterschiedlichkeit der Herkunft gemeinsam war? Tatsächlich ist dem so.

Nämlich, was war dieses Gemeinsame?

Lanfer: Die Weitergabe zeitloser Werte und Normen, die ihnen in Familie und Schule vermittelt wurden und die gespeist waren aus einem überzeugend vorgelebten christlichen Glauben.

Sie sind weder Erziehungswissenschaftlerin noch Historikerin, wie sind Sie also zu dem Thema gekommen?
Lanfer: Ich habe vierzig Jahre als Lehrerin gearbeitet. Es geht mir um die Kinder und was es mit ihnen macht, wenn sie Erziehung und Bildung, wie sie heute verstanden werden, erfahren. Dazu ein Erlebnis: Als ich einmal nach Schulschluß im Klassenzimmer blieb, um den Unterricht für den nächsten Tag vorzubereiten, vernahm ich plötzlich ein gewaltiges Dröhnen. Oben auf der Treppe erblickte ich einen Achtjährigen, der mit voller Wucht immer wieder gegen das Metallgeländer der Treppen trat; vier Erwachsene standen daneben, die sich seelenruhig unterhielten. Hatten sie den minutenlangen Krach nicht bemerkt? „Doch. Aber was soll man da machen?“ Diese Episode zeigt, was ich während meiner Berufsjahre erlebt habe: wie Kraftlosigkeit und Resignation immer mehr zunahmen, wie Autorität zerfiel. Obwohl ich die Tätigkeit an Grund-, Haupt- und Gesamtschulen gern ausübte, machte mir der zunehmende Niedergang in der Erziehung das Herz schwer. Ich erlebte, wie durch den Verlust von Ruhe, Respekt und Ordnung die Leistungen der Schüler immer mehr nachließen. Ich erlebte, wie immer neue Schulkonzepte Einzug hielten, während es für mehr und mehr Schüler zur Herausforderung wurde, auch nur still zu sitzen oder sich gar 45 Minuten lang zu konzentrieren. Ich erlebte, wie der Lärmpegel wuchs und wuchs, bis sich Lehrer und Schüler nur noch hilflos die Ohren zuhielten; wie immer mehr Kollegen der bloße Kampf ums Überleben in den Burnout trieb und gerade engagierte Lehrer verbittert aus dem Leben schieden; wie mehr und mehr Schüler „implodierten“, also verschlossen und düster wurden, während andere explodierten, indem sie sich aggressiv und – Mädchen eingeschlossen – gewalttätig zeigten, und wie Eltern ratloser und die Wartezeiten der psychologischen Beratungsstellen länger und länger wurden.

Und Sie glauben, dem mit dem historischen Widerstand gegen Hitler beikommen zu können?
Lanfer: Seit Jahrzehnten überbieten Experten sich mit Vorschlägen zum Thema Erziehung. Ich glaube indes, daß der Verlust erzieherischer Substanz vor allem Folge eines generellen Verlusts kultureller Substanz ist. Das deutsche Erziehungs- und Bildungswesen hatte einmal einen außerordentlichen Ruf; um unseren wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Nachwuchs wurden wir beneidet. Stimmt es denn überhaupt, daß die Katastrophe des Nationalsozialismus alle genuinen deutschen Traditionen widerlegt hat, wie uns eingeredet wird? Tatsächlich belegt gerade der deutsche Widerstand, daß die NS-Zeit die Ideale tradierter Erziehung nicht ad absurdum geführt, sondern im Gegenteil gezeigt hat, wie dringend nötig sie sind, um in Zukunft ähnliche Herausforderungen bestehen zu können.

