Bessere Noten, bessere Schueler

Endlich mal eine erfreuliche Meldung der Statistiker zu Bildung und Schule: Unsere Kinder lernen fleißig, gerne und leichter. Die Schulnoten in Deutschland werden immer besser. In Berlin etwa vervierfachte sich die Zahl der Abiturienten mit Durchschnittsnote 1,0 von 2006 bis 2012. Bildung ist unser wertvollster „Rohstoff“. Entwickeln wir uns zu einem Land der jungen Universalgenies?

(1) Laut Bildungsforscher Hans Peter Klein konnten fast alle Neuntklässler einer Schule aus NRW eine Bio-LK-Abiturklausur aus Berlin lösen – auch deshalb, da die Aufgabenlösungen neuerdings „dem umfangreichen Arbeitsmaterial“ entnommen werden können. Abschreiben genügt. Fazit: Die Klassen 10 bis 13 kann man streichen und das Geld sparen.

(2) Schüler mit schlechten Mathenoten wählen für ihre Abi-Präsentationsprüfung (Schüler muß nach vierwöchiger Vorbereitungszeit die Lösung der Aufgabe über PowerPoint öffentlich vorführen) besonders gerne ihr Horrorfach Mathe. Grund: Schüler holen sich Hilfe von Mathe-Cracks bzw. im Internet – und so wird aus einer „5“ im Unterricht plötzlich mal eine „2“ im Abi. Fazit: Lehrer schaden dem Notenniveau und können entlassen werden.

(3) Die soziale Ungerechtigkeit muß bekämpft werden, das Abi soll kein Privileg von Reichen, Besserwissenden und Besserlernenden mehr sein. Aus diesem Grunde macht man das Abitur immer einfacher. Fazit: Da auch die Armut  bekämpft werden muß, sollte man nach der gleichen Logik einfach Geld drucken und jedem Bürger z.B. 100.000 Euro in die Hand geben.

(4) Unsere Bildungspolitiker fordern zu Beginn jeder Legislaturperione von neuem, die Ausgaben für Schule und Ausbildung zu erhöhen, schließlich sei Bildung und Knowhow der einzige „Rohstoff“, den dieses Land besitze. Angesichts der trotz wenig Geld immer besseren Bildungsabschlüsse ist dies doch unlogisch. Fazit: Im Bildungsetat findet sich das größte Einsparpotenzial des Bildeshaushalts.

(5) Ausblick in die nahe Zukunft: Mindestens in jedem Schulfach muß es in deutschen Landen eine Person geben, die fachlich noch durchblickt und Lösungen der Prüfungsaufgaben ins Netz hochladen kann.

(6) Ausblick in die fernere Zukunft: Eine Bildungskatastrophe im Sinne von Georg Picht ist erst dann gegeben, wenn unsere Schüler nicht mehr lesen und deswegen auch nicht mehr abschreiben können.

Also weiter so – mit einer Anmerkung am Rande:
Ein Schüler mit der Abiturnote 2,9 fand sich im Jahr 1964 im oberen Drittel seiner Klasse wieder. Er konnte Latein, Englisch und Französisch sprechen und trotzdem weder Mathematik, Physik, Biologie noch Chemie abwählen. Klassenstärke: 40.
Ein Schüler mit der Abiturnote 2,9 ist im Jahr 2014 im untersten Viertel seiner Klasse angesiedelt. Da er neben Englisch noch ein paar Brocken Chinesisch und Arabisch spricht, konnte er alle naturwissenschaftlichen Fächer ab Klasse 11 abwählen. Klassenstärke: 19.
9.8.2014

Harald Martenstein (Tagesspiegel) : Über die vielen Universalgenies an deutschen Schulen, Chrismon 33/204, S. 6

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