Dabei haben Sie diese deutschen Werte als Achtundsechzigerin doch einmal mit aller Macht bekämpft.
Lanfer: Ich stamme aus einem katholischen Elternhaus und wurde überbehütet erzogen. Entsprechend unerfahren ging ich ins Studium – wo ich staunend erlebte, wie plötzlich Studenten aufsprangen und in die Vorlesung hinein „systemimmanente Scheiße!“ schrien; eine Sprache, die ich gar nicht verstand. Ich stand diesem Treiben wehrlos gegenüber, ohne das Rüstzeug, dem aufkommenden Zeitgeist zu begegnen. Das mitzugeben hatte vielen kriegserschöpften Eltern die Kraft gefehlt. Man hat als junger Mensch kaum eine Chance, eine solch aggressive Ideologie auch nur im Ansatz zu durchschauen. So wurde ich bald zum Mitläufer und vertrat wie die meisten die Parolen der Bewegung unreflektiert. Aus der Studentenrevolte erwuchs die Autonome Frauenbewegung, unter anderem geprägt von Alice Schwarzers Buch „Der kleine Unterschied“. Begeistert gründeten sich überall Frauengruppen – in denen reihenweise Ehen kaputtgeredet und zerstört wurden: Indem die verheirateten, „bürgerlichen“ Frauen, von denen viele zuvor gar nicht an Scheidung gedacht hatten, massiv bedrängten wurden, endlich ihre „Unterdrückung zu erkennen“. Heute schäme ich mich, bei einer Bewegung mitgemacht zu haben, die so viel Schaden angerichtet hat, vor allem wenn ich an das Schicksal der Scheidungskinder denke. Nachdem ich mich angewidert aus dem radikalisierten Milieu zurückgezogen hatte, erinnerte ich mich des Themas, das mich früher schon beschäftigt hatte: Masse und Widerstand. Es führte mich später unweigerlich zum deutschen Widerstand. Ich war von seiner Breite überrascht: Sollte es etwa damals von Widerständlern nur so gewimmelt haben?

Kann man Tausende, bei damals 60 Millionen Einwohnern, „wimmeln“ nennen?
Lanfer: Natürlich nicht. Doch fragte ich mich das aus meiner damaligen Perspektive, hatte ich doch – bis auf die kleine Gruppe der bekannten Widerständler – von den vielen anderen nie etwas gehört. Für die sich, aller Bekenntnisse zum Widerstand zum Trotz, kaum jemand interessierte. Stimmte also etwas nicht mit der Einstellung zu unserer Vergangenheit?

Nämlich, was war das?
Lanfer: Unsere Gesellschaft glaubt, ohne das Potential der zahlreichen letzten Repräsentanten eines anderen, fast gänzlich untergegangenen Deutschlands auskommen zu können. Zu diesem anderen Deutschland gehörten Menschen, die sich verpflichtet fühlten, dem Ganzen zu dienen. Um konkret an die Rolle der Frau anzuknüpfen, ging es eben nicht um Autonomie. In diesem Zusammenhang hat mich ein geradezu prophetisches Wort Dietrich Bonhoeffers sehr beschäftigt, was auch im Buch Ausdruck findet: „Es ist der Beginn der Auflösung und des Verfalls aller menschlichen Lebensordnungen, wenn das Dienen der Frau als Zurücksetzung, ja als Kränkung der Ehre angesehen wird.“ Blicken wir in unsere Zeit, die den Männern und Frauen als höchstes Ziel ihre Selbstverwirklichung einredet, so erleben wir, wie dadurch alle verlieren: die Männer, die doppelt belasteten Frauen und vor allem die Kinder. Und wir sehen wie sehr uns allen damit das weibliche Element fehlt: Unsere Gesellschaft schreit geradezu nach Wärme!

Wenn Sie vom „Dienen der Frau“ sprechen, wird Ihnen natürlich entgegengehalten werden: Aha, die Frau ist also Magd, der Mann der Herr!
Lanfer: Das ist selbstverständlich Unsinn. Das Einanderdienen gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. So wurde das auch in den Ehen vieler Widerständler gelebt. Idealiter sollte es so sein, „daß eins das andere mit sich in den Himmel bringe“, wie der Widerstandskämpfer Paul Schneider schrieb.

Dann erklären Sie „Dienen“.
Lanfer: Dienen heißt Sorge tragen für das Wohlergehen des Anderen. Es ist ein edles, kein unterwürfiges Tun, denn wir brauchen einander. Der moderne Autonomiewahn – der Anspruch des „Ich kann alleine!“ – verkennt zudem, daß wir alle letztlich auf ein Höheres angewiesen sind und leben sollten „im ernsten Aufblick zu Gott“, wie Ewald von Kleist-Schmenzin seinen Kindern in seinem Abschiedsbrief zurief. Das sollte der Leitgedanke in der Erziehung überhaupt sein: Denn nur, wer sich als Erzieher vertikal leiten läßt, kann Kinder wirklich führen: Er hat die Kraft dazu, weil er im Gottvertrauen lebt. Die Saat, die die Eltern vieler Widerstandskämpfer aufgebracht hatten, ging auf: Sie bewährten sich als Menschen, die aus dem Glauben lebten und sich deshalb noch in schlimmster Bedrängnis aufgehoben fühlen konnten. Das war die Quelle ihrer Kraft und ließ sie todesmutig der Versuchung widerstehen, den Weg der Masse zu gehen. Diese Saat sollten auch wir in der Erziehung legen.

Jedoch hat nicht einmal die Rückendeckung aus Hollywood, in Gestalt des 20.-Juli-Kinofilms „Operation Walküre“ von Tom Cruise, dem Widerstand zur Popularität verhelfen können. Wie wollen Sie ein Instrument nutzen, für das sich heute fast keiner interessiert?
Lanfer: Das Problem ist, daß der deutsche Widerstand immer nur historisiert wird. Tatsächlich aber birgt er einen Schatz, den die heutige Erziehung endlich heben sollte: Wir müssen von der Historisierung des deutschen Widerstands zu seiner Dynamisierung übergehen. Dem redet auch Klaus von Dohnanyi, Sohn des überaus tapferen Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi, das Wort: „In Deutschland haben wir uns sehr intensiv mit den Opfern (der NS-Zeit) beschäftigt … Mit dem Widerstand aber, der die eigentliche Essenz bildet, woran man sich für die Zukunft orientieren kann, befaßt sich Deutschland viel weniger.“ Wir müssen uns die Leitbilder des deutschen Widerstandes bis zum heutigen Tag erst noch verdienen. Sind wir angesichts der derzeitigen „Weltnacht“, wie Heidegger sagt – daher auch der Titel meines Buches „Säen bei Nacht“ – nicht geradezu verpflichtet, dieses Erbe endlich anzutreten und der heranwachsenden Generation mit diesen Vorbildern die Orientierung zu geben, die sie so dringend braucht?
… Alles von Marita Laufer bitte lesen in der JF 29/22, Seite 3
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Marita Lanfer, unterrichtete von 1968 bis 2008 an Grund-, Haupt- und Gesamtschulen in NRW, unter anderem Deutsch, Englisch und Geschichte. Die 1947 in Viersen am Niederrhein geborene Pädagogin veröffentlichte 2014 das Buch „Erziehung durch Vorbild“. Ende 2021 erschienen: „Säen bei Nacht. Der Deutsche Widerstand als Auftrag und Erziehung“.

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Helikopter-Eltern fordern Schneepflug-Bildung
„Es gras­siert ein merk­wür­di­ges Phä­no­men un­ter El­tern, es heißt Schnee­pflug-Er­zie­hung – wäh­rend He­li­ko­pter-El­tern ih­re Kin­der bloß dau­er­über­wa­chen, räu­men die Schnee­pflug-Mum­mys und -Dad­dys so­fort al­le Hin­der­nis­se aus dem Weg. Hoch­schu­len müs­sen auf­pas­sen, daß sie kei­ne Schnee­pflug-Bil­dung an­bie­ten und das weg­schie­ben, was für ih­re Stu­die­ren­den kon­tro­vers oder strup­pig ist. Ech­te Bil­dung ist oh­ne in­tel­lek­tu­el­le Zu­mu­tun­gen nicht zu ha­ben. Nur wer sich an An­ders­den­ken­den reibt, kann sei­ne Po­si­ti­on prü­fen. Den­ken und Strei­ten sind Ge­schwis­ter.“
Manuel J. Hartung, Redakteur und Herausgeber von „Zeit Campus“, in der „Zeit“ vom 17. April 2019

 

Rücksichtslosigkeiten: Semesterbeginn, Augustinerlärm  
Wenn selbst dem Chef der „Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg“ (ASF) die Spucke wegbleibt angesichts dessen, was sich zu Semesterbeginn in der Innenstadt tut, dann sollte das zu denken geben. Schließlich sind seine Mitarbeiter und er ja in dieser Stadt einiges gewohnt… Die Stadt sollte meiner Ansicht nach auf die Universitätsverwaltung zugehen, damit diese den Fachschaften und anderen Initiatoren dieser Erstsemester-„Events“ unmissverständlich klarmacht, dass diese Art von Ersti-Einführungen mit ihren Auswüchsen nicht erwünscht sind.Da wird sich hemmungslos auf Kosten der Allgemeinheit amüsiert, denn die Reinigung der Stadt wird ja schließlich durch die nicht gerade unerheblichen Abgaben der Gebührenzahler an die ASF finanziert.
Allerdings ist die Hoffnung auf eine Intervention der Stadtverwaltung wohl vergebens – ich höre schon die Argumente von der „weltoffenen, toleranten Universitätsstadt“, in der man nicht mit Verboten und Einschränkungen agieren möchte. Wo es an Erziehung, Denkvermögen und Manieren hapert, hilft manchmal allerdings als letzte Konsequenz nur dies, denn manch einer scheint eben keine andere Sprache zu verstehen. Dass endloser Langmut und Diskussionsfreude hier ganz offensichtlich überhaupt nicht zielführend sind, zeigen unter anderem die Probleme am Augustinerplatz (wo die sogenannten „Lösungsversuche“ schon zu einer Farce geworden sind) und auf dem Platz der Alten Synagoge nur allzu deutlich.
12.11.2018, Annette Schmied, Freiburg

 

 

Die Freiheit, nicht alles ausschöpfen zu müssen
Freiheit ist der großartigste, der wichtigste Wert überhaupt. Wir müssen lediglich lernen, mit ihm umzugehen. Eine falsche Nostalgie gegenüber früheren Zeiten, die weder zurückkommen, noch unbedingt wirklich immer besser waren, ist keine gewinnbringende Antwort auf unsere Zeit. Die Erkenntnis, die Freiheit zu allem zu haben, diese jedoch nicht immer gänzlich ausschöpfen zu müssen, sehr wohl. Sie ist es, die letztlich die Entspannung bringt, die wir brauchen. Die uns Entscheidungen fällen lässt, ohne ständig mit ihnen zu hadern. …..
Alles von Anabel Schunke vom 13.1.2017 bitte lesen auf
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/auf-der-suche-nach-irgendwas-die-zerrissenheit-der-jungen-generation/
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Maximale Freiheit macht einsam
Liebe Frau Schunke, sie beschreiben hier ein sehr interessantes Thema. Als inzwischen „über 50 Jahre alter weißer Mann“ möchte ich ein paar Erfahrungen mit Ihnen teilen:
1. Maximale Freiheit kann maximal einsam machen.
2. Eine gute Dosis Freiheit kann glücklicher machen, wenn man sie mit anderen teilen kann – aber schon ist man wieder beim Kompromiss…und bei Grenzen.
3. Suchen Sie nie, niemals nach der 100% Lösung, sie vertrödeln viel Zeit damit, im schlimmsten Fall Ihr ganzes Leben.
4. Stehen Sie zu Ihren Entscheidungen (auch Fehlentscheidungen) – Sie müssen den Erdbeerjoguhrt nicht vor anderen rechtfertigen.
5. Geld und viele andere vermeintliche „Glücksfaktoren“ haben einen abnehmenden Grenznutzen, d.h. „die erste Million macht Sie glücklicher, als die Hundertste“.
6. Haben Sie den Mut, getroffene Entscheidungen auszuhalten, nach dem Motto: „Warum sollte ich meinen 80%-Partner gegen ein ungewissen Neuen tauschen? Die Chance auf 90% zu kommen ist viel kleiner, als auf 70% oder weniger abzurutschen. Klingt zumindest gut, oder?“
7. Setzen Sie Sich realistische Ziele und packen Sie 10% drauf 🙂
8. Wenn sich Dinge signifikant ändern, bewerten Sie neu und passen Sie Ihre Ziele an.
9. Und haben Sie keine Angst vor Fehlern, die passieren sowieso. Nur machen Sie die gleichen Fehler nicht 2x, das ist schlecht fürs Ego – und den Ruf.
20.1.2017, Andear Stadel, TO
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Freiheit = Optionen besitzen
Optionen zu besitzen, könnte man einfach Freiheit nennen. Wer keine Wahl-Option hat, ist eben in seiner (Nicht)Entscheidung gebunden, alternativlos, gezwungen, also unfrei. (Gruß an Frau Merkel, die in diesem Sinne die oberste Organisatorin von Unfreiheit ist). Ein Blick zurück auf die Evolution des Lebens und die Geschichte der Menschheit läßt besorgen, daß zu verspielte/exaltierte Experimente scheitern, sich nicht als stabil gegen grobe oder massive Angriffe erweisen.
Sehr ausdifferenzierte Phasen werden bei uns Menschen wohl Hochkultur genannt, die bislang alle untergegangen sind, entweder durch Kriege, Invasionen, Krankheiten, fehlende Nachhaltigkeit – also Überbevölkerung oder übermäßiger Verbrauch der Ernährungsgrundlagen wie Wasser, Boden, Holz etc. von Rom bis Inkas und Ägypten bis Chinesisches Kaiserreich scheint es universelle Geltung zu besitzen, daß nach irgendeiner Blüte, die mehr oder weniger lange aufrecht erhalten werden kann, der Absturz folgt. Damit will ich sagen, daß der Terror der Auswahl eben keine Gewissheit auf ewigen Bestand oder sogar ewige Vergrößerung hat – vielleicht gibt es schon in 20 Jahren nur noch 1 Joghurt oder keinen mehr im Supermarkt oder sogar überhaupt keine Supermärkte mehr! Wer weiß?Würden wir im Rom Kaiser Augustus leben, würde wohl niemand einen Penny darauf geben, daß es mal anders sein oder werden könnte, Rom von Barbaren geplündert und untergehen würde, es an den Grenzen brennen werde und Rückzug und Aufgabe der Gebiete die einzige künftige Devise lauten werde, bis zum endgültigen Untergang aller Strukturen des alten Reiches.
Kurzum, genießen sie jeden nur denkbaren „Joghurt“ als Platzhalter für jede nur denkbare Lebensfreude, für gelebte Freiheit im Besitz von Optionen, denn all das wird erst dann zum „Wert“ für jeden von uns, wenn man Optionen verliert, sie bedroht oder entzogen werden. (Älterwerden gibt oft erweiterte materielle Optionen, aber einige sehr wesentliche biologische verschwinden). Das „Mehr“ an Optionen – schöner, schneller, bunter hat immer ein Ende durch Grenzwerte, wie Andreas Seidel schon schrieb, weil niemand unendlich Zeit oder Geld hat, alle Optionen durchzuspielen. Statt einer falschen Nutzung von Optionen sehe ich das viel größere Risiko in dem grundsätzlichen Verlust von Optionen und der kommt meist von außen, durch Gewalt, Kriege, Staatsversagen, Krankheit, Schicksal, Naturkatastrophe etc. oder eben banal durch Älterwerden.
Die von Ihnen, Frau Schunke, angesprochenen Design- oder Optimierungsfragen zu Partnerschaften, Bildungsplanung, Kinder etc. sind alle gut und schön und grds. richtig, aber sämtlichst nicht in Granit gemeißelt.
Sie können Trompete studieren und dann im späteren Leben erfolgreich im Verkauf/Managment leben und arbeiten, ohne je wieder einen Ton Trompete zu spielen.
Der Partner outet sich als Langeweiler oder Trinker, dann wird wohl ein Wechsel oder das Singlebleiben sinnvoll.
Einen Kinderwunsch können sie heutzutage auch ganz bewußt und völlig losgelöst von einer festen Partnerschaft erfüllen und leben.
Geld haben schadet nie, weil es Optionen eröffnet, also persönliche Freiheit begünstigt, nur garantiert es durch die dadurch vermehrten Optionen kein persönliches Glück. Das ist eine ganz andere Baustelle.
Reiche Mitmenschen neigten aufgrund ihrer vielzähligen Optionen und überschaubaren persönlichen Pflichten schon immer (zu allen vergangenen Zeiten und in allen bisherigen Hochkulturen) zu einer gewissen Langeweile oder Schwermut oder Dekadenz, bis sie eben „übernommen“ wurden und diese „Sorgen“ los waren.
Feindliche Realitäten sammeln sich immer im Umfeld von Blüte und Erfolg oder Reichtum.
Schmutz und Sumpf sind nur für Fliegen und Käfer oder dgl. anziehend.
Und wer seine Optionen nicht als Reichtum ansieht und ggf. auch bereit ist, sie wie Bargeld oder Gold zu verteidigen, wird sie verlieren und so unfreier und die Last der Wahl auch so los.
Marcel Börger, TO, 14.1.2017
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Freiheit – geht nur ohne Facebook
Mit 35 bin ich nicht mehr ganz jung, durch glückliche Umstände im Lebenslauf hatte ich die im Text angesprochenen Probleme allerdings nur in geringem Maße. Grundsätzlich kann ich jedem nur empfehlen weniger auf Facebook und Whatsapp abzuhängen und lieber sein eigenes Ding zu machen. Im Zweifel eine Familie gründen, meiner Erfahrung nach macht das einen zum glücklichen Menschen. Familie und (echte) Freunde sind das wichtigste, der restliche Facebook-Quatsch kann abstinken gehen 😛
jonas, TO, 14.1.2017
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Die Freiheit, Grenzen zu setzen: Sich selbst und den Kindern
Neulich in einer Gaststätte. Neben mir und meiner Frau saßen zwei Paare. Männer jeweils knapp 40+, die Frauen Ende 20. Ich will nicht gleich einsortieren, aber vom Aussehen her ganz sicher grüne akademische Bourgeoisie, wenn man beim einen Mann die Kombi aus PLO-Schal und Rado Hyper-Chrome Uhr zugrunde legt. Aber das lenkt jetzt ab, was ich erzählen will, ist das: Die beiden Paare hatten jeweils zwei kleine Mädchen, süße Mäuse mit Schnuller. Was mir aber auch auffiel: Beide Mädchen (natürlich?) barfuß im Restaurant (wir haben Januar). Sie tobten laut lärmend über die Bänke, turnten und sprangen herum. Natürlich, immer noch Baby-Charme, man will auch kein Spießer sein, also sagt man nichts. Nach 20 Uhr wurden sie erkennbar müde (natürlich nicht „Heia gehen“, welches Kind will schon schlafen?)und während die Mamas und Papas an der zweiten Flasche Primitivo di Manduria arbeiteten (der ist aber auch wirklich gut, muß ich bestätigen), begannen sie zu quengeln und nervös durch das Lokal zu fegen. Irgendwann stand eine der Frauen auf, fing ihre Kleine ab die gerade ein Tischtuch heruntergerissen hatte, und in feinstem typischen Akademikerhochdeutsch (Ihr wißt schon, dieser pseudo-norddeutsche Tonfall mit immer die Tonlage zum Satzende leicht hochziehen) begann sie der ca. Zweijährigen nun lange, sehr lange zu erklären, warum Klein-Käthe (sie hieß wirklich Käthe – neuer Modename Prenzlauer Berg?) das nun nicht dürfe. Ein Wortschwall ergoß ich über das Kind, das nervös aus den Worten heraushören wollte, ob es von Mama noch liebgehabt wird, wo doch das (zum Glück) leere Wasserglas auf der Erde lag. Die beiden Männer waren inzwischen bei einem Vergleich von Scrum versus klassisches Projektmanagement angekommen und schon jagten die beiden Mädchen wieder durchs Restaurant. Die Wirtsleute sind Sizilianer, die haben weiß Gott nichts gegen Bambini, aber mama mia, können diese Tedesci nicht mal ihre Kinder bei sich halten? Der Kellner schaute immer mehr wie Don Camillo aus seinem weißem Hemd, wenn Peppone ihm wieder mal die Türe zu seiner Kirche zugenagelt hatte.
Ich habe auch Kinder, ich gebe zu, sie sind deutlich älter, aber Kinder sind Kinder seit 1000 Jahren. Daher weiß ich, wie schwer es ist, mit kleinen Kindern ins Restaurant zu gehen, und wie sehr man sich als Elternpaar trotzdem wünscht, endlich mal wieder „wie früher“ wegzugehen, wie alle diese Kinderlosen, die man so maßlos beneidet. Aber bei mir damals hieß das: Stillsitzen. Klare Ansage.
Ich weiß, auch aus dem Unterbewußtsein meiner eigenen Kindheit, welche Qual es für Kinder ist, im Restaurant stillzusitzen, diese tooootlangweiligen Unterhaltungen der Erwachsenen, die sowieso nichts verstehen, und immer Bestimmer sein wollen. Hat sich da was geändert? Nein, aber wo meine Frau und ich immer drauf geachtet haben, war, Grenzen zu setzen. Eine Zweijährige versteht nicht, warum sie stillzusitzen hat, sie wird es immer doof finden, sie muß nur wissen: Jetzt hat Papa das gesagt und das gilt. Denn Papa ist der Große und ich kann mir sicher sein, daß er mich beschützt. Vermittelt ein lange erklärender, fast flehender (oder eben völlig desinteressierter) Vater dieses Gefühl? Und das muß immer geschehen, zu hause, beim ins Bett gehen, wenn getobt wird oder angezogen und wo sonst noch Konflikte lauern.
Ich zitiere mal die Feministinnen: Ein nein ist ein nein. Nicht weil, oder warum – was hatte die kleine Zweijährige jetzt vom Vortrag ihrer Mutter über die Sollbruchstellen in Trinkgläsern? Schluß, Käthe!, hätte es heißen müssen. Das und nur das mußte die Kleine wissen. Sie will doch nur, daß Mama und Papa sie liebhaben. Und naja, wenn Mama sich ärgert – umso besser! Aber – wer weiß, wie diese Endzwanzigerin schon erzogen worden ist?
So kommt eins zum anderen. Grenzenlos sind die Möglichkeiten auch heute nicht, daß ist eine Illusion, der noch nicht einmal 22jährige erliegen. Grenzenlos sind nur sie selbst. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.
Ein Mensch, der sich selbst Grenzen setzen kann, weil er als Kind die Sicherheit seiner Eltern spürte (denn Entscheidungsfreiheit empfindet kein Kind als Befreiung, noch nicht einmal Teenies, allen Gemaule zum Trotz) der hat keine Angst vor dem 20-Joghurte-Regal. Er hat eh seinen Lieblingsgeschmack und da greift er zu. Wer weiß, wie es Käthe in 20 Jahren gehen wird, wenn sie sich zwischen a) veganem, b) selbstdrehenden c) genverändertem, besonders die Magenflora pflegendem Joghurt entscheiden soll? Nein, vermutlich wird sie nicht in den Supermarkt gehen, sondern in ihr Smartphone eine Bestellung sprechen, die dann Zalando Food per Drohne abliefert. Dumm nur, das das Scrollmenü 37 Sorten anzeigt. Wird sie a) ihre Mutter antexten, b) gar nichts bestellen, weil sie sich trotz Kleidergröße 36 für fett hält c) 17 Sorten bestellen, weil Zalando bei Nichtgefallen per Drohne die Joghurts wieder abholen läßt oder d) nur Erdbeer ohne Zucker aus biologischem Anbau bestellen?
13.1.2017, Hellerberger, TO
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Wohlstandsverwahrloste Handystarrer?
Sehr geehrte Frau Schunke, die junge Generation ist aus meiner Sicht eine Generation von wohlstandsverwahrlosten, entpolitisierten Handystarrern, die teils von ihren Eltern vor allem bewahrt, teils von ihren Eltern allein gelassen, absolut alles für selbstverständlich hält. Einerseits die Kohle von den teils wohlhabenden Eltern, andererseits die Kohle vom Amt. Um das zu verstehen, muss man nur mal in den Bus oder in die Regionalbahn steigen. Ein Smartphone haben sie alle. Die nuancierten Unterschiede liegen in den Klamotten. Erschreckend..
Drapondur, TO
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Verantwortung
Ich war auch ein Mensch ohne wirklichen Anker und habe in meinem Leben viele dumme Dinge getan. Ich fand einfach keinen Halt, obwohl ich ein sehr sehr gutes Elternhaus hatte. Das änderte sich dann alles schlagartig, als meine Tochter geboren wurde. Das hat mich so dermaßen auf den Boden geholt und eingenordet, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Sie ist das größte und beste in meinem Leben und durch sie habe ich Verantwortung gelernt. Also ja: Familie ist das wichtigste überhaupt. Ich denke, nur der Auslöser, dies zu begreifen, der ist ganz individuell. Die heutige Jugend weiß die Freiheit wahrscheinlich deswegen nicht zu schätzen, weil sie nie etwas dafür tun musste und sie für selbstverständlich hält. Mich deucht allerdings, dieser Umstand ist gerade dabei sich zu ändern, auch wenn die Jugend das noch nicht bemerkt hat bzw. darüber jubelt, was gerade in Gang gesetzt wird (Masseneinwanderung). Das wird ein böses Erwachen werden.
Rr. Flagg, TO

Freiheit den Globalisten
Chapeau! So ein kluger Artikel. Den schicke ich meiner Tochter (35), die genau in diesem Dilemma lebt: Zwischen den vielen Wahlmöglichkeiten des Lebens zerrieben zu werden. Wobei sie den Ausgang, den sie beschreiben, liebe Frau Schunke, schon gefunden hat: die Freiheit der Wahl zu schätzen und sich auf einen Prinzen festzulegen. Aber, es ist heute schwieriger und trotzdem leichter als früher. Schwieriger, weil man in Freiheit so viele Möglichkeiten der Wahl hat und damit auch die Möglichkeit der Fehlentscheidung steigt. Leichter, weil die Freiheit der Wahl wahrlich grenzenlos ist und man sich durch die richtige Entscheidung selber besser verwirklichen kann. Durch Asien trampen? In Australien studieren? Für vier Jahre in Shanghai arbeiten? Das sind die fast grenzenlosen Möglichkeiten der gut gebildeten, international orientierten jungen Leute. Ich nenne sie die Globalisten. Dagegen steht eine Schicht, weniger gut ausgebildet, für die die neue Welt eher Einschränkungen als Freiheiten bereithält. Aber, diese Unterschiede gab es zu vielen Zeiten. Für das Zusammenleben ist es nur wichtig, wie die Gesellschaft mit beiden umgeht. Persönlich muss man das Leben einfach nach vorne leben und man kann es nur von hinten verstehen. Lesen Sie einmal die Briefe des grossen Stoiker Seneca an seinen jungen Freund Lucilius. Sie werden finden, dass es im Römischen Weltreich bereits vor 2000 Jahren „Globalisten“ mit ähnlichen Möglichkeiten , aber auch Problemen gab.
Dozoern, TO
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Soziale Medien beschränken die Freiheit
Vorerst ist die „Freiheit“ in den Sozialen Netzwerken verloren gegangen. Da hilft nur noch ein Zwang. Ein Zwang, der diesem virtuellen Leben von Pump auf Pomp, ein Maß verordnet, wo sich die verlorenen jungen Menschen wiederfinden. Stellt man heute den Strom ab, ob E-Autowahn oder Windrradorgien, ob Naturkatastrophe oder Krieg, haben die hilflosen Jungen ein Orientierungsproblem, wenn nicht sogar ein ernsthaften psychiches Krankheitsbild.
Das Leben für den Anderen, sich darzustellen und den Anderen etwas vormachen, was man nicht ist, Alibiereignisse, Stellvertretervideos, um das eigene Ego aufzufrischen, diese Generation hat ein Problem, wenn sie nicht geerdet wird. Zudem bleibt der ganze sinnlose Unsinn über Jahrzente im Netz. Die Halbwertzeit ist seeeehr lang. Aber wie es so ist im Leben, bleibt zum Schluss nur die Familie. Deines nächsten Lieben, denn als Erstes kannst du nur auf dich selbst vertrauen. Viel zu viel leben ihr Leben für andere, um gut dazustehen und vergessen ihre eigene Natur, ihr eigenes ich. Sie richte ihr Leben für die anderen und werden verlassen. Ab Ende sterben sie einsam. Das einzige was zählt bist du, deine Ehe, deine kinder und deine Familie. Dann fügt sich alles Weitere.
14.1.2017, Berk, TO

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